# taz.de -- Bundesliga-Coutdown (6): Spiel ohne Spielmacher | |
> Nachdem der Libero ausgestorben ist, macht sich der moderne Fußball | |
> daran, auch die Zehn, den kreativen Strategen, zu eliminieren. Genial | |
> kicken sollen nun alle Feldspieler. | |
Bild: Im modernen Fußball vom Aussterben bedroht: Spielmacher wie Franz Becken… | |
Die Fünf und die Zehn stehen traditionell für das künstlerische Element im | |
Fußball. Die Fünf gehörte dem Libero, dem elegantesten und technisch | |
versiertesten unter den Abwehrspielern, und die Zehn wurde dem kreativen | |
Strategen hinter den Spitzen zugeteilt. Seit etwa einem Jahrzehnt ist der | |
Libero praktisch ausgestorben, nun macht sich der moderne Fußball daran, | |
auch die Zehn aus dem Spiel zu eliminieren. | |
Diego und Marcelinho sind nach Lincolns Weggang die letzten großen | |
Spielmacher klassischer Prägung in Deutschlands höchster Spielklasse. Es | |
gab Zeiten, da stand die Besetzung dieser Position für viele Klubs im | |
Mittelpunkt der sommerlichen Transferaktivitäten, nun sagt Bayern-Scout | |
Paul Breitner: "Dieser Stratege hinter den Spitzen ist nicht mehr | |
zeitgemäß." | |
Einfach auszurechnen | |
Zu einfach sei das Spiel dieses Akteurs auszurechnen, erklärt Breitner, und | |
deshalb sei die Münchner Mittelfeldzentrale mit zwei Sechsern, also eher | |
defensiv ausgerichteten zentralen Mittelfeldspielern, besetzt. Der Job des | |
Kreateurs genialer Momente liegt nun in der Verantwortung praktisch aller | |
Feldspieler, mal soll der geniale Pass oder das durchbrechende Dribbling | |
von den Außenbahnen kommen, mal von den Sechsern, mal von einem hängenden | |
Stürmer. Ganz ähnlich wollen Schalke, Leverkusen, Hertha BSC Berlin, der | |
VfB Stuttgart, Hannover, der HSV und viele andere agieren. | |
Den typischen Spielmacher gibt es in diesen Klubs nicht mehr. Weil er kaum | |
noch zu finden ist auf den internationalen Märkten, vor allem aber, weil er | |
sich nur schwer in die modernen Systeme integrieren lässt. Meist lassen die | |
flacher werdenden Hierarchien der Mannschaften nicht mehr zu, dass sich | |
dort einer vorwiegend dem Schöngeistigen widmet, während dahinter ein paar | |
arme Hunde schuften müssen. Außerdem wirkt ein Zehner klassischer Prägung | |
oft als verlangsamendes Element im Spiel, und das passt so gar nicht mehr | |
in den heutigen Hochgeschwindigkeitsfußball. Praktisch alle Trainer | |
propagieren eine Forcierung des Vertikalspiels. Während früher noch viele | |
Teams versuchten, mit vielen Ballkontakten und langen Ballstafetten die | |
Lücke in der gegnerischen Abwehr zu öffnen, oftmals mit der zündenden Idee | |
des Kreativchefs, wird nun variantenreich und vor allem schnell in die | |
Spitze gespielt. Alle Topteams haben entsprechendes Personal verpflichtet, | |
bei Bayer Leverkusen soll der rasend schnelle Kontervirtuose Theofanis | |
Gekas Bernd Schneiders Gedankenblitze verwerten, bei den Bayern sollen das | |
Tempo von Franck Ribéry und die Handlungsschnelligkeit von Zé Roberto das | |
Spiel beschleunigen. Und seit Lincoln Schalke verlassen hat, versuchen die | |
Gelsenkirchener noch schnörkelloser, als in Mirko Slomkas | |
Vertikalfußballphilosophie ohnehin schon vorgesehen, zum Torabschluss zu | |
gelangen. | |
Hinter dieser Vorstellung von Tempofußball steckt die nicht mehr ganz neue | |
Erkenntnis, dass die größte Chance auf einen Torerfolg in den ersten 10 | |
Sekunden nach der Balleroberung besteht - nämlich solange die Defensive des | |
Gegners sich noch nicht sortiert hat. Fraglich bleibt nur, ob es den | |
Spitzenteams tatsächlich angemessen ist, auch gegen Cottbus oder Bochum auf | |
solch eine - übertrieben formuliert - Kontertaktik zu setzen. Um Tore gegen | |
kompakte, defensiv eingestellte Gegner zu erzielen, wird immer weniger Wert | |
auf lange Ballstafetten gelegt, in solchen Spielsituationen "sind immer | |
öfter individuelle Fähigkeiten einzelner Spieler gefragt", sagt Slomka. | |
Moderne Spielöffner | |
Oft reicht es, durch ein kurzes Dribbling oder auch nur eine Täuschung für | |
einen Sekundenbruchteil eine Überzahl zu schaffen, die am Ende zum | |
Torerfolg führt. Franck Ribéry ist der Prototyp dieses modernen | |
Spielöffners, aber natürlich liegt hier auch die edelste Aufgabe des | |
Spielmachers alter Prägung. Denn ein Zehner von der Qualität eines gut | |
aufgelegten Marcelinho oder Kaka kann noch so berechenbar sein, die | |
Abwehrspieler werden sie doch nicht zu fassen kriegen. Aber solche Typen | |
werden eben immer seltener. | |
10 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Daniel Theweleit | |
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