# taz.de -- Rot-Weiß Erfurt ist insolvent: Die Schwäche des Ostfußballs | |
> Die Fußballvereine im Osten haben den Willen, aber nicht die | |
> Wirtschaftskraft. Die Pleite von Rot-Weiß Erfurt ist dafür symptomatisch. | |
Bild: Das Stadion von Rot-Weiß Erfurt | |
Fußballfans gehen ins Stadion, weil dort Fußball gespielt wird. Über 1.000 | |
Fans von Rot-Weiß Erfurt sind am Samstagnachmittag ins Steigerwaldstadion | |
gegangen, obwohl dort gar nichts stattfand: kein Training, kein Match, nix. | |
Sie hatten ihre Zaunfahnen mitgebracht, in der Mitte hatten sich wie üblich | |
die Ultras von Erfordia breitgemacht; jene Gruppierung, die dafür | |
verantwortlich ist, dass fast jede Autobahnbrücke im Umkreis der Stadt | |
rot-weiß angepinselt ist. | |
Auf einem Podest mit der Aufschrift „Rot-weiße Republik“ stand der | |
Einpeitscher mit seinem Megafon und quakte herum, währenddessen etliche | |
rote Bengalos und Rauchbomben gezündet wurden auf der Südtribüne, ein | |
Bierstand hatte auf, die Stimmung war merkwürdig aufgeräumt, und immer | |
wieder rief der mehrheitlich schwarze Block trotzig ins Nichts des | |
hässlichen Betonzweckbaus: „Hier regiert der RWE!“ | |
Es war eine Simulation von Normalität, ein letztes Aufbäumen, denn Rot-Weiß | |
Erfurt ist kurz davor, abgewickelt zu werden und im Orkus des Profifußballs | |
zu verschwinden. Vom Spielbetrieb in der Regionalliga musste der Klub, seit | |
fast zwei Jahren insolvent, schon abgemeldet werden. Wie es weitergeht? Sie | |
wissen es nicht. Das Nachwuchsleistungszentrum soll gerettet werden. Aber | |
wie? Und von wem? | |
Dem Insolvenzverwalter trauen sie in der Landeshauptstadt nichts mehr zu. | |
Manche Fans nennen ihn nur noch den „Verrecker“. Der Verrecker soll am | |
Samstag im VIP-Bereich der Show beigewohnt haben, angeblich auch der | |
Bürgermeister von Erfurt. Und in der Tat, da drüben standen ein paar | |
Figuren wie in einer Theaterloge und observierten Volkes Remmidemmi. Die | |
Fans benahmen sich fast schon mustergültig. Schmähungen und Verwünschungen | |
wurden nur still im Zwiegespräch geäußert. | |
## Unternehmen von willigen Tricksern | |
Sie wollten den wichtigen Herren wohl in einem flehentlichen Appell | |
demonstrieren, was hier verloren geht. Was sie auf dem Gewissen haben. RWE, | |
das war in der Nachwendezeit ein Ostverein, der nicht groß auffiel, keine | |
großen Schlagzeilen schrieb. Deswegen ist man auch jetzt geneigt zu sagen: | |
Hm, ist halt ein weiterer Ostverein, den sie gegen die Wand gefahren haben. | |
Kennt man ja. Waren ja alle schon mal insolvent oder kaputt: [1][Dresden], | |
[2][Leipzig], [3][Halle], Magdeburg, Jena, Zwickau, all die Größen der | |
DDR-Oberliga. Es gehört zur Folklore im Osten, dass Klubs untergehen, immer | |
wieder. | |
Manche erstehen wie Phoenix aus der Asche neu, ächzen sich hinauf in die | |
Zweite Liga, nur um dann wieder entkräftet darniederzusinken. Sie haben den | |
Willen, aber keine wirtschaftliche Kraft. In Erfurt gibt es ein bisschen | |
Dienstleistungsgewerbe, ein paar kommunale Sponsoren und brave | |
Mittelständler, danach kommt nicht mehr viel. | |
Die Schwäche des Ostfußballs ist strukturell, und wenn nicht gerade ein | |
globaler Unterhaltungskonzern daherkommt und [4][den Ostfußball neu | |
erfinden will] mit seinen Brausemilliarden, dann bleibt der Kick zwischen | |
Rostock und Aue das Unternehmen von ein paar willigen Tricksern, die es | |
immer wieder schaffen, sich gegen das Unvermeidliche zu stemmen. Zu viel | |
hängt in diesen unteren Ligen vom Fernsehgeld ab, jeder Abstieg von der | |
Zweiten in die Dritte und, noch schlimmer, in die Regionalliga ist mit | |
harten, existenzbedrohenden Einschnitten verbunden. | |
## „Strategische“ Verschuldung | |
Viele klammern sich an die Hoffnung eines baldigen Wiederaufstiegs und | |
verschulden sich „strategisch“, andere hoffen auf das Supertalent, das sie | |
vielleicht für eine Million Euro verkaufen können. Ostfußball, das ist | |
Lavieren im Kicker-Prekariat, während oben ganz andere Sorgen herrschen. | |
Mats Hummels sagte letzte Woche, die Premier League sei für viele deutsche | |
Profis nicht mehr reizvoll, „weil irgendwann die Möglichkeiten begrenzt | |
sind, was man mit dem ganzen Geld machen kann“. Was würden wohl die Fans | |
von Rot-Weiß Erfurt dazu sagen? | |
3 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spiegel.de/sport/fussball/finanznoete-dynamo-dresden-droht-die-… | |
[2] https://www.nrz.de/sport/fussball/regionalliga/fc-sachsen-leipzig-meldet-in… | |
[3] https://www.liga-drei.de/hallescher-fc-insolvenz-keine-option/ | |
[4] /Ueber-Fussball-Fans-und-Verbundenheit/!5647628 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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