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# taz.de -- Bundesliga-Countdown (1): Ostfußball? Gibts nicht!
> Der Begriff des Ostfußballs ist nicht mehr zeitgemäß. Die Vereine haben
> sich etabliert und unterliegen ähnlichen Schwankungen wie jene aus dem
> Westen.
Bild: Patrik Sander von Energie Cottbus im Trainingslager im Thüringer Wald
BERLIN taz Vor zwei Jahren lag der Osten in Trümmern, diesen Eindruck
vermittelte zumindest der Fußball. Horst Klinkmann, der Aufsichtsratschef
des FC Hansa Rostock, wehrte sich gegen die Schlagzeile "Abschwung Ost".
Sein Verein war nach zehn Jahren aus der ersten Liga abgestiegen, so
verkümmerte das Gebiet der ehemaligen DDR erstmals zum
Bundesliga-Sperrgebiet. Klinkmann konnte die Hilfsangebote aus der Ferne
nicht ernst nehmen, eine Wechselsperre für Talente oder einen Solidarfonds:
"Das war Populismus auf unsere Kosten."
Die Welt hat sich ein paar Mal gedreht, und nun darf Horst Klinkmann wieder
über den "Aufschwung Ost" reden, obwohl ihm auch diese Schlagzeile zuwider
ist. Der FC Hansa ist dem FC Energie Cottbus in die erste Liga gefolgt.
Eine Etage tiefer hat der FC Erzgebirge Aue souverän die Klasse gehalten,
der FC Carl Zeiss Jena am letzten Spieltag. Und wäre Regionalligist 1. FC
Magdeburg nicht noch von einem Aufstiegsplatz verdrängt worden, so hätte
der Osten erstmals wieder so viele Profiklubs beheimatet wie seit dem
Zusammenschluss der beiden Verbände, seit der Saison 1991/1992.
Wer hat den Zauberstab geschwungen? "Niemand", entgegnet Klinkmann. "Es
geht nicht um Regionen. Der Begriff des Ostfußballs ist nicht mehr
zeitgemäß. Die Besinnung hat es vor Jahren gegeben. Dieser Lernprozess
brauchte seine Zeit, nun wird es auch an Ergebnissen sichtbar." Er spricht
von einem wirtschaftlichen Umdenken, das nicht bei allen Vereinen
eingekehrt ist - aber bei vielen. Erinnert sei an die Geldvernichtung im
großen Stil: Trainer Dragoslav Stepanovic verdiente Ende der Neunziger beim
VfB Leipzig monatlich fast 40.000 Mark, in der dritten Liga. Auch die Lust
an der Rotation war groß: So verschliss Rot-Weiß Erfurt 19 Präsidenten. Und
zwielichtige Figuren aus dem Westen wie der Unternehmer Rolf-Jürgen Otto
nutzten die taumelnden Traditionsklubs wie Dynamo Dresden für den schnellen
Profit.
Die Abhängigkeiten waren groß. Als einer von wenigen Investoren pumpte
Filmrechtehändler Michael Kölmel Millionen in Vereine wie Union Berlin, den
FC Magdeburg oder Sachsen Leipzig. Als seine Kinowelt pleiteging, war der
Ärger groß, die Nachwirkungen spüren die Klubs noch immer. Eine Offensive
wie die von Kölmel ist auf Grund von veränderten Lizenz-Richtlinien nicht
mehr möglich. Auch die Fluktuation in den Vereinsführungen ist
zurückgegangen: Der Aufsichtsrat des FC Hansa besteht seit zwölf Jahren,
Unternehmer Uwe Leonhardt hält Erzgebirge Aue seit mehr als einem Jahrzehnt
auf Kurs. Der Klub ist schuldenfrei und erhält seine Lizenz ohne Auflagen.
Auch viele andere Schuldenberge schwinden.
"Die Vereine mussten lernen, die wirtschaftliche Solidität über den
sportlichen Erfolg zu stellen", sagt Ulrich Lepsch, Präsident von Energie
Cottbus. Rostock und Cottbus haben diesen Spagat am besten gemeistert. In
Regionen ohne Großkonzerne mussten die Verantwortlichen Sponsorenpools mit
mittelständischen Unternehmen aufbauen. Mittlerweile verfügen die Klubs
über mindestens 150 Geldgeber. Wie in Rostock, Leipzig und Magdeburg sollen
bald auch in Dresden und Halle neue Stadien eine bessere Vermarktung
ermöglichen.
In der wirtschaftlichen Not ist der Mut zur Improvisation gewachsen. Der FC
Energie hat in der vergangenen Saison mit einem Etat von 19,5 Millionen die
Bundesliga vorzeitig gehalten, aus der sich Mönchengladbach schon Wochen
vorher verabschieden musste. Die Borussia gab allein 27 Millionen für ihren
Kader aus. In der Regel sucht Energie unbekannte Begabte in Osteuropa. Wie
die Rumänen Sergiu Radu und Vlad Munteanu, die im vergangenen Spieljahr
zusammen 25 Tore geschossen haben. Beide waren für 300.000 Euro gekommen,
der VfL Wolfsburg überwies für sie vor kurzem viereinhalb Millionen Euro.
Seit dieser Rendite ist der FC Energie schuldenfrei. Andere Klubs im Osten
fahnden in den eigenen Reihen: Beim 1. FC Magdeburg standen zuletzt acht
Einheimische im Kader, beim FC Hansa wurden sechs Profis im eigenen
Internat ausgebildet. Die Rostocker sind auf ewig zum Sparen verpflichtet:
Ihre acht Neuzugänge kosteten zusammen 500.000 Euro. "Wir wollen auf Dauer
der beste Ausbildungsverein Deutschlands werden", sagt Hansas Trainer Frank
Pagelsdorf. Seine Vorgesetzten gehen wirtschaftliche Wege, die vor Jahren
undenkbar waren. Die Namensrechte des Stadions wurden an eine Bank
verkauft, für 1,5 Millionen pro Jahr.
Die Romantik ist ein wenig verloren gegangen. In Rostock und Cottbus
spielen nicht mehr die kratzbürstigen Robin Hoods von früher. Die Klubs
haben sich etabliert, sie haben etwas zu verlieren. "Diesen Status können
sie halten und sogar verbessern, denn die Nachwuchsarbeit kann sich sehen
lassen", sagt Hans-Georg Moldenhauer, der Präsident des Nordostdeutschen
Fußball-Verbandes. Nach der Wende waren die Kinder- und Jugendsportschulen
zerbrochen (KJS). Zäh entwickelte sich ein Fördersystem. Inzwischen
investiert der Deutsche Fußball-Bund (DFB) 3 Millionen Euro in die
ostdeutschen Stützpunkte mit ihren 300 Trainern. Neben den bestehenden 15
Eliteschulen des Sports baut auch der DFB seine Eliteschulen auf. Die erste
wurde in Cottbus eröffnet, die zweite folgte für die Frauen in Potsdam,
auch Rostock hat sich beworben. In jeder Jugendnationalmannschaft kicken
bis zu sieben Spieler aus dem Osten.
Die Debatte um den Ostfußball ist nur noch ein Phänomen der Öffentlichkeit.
Klubs aus Rostock und Cottbus unterliegen den gleichen Schwankungen wie
jene aus dem Saarland, aus Rheinland-Pfalz oder aus Hessen. Mit dem
Unterschied, dass ihre Ergebnisse vor einem historischen Hintergrund
gesehen werden. "Ich hätte gedacht, dass sich das irgendwann auswächst",
sagt Moldenhauer, "aber diese Wahrnehmung wird von Generation zu Generation
vererbt." Nach dem Motto: Der Ostfußball ist tot, es lebe der Ostfußball.
2 Aug 2007
## AUTOREN
Ronny Blaschke
## TAGS
Fußball
Fußball
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