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# taz.de -- Bundesliga-Countdown (4): Bunter Allesfresser Fan
> Kaum rollt der Fußball in den Stadien, sind die Massen elektrisiert. Und
> zwar nicht nur die Mainstream-Fans - auch die skeptischen Fußballfreunde
> beißen wieder an.
Bild: Kommerz hin oder her: Zum Start fiebern die Fans wieder.
Im Grunde jedes Jahr das gleiche Spiel. Die Bundesliga boomt: Vor
Saisonstart schwärmt nicht nur der Karlsruher SC von Fans, die bis zu neun
Stunden für Tickets anstehen und Heimspiele restlos ausbuchen. Auch
Borussia Dortmund vermeldet Rekordzahlen. Nach 50.500 Dauerkarten schließt
der BVB die Kassentür. Der verbleibende freie Verkauf hilft, Platz für Neue
und Nachwuchs zu halten. Es folgen Schalke 04 mit knapp 44.000 und die
Bayern mit 37.000 verkauften Saisontickets. "Keine andere Liga hat so hohe
Zuschauerzahlen", ist bei [1][bundesliga.de] zu lesen. Im Gegensatz zu
enttäuschenden Pay-TV-Verkaufszahlen scheinen der kaum anhaltende Kommerz
und Identitätsverlust für Stadionfans nicht so wichtig zu sein. Zumindest
sind weder die breite Masse noch der Hardcore-Fan abgeschreckt. Viele
kommen sogar erst, seit die Kommerzialisierung die Liga schrittweise
zivilisiert hat.
Projektionsfläche, portionierter Karneval, Männerreservat, Ventil oder gar
Katharsis - viele Umschreibungen werden gefunden, weil sie die Faszination
des Fußballs nie so ganz treffen. Noch immer lockt die alte Magie des
Live-Events, die schon den englischen Arbeitern Mitte des 19. Jahrhunderts
die Kompensation ihres entfremdeten Alltags bot und eine expressive
Emotionalität lieferte. Auf geheimnisvolle Weise strahlt nicht nur der
Erfolg auf den Zuschauer ab, sondern auch das Leiden nach der Niederlage
kann genossen werden. Die Treue zu meinem Verein ist wie in Stein
gemeißelt.
Der salonfähige Fußball schafft es geschickt, neue Zuschauergruppen zu
erreichen und auf dem schmalen Grad der Authentizität zu balancieren. Die
Bundesliga hat sich seit 1963 unverrückbar und kollektiv in die Lebenspläne
vieler Menschen gefügt. Die einen finden Familienausflug und Show, die
anderen die neuen Stars. Andere sind vereinstreue "Überzeugungstäter", wie
Johannes Stender, Fan des Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern, jene nennt,
die auch ihr Beziehungsgeflecht rund um den Fußball aufgebaut haben. "Das
gibt man nicht so einfach auf. Manch Linker lässt sich durch Repression ja
auch nicht abhalten, zur Demo zu gehen, sondern bleibt bei der Stange",
sagt Stender. Die kulturstiftende Funktion des Fußballs überzeugt immer
wieder neu und färbt den globalisierten Bundesligakick positiv.
"Die Die-Hard-Fans gehen noch hin, weil sie Masochisten und hoffnungslose
Süchtige sind", sagt der langjährige Werder-Bremen-Fan und Aktivist des
Bündnisses Aktiver Fußballfans, Matthias Bettag. "Wider besseres Wissen
will man keine Alternative zur Freizeitgestaltung."
"Man lernt, sich immer besser zu belügen", sagt Martin Endemann, der dem
Karlsruher SC nahesteht. "Das funktioniert so wie beim Raucher, der die
Gefahren kennt, aber trotzdem weiterraucht." Dazugehören und Mitreden, das
sind Dinge, die gerade in der heutigen Schnelllebigkeit gefragt sind und
die die Bundesliga garantiert.
Die Bundesliga schafft es auch, die ironisch-distanzierte oder
studentisch-intellektuelle Masse zu integrieren. Sie strömt nicht nur ins
Stadion oder in die TV-Kneipen, sondern gibt mit dem Magazin 11 Freunde,
Retroshirts und entsprechenden Internetkulturen auch einen nicht
unwichtigen Modernisierungsfaktor für das Produkt Bundesliga ab.
Mit dem Fankongress im vergangenen Juni in Leipzig wenden sich DFB und DFL
endlich eindringlicher den Fans und Ultra-Gruppierungen zu, die zwar die
Stimmung machen, brav auswärts fahren, sich aber ebenso seit Jahren in
Opposition zu Repression und Stadionverbotspraxis, kurzfristig oder bunt
gewürfelten Anstoßzeiten und zu vielen Sitzplätzen verstehen. Auch
Antirassismus und die Zuwendung zu den auf den Rängen immer noch
unterrepräsentierten ethnischen Minderheiten sollen nun nachhaltig
gefördert werden; Homophobie stand beim Fankongress ebenfalls auf der DFB-
und DFL-Agenda. Die Umsetzung von Menschenrechten im Stadion lässt sich mit
der Erschließung weiterer Kundengruppen kombinieren. Die Bundesliga
präsentiert sich als bunter Allesfresser und wird deshalb immer ein
Zuschauermagnet bleiben, den nicht einmal italienische Verhältnisse um
verschobene Spiele aus den Angeln heben könnten.
8 Aug 2007
## LINKS
[1] http://bundesliga.de/
## AUTOREN
Gerd Dembowski
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