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# taz.de -- Debatte Israel-Palästina: Trumps Schwiegersohn auf Irrwegen
> Jared Kushner sieht in der Wirtschaftsförderung die Lösung für den
> Nahost-Konflikt. Die politischen Knackpunkte ignoriert er.
Bild: „Nein zum Jahrhundert-Deal“. In Palästina erwartet man nichts Gutes …
Der „Deal des Jahrhunderts“ bleibt ein wohl gehütetes Geheimnis. Seit
Monaten lässt US-Präsident Donald Trumps Friedensplan für den Konflikt
zwischen Israel und den Palästinensern auf sich warten. Irgendwann im
Sommer soll er veröffentlicht werden.
Was genau das Dokument beinhalten wird, ist wohl selbst den Architekten des
Plans noch nicht klar. Doch Trumps Berater und Schwiegersohn Jared
Kushner, dem der US-Präsident das nahöstliche Monstervorhaben aufgeladen
hat, stand in Washington kürzlich Rede und Antwort. Obwohl er wenige
Details verriet, zeichnet sich die Richtung des Vorstoßes bereits ab.
Aufschlussreich ist eine Anekdote, in der Kushner ein Gespräch mit einem
Unterhändler in Nahost schildert. „Er sagte: ‚Du musst in die Jahre 1917,
1948, 1967 und 1973 zurückgehen.‘ Und ich sagte einfach: ‚Schau: Wir wollen
nicht in die Geschichte einsteigen, alles, was mich interessiert, ist
heute.‘“ Die Gründungsgeschichte Israels, die Kriege mit den arabischen
Nachbarn, all das interessiert Kushner nicht. Der 38-jährige
Immobilienunternehmer strebt einen Deal an, der sich radikal unterscheidet
von bisherigen Versuchen, den festgefahrenen Konflikt am östlichen
Mittelmeer zu lösen.
Was bislang bekannt ist: Der Plan, an dem Kushner zusammen mit dem
US-Nahostbeauftragten Jason Greenblatt und David Friedman, dem
US-Botschafter in Jerusalem, arbeitet, wird Grundfesten des
Friedensprozesses infrage stellen, teils komplett über Bord werfen –
darunter die seit Jahrzehnten verfolgte Zweistaatenlösung, in deren Zentrum
die Vision von zwei Staaten für zwei Völker steht, die sich Jerusalem als
Hauptstadt teilen. Penibel vermeidet Kushner jedes Bekenntnis zu zwei
Staaten. Das Wort „Selbstbestimmung“ nimmt er in den Mund, von eigener
[1][Staatlichkeit] der Palästinenser redet er nicht.
Doch solch politische Fragen sind in Kushners Gedankenwelt ohnehin
zweitrangig. Ihm schwebt ein ökonomisch begründeter Frieden vor: Verbessert
sich die Lebensqualität der Palästinenser, so Kushners Credo, lösen sich
auch die politischen Probleme, dann wird auch Israels Sicherheit garantiert
sein. Mit einer Konferenz in Bahrain will er Ende Juni um Investitionen in
die Palästinensergebiete werben.
Über Alternativen zur Zweistaatenlösung nachzudenken, ist nicht
grundsätzlich falsch, denn realistisch ist der Ansatz heute kaum noch:
Israelische Regierungen haben sich in den 1967 besetzten Gebieten so
dauerhaft als herrschende Macht installiert, dass die Gründung eines
palästinensischen Staats den Tausch größerer Gebiete und Umsiedlungen
erforderte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden im besetzten
Westjordanland sowie im palästinensischen Ost-Jerusalem angesiedelt. Das
widerspricht zwar dem Völkerrecht, doch die Fakten sind geschaffen.
Kushners Plan jedoch, die Zweistaatenlösung aufzugeben, ohne eine Strategie
zu formulieren, die grundlegende Gerechtigkeitsfragen angeht, ist
realitätsfern. Kushner versucht, die Regeln seiner Geschäftswelt auf einen
der komplexesten Konflikte der Erde anzuwenden. Selbst US-Außenminister
Mike Pompeo bezeichnete das Vorhaben als „undurchführbar“ – nicht wissen…
dass jemand seine Bemerkung mitschnitt.
Der Topdiplomat weiß, dass jeder Lösungsansatz ein in mühsamer
Kleinstarbeit aufzubauendes Vertrauen der Konfliktparteien voraussetzt.
Doch nichts weist darauf hin, dass Kushner einen vertrauensbildenden
Prozess anvisiert, an dessen Ende irgendwann die großen Fragen des
Nahost-Konflikts aufgetischt werden können: der Status Jerusalems, die
Flüchtlingsfrage, die Siedlungen und die Grenzen.
Generationen von Palästinensern sind mit der Konfliktrealität aufgewachsen,
mit dem festen Glauben, dass das eigene Volk von dem ihm zustehenden Land
vertrieben wurde. Ein dauerhafter Frieden wird nicht möglich sein, ohne zum
einen das Thema Staatlichkeit anzugehen und zum anderen die
Gerechtigkeitsfrage zu stellen (das zumindest theoretische Recht auf
Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge und damit verknüpfte
Entschädigungsfragen).
Kushners Ansatz eines ökonomischen Friedens ignoriert zudem, dass unter
anderem die EU bereits große Summen in die palästinensischen Gebiete
investiert. Materiell geht es den Menschen im besetzten Westjordanland
besser als so manchen ihrer arabischen Brüder – auch wenn die Führung in
Ramallah korrupt ist und längst nicht alle Hilfen beim „Volk“ ankommen.
Nun könnte man den Kushner-Plan als dilettantisch abtun, als weitere
Spinnerei aus dem Hause Trump. Doch das programmierte Scheitern wird Folgen
haben. Die frühzeitige Ablehnung durch die Palästinenserführung kann man
falsch finden, doch die Haltung ist verständlich in Anbetracht des bislang
Bekannten sowie der von Trump auf die Spitze getriebenen
antipalästinensischen Politik: Anerkennung Jerusalems als Israels
Hauptstadt, Verlegung der US-Botschaft, Einstellung der Zahlungen für die
Autonomiebehörde und das Palästinenserhilfswerk UNRWA sowie die Anerkennung
der israelischen Annexion der [2][Golanhöhen], die Washingtons frappierende
Bereitschaft gezeigt hat, sich im Nahen Osten über internationales Recht
hinwegzusetzen.
Scheitert der Plan, stünden die Palästinenser als Buhmänner da. Für die
Regierung und andere rechte Kräfte in Israel wäre das eine Steilvorlage, um
einige angekündigte Vorhaben im Alleingang durchzusetzen: die weitere
Festigung der Kontrolle über Ost-Jerusalem oder eine Annexion
palästinensischer Gebiete. Ein Scheitern des Kushner-Plans und dessen
Folgen würden einen Kompromiss, der von einer Mehrheit der Israelis und
Palästinenser wie auch im Ausland als gerecht akzeptiert wird, vollends
unmöglich machen. An die Stelle einer ausgehandelten Lösung würde eine von
der Macht des Stärkeren geprägte Regelung treten. Ein Friedensplan, der den
Beinamen „Deal des Jahrhunderts“ verdient, sieht anders aus.
16 Jun 2019
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[2] /Kommentar-Trumps-Nahost-Politik/!5582004
## AUTOREN
Jannis Hagmann
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