| # taz.de -- Berliner Fußball-Klubs: Der Ost-Ost-Konflikt | |
| > Einer der beiden Ex-DDR-Klubs der Hauptstadt steigt jetzt vielleicht in | |
| > die erste Bundesliga auf. Wie hat der 1. FC Union Berlin das geschafft? | |
| Bild: Eisern und gebannt: Union-Fans im Stadion an der alten Försterei, August… | |
| Berlin taz | Beschaulichkeit ist ein geradezu klischeehafter Bestandteil | |
| der Marke Union. Wer zum Zweitligisten Union Berlin geht, läuft nicht über | |
| die branchenübliche Brache voll grauer Parkplätze und zertretenem | |
| Grasmatsch, sondern durch einen kleinen Wald, als liege dahinter ein | |
| familiärer Rückzugsort oder ein Nimmerland. Am Stadion Alte Försterei | |
| herrscht die drückende Stille einer Monokultur, die nur an Spieltagen | |
| erwacht. Niemand auf den Wegen, der Rasen wird gesprenkelt, auf der | |
| Geschäftsstelle plaudert die Sekretärin mit dem Briefträger. | |
| An Spieltagen aber drängen in der Regel 22.000 Menschen hierher, auf 37.000 | |
| wird ausgebaut. Der Kern steigt immer noch in Köpenick zu, und in der Tram | |
| hört man es dann schwer berlinern, obwohl neuerdings sogar Ronja von Rönne | |
| Union ganz super findet und der Tagesspiegel über einfliegende Engländer | |
| berichtet. Ja, ein bisschen anders ist es hier, gerade so viel, dass es | |
| sich gut verkauft. | |
| Dieses Wochenende wird Union Berlin vielleicht ganz oben angekommen sein: | |
| Aufstieg in die Fußballbundesliga, diesen symbolträchtigen Ort, der aus 17 | |
| Westklubs besteht, und dem von Red Bull als Marketingprodukt installierten | |
| RB Leipzig. Im Millionengeschäft Fußball ist manches plumper und sichtbarer | |
| als im Alltagsleben. Falls Union aufsteigt, wird die Öffentlichkeit gerührt | |
| sein: Ja, es ist ein Ostklub! Irritierend selbstverständlich gibt es dieses | |
| Label noch immer, 30 Jahre nach dem Mauerfall. | |
| Zur selben Zeit, nicht weit von der Alten Försterei entfernt, hat der BFC | |
| Dynamo gerade den Abstieg in die fünfte Liga abgewendet. Der alte Berliner | |
| DDR-Serienmeister ist so tief gestürzt, dass es hier auch schon wieder | |
| irgendwie ursprünglich ist, im baufälligen Jahn-Sportpark, seltsam isoliert | |
| im sonst so polierten Prenzlauer Berg – eine eigene Welt. Die Geschichte | |
| der alten Erzfeinde BFC und Union kann man mit Shakespeare erzählen. Zwei | |
| Berliner Fußballklubs, nicht ganz gleich an Ansehen, in gegenseitiger | |
| Abneigung vereint. Aber in echt hat die Geschichte natürlich viele | |
| Grautöne. | |
| ## Was bedeutet den Fans der Osten heute noch? | |
| Der BFC Dynamo gilt zu DDR-Zeiten als der Stasi-Klub, weil er von seinem | |
| Ehrenvorsitzenden und damaligem Staatssicherheitsminister Erich Mielke | |
| geliebt und bevorzugt wird. Und weil er, wie fast alle DDR-Klubs, einem | |
| Träger angegliedert ist, in dem Fall den inneren Sicherheitsorganen. Union | |
| Berlin hingegen ist ein ziviler Klub, er soll den Arbeiter unterhalten, | |
| aber bloß nicht zu erfolgreich sein. Der BFC holt Meistertitel in Serie, | |
| mit freundlicher Unterstützung der Schiedsrichterbranche, und fällt nach | |
| der Wiedervereinigung tief. | |
| Und Union, zu DDR-Zeiten ein populärer Klub, aber meist in den unteren | |
| Gefilden der DDR-Oberliga unterwegs, kommt nach langen | |
| Nachwende-Turbulenzen zu Geld und Kultstatus. Warum kam alles so und nicht | |
| ganz anders? Was bedeutet den Fans der Osten heute noch? Fußballgeschichte | |
| erzählt deutsche Geschichte – und hier vor allem, welche Spuren die | |
| DDR-Zeit hinterlassen hat. | |
| Als die sogenannte Wende kommt, findet Rolf Walter sie „cool“, dieses Wort | |
| benutzt der 60-Jährige heute. „Ich wollte sie immer haben.“ Walter ist | |
| damals in der Opposition aktiv, unter anderem in der Kirche von Unten und | |
| im Friedenskreis Friedrichsfelde, dafür hat er 1988 eine Ausreiseerlaubnis | |
| sausen lassen. | |
| Heute arbeitet Walter als freier Fotograf, Anfang der achtziger Jahre ist | |
| er noch Stellwerksmeister bei der Deutschen Reichsbahn in Berlin. Erste | |
| Erfahrung mit Rebellion hat er beim BFC Dynamo gesammelt, dem Stasi-Klub. | |
| Wer glaubte, es sei schwer, mit Fans über Fußball in einer Diktatur zu | |
| sprechen, irrt: Walter redet darüber nachdenklich und mit Witz, als habe er | |
| nur darauf gewartet, dass jemand fragt. | |
| ## Eine provokante Spaßveranstaltung | |
| Alle paar Tage hat er noch einen möglichen Kontakt, noch eine Idee, ein | |
| altes Foto. Heute wird die Fanszene des BFC vor allem mit Rechten in | |
| Verbindung gebracht, aber Anfang der Achtziger ist sie bunt. „Das | |
| BFC-Publikum war eigentlich eine kuriose Mischung aus Subkulturen“, | |
| erinnert sich Walter. Punks, Skinheads, fließende Übergänge. Rolf Walter | |
| kommt zufällig zum BFC, über seinen Großvater, einen strammen Genossen. In | |
| Walters Erinnerung gibt es damals sogar ein beschauliches Zeitungshäuschen, | |
| das Fanfahnen verleiht, „als Winkelement“. Interessant für widerspenstige | |
| Jugendliche wird der BFC Dynamo erst zu Beginn der achtziger Jahre. | |
| „Da hat es bei Auswärtsfahrten richtig gerumst, und da erst hat man die | |
| eigene Stärke gespürt. Wenn wir mit 200 Leuten gegen 1.000 Unioner | |
| vorgegangen sind und man merkte: Wenn man zusammenhält, hat man eine | |
| wahnsinnige Gewalt.“ Auch Walter prügelt damals mit. Damals sei das alles | |
| noch nicht politisch gewesen, eher eine provokante Spaßveranstaltung. In | |
| Dresden nehmen sie den Lebensmittelmangel aufs Korn, bewerfen die | |
| gegnerischen Fans mit grünen Bananen und rufen: Wir haben euch was | |
| mitgebracht – Bananen, Bananen. | |
| In Anspielung auf den republikflüchtigen und möglicherweise von der Stasi | |
| ermordeten Fußballer Lutz Eigendorf gründet sich ein Fanklub, bis die Stasi | |
| dessen Fanklubfahne einkassiert. Auf Auswärtsfahrten hören sie Punkbands | |
| und Westmusik, ein Lilahaariger schreit: „Freie Liebe!“, da holen die Leute | |
| die Kinder von der Straße. „Die Stasi hat relativ verhalten auf uns | |
| reagiert, weil sie froh waren, dass es Fans gab. Mitte der Achtziger ist | |
| das dann gekippt, weil sie merkten, dass sie die Kontrolle verlieren, aber | |
| da war die Sache eigentlich schon aus dem Ruder gelaufen“, sagt Walter. „Je | |
| mehr Gewalt sie anwendeten, umso mehr radikalisierten sich die Leute.“ | |
| Es ist ein Versäumnis des Vereins und der Westpresse, dass die Widersprüche | |
| der BFC-Geschichte nie in die Gegenwart transportiert wurden. Nach der | |
| Wende wurde der Verein zur Verkörperung des Systems. Absurd, wo dieses | |
| System doch fast alle Klubs finanziert hatte. Im Image des BFC blieben | |
| Linientreue und rechte Hooligans hängen. Da kippte das einst wilde Gemisch | |
| nach rechts, hochgeschaukelt durch harte Haftstrafen, neue Schläger und den | |
| Reiz der ultimativen Provokation. Vom Punk zum Neonazi war der Weg nicht | |
| weit. Prügelnde und plündernde BFCler in der Nachwende-Anarchie ließen die | |
| Wessis erschaudern. Der einst subversive Humor ist vergessen, die | |
| Geschichte von den guten Rebellen erzählt hingegen Union. | |
| 1984 landet auch Rolf Walter im Knast, und als er rauskommt, verschreibt er | |
| sich dem politischen Widerstand – „wenn ich noch mal in den Bau muss, dann | |
| mache ich es richtig, in der Opposition“. Heute geht er gelegentlich wieder | |
| zum BFC, wo immer noch eine DDR-Fahne im Publikum hängt. Nur Provokation, | |
| denkt er, denken viele. „Ich glaube, das ist keine Ostalgie; nicht wenige | |
| haben ja im Knast gesessen zu DDR-Zeiten. Bei Union sind die viel ostiger, | |
| die trauern viel mehr der Vergangenheit hinterher“, meint Walter. Aber | |
| stimmt das? Es gehört zu den Widersprüchen dieser Geschichte, dass man die | |
| größeren Ossis jeweils beim Rivalen vermutet. | |
| ## Ein Verein von Gnaden des Systems | |
| Als die sogenannte Wende kommt, will Lopez keinen Anschluss an die BRD. | |
| Lopez ist sein Name in der Unioner Fanszene, seinen richtigen Namen will er | |
| hier nicht lesen. „Ich war nie ein DDR-Bürger, der abhauen wollte“, sagt | |
| Lopez heute. „Ich fand den Sozialismus prinzipiell gut, aber ich war mir | |
| bewusst, dass im Osten was falsch läuft.“ Lopez ist seit 1977 Unioner, mit | |
| zwölf Jahren kommt er zum ersten Mal ins Stadion. Er ist ein gut gelaunter, | |
| warmherziger Typ. Er erinnert sich an ein junges, aufmüpfiges Publikum, die | |
| allermeisten unter 25 Jahren. Später umschrieb es das Satireblatt | |
| Eulenspiegel mit dem Satz: „Nicht jeder Union-Fan ist Staatsfeind, aber | |
| jeder Staatsfeind ist Union-Fan“ – unter Unionern ein beliebter Spruch. | |
| „Da ist was Wahres dran“, glaubt Lopez. Auch Götz, damals Platzwart bei | |
| Union, träumte zur Wende von einem dritten Weg zwischen Sozialismus und | |
| Kapitalismus. Im Nachhinein findet er das sehr blauäugig. „Aber in der Zeit | |
| des Mauerfalls schien alles möglich.“ Ganz kurz auch für die Ostklubs. | |
| Union Berlin, basierend auf dem 1906 gegründeten FC Olympia | |
| Oberschöneweide, kultiviert schon früh das Image des Arbeitervereins, | |
| verwurzelt in der Bevölkerung. Wie oppositionell oder nicht die Fanszene | |
| damals ist, lässt sich heute kaum mehr sicher sagen. In Stasiakten lassen | |
| sich nach Angaben der Historikerin Jutta Braun vom Zentrum deutsche | |
| Sportgeschichte viele Oppositionskontakte unter Union-Fans nachweisen. | |
| Aber natürlich ist es ein Verein von Gnaden des Systems, jeder | |
| Union-Präsident ist Parteimitglied. Doch gibt es einen gravierenden | |
| Unterschied zum BFC: den Umgang mit DDR-Symbolik. Lopez erinnert sich, wie | |
| er 1990 bei einem Auswärtsspiel aus Protest eine kleine DDR-Nadel trug. | |
| „Ich wurde von anderen Unionern sofort angehalten: Mach die Scheiße ab.“ | |
| Götz erinnert sich an eine Köpenicker Kneipe, die vor einigen Jahren Union- | |
| und DDR-Insignien im Fenster hängen hatte. Da sei denen von Fans beschieden | |
| worden: „Beides in Kombination passt nicht.“ | |
| ## Mit westkompatibler Distanz zur DDR | |
| Und wenn man heute fragt: Warum gerade Union? Dann haben das Glück und die | |
| Zufälle auf einmal eine gewisse Logik. Eine breite Basis, Rückhalt im Kiez | |
| und diese demonstrative, westkompatible Distanz zum alten System. Ein | |
| öffentlich sichtbares Naziproblem gab und gibt es bei Union nicht, auch, | |
| weil „die politische Einstellung am Stadiontor abgegeben wird“, wie Götz es | |
| formuliert. Keine DDR-Flaggen, keine Nazibanner, und Streit löst man in | |
| der Familie. Das hat mehr von „Der Pate“ als von der linken Fanszene des FC | |
| St. Pauli, mit dem Union Berlin gern verglichen wird. | |
| Mit dem Jahr 1990 kommt die fußballerische Wiedervereinigung und spiegelt | |
| in vielerlei Hinsicht andere Wende-Erfahrungen. Mit Gleichberechtigung hat | |
| der Prozess nicht viel zu tun. Nur zwei Ostteams dürfen in der Bundesliga | |
| starten, so lautet der Kompromiss zwischen DFB und dem neuen Ostverband | |
| NOFV – und am Ende wird mit vier Absteigern gleich ausgesiebt. In die | |
| zweite Liga dürfen sechs Ostklubs hinein, obwohl die Ostvertreter | |
| eigentlich alle ihre 14 Erstligisten in den ersten beiden Ligen | |
| unterbringen wollten.Es sind folgenschwere Versäumnisse. | |
| Sowohl der BFC als auch Union verpassen die Qualifikation für den | |
| Profifußball. Zwischen zusammenbrechenden Strukturen, in den Westen | |
| abwandernden Spielern, maroder Infrastruktur und neuer Marktwirtschaft | |
| straucheln die Ostklubs, viele erholen sich nie. Am mittelfristig | |
| erfolgreichsten werden ausgerechnet einst eher unbedeutende Vereine, Hansa | |
| Rostock oder Energie Cottbus etwa. Und nach jahrelangem Niedergang | |
| schließlich auch Union. | |
| Götz glaubt, es gebe so etwas wie eine DNA in einem Klub. Etwas, das alle | |
| äußeren Ereignisse übersteht. „Trotz aller Skandale des Missmanagements in | |
| den Anfangsjahren im neuen Deutschland hatte Union nie das Image verloren, | |
| eigentlich der coole Verein zu sein.“ Die kreativen Fanaktionen wie die | |
| Rettet-Union-Demo durch das Brandenburger Tor, die Blutspende-Aktion | |
| „Bluten für Union“ oder die ehrenamtliche Sanierung des Stadions retten | |
| immer wieder direkt und indirekt vor der Pleite und werden irgendwann zum | |
| bundesweiten Marketingfaktor. Ist das ein Grund für den Erfolg des Klubs? | |
| Dass Union es geschafft hat, „Osten“ mit Nähe und Solidarität zu besetzen | |
| statt mit DDR? | |
| „Ostalgie spielt bei uns keine Rolle“, sagt Lopez entschieden, auch nicht | |
| für die Außendarstellung. Viele Unioner betonen das. Die berühmte Hymne | |
| von Nina Hagen, „Wir aus dem Osten gehen immer nach vorn“ und „Wer lässt | |
| sich nicht vom Westen kaufen?“, sei gar nicht so nach dem Geschmack vieler | |
| Leute aus der Fanszene. Tatsächlich gibt es im Union-Forum lebhafte Dispute | |
| darüber, ob man die Zeile überhaupt mitsingen solle. Blöd, gestrig, falsch, | |
| finden manche, denn ironischerweise war es ein reicher Westler, der 1998 | |
| den Verein rettete. Und dennoch wird die Hymne im Stadion mit am lautesten | |
| gebrüllt, Osten und Rebellion sind da plötzlich kompatibel. | |
| „In großen Teilen der Fanschaft sieht man sich eh nicht als Ostverein, da | |
| man sich als Berliner schon zu DDR-Zeiten den Zonis überlegen fühlte“, | |
| meint Götz. Über die DDR-Flaggen in vielen Stadien nach der Wende machen | |
| sie sich in Lopez’ Erinnerung lustig über die Provinztrottel. Gar nicht so | |
| unähnlich den BFClern, die Bananen in Dresden schmissen. Sie alle sind | |
| Berlin, der Rest ist Dorf. Was schert den Berliner das Gerede von Ost und | |
| West? Das mediale Label vom Ostklub wirkt da völlig überholt. Es ist eine | |
| regionale Identität, sagen viele. | |
| ## Eine widersprüchliche Mischung | |
| Als die Wende kommt, ist sie für Janusz Berthold, damals 15 Jahre alt, ein | |
| Desaster. Berthold hatte seine erste bewusste Stadionerinnerung beim BFC | |
| Dynamo 1984, wurde linientreu erzogen. Er stammt aus einer kommunistischen | |
| Familie, der Großvater im antifaschistischen Widerstand, der Vater im | |
| Ministerium für Staatssicherheit. „Die Wende war die größtmögliche ideelle | |
| Niederlage“, Vater und Großvater gingen daran kaputt, glaubt er. | |
| Janusz Berthold, bis heute überzeugter Marxist, plante damals eine Zukunft | |
| in der Auslandsspionage bei der HVA, dem Auslandsnachrichtendienst der DDR. | |
| Und sagt doch: „Heute bin ich froh, dass es nicht so weiterging. Die DDR | |
| hatte realistisch keine Zukunft mehr.“ Berthold ist einer von denen, die | |
| man spontan nicht mit dem BFC in Verbindung bringen würde: Einer, der in | |
| alternativen Kneipen und auf linken Demos unterwegs ist, und zugleich | |
| einer, der selbst in Mails berlinert und den man irgendwo zwischen Union | |
| und einem linken Amateurverein platzieren würde. Manchmal ist der BFC | |
| Dynamo eben immer noch eine widersprüchliche Mischung. | |
| In den wilden neunziger Jahren geht Berthold nicht mehr zum BFC, auch, weil | |
| es für Linke dort wenig Platz gibt. Stattdessen sucht er Anschluss beim | |
| AFFI, einer antifaschistischen Faninitiative. Aber 1999 ist er einer von | |
| denen, die zum BFC Dynamo zurückkommen. Janusz Berthold unterteilt die | |
| BFC-Nachwendegeschichte in Epochen: erst das Stasistigma, dann die | |
| Hool-und-Fascho-Zeit. 2001 geht der kurzzeitig in FC Berlin umbenannte Klub | |
| insolvent, er fällt bis in die Verbandsliga. | |
| ## Seit 2008 geht es für Union aufwärts | |
| Die Verflechtungen jener Jahre zwischen BFC, rechten Hools, Rockern und | |
| organisierter Kriminalität sind legendär, zwischenzeitlich sitzt ein | |
| führendes Mitglied der Hells Angels im Vereinsvorstand. „Bis vor zehn | |
| Jahren war es schwer, da rauszukommen. Mittlerweile rutscht das Stasiding | |
| in den Hintergrund. Das Problem ist das rechtsextreme Gedankengut, davon | |
| hat sich der Klub nie klar genug distanziert.“ Viel Spielraum gibt es | |
| nicht, wenn da alte Fans sind, die man nicht vertreiben will, und wenig | |
| frischer Wind von außen kommt – womöglich auch nicht kommen soll. | |
| Dennoch hat sich etwas verändert. Nazisymbolik hat man im Jahn-Sportpark | |
| lange nicht mehr gesehen. Die letzten großen Gewaltvorfälle datieren auf | |
| 2011. Allenthalben hört man, wie sehr die Vereinsführung bemüht sei, das | |
| Image zu verbessern. Der BFC will aufbrechen. Berthold sagt: „Ein Großteil | |
| der Klientel im Stadion sind immer noch die alten Fans, viele davon sind | |
| jetzt bei Pegida gelandet. Gleichzeitig gibt es den Unterbau mit den | |
| Jugendteams, wo ganz viele Migrantenkinder sind. Das ist das Skurrile an | |
| dem Verein.“ Auch entsteht, anders als in vielen rechts geprägten | |
| Fanszenen, nie eine schlagkräftige Jugendfraktion. Der BFC Dynamo ist wohl | |
| sportlich schon zu irrelevant. | |
| Einige sind im Urteil über die fußballerische Wiedervereinigung trotzdem | |
| gnädig. Die Historikerin Jutta Braun sagt, die schnelle Einheit sei erst | |
| auf Drängen des neuen Ostverbands gekommen, weil die Strukturen | |
| zusammenbrachen. Viel Spielraum habe es nicht gegeben. „Ich würde dem | |
| Westen da nicht den Schwarzen Peter zuschieben“, meint Braun. Der zweite | |
| Kommerzialisierungsschub des Fußballs Mitte der neunziger Jahre aber, sei | |
| für den Ostfußball nach diesem Transfer doppelt tragisch gewesen. | |
| Seit dem Aufstieg in die zweite Liga in der Saison 2008/09 kennt Union | |
| Berlin im Wesentlichen eine Richtung: aufwärts. Nie so viele Zuschauer, nie | |
| so viel bundesweiter Hype – wegen der Stehplätze und der Stimmung und der | |
| kommerzkritischen Haltung. Nostalgie, nicht Ostalgie. Seit einigen Jahren | |
| ist der Bundesligaaufstieg erklärtes Ziel, gar nicht so zur Begeisterung | |
| mancher Unioner. Dirk Zingler, Präsident seit 2004 und nach eigenem | |
| Bekunden schon als Kind Union-Fan, ist der maßgebliche Treiber. Zingler | |
| empfängt in seinem Büro direkt gegenüber der Alten Försterei. Geräumig mit | |
| großzügiger Sofaecke, Zingler raucht noch im Büro, beinahe altmodisch. | |
| „Ostidentität spielt für uns keine besondere Rolle, sondern Identität“, | |
| sagt Zingler sofort. Aus dem Osten der Stadt zu kommen, das sei leider für | |
| viele immer noch eine politische Angabe. „Für mich spielt die politische | |
| Herkunftsidentität, aus welchem Staatssystem wir kommen, keine Rolle. Aber | |
| regionale Abgrenzung ist für mich Kern der Bindung zu einem Fußballverein.“ | |
| Das Regionale ist die große Erzählung von Dirk Zingler, er spult das | |
| routiniert runter, er sagt es dauernd. | |
| Fußball ist für Zingler ein regionales Geschäft, möglicherweise auch aus | |
| der Wendeerfahrung. „Viele Dinge in der ehemaligen DDR wurden nach dem | |
| Mauerfall fremdgesteuert. Es kamen damals Manager rüber, die uns erzählten, | |
| wie das neue Staatssystem funktioniert. Wir standen mit offenem Mund | |
| staunend davor. Aber je mehr Zeit verging, umso mehr stellten wir fest: Wir | |
| müssen uns wohl um uns selbst kümmern. Und je mehr ein Verein das macht, | |
| desto besser kommt er zurecht.“ | |
| ## In Diensten der Stasi | |
| Natürlich hält ein heimatnahes Präsidium nicht als alleinige Erklärung von | |
| Unions Erfolg her, und ein Konstrukt wie RB Leipzig hat schließlich auch | |
| ohne jede Verwurzelung Erfolg. Das Versprechen ist eher: Auch du, mein | |
| Freund, kannst Köpenicker sein. Zingler hütet sich im Gespräch auch penibel | |
| vor dem Ostklub-Ding. Über die fehlende Integration der Ostvereine nach der | |
| Wende will er nicht klagen, und über die Vergangenheit sagt er: „Natürlich | |
| darf man Herkunft nicht verleugnen, die DDR-Zeit gehört zu uns. Aber es ist | |
| eben nur ein Teil der Geschichte, und das verwächst sich mit jeder | |
| Generation.“ | |
| Es ist der große Vorteil Unions gegenüber dem BFC Dynamo, jenem staatlichen | |
| Konstrukt, das seine Erfolge nur in der DDR feierte. Union Berlin, dessen | |
| Vorläufer 50 Jahre vor der DDR existierte, und dem es 30 Jahre nach dem | |
| Mauerfall fantastisch geht – für diesen Verein ist die Zeit dazwischen | |
| vielleicht wirklich nur zwei Wimpernschläge, allmählich überschrieben. Nur | |
| manchmal nicht. | |
| Dirk Zingler hat dieses Gespräch im Spaziergang genommen, bis es um das | |
| Wachregiment geht. Im Jahr 2011 recherchierte der Journalist Matthias Wolf, | |
| dass Zingler im Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ diente, das der Stasi | |
| unterstellt war. Bis zum Unteroffizier hatte er es gebracht, galt als | |
| linientreu. Publik gemacht hatte er das nie. Union Berlin, das sich wenige | |
| Jahre vorher werbewirksam von einem Hauptsponsor mit Stasiverstrickungen | |
| getrennt hatte, saß in einer PR-Klemme. Und stellte sich wie eine Wagenburg | |
| um Zingler. | |
| Es ging stattdessen gegen Wolf, den Wessi, der vermeintlich über den Osten | |
| richten wollte. Auf Pressekonferenzen wurden ihm keine Fragen mehr | |
| beantwortet, er wurde aus der Union-Berichterstattung abgezogen. Wir gegen | |
| die, wir aus dem Osten, geschickt inszenierte Union diese Bruchlinie. Und | |
| Teile der Presse dämonisierten den Wachdienst eines Teenagers. | |
| Wenn man sich fragt, warum es in Deutschland nach der Wende nie ein neues | |
| 1968 gab, nie eine breit gesellschaftlich geforderte, kritische | |
| Aufarbeitung der SED-Diktatur, deutet das eine Antwort an: Es existieren | |
| mehr Bruchlinien als nur Alt und Jung. Es gibt auch Ost und West. | |
| Dirk Zingler scheinen die Nachfragen aufzuregen, plötzlich wird es | |
| kontrovers. Stehen bleibt am Ende dieses Statement: „Die Zeit im | |
| Wachregiment ist Teil meines Lebens und gehört zu mir. Es ist legitim, dass | |
| ein Journalist darüber recherchierte. Kann man machen. Und dann war die | |
| Geschichte wieder vorbei. Für viele bei Union war es kein Geheimnis, und | |
| viele beschäftigte es auch gar nicht so sehr, weil auch dieser Wehrdienst | |
| Teil einer Biografie in der DDR war.“ Freilich kein ganz normaler Teil. | |
| Natürlich, sagt Zingler, könnten Außenstehende seinen Dienst moralisch | |
| verurteilen, aber: „Über mein Leben in der DDR urteilen die Menschen am | |
| besten, die Teil davon waren. Natürlich gibt es Menschen, die extrem | |
| gelitten haben unter der Stasi und im System DDR. Wenn die sagen, der | |
| Begriff Stasi ist ein No-go, habe ich vollstes Verständnis. Auch ich | |
| verurteile die Verbrechen, die in der DDR geschehen sind.“ Über | |
| Lebensleistungen der Menschen will er reden, nicht so sehr über Systeme. | |
| Zingler ist darüber nicht gestürzt, im Gegenteil: Heute könnte die | |
| Enthüllung für das Image von Union nicht irrelevanter sein. | |
| ## Der BFC und die Imagefrage | |
| Eine Statistik der Berliner Morgenpost zeigte vor einiger Zeit, dass Berlin | |
| eine fußballerisch geteilte Stadt bleibt: Menschen aus westlichen Bezirken | |
| sind eher Mitglieder bei Hertha, die aus dem Osten eher bei Union. Das muss | |
| man nicht politisch verstehen; es geht auch um lokale Tradition, und im | |
| Umland hat Hertha viele Fans. Der BFC Dynamo ist unterdessen ein | |
| Regionalligist mit den üblichen Problemen eines Regionalligisten: zu wenig | |
| Geld und Sponsoren, überlastete Ehrenamtler, eine wenig beachtete Liga. | |
| In Peter Meyer ist beim BFC mittlerweile ein Exhool der starke Mann und | |
| Geldgeber, weiter kein Werbeargument für Sponsoren. Ewig im Verein auch der | |
| Fanbeauftragte Rainer Lüdtke, einer, der der taz mal sagte, die | |
| Reichskriegsflagge sei von den Nazis missbraucht worden, und der an einem | |
| Tag der Germanen nichts auszusetzen hatte. Sie erreichen aber offenbar die | |
| Dynamo-Klientel. | |
| „Wir haben vieles getan, um von dem damaligen Image loszukommen“, sagt | |
| Rainer Lüdtke. „Wir haben wie andere Vereine auch Spieler verschiedener | |
| Nationen im Verein, vor allem, was unseren Nachwuchsbereich angeht. Dort | |
| haben wir einen hohen Anteil an jungen Spielern mit Migrationshintergrund. | |
| Wir hatten einen türkischen Trainer. Ich finde es schade, als Verein das | |
| erwähnen zu müssen, weil es nicht wahrgenommen wird. Aber wir haben nicht | |
| die Gelder, um große Imagekampagnen zu starten.“ Es ist die übliche | |
| Haltung, mit der Menschen gern Rassismus von sich weisen – daher können | |
| rechte Strukturen gut neben migrantischem Personal existieren, gerade im | |
| Fußball. | |
| Wenn es um die Krawalle der Vergangenheit geht, wird Lüdtke ungehalten. Er | |
| inszeniert den heutigen BFC als Opfer der Medien. Zugleich spricht er in | |
| Bezug auf die neunziger Jahre von „Radikalität“ statt Rechtsextremismus. | |
| Fortschritte gibt es dennoch. In der Arbeit gegen Gewalt und mit Fans vor | |
| allem, und auch problematische Verbindungen sollen gekappt worden sein. | |
| Viel beachtet werden solche Entwicklungen öffentlich nicht. | |
| ## Aktuell drei Ex-DDR-Klubs in der zweiten Bundesliga | |
| Was bedeutet er also, der Osten, im Verein? Im Gegensatz zu Union hat sich | |
| beim BFC, so schildern es viele, die Fanklientel kaum verändert. Es | |
| dominieren alte Männer aus dem ehemaligen Osten, die immer schon zu Dynamo | |
| gingen. Ein Biotop. Die rechten Kräfte darunter gebe es nach wie vor, | |
| möglicherweise sind sie aber auch sichtbarer in einer so kleinen Fanszene. | |
| Seit Jahren versucht der BFC im neuen, hippen Stammkiez Prenzlauer Berg | |
| mehr Publikum anzuziehen, bisher ohne viel Erfolg. | |
| Union hingegen scheint das hippe Image zuzufallen. Vielleicht wirkt es doch | |
| noch zu sehr nach Ost-Zeitkapsel im Jahn-Sportpark, mit DDR-Flaggen im | |
| Publikum, Gesängen vom FDGB-Pokal oder dem DDR-Ruf „Sport frei!“ in Teilen | |
| der Fanszene – wie ironisch das auch gemeint sein soll. Vielleicht | |
| vermischen sich hier Provokation oder Sehnsucht. Und natürlich fehlen Geld | |
| und Erfolg, um eine Aufbruchstimmung zu erzeugen. | |
| „Ostidentität gibt es bei uns sicher noch, aber sie spielt nicht so eine | |
| große Rolle“, sagt Rainer Lüdtke. „Wir sehen uns traditionell als | |
| Ostverein, aber heute sind wir ein Deutschland.“ Die Zuordnung ist spürbar | |
| im Vergleich zu Union, aber Lüdtke hat ja auch nicht halb Europa als | |
| potenzielle Kundschaft, sondern Berlin. Und auch er hat eine | |
| Jugendabteilung mit Nachwuchs, der mit Ost oder West überhaupt nichts mehr | |
| anfangen kann. Ostidentität wächst sich raus, die wirtschaftlichen Lücken | |
| bleiben. | |
| In der Bundesliga ist aktuell kein Ex-DDR-Klub vertreten, in der zweiten | |
| Liga sind es nach Magdeburgs Abstieg noch drei. Ein Unioner Aufstieg würde | |
| ein Stück daran ändern. Als regionale Berliner Fußballgeschichte mit | |
| Osthintergrund. | |
| 18 May 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
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| Bernd Arnold gehörte zu den besten Kletterern der Welt. Sogar aus den USA | |
| kamen Bergsteiger zu Besuch. 30 Jahre Mauerfall – die Serie zum DDR-Sport. | |
| Hertha-BSC-Investor Lars Windhorst: Alte Dame will blühende Landschaft | |
| Millionen-Segen oder Verzweiflungstat? Seit dem Einstieg von Investor | |
| Windhorst bei Hertha rätseln Fans, welche Folgen der Deal für den Verein | |
| hat. | |
| Kommentar Hauptsponsor Union Berlin: Alle Illusionen im Keim erstickt | |
| Ein Immobilienunternehmen wird Hauptsponsor von Union Berlin. Haben die | |
| Entscheider die stadtpolitischen Debatten der letzten Jahre verschlafen? | |
| Geschichte des Hooliganismus: Ackerkampf und Kampfsport | |
| Der deutsche Hooliganismus ist dabei, neue Gewaltformate zu entwickeln. | |
| Dabei bleibt der Einfluss der extremen Rechten konstant hoch. | |
| Noch mehr erste Liga für Berlin: Eine ganz neue Spielsituation | |
| Eine Jubelarie hat sich durch die Woche gezogen: Union Berlin hat es in die | |
| Bundesliga geschafft. Ein Wochenkommentar. | |
| Bundesligaaufstieg von Union Berlin: Ostklub im Oberhaus | |
| Union Berlin erwehrt sich der Angriffe des VfB Stuttgart im | |
| Relegations-Rückspiel und steigt in die erste Liga auf. Köpenick versinkt | |
| im Wahnsinn. | |
| RB Leipzig beim DFB-Pokalfinale: Aus der Brause kommt das Bunte | |
| An Vorurteilen über RB Leipzig mangelt es nicht. Doch die Fankultur des | |
| Bundesligaklubs ist vielfältig. Beim DFB-Pokalfinale wird man’s merken. | |
| Wie Union in Bochum fast aufstieg: „Singin’ la-la-la-la-la-la-la-la“ | |
| Union Berlin hat gegen den VfL Bochum den Aufstieg verschenkt. Die Fans | |
| sind trotzdem nicht depressiv. Schon gar nicht auf Auswärtsbusfahrten. | |
| Kolumne Pressschlag: Das Ende der BRD, wie wir sie kennen | |
| FC Bayern und BFC Dynamo haben rein gar nichts gemeinsam? Oh, doch! | |
| Außerdem: Wie der Fußball ein Land zum Einsturz bringen kann. | |
| Interview mit einem Unioner: „Bei uns regiert nicht nur Kommerz“ | |
| Jochen Lesching ist Mitglied der viel beschworenen Union-Familie. Und er | |
| hat bei den Köpenicker Kickern was zu sagen. | |
| Weihnachtssingen bei Union Berlin: Der Exportschlager mit Potenzial | |
| Das Weihnachtssingen am Sonntag im Stadion An der Alten Försterei hat sich | |
| zum Exportschlager gemausert. Ließe sich daraus nicht noch mehr machen? | |
| Fan-Interview zum FC Union: „Fußball guckt man im Stehen“ | |
| André Rolle hat sein erstes Union-Spiel vor 50 Jahren erlebt. Im Falle | |
| eines Aufstiegs befürchtet der 60-Jährige, dass Union etwas von seiner | |
| Andersartigkeit verlieren könnte. |