# taz.de -- Wissenschaftsminister über den Osten: „Geld haben die Hochschule… | |
> Armin Willingmann, SPD-Wissenschaftsminister von Sachsen-Anhalt, | |
> kritisiert die Benachteiligung des Ostens bei der Exzellenzstrategie. | |
Bild: Ist die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit ihrer Medizinisch… | |
taz: Herr Willingmann, auf der [1][wissenschaftlichen Exzellenzlandkarte] | |
ist ihr Bundesland Sachsen-Anhalt nicht verzeichnet. Was bedeutet das? | |
Armin Willingmann: Das ist in jedem Fall ein Nachteil und betrifft ja nicht | |
nur Sachsen-Anhalt, sondern überproportional viele Universitäten im Osten. | |
Von 57 Clustern, die über die Exzellenzinitiative gefördert werden, sind | |
nur 4 in den neuen Bundesländern. Bei allem Respekt vor der | |
wissenschaftsgeleiteten Vergabe solcher Etiketten wie Exzellenzcluster oder | |
Exzellenzuniversität, der Befund ist eindeutig: Wir koppeln uns damit von | |
Entwicklungen ab und rutschen in eine Zwei- oder Mehrklassengesellschaft. | |
Der Osten bleibt zurück? | |
Es bleiben die Ärmeren zurück. Die Kluft zwischen reichen und armen | |
Wissenschaftsstandorten wächst. Und das sind momentan im Wesentlichen, aber | |
keineswegs ausschließlich, die Ostländer mit ihren nach 1990 wieder | |
errichteten oder umgestrickten Universitäten und Hochschulen. Da fehlen 40 | |
Jahre Aufbauleistung und Entwicklungen wie in den alten Bundesländern. Und | |
diese kann man auch nicht so einfach aufholen. | |
Was heißt das für eine Uni, wenn sie kein Exzellenzcluster hat? Im Prinzip | |
ist es doch egal, wo man studiert hat, jede Hochschule kann theoretisch | |
NobelpreisträgerInnen hervorbringen. | |
Theoretisch schon. Für Studierende wirkt sich das nicht sofort aus, für | |
viele gar nicht. Der einzelne Studierende wird nach wie vor an unseren | |
deutschen Universitäten und Hochschulen, egal wo, gut ausgebildet und zu | |
einem akademischen Grad geführt – na klar! Aber schon bei den | |
Nachwuchswissenschaftlern spielt es natürlich eine große Rolle, an welcher | |
Uni sie forschen. Wenn wir international nach Spitzenkräften suchen, dann | |
bieten Exzellenztitel schon einen klaren Vorteil. | |
Merken Sie den Nachteil bereits jetzt in Sachsen-Anhalt? | |
Wir sind stolz auf das Personal, das wir mit unseren Möglichkeiten | |
angeworben haben. Und wir glauben, dass wir da durchaus noch mithalten | |
können mit anderen Unis. Außerdem gibt es auch neben der Exzellenzkategorie | |
hervorragende Forschung und entsprechende Förderung, zum Beispiel in den | |
Sonderforschungsbereichen. Dennoch würde ich nicht ausschließen, dass man | |
im Wettbewerb mit einer echten Exzellenzuniversität dann irgendwann | |
keine Chancen haben wird. Exzellenz bedeutet auch, eine andere Ausstattung, | |
ein anderes wissenschaftliches Umfeld zu bieten. Wir können nicht ohne | |
Exzellenzmittel des Bundes so tun, als seien wir in der Lage, die gleichen | |
Standards zu setzen. | |
So viel Geld ist es ja am Ende nicht, die 533 Millionen pro Jahr müssen | |
sich 57 Cluster teilen. | |
Das Labeling ist entscheidend. Allein die Tatsache, dass man dabei war oder | |
dabei ist, eröffnet andere Möglichkeiten Drittmittel einzuwerben. Mit den | |
Bundesmitteln und dem Prädikat „Exzellenz“ generiert man weitere Mittel. | |
Die Universität Halle-Wittenberg in Sachsen-Anhalt ist über 500 Jahre alt. | |
Woran liegt es eigentlich, dass die Universitäten im Osten jetzt so | |
zurückliegen. | |
Man hat die Wissenschaftslandschaft im Osten in den vergangenen 30 Jahren | |
erst mal grundsätzlich auf die Beine bringen oder neu aufstellen und | |
ausstatten müssen. Und es stand sicherlich in den ersten Jahren eher auf | |
dem Programm, attraktiv zu sein für Studierende aus der ganzen | |
Bundesrepublik, und nicht unbedingt die Frage der wissenschaftlichen | |
Exzellenz. | |
Sehen Sie denn nach wie vor das Bestreben, auch in der Forschung zu | |
brillieren, oder kümmert man sich lieber um eine ordentliche Ausbildung von | |
Studierenden? | |
Nein, ich will von dem Ziel gar nicht ablassen. Die nächste Exzellenzrunde | |
startet in zwei Jahren, da werden wir wieder versuchen, dabei zu sein. In | |
manchen Forschungsbereichen halten wir schon einige Zeit mit. Aber | |
gleichwohl halte ich es für erstrebenswert, dass wir weiterhin attraktiv | |
für Studierende sind. Wenn wir dann eher Universitäten mit Lehrexzellenz | |
sind, ist das nicht minder wertvoll. Ein gutes Studienangebot ist kein | |
Abfallprodukt einer Hochschule, sondern ihr eigentlicher Zweck. | |
Zurzeit verhandeln Bund und Länder über den Hochschulpakt für | |
Studienplätze. Berlin hat vorgeschlagen, dass die Länder, die bei der | |
Exzellenzstrategie nicht zum Zuge gekommen sind, einen Ausgleich bekommen. | |
Warum unterstützen Sie das nicht öffentlich? | |
Das liegt daran, dass momentan noch diskret verhandelt wird. Ich halte es | |
aber für wichtig, dass wir auch über solch eine regionale Komponente | |
nachdenken, wäge das aber gegen andere Optionen ab. | |
Gegen welche denn? | |
Für uns ist wichtiger, dass wir verlässliche Mittel erhalten und einen | |
Aufwuchs in der Grundfinanzierung. Wenn man ehrlich ist, fehlt es unseren | |
Hochschulen in Sachsen-Anhalt nicht an Geld. | |
Echt nicht? | |
Geld haben die Hochschulen im Grunde genug. Was sie nicht haben, sind genug | |
verlässliche Mittel. | |
Und wie wirkt sich das aus? | |
In Sachsen-Anhalt haben die Hochschulen über Jahre Rücklagen gebildet. Das | |
liegt daran, dass die Länder und die Hochschulen, die die vereinbarten | |
Mittel für Studienplätze bekommen, diese nur zum Teil einsetzen können. | |
Weil sie nicht genügend Studierende haben? | |
Nein! Sondern weil wir mit diesen temporären Mitteln kein festes Personal | |
gewinnen und einstellen können. Das ist doch genau das Dilemma. Solange wir | |
das Geld aus dem Hochschulpakt nicht dauerhaft, zumindest langfristig | |
verlässlich, sondern nur projektbasiert erhalten, können die Hochschulen | |
kein dauerhaftes Personal einstellen; sie müssen dann mit Befristung | |
arbeiten. Aber eine befristete Beschäftigung ohne Perspektive ist nicht | |
attraktiv. | |
An den Hochschulen herrscht mittlerweile Fachkräftemangel? | |
Durchaus. Deshalb müssen wir beim Hochschulpakt neben dem Geld auch über | |
die Rahmenbedingungen des Mitteleinsatzes reden. | |
Und welcher Anteil der Hochschulpaktmittel sollte für [2][unbefristete | |
Stellen] reserviert sein? | |
Mindestens 20 bis 25 Prozent des Hochschulpakts sollte von vornherein dafür | |
in die Grundfinanzierung gehen. | |
Die Hauptforderung der Länder ist derzeit, [3][dass der Bund seine | |
Zuwendungen jedes Jahr erhöht]. Für Sie ist eine Quote für Dauerstellen | |
wichtiger? | |
Vor die Wahl gestellt, würde ich im Zweifel auch auf einen höheren Anteil | |
an Hochschulpaktmitteln verzichten, wenn wir dafür eine Verstetigung | |
bekämen, eine echte Querfinanzierung des Bundes bei der Grundfinanzierung | |
der Hochschulen, um deren personelle Spielräume zu vergrößern. | |
Im Koalitionsvertrag haben sich doch Union und SPD auf eine Verstetigung | |
des Hochschulpakts geeinigt – was meinen Sie mit einer echten Verstetigung? | |
Es gibt im Moment eine programmatische Erklärung im Koalitionsvertrag, die | |
bis zum Ende der Legislaturperiode gültig ist. Eine echte Verstetigung wäre | |
eine Vereinbarung beispielsweise im Rahmen eines Staatsvertrages mit dem | |
Bund mit Bindungswirkung etwa für die nächsten 15 bis 20 Jahre. Das machen | |
wir übrigens jetzt gerade beim Strukturwandel, bei der Braunkohle. Und da | |
spreche ich als Wirtschaftsminister: Da dringen die vier Braunkohleländer | |
auf einen Staatsvertrag mit dem Bund, in dem wir festschreiben, die | |
nächsten 20 Jahre stehen uns die 40 Milliarden zur Verfügung. Solch ein | |
Vertrag überlebt dann auch einen Regierungswechsel und schafft Planbarkeit. | |
Sie sind ja eigentlich gebürtiger Westdeutscher, leben aber seit 1992 in | |
Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt. Sind Sie nun Ossi oder Wessi | |
oder Wossi? | |
Diese Diskussion finde ich schräg. Mich hat es nach der letzten | |
Bundestagswahl sehr überrascht und überrascht auch viele Menschen, die wie | |
ich fast ihr ganzes Berufsleben jetzt in Ostdeutschland verbracht haben. | |
Ich würde es begrüßen, wenn wir diese personalisierte Ost-West-Debatte | |
einfach mal beenden oder wenigstens versachlichen würden. | |
Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigte kürzlich, dass unter den | |
Rektoren an ostdeutschen Unis kein einziger in der DDR geboren wurde. | |
Menschen aus dem Osten werden doch nach wie vor benachteiligt. Braucht es | |
nicht eine Ostquote? | |
An den Hochschulen für angewandte Wissenschaften sieht diese Verteilung | |
übrigens anders aus. Aber zu Ihrer Frage: Diese Diskussion kommt jetzt zu | |
spät. Sie wäre in den ersten Jahren des Vereinigungsprozesses sinnvoll | |
gewesen. Ich weiß nicht, was man im Jahr 30 nach der „Wende“ beispielsweise | |
mit einer Quote noch erreichen will. Viel bedenklicher als die Frage, ob | |
wir genug Ostdeutsche in Hochschulleitungen haben, ist meines Erachtens, | |
warum wir so wenige internationale Hochschulleitungen haben? Warum gelingt | |
es nicht, mehr Leute aus dem Ausland und der internationalen Wissenschaft | |
zu uns zu holen. Auch die schrecken wir mit einer engherzigen | |
Ost-West-Debatte ab. | |
2 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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