Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berliner Fußball-Klubs: Der Ost-Ost-Konflikt
> Einer der beiden Ex-DDR-Klubs der Hauptstadt steigt jetzt vielleicht in
> die erste Bundesliga auf. Wie hat der 1. FC Union Berlin das geschafft?
Bild: Eisern und gebannt: Union-Fans im Stadion an der alten Försterei, August…
Berlin taz | Beschaulichkeit ist ein geradezu klischeehafter Bestandteil
der Marke Union. Wer zum Zweitligisten Union Berlin geht, läuft nicht über
die branchenübliche Brache voll grauer Parkplätze und zertretenem
Grasmatsch, sondern durch einen kleinen Wald, als liege dahinter ein
familiärer Rückzugsort oder ein Nimmerland. Am Stadion Alte Försterei
herrscht die drückende Stille einer Monokultur, die nur an Spieltagen
erwacht. Niemand auf den Wegen, der Rasen wird gesprenkelt, auf der
Geschäftsstelle plaudert die Sekretärin mit dem Briefträger.
An Spieltagen aber drängen in der Regel 22.000 Menschen hierher, auf 37.000
wird ausgebaut. Der Kern steigt immer noch in Köpenick zu, und in der Tram
hört man es dann schwer berlinern, obwohl neuerdings sogar Ronja von Rönne
Union ganz super findet und der Tagesspiegel über einfliegende Engländer
berichtet. Ja, ein bisschen anders ist es hier, gerade so viel, dass es
sich gut verkauft.
Dieses Wochenende wird Union Berlin vielleicht ganz oben angekommen sein:
Aufstieg in die Fußballbundesliga, diesen symbolträchtigen Ort, der aus 17
Westklubs besteht, und dem von Red Bull als Marketingprodukt installierten
RB Leipzig. Im Millionengeschäft Fußball ist manches plumper und sichtbarer
als im Alltagsleben. Falls Union aufsteigt, wird die Öffentlichkeit gerührt
sein: Ja, es ist ein Ostklub! Irritierend selbstverständlich gibt es dieses
Label noch immer, 30 Jahre nach dem Mauerfall.
Zur selben Zeit, nicht weit von der Alten Försterei entfernt, hat der BFC
Dynamo gerade den Abstieg in die fünfte Liga abgewendet. Der alte Berliner
DDR-Serienmeister ist so tief gestürzt, dass es hier auch schon wieder
irgendwie ursprünglich ist, im baufälligen Jahn-Sportpark, seltsam isoliert
im sonst so polierten Prenzlauer Berg – eine eigene Welt. Die Geschichte
der alten Erzfeinde BFC und Union kann man mit Shakespeare erzählen. Zwei
Berliner Fußballklubs, nicht ganz gleich an Ansehen, in gegenseitiger
Abneigung vereint. Aber in echt hat die Geschichte natürlich viele
Grautöne.
## Was bedeutet den Fans der Osten heute noch?
Der BFC Dynamo gilt zu DDR-Zeiten als der Stasi-Klub, weil er von seinem
Ehrenvorsitzenden und damaligem Staatssicherheitsminister Erich Mielke
geliebt und bevorzugt wird. Und weil er, wie fast alle DDR-Klubs, einem
Träger angegliedert ist, in dem Fall den inneren Sicherheitsorganen. Union
Berlin hingegen ist ein ziviler Klub, er soll den Arbeiter unterhalten,
aber bloß nicht zu erfolgreich sein. Der BFC holt Meistertitel in Serie,
mit freundlicher Unterstützung der Schiedsrichterbranche, und fällt nach
der Wiedervereinigung tief.
Und Union, zu DDR-Zeiten ein populärer Klub, aber meist in den unteren
Gefilden der DDR-Oberliga unterwegs, kommt nach langen
Nachwende-Turbulenzen zu Geld und Kultstatus. Warum kam alles so und nicht
ganz anders? Was bedeutet den Fans der Osten heute noch? Fußballgeschichte
erzählt deutsche Geschichte – und hier vor allem, welche Spuren die
DDR-Zeit hinterlassen hat.
Als die sogenannte Wende kommt, findet Rolf Walter sie „cool“, dieses Wort
benutzt der 60-Jährige heute. „Ich wollte sie immer haben.“ Walter ist
damals in der Opposition aktiv, unter anderem in der Kirche von Unten und
im Friedenskreis Friedrichsfelde, dafür hat er 1988 eine Ausreiseerlaubnis
sausen lassen.
Heute arbeitet Walter als freier Fotograf, Anfang der achtziger Jahre ist
er noch Stellwerksmeister bei der Deutschen Reichsbahn in Berlin. Erste
Erfahrung mit Rebellion hat er beim BFC Dynamo gesammelt, dem Stasi-Klub.
Wer glaubte, es sei schwer, mit Fans über Fußball in einer Diktatur zu
sprechen, irrt: Walter redet darüber nachdenklich und mit Witz, als habe er
nur darauf gewartet, dass jemand fragt.
## Eine provokante Spaßveranstaltung
Alle paar Tage hat er noch einen möglichen Kontakt, noch eine Idee, ein
altes Foto. Heute wird die Fanszene des BFC vor allem mit Rechten in
Verbindung gebracht, aber Anfang der Achtziger ist sie bunt. „Das
BFC-Publikum war eigentlich eine kuriose Mischung aus Subkulturen“,
erinnert sich Walter. Punks, Skinheads, fließende Übergänge. Rolf Walter
kommt zufällig zum BFC, über seinen Großvater, einen strammen Genossen. In
Walters Erinnerung gibt es damals sogar ein beschauliches Zeitungshäuschen,
das Fanfahnen verleiht, „als Winkelement“. Interessant für widerspenstige
Jugendliche wird der BFC Dynamo erst zu Beginn der achtziger Jahre.
„Da hat es bei Auswärtsfahrten richtig gerumst, und da erst hat man die
eigene Stärke gespürt. Wenn wir mit 200 Leuten gegen 1.000 Unioner
vorgegangen sind und man merkte: Wenn man zusammenhält, hat man eine
wahnsinnige Gewalt.“ Auch Walter prügelt damals mit. Damals sei das alles
noch nicht politisch gewesen, eher eine provokante Spaßveranstaltung. In
Dresden nehmen sie den Lebensmittelmangel aufs Korn, bewerfen die
gegnerischen Fans mit grünen Bananen und rufen: Wir haben euch was
mitgebracht – Bananen, Bananen.
In Anspielung auf den republikflüchtigen und möglicherweise von der Stasi
ermordeten Fußballer Lutz Eigendorf gründet sich ein Fanklub, bis die Stasi
dessen Fanklubfahne einkassiert. Auf Auswärtsfahrten hören sie Punkbands
und Westmusik, ein Lilahaariger schreit: „Freie Liebe!“, da holen die Leute
die Kinder von der Straße. „Die Stasi hat relativ verhalten auf uns
reagiert, weil sie froh waren, dass es Fans gab. Mitte der Achtziger ist
das dann gekippt, weil sie merkten, dass sie die Kontrolle verlieren, aber
da war die Sache eigentlich schon aus dem Ruder gelaufen“, sagt Walter. „Je
mehr Gewalt sie anwendeten, umso mehr radikalisierten sich die Leute.“
Es ist ein Versäumnis des Vereins und der Westpresse, dass die Widersprüche
der BFC-Geschichte nie in die Gegenwart transportiert wurden. Nach der
Wende wurde der Verein zur Verkörperung des Systems. Absurd, wo dieses
System doch fast alle Klubs finanziert hatte. Im Image des BFC blieben
Linientreue und rechte Hooligans hängen. Da kippte das einst wilde Gemisch
nach rechts, hochgeschaukelt durch harte Haftstrafen, neue Schläger und den
Reiz der ultimativen Provokation. Vom Punk zum Neonazi war der Weg nicht
weit. Prügelnde und plündernde BFCler in der Nachwende-Anarchie ließen die
Wessis erschaudern. Der einst subversive Humor ist vergessen, die
Geschichte von den guten Rebellen erzählt hingegen Union.
1984 landet auch Rolf Walter im Knast, und als er rauskommt, verschreibt er
sich dem politischen Widerstand – „wenn ich noch mal in den Bau muss, dann
mache ich es richtig, in der Opposition“. Heute geht er gelegentlich wieder
zum BFC, wo immer noch eine DDR-Fahne im Publikum hängt. Nur Provokation,
denkt er, denken viele. „Ich glaube, das ist keine Ostalgie; nicht wenige
haben ja im Knast gesessen zu DDR-Zeiten. Bei Union sind die viel ostiger,
die trauern viel mehr der Vergangenheit hinterher“, meint Walter. Aber
stimmt das? Es gehört zu den Widersprüchen dieser Geschichte, dass man die
größeren Ossis jeweils beim Rivalen vermutet.
## Ein Verein von Gnaden des Systems
Als die sogenannte Wende kommt, will Lopez keinen Anschluss an die BRD.
Lopez ist sein Name in der Unioner Fanszene, seinen richtigen Namen will er
hier nicht lesen. „Ich war nie ein DDR-Bürger, der abhauen wollte“, sagt
Lopez heute. „Ich fand den Sozialismus prinzipiell gut, aber ich war mir
bewusst, dass im Osten was falsch läuft.“ Lopez ist seit 1977 Unioner, mit
zwölf Jahren kommt er zum ersten Mal ins Stadion. Er ist ein gut gelaunter,
warmherziger Typ. Er erinnert sich an ein junges, aufmüpfiges Publikum, die
allermeisten unter 25 Jahren. Später umschrieb es das Satireblatt
Eulenspiegel mit dem Satz: „Nicht jeder Union-Fan ist Staatsfeind, aber
jeder Staatsfeind ist Union-Fan“ – unter Unionern ein beliebter Spruch.
„Da ist was Wahres dran“, glaubt Lopez. Auch Götz, damals Platzwart bei
Union, träumte zur Wende von einem dritten Weg zwischen Sozialismus und
Kapitalismus. Im Nachhinein findet er das sehr blauäugig. „Aber in der Zeit
des Mauerfalls schien alles möglich.“ Ganz kurz auch für die Ostklubs.
Union Berlin, basierend auf dem 1906 gegründeten FC Olympia
Oberschöneweide, kultiviert schon früh das Image des Arbeitervereins,
verwurzelt in der Bevölkerung. Wie oppositionell oder nicht die Fanszene
damals ist, lässt sich heute kaum mehr sicher sagen. In Stasiakten lassen
sich nach Angaben der Historikerin Jutta Braun vom Zentrum deutsche
Sportgeschichte viele Oppositionskontakte unter Union-Fans nachweisen.
Aber natürlich ist es ein Verein von Gnaden des Systems, jeder
Union-Präsident ist Parteimitglied. Doch gibt es einen gravierenden
Unterschied zum BFC: den Umgang mit DDR-Symbolik. Lopez erinnert sich, wie
er 1990 bei einem Auswärtsspiel aus Protest eine kleine DDR-Nadel trug.
„Ich wurde von anderen Unionern sofort angehalten: Mach die Scheiße ab.“
Götz erinnert sich an eine Köpenicker Kneipe, die vor einigen Jahren Union-
und DDR-Insignien im Fenster hängen hatte. Da sei denen von Fans beschieden
worden: „Beides in Kombination passt nicht.“
## Mit westkompatibler Distanz zur DDR
Und wenn man heute fragt: Warum gerade Union? Dann haben das Glück und die
Zufälle auf einmal eine gewisse Logik. Eine breite Basis, Rückhalt im Kiez
und diese demonstrative, westkompatible Distanz zum alten System. Ein
öffentlich sichtbares Naziproblem gab und gibt es bei Union nicht, auch,
weil „die politische Einstellung am Stadiontor abgegeben wird“, wie Götz es
formuliert. Keine DDR-Flaggen, keine Nazibanner, und Streit löst man in
der Familie. Das hat mehr von „Der Pate“ als von der linken Fanszene des FC
St. Pauli, mit dem Union Berlin gern verglichen wird.
Mit dem Jahr 1990 kommt die fußballerische Wiedervereinigung und spiegelt
in vielerlei Hinsicht andere Wende-Erfahrungen. Mit Gleichberechtigung hat
der Prozess nicht viel zu tun. Nur zwei Ostteams dürfen in der Bundesliga
starten, so lautet der Kompromiss zwischen DFB und dem neuen Ostverband
NOFV – und am Ende wird mit vier Absteigern gleich ausgesiebt. In die
zweite Liga dürfen sechs Ostklubs hinein, obwohl die Ostvertreter
eigentlich alle ihre 14 Erstligisten in den ersten beiden Ligen
unterbringen wollten.Es sind folgenschwere Versäumnisse.
Sowohl der BFC als auch Union verpassen die Qualifikation für den
Profifußball. Zwischen zusammenbrechenden Strukturen, in den Westen
abwandernden Spielern, maroder Infrastruktur und neuer Marktwirtschaft
straucheln die Ostklubs, viele erholen sich nie. Am mittelfristig
erfolgreichsten werden ausgerechnet einst eher unbedeutende Vereine, Hansa
Rostock oder Energie Cottbus etwa. Und nach jahrelangem Niedergang
schließlich auch Union.
Götz glaubt, es gebe so etwas wie eine DNA in einem Klub. Etwas, das alle
äußeren Ereignisse übersteht. „Trotz aller Skandale des Missmanagements in
den Anfangsjahren im neuen Deutschland hatte Union nie das Image verloren,
eigentlich der coole Verein zu sein.“ Die kreativen Fanaktionen wie die
Rettet-Union-Demo durch das Brandenburger Tor, die Blutspende-Aktion
„Bluten für Union“ oder die ehrenamtliche Sanierung des Stadions retten
immer wieder direkt und indirekt vor der Pleite und werden irgendwann zum
bundesweiten Marketingfaktor. Ist das ein Grund für den Erfolg des Klubs?
Dass Union es geschafft hat, „Osten“ mit Nähe und Solidarität zu besetzen
statt mit DDR?
„Ostalgie spielt bei uns keine Rolle“, sagt Lopez entschieden, auch nicht
für die Außendarstellung. Viele Unioner betonen das. Die berühmte Hymne
von Nina Hagen, „Wir aus dem Osten gehen immer nach vorn“ und „Wer lässt
sich nicht vom Westen kaufen?“, sei gar nicht so nach dem Geschmack vieler
Leute aus der Fanszene. Tatsächlich gibt es im Union-Forum lebhafte Dispute
darüber, ob man die Zeile überhaupt mitsingen solle. Blöd, gestrig, falsch,
finden manche, denn ironischerweise war es ein reicher Westler, der 1998
den Verein rettete. Und dennoch wird die Hymne im Stadion mit am lautesten
gebrüllt, Osten und Rebellion sind da plötzlich kompatibel.
„In großen Teilen der Fanschaft sieht man sich eh nicht als Ostverein, da
man sich als Berliner schon zu DDR-Zeiten den Zonis überlegen fühlte“,
meint Götz. Über die DDR-Flaggen in vielen Stadien nach der Wende machen
sie sich in Lopez’ Erinnerung lustig über die Provinztrottel. Gar nicht so
unähnlich den BFClern, die Bananen in Dresden schmissen. Sie alle sind
Berlin, der Rest ist Dorf. Was schert den Berliner das Gerede von Ost und
West? Das mediale Label vom Ostklub wirkt da völlig überholt. Es ist eine
regionale Identität, sagen viele.
## Eine widersprüchliche Mischung
Als die Wende kommt, ist sie für Janusz Berthold, damals 15 Jahre alt, ein
Desaster. Berthold hatte seine erste bewusste Stadionerinnerung beim BFC
Dynamo 1984, wurde linientreu erzogen. Er stammt aus einer kommunistischen
Familie, der Großvater im antifaschistischen Widerstand, der Vater im
Ministerium für Staatssicherheit. „Die Wende war die größtmögliche ideelle
Niederlage“, Vater und Großvater gingen daran kaputt, glaubt er.
Janusz Berthold, bis heute überzeugter Marxist, plante damals eine Zukunft
in der Auslandsspionage bei der HVA, dem Auslandsnachrichtendienst der DDR.
Und sagt doch: „Heute bin ich froh, dass es nicht so weiterging. Die DDR
hatte realistisch keine Zukunft mehr.“ Berthold ist einer von denen, die
man spontan nicht mit dem BFC in Verbindung bringen würde: Einer, der in
alternativen Kneipen und auf linken Demos unterwegs ist, und zugleich
einer, der selbst in Mails berlinert und den man irgendwo zwischen Union
und einem linken Amateurverein platzieren würde. Manchmal ist der BFC
Dynamo eben immer noch eine widersprüchliche Mischung.
In den wilden neunziger Jahren geht Berthold nicht mehr zum BFC, auch, weil
es für Linke dort wenig Platz gibt. Stattdessen sucht er Anschluss beim
AFFI, einer antifaschistischen Faninitiative. Aber 1999 ist er einer von
denen, die zum BFC Dynamo zurückkommen. Janusz Berthold unterteilt die
BFC-Nachwendegeschichte in Epochen: erst das Stasistigma, dann die
Hool-und-Fascho-Zeit. 2001 geht der kurzzeitig in FC Berlin umbenannte Klub
insolvent, er fällt bis in die Verbandsliga.
## Seit 2008 geht es für Union aufwärts
Die Verflechtungen jener Jahre zwischen BFC, rechten Hools, Rockern und
organisierter Kriminalität sind legendär, zwischenzeitlich sitzt ein
führendes Mitglied der Hells Angels im Vereinsvorstand. „Bis vor zehn
Jahren war es schwer, da rauszukommen. Mittlerweile rutscht das Stasiding
in den Hintergrund. Das Problem ist das rechtsextreme Gedankengut, davon
hat sich der Klub nie klar genug distanziert.“ Viel Spielraum gibt es
nicht, wenn da alte Fans sind, die man nicht vertreiben will, und wenig
frischer Wind von außen kommt – womöglich auch nicht kommen soll.
Dennoch hat sich etwas verändert. Nazisymbolik hat man im Jahn-Sportpark
lange nicht mehr gesehen. Die letzten großen Gewaltvorfälle datieren auf
2011. Allenthalben hört man, wie sehr die Vereinsführung bemüht sei, das
Image zu verbessern. Der BFC will aufbrechen. Berthold sagt: „Ein Großteil
der Klientel im Stadion sind immer noch die alten Fans, viele davon sind
jetzt bei Pegida gelandet. Gleichzeitig gibt es den Unterbau mit den
Jugendteams, wo ganz viele Migrantenkinder sind. Das ist das Skurrile an
dem Verein.“ Auch entsteht, anders als in vielen rechts geprägten
Fanszenen, nie eine schlagkräftige Jugendfraktion. Der BFC Dynamo ist wohl
sportlich schon zu irrelevant.
Einige sind im Urteil über die fußballerische Wiedervereinigung trotzdem
gnädig. Die Historikerin Jutta Braun sagt, die schnelle Einheit sei erst
auf Drängen des neuen Ostverbands gekommen, weil die Strukturen
zusammenbrachen. Viel Spielraum habe es nicht gegeben. „Ich würde dem
Westen da nicht den Schwarzen Peter zuschieben“, meint Braun. Der zweite
Kommerzialisierungsschub des Fußballs Mitte der neunziger Jahre aber, sei
für den Ostfußball nach diesem Transfer doppelt tragisch gewesen.
Seit dem Aufstieg in die zweite Liga in der Saison 2008/09 kennt Union
Berlin im Wesentlichen eine Richtung: aufwärts. Nie so viele Zuschauer, nie
so viel bundesweiter Hype – wegen der Stehplätze und der Stimmung und der
kommerzkritischen Haltung. Nostalgie, nicht Ostalgie. Seit einigen Jahren
ist der Bundesligaaufstieg erklärtes Ziel, gar nicht so zur Begeisterung
mancher Unioner. Dirk Zingler, Präsident seit 2004 und nach eigenem
Bekunden schon als Kind Union-Fan, ist der maßgebliche Treiber. Zingler
empfängt in seinem Büro direkt gegenüber der Alten Försterei. Geräumig mit
großzügiger Sofaecke, Zingler raucht noch im Büro, beinahe altmodisch.
„Ostidentität spielt für uns keine besondere Rolle, sondern Identität“,
sagt Zingler sofort. Aus dem Osten der Stadt zu kommen, das sei leider für
viele immer noch eine politische Angabe. „Für mich spielt die politische
Herkunftsidentität, aus welchem Staatssystem wir kommen, keine Rolle. Aber
regionale Abgrenzung ist für mich Kern der Bindung zu einem Fußballverein.“
Das Regionale ist die große Erzählung von Dirk Zingler, er spult das
routiniert runter, er sagt es dauernd.
Fußball ist für Zingler ein regionales Geschäft, möglicherweise auch aus
der Wendeerfahrung. „Viele Dinge in der ehemaligen DDR wurden nach dem
Mauerfall fremdgesteuert. Es kamen damals Manager rüber, die uns erzählten,
wie das neue Staatssystem funktioniert. Wir standen mit offenem Mund
staunend davor. Aber je mehr Zeit verging, umso mehr stellten wir fest: Wir
müssen uns wohl um uns selbst kümmern. Und je mehr ein Verein das macht,
desto besser kommt er zurecht.“
## In Diensten der Stasi
Natürlich hält ein heimatnahes Präsidium nicht als alleinige Erklärung von
Unions Erfolg her, und ein Konstrukt wie RB Leipzig hat schließlich auch
ohne jede Verwurzelung Erfolg. Das Versprechen ist eher: Auch du, mein
Freund, kannst Köpenicker sein. Zingler hütet sich im Gespräch auch penibel
vor dem Ostklub-Ding. Über die fehlende Integration der Ostvereine nach der
Wende will er nicht klagen, und über die Vergangenheit sagt er: „Natürlich
darf man Herkunft nicht verleugnen, die DDR-Zeit gehört zu uns. Aber es ist
eben nur ein Teil der Geschichte, und das verwächst sich mit jeder
Generation.“
Es ist der große Vorteil Unions gegenüber dem BFC Dynamo, jenem staatlichen
Konstrukt, das seine Erfolge nur in der DDR feierte. Union Berlin, dessen
Vorläufer 50 Jahre vor der DDR existierte, und dem es 30 Jahre nach dem
Mauerfall fantastisch geht – für diesen Verein ist die Zeit dazwischen
vielleicht wirklich nur zwei Wimpernschläge, allmählich überschrieben. Nur
manchmal nicht.
Dirk Zingler hat dieses Gespräch im Spaziergang genommen, bis es um das
Wachregiment geht. Im Jahr 2011 recherchierte der Journalist Matthias Wolf,
dass Zingler im Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ diente, das der Stasi
unterstellt war. Bis zum Unteroffizier hatte er es gebracht, galt als
linientreu. Publik gemacht hatte er das nie. Union Berlin, das sich wenige
Jahre vorher werbewirksam von einem Hauptsponsor mit Stasiverstrickungen
getrennt hatte, saß in einer PR-Klemme. Und stellte sich wie eine Wagenburg
um Zingler.
Es ging stattdessen gegen Wolf, den Wessi, der vermeintlich über den Osten
richten wollte. Auf Pressekonferenzen wurden ihm keine Fragen mehr
beantwortet, er wurde aus der Union-Berichterstattung abgezogen. Wir gegen
die, wir aus dem Osten, geschickt inszenierte Union diese Bruchlinie. Und
Teile der Presse dämonisierten den Wachdienst eines Teenagers.
Wenn man sich fragt, warum es in Deutschland nach der Wende nie ein neues
1968 gab, nie eine breit gesellschaftlich geforderte, kritische
Aufarbeitung der SED-Diktatur, deutet das eine Antwort an: Es existieren
mehr Bruchlinien als nur Alt und Jung. Es gibt auch Ost und West.
Dirk Zingler scheinen die Nachfragen aufzuregen, plötzlich wird es
kontrovers. Stehen bleibt am Ende dieses Statement: „Die Zeit im
Wachregiment ist Teil meines Lebens und gehört zu mir. Es ist legitim, dass
ein Journalist darüber recherchierte. Kann man machen. Und dann war die
Geschichte wieder vorbei. Für viele bei Union war es kein Geheimnis, und
viele beschäftigte es auch gar nicht so sehr, weil auch dieser Wehrdienst
Teil einer Biografie in der DDR war.“ Freilich kein ganz normaler Teil.
Natürlich, sagt Zingler, könnten Außenstehende seinen Dienst moralisch
verurteilen, aber: „Über mein Leben in der DDR urteilen die Menschen am
besten, die Teil davon waren. Natürlich gibt es Menschen, die extrem
gelitten haben unter der Stasi und im System DDR. Wenn die sagen, der
Begriff Stasi ist ein No-go, habe ich vollstes Verständnis. Auch ich
verurteile die Verbrechen, die in der DDR geschehen sind.“ Über
Lebensleistungen der Menschen will er reden, nicht so sehr über Systeme.
Zingler ist darüber nicht gestürzt, im Gegenteil: Heute könnte die
Enthüllung für das Image von Union nicht irrelevanter sein.
## Der BFC und die Imagefrage
Eine Statistik der Berliner Morgenpost zeigte vor einiger Zeit, dass Berlin
eine fußballerisch geteilte Stadt bleibt: Menschen aus westlichen Bezirken
sind eher Mitglieder bei Hertha, die aus dem Osten eher bei Union. Das muss
man nicht politisch verstehen; es geht auch um lokale Tradition, und im
Umland hat Hertha viele Fans. Der BFC Dynamo ist unterdessen ein
Regionalligist mit den üblichen Problemen eines Regionalligisten: zu wenig
Geld und Sponsoren, überlastete Ehrenamtler, eine wenig beachtete Liga.
In Peter Meyer ist beim BFC mittlerweile ein Exhool der starke Mann und
Geldgeber, weiter kein Werbeargument für Sponsoren. Ewig im Verein auch der
Fanbeauftragte Rainer Lüdtke, einer, der der taz mal sagte, die
Reichskriegsflagge sei von den Nazis missbraucht worden, und der an einem
Tag der Germanen nichts auszusetzen hatte. Sie erreichen aber offenbar die
Dynamo-Klientel.
„Wir haben vieles getan, um von dem damaligen Image loszukommen“, sagt
Rainer Lüdtke. „Wir haben wie andere Vereine auch Spieler verschiedener
Nationen im Verein, vor allem, was unseren Nachwuchsbereich angeht. Dort
haben wir einen hohen Anteil an jungen Spielern mit Migrationshintergrund.
Wir hatten einen türkischen Trainer. Ich finde es schade, als Verein das
erwähnen zu müssen, weil es nicht wahrgenommen wird. Aber wir haben nicht
die Gelder, um große Imagekampagnen zu starten.“ Es ist die übliche
Haltung, mit der Menschen gern Rassismus von sich weisen – daher können
rechte Strukturen gut neben migrantischem Personal existieren, gerade im
Fußball.
Wenn es um die Krawalle der Vergangenheit geht, wird Lüdtke ungehalten. Er
inszeniert den heutigen BFC als Opfer der Medien. Zugleich spricht er in
Bezug auf die neunziger Jahre von „Radikalität“ statt Rechtsextremismus.
Fortschritte gibt es dennoch. In der Arbeit gegen Gewalt und mit Fans vor
allem, und auch problematische Verbindungen sollen gekappt worden sein.
Viel beachtet werden solche Entwicklungen öffentlich nicht.
## Aktuell drei Ex-DDR-Klubs in der zweiten Bundesliga
Was bedeutet er also, der Osten, im Verein? Im Gegensatz zu Union hat sich
beim BFC, so schildern es viele, die Fanklientel kaum verändert. Es
dominieren alte Männer aus dem ehemaligen Osten, die immer schon zu Dynamo
gingen. Ein Biotop. Die rechten Kräfte darunter gebe es nach wie vor,
möglicherweise sind sie aber auch sichtbarer in einer so kleinen Fanszene.
Seit Jahren versucht der BFC im neuen, hippen Stammkiez Prenzlauer Berg
mehr Publikum anzuziehen, bisher ohne viel Erfolg.
Union hingegen scheint das hippe Image zuzufallen. Vielleicht wirkt es doch
noch zu sehr nach Ost-Zeitkapsel im Jahn-Sportpark, mit DDR-Flaggen im
Publikum, Gesängen vom FDGB-Pokal oder dem DDR-Ruf „Sport frei!“ in Teilen
der Fanszene – wie ironisch das auch gemeint sein soll. Vielleicht
vermischen sich hier Provokation oder Sehnsucht. Und natürlich fehlen Geld
und Erfolg, um eine Aufbruchstimmung zu erzeugen.
„Ostidentität gibt es bei uns sicher noch, aber sie spielt nicht so eine
große Rolle“, sagt Rainer Lüdtke. „Wir sehen uns traditionell als
Ostverein, aber heute sind wir ein Deutschland.“ Die Zuordnung ist spürbar
im Vergleich zu Union, aber Lüdtke hat ja auch nicht halb Europa als
potenzielle Kundschaft, sondern Berlin. Und auch er hat eine
Jugendabteilung mit Nachwuchs, der mit Ost oder West überhaupt nichts mehr
anfangen kann. Ostidentität wächst sich raus, die wirtschaftlichen Lücken
bleiben.
In der Bundesliga ist aktuell kein Ex-DDR-Klub vertreten, in der zweiten
Liga sind es nach Magdeburgs Abstieg noch drei. Ein Unioner Aufstieg würde
ein Stück daran ändern. Als regionale Berliner Fußballgeschichte mit
Osthintergrund.
18 May 2019
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
BFC Dynamo Berlin
Fußball
Fußball-Bundesliga
Profi-Fußball
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Coronavirus
Fußball
Frauenfußball
Kolumne Über den Ball und die Welt
Berlin
Lesestück Recherche und Reportage
Fußball-Bundesliga
Mietenwahnsinn
Kampfsport
Fußball-Bundesliga
Relegation
Fußball
Fußball
FC Bayern München
Lesestück Interview
Weihnachten
FC Union
## ARTIKEL ZUM THEMA
Geheimdienste bei Olympischen Spielen: Wettkampf um Überläufer
Die Olympischen Spiele sind ein Tummelplatz für Geheimdienste. Ein
besonders plastisches Beispiel aus dem Jahr 1960 illustriert den Kampf der
Systeme.
Union-Fanclub zur Fußballkrise: „Ich weiß: Wir kriegen es gebacken“
Der Verein Eiserner VIRUS hat nichts mit Corona zu tun. Er will den
Zusammenhalt der Unioner stärken, sagt der Vorsitzende Sven Mühle – gerade
jetzt.
Rot-Weiß Erfurt ist insolvent: Die Schwäche des Ostfußballs
Die Fußballvereine im Osten haben den Willen, aber nicht die
Wirtschaftskraft. Die Pleite von Rot-Weiß Erfurt ist dafür symptomatisch.
Chancengleichheit im Fußball: Wer wird Profi?
Fußball gilt als Volkssport: egalitär, durchlässig, sozial durchmischt.
Hier hat jeder eine Chance – aber auch die gleiche?
DDR-Scheitern in der WM-Qualifikation: Egon Krenz des grünen Rasens
Das fatale Krisenmanagement des DDR-Fußballs 1989, das Festhalten an alten
Verhaltensmustern – all das ähnelte dem der Staatsführung wenig später.
Derby: Union Berlin vs. Hertha BSC: Alles nur ein Spiel
Das Duell Union gegen Hertha am Samstag soll viel sein: Ost gegen West,
Klein gegen Groß, Kultur gegen Kommerz. Es ist etwas ganz anderes.
Klettern in der DDR: Über Grenzen gehen
Bernd Arnold gehörte zu den besten Kletterern der Welt. Sogar aus den USA
kamen Bergsteiger zu Besuch. 30 Jahre Mauerfall – die Serie zum DDR-Sport.
Hertha-BSC-Investor Lars Windhorst: Alte Dame will blühende Landschaft
Millionen-Segen oder Verzweiflungstat? Seit dem Einstieg von Investor
Windhorst bei Hertha rätseln Fans, welche Folgen der Deal für den Verein
hat.
Kommentar Hauptsponsor Union Berlin: Alle Illusionen im Keim erstickt
Ein Immobilienunternehmen wird Hauptsponsor von Union Berlin. Haben die
Entscheider die stadtpolitischen Debatten der letzten Jahre verschlafen?
Geschichte des Hooliganismus: Ackerkampf und Kampfsport
Der deutsche Hooliganismus ist dabei, neue Gewaltformate zu entwickeln.
Dabei bleibt der Einfluss der extremen Rechten konstant hoch.
Noch mehr erste Liga für Berlin: Eine ganz neue Spielsituation
Eine Jubelarie hat sich durch die Woche gezogen: Union Berlin hat es in die
Bundesliga geschafft. Ein Wochenkommentar.
Bundesligaaufstieg von Union Berlin: Ostklub im Oberhaus
Union Berlin erwehrt sich der Angriffe des VfB Stuttgart im
Relegations-Rückspiel und steigt in die erste Liga auf. Köpenick versinkt
im Wahnsinn.
RB Leipzig beim DFB-Pokalfinale: Aus der Brause kommt das Bunte
An Vorurteilen über RB Leipzig mangelt es nicht. Doch die Fankultur des
Bundesligaklubs ist vielfältig. Beim DFB-Pokalfinale wird man’s merken.
Wie Union in Bochum fast aufstieg: „Singin’ la-la-la-la-la-la-la-la“
Union Berlin hat gegen den VfL Bochum den Aufstieg verschenkt. Die Fans
sind trotzdem nicht depressiv. Schon gar nicht auf Auswärtsbusfahrten.
Kolumne Pressschlag: Das Ende der BRD, wie wir sie kennen
FC Bayern und BFC Dynamo haben rein gar nichts gemeinsam? Oh, doch!
Außerdem: Wie der Fußball ein Land zum Einsturz bringen kann.
Interview mit einem Unioner: „Bei uns regiert nicht nur Kommerz“
Jochen Lesching ist Mitglied der viel beschworenen Union-Familie. Und er
hat bei den Köpenicker Kickern was zu sagen.
Weihnachtssingen bei Union Berlin: Der Exportschlager mit Potenzial
Das Weihnachtssingen am Sonntag im Stadion An der Alten Försterei hat sich
zum Exportschlager gemausert. Ließe sich daraus nicht noch mehr machen?
Fan-Interview zum FC Union: „Fußball guckt man im Stehen“
André Rolle hat sein erstes Union-Spiel vor 50 Jahren erlebt. Im Falle
eines Aufstiegs befürchtet der 60-Jährige, dass Union etwas von seiner
Andersartigkeit verlieren könnte.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.