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# taz.de -- Der Hausbesuch: Ein braver Revoluzzer
> Es gibt noch Hausbesitzer, die nicht auf Teufel komm raus die Miete
> erhöhen. Der Weltverbesserer Gerhard Oschmann aus Berlin ist so einer.
Bild: Vom Styling her ist Gerhard Oschmann eine Mischung aus Karl Marx und Eric…
Gerhard Oschmann gehört ein Haus in Berlin-Kreuzberg. Als Eigentümer bleibt
er seinen antikapitalistischen Ideen trotzdem treu.
Draußen: Es ist ein Dschungel, der aus dem kleinen Vorgarten der
Schleiermacherstraße 7 wächst. Der Wein hat auch die Mauern der
Nachbarhäuser erobert. Das freute die Eigentümer des Hauses links, die
rechts jedoch brachen in Entsetzen aus und ließen alles ausreißen. Durch
eine kleine Tür im vierten Stock tritt man aufs Dach, wo sich, hoch über
Kreuzberg, zwei Gärten ausbreiten, mit Wiesen, Blumen- und Kräuterbeeten,
Tischen, Stühlen und Sonnenschirmen. Eine schmale Brücke führt, höher als
die Wipfel des alten Ahorns, über die Schlucht des engen Hofes von einem
Garten zum anderen.
Drinnen: Drinnen sitzt Gerhard Oschmann, der Schwabe, der Hausbesitzer, an
einem Tisch mit roter Plastikdecke zwischen zwei Regalen, einem verglasten
Bücherschrank und einem in der Ecke zusammengerollten Transparent aus
Gorleben: Atomkraft? Nein Danke! „Wir hatten Glück, dass wir Geld bekamen
für die Sanierung.“ Alle im Haus haben mitgeholfen, haben die Fassade, den
Vorgarten, den Hinterhof neu gemacht, und den Dachgarten. Dann wurden
Kinder geboren, im Hof unter dem Ahorn wurde ein Spielplatz angelegt, von
dem aus den ganzen Tag über die Stimmen der Kinder drangen.
Der Schwabe: Mit dem langen weißen Bart, den zotteligen Haaren, den Beulen
an den Knien seiner Hosen erinnert Oschmann mehr an einen Studenten der
Siebzigerjahre als an einen jener schwäbischen Zuzügler, die in Berlin ein
Haus kaufen und dann beim Bäcker ihre „Wecken“ verlangen, als wären sie in
Stuttgart.
Das Glück: Oschmann schlurft in seinen dicken Socken über die knarrenden
Dielen und zieht den Ordner mit dem Artikel vom 27. März 1985 heraus. In
der Überschrift steht: „Senat kürzt Mittel für Altbausanierung!“ Man wol…
lieber neu bauen, Bauunternehmer unterstützen, und hatte bereits
angekündigt, „jährlich rund 5.000 Altbauten abreißen zu lassen.“ Oschman…
Haus war eines der letzten, das staatliche Fördermittel zur eigenhändigen
Sanierung durch die Mieter erhielt. „Wir haben Glück gehabt!“, sagt
Oschmann. Aber ein bisschen mutig war er auch, so wie alle, die es vor dem
Mauerfall wagten, ein Haus in Westberlin zu kaufen. In einer von Russen
umstellten Stadt. Oschmann störten die Kommunisten nicht.
Do it yourself: Das Haus indes war marode. Also suchten sich die Oschmanns
Leute, die einzogen und bereit waren, an Haus und Hof und Dach
mitzuarbeiten. Natürlich gab es Streit, bis vors Gericht und bis ins 21.
Jahrhundert trug man die Auseinandersetzungen. „Das bleibt nicht aus, wenn
viele gemeinsame Entscheidungen treffen müssen.“ Irgendwann waren sie
fertig mit dem Haus und Ausziehen möchte jetzt niemand mehr. Auch wenn
Oschmann in den Augen seiner Mieter knauserig sei bei den Reparaturen, sei
die Miete einfach zu günstig. „Weil meine Frau, die Angela und ich, wir
sind der Meinung, dass man nicht von so einem Haus leben sollte, sondern
von seiner Arbeit.“ Alles andere wäre unanständig, sagt Oschmann und zupft
nachdenklich an seinem Bart.
Die Philosophie: Gerhard Oschmann hat so seine Philosophie. Er kommt aus
einer erzreligiösen Familie. Wenn ihm ein leidiges „Ach Gott“ entwischte,
sagte die Schwester: „Aber Gerhard!“ Und als der einzige Sohn der Familie
sich Anfang der Siebziger entschied, ins flache Berlin zu ziehen, schlug
man die Hände überm Kopf zusammen und warnte davor, „sich da bloß nicht
reinziehen zu lassen“ in diese Geschichten, die man las und hörte aus
Berlin. „Aber genau das hatte ich vor.“
Der Plan der Eltern: Der Junge wuchs in der winzigen Dienstbotenwohnung
einer Villa am Stadtrand von Stuttgart auf, gemeinsam mit den drei
Schwestern, den Eltern und der Großmutter, einer Pfarrersfrau mit 26 Bibeln
im Bücherregal. Die Schuljahre verbrachte er im Eberhard-Ludwigs-Gymnasium,
denn der Vater habe sich wohl einen Geisteswissenschaftler zum Sohn
gewünscht, sagt er. „Aber die Schule war nicht das Richtige für mich.“
Die Lehre: Oschmann schmiss das Gymnasium und begann eine Lehre. Aber die
26 Bibeln im Regal der Großmutter zeigten trotzdem Wirkung: 1969, nach
nachgeliefertem Abitur, begann er Theologie zu studieren. Denn die Welt war
schlecht, sie musste besser werden. Zwei Semester verbrachte er im Tübinger
Stift, zu einer Zeit, als Ernst Bloch und Walter Jens die Auditorien
füllten, ohne mit dem kommunistischen Bazillus infiziert zu werden. Der
Schwabe sah noch immer keine Alternative zur religiösen Weltverbesserung.
„Politisiert wurde ich erst in Berlin.“ Da zog er hin.
Berlin: Er schrieb noch an der Magisterarbeit über „neue Formen des
Konfirmationsunterrichts“, als das, was in Berlin los war, ihn allmählich
in den Bann zog. Der Schwabe ließ nun keine Demo mehr aus, egal, ob es um
Vietnam oder den Kampf gegen Atomkraft ging. Er las „Das Kapital“, ließ
sich einen Bart wachsen, arbeitete in Kinderläden. Es machte ihm auch
nichts aus, in eine Einzimmerwohnung zu ziehen, mit Außenklo und
Allesbrenner für 35 Mark im Monat. „Das Haus ist inzwischen luxussaniert,
ich würde gern wissen, was das Zimmer heute da kostet.“
Die Wohngemeinschaft: Von der Einzimmerwohnung zog er in eine
Sechszimmerwohnung in Charlottenburg. Berlin war das Eldorado der
Wohngemeinschaften. Es gab ganze Häuser voller WGs. Der Traum von der
besseren Welt trieb die jungen Leute an. Sie schrieben es an die Wände:
„Nie wieder Krieg“, „Amis raus aus Vietnam“, „Die Häuser denen, die …
wohnen“.
Ein Haus für alle: 1985 war es. Erika, die Freundin von Angela, hatte
geerbt und wollte ein ganzes Mietshaus kaufen für eine große
Wohngemeinschaft. Aber die Erbin kam von der Idee wieder ab und suchte sich
lieber eine Villa im Grunewald. Die beiden Oschmanns aber ließ die Idee
nicht mehr los: ein Haus für alle.
Die Gegenwart: Da sitzt er nun, Gerhard Oschmann, der Schwabe, in dem
großen Haus in einer kleinen Zweizimmerwohnung im zweiten Stock. Nachdem
die Kinder ausgezogen waren, haben er und seine Frau „sich verkleinert“.
Sie brauchen nicht viel, eine Küche, ein Bad, ein Schlaf- und das
Wohnzimmer mit den Regalen voller Aktenordner, auf deren Rücken
„Mietverträge“ und „Abrechnungen“ steht. Nur drei Euro Miete kostet der
Quadratmeter bei den Oschmanns. Davon könnten sie, sagt er, gut leben.
„Mehr brauchen wir nicht.“ Dann fügt er noch hinzu: „Es ist doch ein
Armutszeugnis, dass sich in diesem reichen Land so viele Menschen Sorgen um
ihre Wohnung machen müssen.“
Der Besuch: Kürzlich klingelte es, erzählt Oschmann. Da stand ein Mann, so
alt wie er selbst vor der Tür. Er fragte, ob er reinkommen dürfe, die
Wohnung sei seine Kinderstube gewesen, er sei hier groß geworden. Die
beiden Männer plauderten und tranken Kaffee, und dann ging der Besucher zum
Fenster und sagte: „Und hier, von diesem Fenster aus, hab ich unserm
Vermieter dann einmal auf den Kopf gespuckt. Das war das Größte.“
28 Mar 2019
## AUTOREN
Hans Korfmann
## TAGS
Gentrifizierung
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