| # taz.de -- Bundesliga-Countdown (3): Bunter Allesfresser Fan | |
| > Kaum rollt der Fußball in den Stadien, sind die Massen elektrisiert. Und | |
| > zwar nicht nur die Mainstream-Fans - auch die skeptischen Fußballfreunde | |
| > beißen wieder an. | |
| Bild: Kommerz hin oder her: Zum Start fiebern die Fans wieder. | |
| Im Grunde jedes Jahr das gleiche Spiel. Die Bundesliga boomt: Vor | |
| Saisonstart schwärmt nicht nur der Karlsruher SC von Fans, die bis zu neun | |
| Stunden für Tickets anstehen und Heimspiele restlos ausbuchen. Auch | |
| Borussia Dortmund vermeldet Rekordzahlen. Nach 50.500 Dauerkarten schließt | |
| der BVB die Kassentür. Der verbleibende freie Verkauf hilft, Platz für Neue | |
| und Nachwuchs zu halten. Es folgen Schalke 04 mit knapp 44.000 und die | |
| Bayern mit 37.000 verkauften Saisontickets. "Keine andere Liga hat so hohe | |
| Zuschauerzahlen", ist bei [1][bundesliga.de] zu lesen. Im Gegensatz zu | |
| enttäuschenden Pay-TV-Verkaufszahlen scheinen der kaum anhaltende Kommerz | |
| und Identitätsverlust für Stadionfans nicht so wichtig zu sein. Zumindest | |
| sind weder die breite Masse noch der Hardcore-Fan abgeschreckt. Viele | |
| kommen sogar erst, seit die Kommerzialisierung die Liga schrittweise | |
| zivilisiert hat. | |
| Projektionsfläche, portionierter Karneval, Männerreservat, Ventil oder gar | |
| Katharsis - viele Umschreibungen werden gefunden, weil sie die Faszination | |
| des Fußballs nie so ganz treffen. Noch immer lockt die alte Magie des | |
| Live-Events, die schon den englischen Arbeitern Mitte des 19. Jahrhunderts | |
| die Kompensation ihres entfremdeten Alltags bot und eine expressive | |
| Emotionalität lieferte. Auf geheimnisvolle Weise strahlt nicht nur der | |
| Erfolg auf den Zuschauer ab, sondern auch das Leiden nach der Niederlage | |
| kann genossen werden. Die Treue zu meinem Verein ist wie in Stein | |
| gemeißelt. | |
| Der salonfähige Fußball schafft es geschickt, neue Zuschauergruppen zu | |
| erreichen und auf dem schmalen Grad der Authentizität zu balancieren. Die | |
| Bundesliga hat sich seit 1963 unverrückbar und kollektiv in die Lebenspläne | |
| vieler Menschen gefügt. Die einen finden Familienausflug und Show, die | |
| anderen die neuen Stars. Andere sind vereinstreue "Überzeugungstäter", wie | |
| Johannes Stender, Fan des Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern, jene nennt, | |
| die auch ihr Beziehungsgeflecht rund um den Fußball aufgebaut haben. "Das | |
| gibt man nicht so einfach auf. Manch Linker lässt sich durch Repression ja | |
| auch nicht abhalten, zur Demo zu gehen, sondern bleibt bei der Stange", | |
| sagt Stender. Die kulturstiftende Funktion des Fußballs überzeugt immer | |
| wieder neu und färbt den globalisierten Bundesligakick positiv. | |
| "Die Die-Hard-Fans gehen noch hin, weil sie Masochisten und hoffnungslose | |
| Süchtige sind", sagt der langjährige Werder-Bremen-Fan und Aktivist des | |
| Bündnisses Aktiver Fußballfans, Matthias Bettag. "Wider besseres Wissen | |
| will man keine Alternative zur Freizeitgestaltung." | |
| "Man lernt, sich immer besser zu belügen", sagt Martin Endemann, der dem | |
| Karlsruher SC nahesteht. "Das funktioniert so wie beim Raucher, der die | |
| Gefahren kennt, aber trotzdem weiterraucht." Dazugehören und Mitreden, das | |
| sind Dinge, die gerade in der heutigen Schnelllebigkeit gefragt sind und | |
| die die Bundesliga garantiert. | |
| Die Bundesliga schafft es auch, die ironisch-distanzierte oder | |
| studentisch-intellektuelle Masse zu integrieren. Sie strömt nicht nur ins | |
| Stadion oder in die TV-Kneipen, sondern gibt mit dem Magazin 11 Freunde, | |
| Retroshirts und entsprechenden Internetkulturen auch einen nicht | |
| unwichtigen Modernisierungsfaktor für das Produkt Bundesliga ab. | |
| Mit dem Fankongress im vergangenen Juni in Leipzig wenden sich DFB und DFL | |
| endlich eindringlicher den Fans und Ultra-Gruppierungen zu, die zwar die | |
| Stimmung machen, brav auswärts fahren, sich aber ebenso seit Jahren in | |
| Opposition zu Repression und Stadionverbotspraxis, kurzfristig oder bunt | |
| gewürfelten Anstoßzeiten und zu vielen Sitzplätzen verstehen. Auch | |
| Antirassismus und die Zuwendung zu den auf den Rängen immer noch | |
| unterrepräsentierten ethnischen Minderheiten sollen nun nachhaltig | |
| gefördert werden; Homophobie stand beim Fankongress ebenfalls auf der DFB- | |
| und DFL-Agenda. Die Umsetzung von Menschenrechten im Stadion lässt sich mit | |
| der Erschließung weiterer Kundengruppen kombinieren. Die Bundesliga | |
| präsentiert sich als bunter Allesfresser und wird deshalb immer ein | |
| Zuschauermagnet bleiben, den nicht einmal italienische Verhältnisse um | |
| verschobene Spiele aus den Angeln heben könnten. | |
| 8 Aug 2007 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://bundesliga.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Gerd Dembowski | |
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