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# taz.de -- Zu viel Verkehr: „Heute quert man vier Spuren“
> Ältere Menschen fühlen sich im Straßenverkehr nicht mehr wohl, warnt
> Sozialverbands-Chef Klaus Wicher. Das Problem: Es ist zu voll.
Bild: Hier ist es schwer rüberzukommen: vier Spuren voller Autos
taz: Herr Wicher, welches Problem haben die Mitglieder Ihres Verbandes mit
dem Verkehr?
Klaus Wicher: Wir hören Klagen in unseren 30 Hamburger Ortsverbänden über
zwei Dinge: Die, die Auto fahren, sagen, sie fühlen sich behindert durch
die neue Verkehrsführung, die Radfahrer und Autos auf eine Fahrbahn bringt,
und durch die vielen Baustellen.
Und die Fußgänger?
Die zweite Klage kommt von älteren Menschen, die eingeschränkt sind. Die
beklagen, dass es eine sehr starke Mischung der Verkehre gibt. Wer über die
Straße gehen möchte, muss erst links, rechts auf die Radfahrer, dann auf
die Autofahrer, und dann wieder auf die Radfahrer achten. Ist da keine
Ampel, kommen Sie schlecht rüber. Vor allem ältere Menschen fühlen sich
nicht sicher.
Ist diese Verkehrslage neu?
Früher waren die Autos allein auf der Fahrbahn. Da musste man einmal links
und einmal rechts gucken, um rüberzugehen. Heute quert man vier Spuren:
Rad, Auto, Auto, Rad.
Und wo waren früher die Radfahrer?
Die waren auf dem Fußweg. Man hatte da als Fußgänger noch eine
Sicherheitszone, so einen Streifen zwischen Radweg und Autostraße. Eine Art
Verkehrsinsel, wo man stehen konnte und es passiert nichts. Heute sind die
Radspuren eben auf dem Asphalt.
Was machen Sie nun?
Ich habe zum Beispiel dem Verkehrssenator geschrieben, auch dass wir gerne
für Fußgänger längere Ampelphasen möchten.
Wo sollen die Radwege hin?
Wir haben keine ultimative Lösung. Es geht uns darum, dass man Sicherheit
schafft zum Queren der Fahrbahn. Es gibt ja Ampeln. Aber da muss man als
Fußgänger erst mal hin. Das können Menschen, die in der Mobilität
eingeschränkt sind, nicht so leicht. Man müsste, dort wo keine Ampeln sind,
andere Querungsmöglichkeiten schaffen. Dieses:
Rad-Fahrbahn-Fahrbahn-Rad-Prinzip fordert ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit.
Damit wird man Menschen, die eingeschränkt sind, nicht gerecht.
Fehlt in Hamburg eine seniorengerechte Planung?
Hier geht etwas in die Fläche, wo wir den Eindruck haben, es geht an den
Interessen einiger Gruppen vorbei. Wir haben in Hamburg rund 440.000
Senioren über 60 und 365.000 über 65 Jahre. Sie sind noch jung. Möchten Sie
über die Straße, gehen Sie zur nächsten Ampel. Menschen, die Hilfsmittel
brauchen, können das nicht. Es gibt Senioren, die sagen: Ich gehe gar nicht
weg, ich warte, bis mein Sohn oder meine Tochter kommt. Das schränkt ein.
Liegt es auch an den Radfahrern? Fahren die anders als vor 20 Jahren?
Man hat den Eindruck. Die Politik sagt, Radfahrer sollen nicht mehr
benachteiligt werden. Der eine oder andere Radfahrer leitet davon ab: Ich
habe jetzt Vorfahrt. Menschen haben den Eindruck, die nehmen keine
Rücksicht mehr.
Ist es aus der Mode, auf Alte Rücksicht zu nehmen?
Das möchte ich nicht pauschalieren. Das Problem ist ja auch: Der Verkehr
nimmt nicht ab. Die Flächen werden anders aufgeteilt. Die Auto-Zulassungen
werden nicht weniger. Mit der Verdichtung der Stadt nimmt der
Individualverkehr zu.
Also müssen wir den öffentlichen Nahverkehr verbessern.
Richtig. Es gibt da auch tolle Angebote für Senioren. Zum Beispiel das
Taxi-Zubringersystem in Osdorf und Lurup. Dort werden Menschen zum
ÖPNV-Tarif zum Bahnhof gefahren. Nur gibt es hier technische Schranken. Der
Taxi-Dienst ist nur mit Smartphone über eine App zu buchen. Das schließt
alte Menschen aus. Das kann nicht sein. Wir müssen im Zeitalter der
Digitalisierung auch an die Älteren denken. Es muss weiter Offline-Angebote
geben.
Sind nicht die Senioren auch schlicht die Autofahrer-Generation? Junge
Großstädter haben seltener Führerschein.
Das kann sein.
Liegt bei dieser Senioren-Gruppe nicht viel Potenzial, um Autoverkehr zu
reduzieren?
So viele werden das nicht sein. Auch ältere Menschen steigen schon länger
auf ÖPNV um und viele junge Leute fahren mit dem Auto. Der
Individualverkehr ist ja auch etwas Gutes. Nur müssen wir für die Umwelt
und die Senkung der CO2-Belastung diesen reduzieren und andere Wege gehen.
Die Sorge, die wir hier haben, ist, dass Menschen nicht mehr teilhaben
können. Das geht gar nicht. Wer genug Geld hat, findet andere Lösungen. Der
bestellt sich ein Taxi. Wir haben in Hamburg aber rund 60.000 Menschen, die
in Altersarmut leben, und noch mal eine hohe Dunkelziffer. Für die setzen
wir uns ein.
Braucht Hamburg eine Offensive für seniorengerechten Verkehr?
Gute Idee. Da müsste man die Verbände und auch die Betroffenen an einen
Tisch bringen.
Wie kommen Sie eigentlich von A nach B?
Das ist jetzt eine etwas gemeine Frage. Ich fahre Auto, weil ich so viele
Termine habe. Ich schaffe es anders nicht, ich habe das versucht. Aber wenn
ich meinen Job als Vorsitzender aufgebe, fahre ich mehr Bus und Bahn. Das
ist auch bequemer.
17 May 2019
## AUTOREN
Kaija Kutter
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