# taz.de -- Der Hausbesuch: Vom Kampf mit sich und anderen | |
> Felicia Ewert, trans*Frau, Autorin und Mutter schreibt auf Twitter über | |
> ihr Leben – und in ihrem Buch über „geschlechtliche Marginalisierung“. | |
Bild: Felicia Ewert, trans*Frau, Autorin und Mutter | |
Göttingen habe eine Universität, Marburg sei eine, schrieb der Romantiker | |
Ernst Koch im 19. Jahrhundert. Geändert hat sich daran bis heute nicht | |
viel. Manches bleibt, anderes ist im Fluss. Zu Besuch bei der Studentin und | |
Autorin Felicia Ewert. | |
Draußen: Während des Semesters ist Marburg voller Studierender – wie leer | |
gefegt dagegen ist die Stadt in der vorlesungsfreien Zeit. Die Universität | |
liegt verteilt: in der Oberstadt, in der Unterstadt. Von Ewerts Wohnung aus | |
ist alles nicht weit. | |
Drinnen: Eine alte Eckbank, bräunliche Bezüge. Auf dem Tisch liegt ein | |
Babyfon, aus dessen Lautsprecher zufriedenes Schnaufen einer Neugeborenen | |
tönt. Auf dem Schreibtisch stapelt sich Papier. („Ich hab es nicht mehr | |
geschafft, aufzuräumen.“) Hier sitzt Ewert und schreibt Hausarbeiten. Wälzt | |
Bücher, die sich türmen. Wenn sie nicht in soziologischen Schriften | |
blättert, liest sie historische Romane: „Ich kann jetzt ganz plakativ | |
sagen: Romane, wo es um Frauen in der Geschichte geht.“ | |
Dorfleben: Sie erinnert aus ihrer Kindheit bloß lange Autofahrten. Und dass | |
in dem hessischen Dorf, in dem sie lebte, nicht viel „passiert“ ist. | |
„Manchmal bin ich froh, mit fünf Jahren noch nicht über mich Bescheid | |
gewusst zu haben“, sagt die 32-Jährige. „Weil ich nicht weiß, wie das | |
Aufwachsen dort gewesen wäre.“ Ewert erzählt, dass sie in ihrer Jugend | |
Motorrad fuhr, spricht von „überdrehter Maskulinität“. | |
Politisierung: Früher wollte Ewert Geschichte studieren. Dann machte sie | |
erst eine Ausbildung im Gesundheitswesen. Und ließ sich von den | |
Verhältnissen dort politisieren – durch die teils schlechte Bezahlung. | |
Später entschied sie, Politikwissenschaft zu studieren. „Das Fach hat in | |
Marburg einen starken Schwerpunkt auf Kapitalismuskritik und auch auf | |
Geschlechterforschung.“ | |
Verliebt: In die Stadt haben sie und ihre Frau sich gleich verliebt: „Wir | |
sind über die Stadtautobahn reingefahren und sie sagte direkt: Bitte zieh’ | |
hierher.“ Zehn Jahre sind sie im Oktober zusammen. Sie haben sich „auf | |
einer Dating-Plattform“ kennengelernt. Führten zunächst eine Fernbeziehung, | |
bevor sie später in Marburg zusammenzogen. | |
Eine Insel: Verglichen mit dem Dorf, in dem Ewert aufwuchs, sei Marburg | |
eine Großstadt. Und zugleich eine „Insel“ – „gerade was Offenheit und | |
feministische Aspekte angeht“, sagt Ewert. Obwohl die Stadt so „winzig“ | |
ist, so dörflich anmutet mit ihren kleinen Fachwerkhäusern, ihren engen | |
Gassen, dem historischen Kern. | |
Zwei Mütter: Ihre Frau sitzt mit am Tisch, ihr Name soll ungenannt bleiben, | |
wie auch der des Kindes, das sie zwischendurch immer wieder im Arm wiegt. | |
Seit Ewert in der Öffentlichkeit präsenter ist, sei alles etwas schwierig. | |
Die beiden schauen ernst, während das Kind vor sich hin quiekt. Ihr Kind | |
werde es nicht anders kennen, als mit zwei Müttern aufzuwachsen. „Ich | |
hoffe, sie wird einfach nur – in Anführungszeichen nur – mit | |
Homofeindlichkeit konfrontiert“, sagt Ewert. | |
Das Netz: Auf dem Esstisch liegt ihr Handy. Mindestens genauso zu Hause wie | |
in Marburg ist Ewert im Internet. [1][Sie schreibt auf Twitter] über ihren | |
Alltag – ihre Erfahrungen als Mutter und ihr Leben als trans*Frau. Andere | |
provoziert sie – was auch immer sie tut: „trans*-Feindlichkeit ist kein | |
Wettbewerb, den du meistern kannst. Es geht den Leuten nicht darum, was du | |
machst, sondern sie hassen, wer du bist“, sagt sie. | |
Gewalt: Sie erzählt von Anfeindungen, Morddrohungen, Suizidaufforderungen. | |
„Man kann froh sein, wenn Leute nur mit ihrem plumpen Biologismus | |
argumentieren.“ Wenn sie nur fragen, „ob die Leute in der Schule nicht | |
aufgepasst hätten, wie Biologie funktioniert“. Auf Twitter dagegen würden | |
Menschen anonym Dinge sagen, die sie sich auf der Straße nicht trauen. Sie | |
zwängen Ewert in „Containerbegriffe“, erschlagen sie mit selbst gewählten | |
Kategorien. Ewert nennt es Gewalt. | |
Ein neuer Raum: Ohne Twitter wäre sie nicht, wer sie heute ist. Sie habe | |
dort Kontakt zu anderen gefunden, sich vernetzt. Für sie ist Twitter vor | |
allem eine Möglichkeit, über Diskriminierungsmechanismen nachzudenken. Aus | |
feministischen Perspektiven sollen Frauen so auftreten können, wie sie | |
mögen. Für trans*Frauen gelte das plötzlich nicht mehr. Weil sie nicht als | |
Frauen betrachtet werden. | |
Widersprüche: Es würde zugleich erwartet, dass trans*Frauen „Femininität an | |
den Tag legen“. Etwa, wenn sie den Personenstand beantragen. Ewert erzählt, | |
dass im Gericht genau dokumentiert wurde, wie sie gekleidet war, ihr Haar | |
trug, ihr Make-up. „Der Richter fragte mich, ob ich ihm garantieren könne, | |
dass ich immer so rumlaufe, wie ich es jetzt hier vor ihm tue.“ | |
Feminismen: Aus feministischer Sicht hieße es hingegen oft, Stereotype | |
würden durch möglichst feminines Auftreten reproduziert: „Selbst wenn ich | |
darüber schreibe, wie ich meinem Kind die Flasche gebe, werfen mir die | |
Leute vor, ich würde Stereotype über Mutterschaft reproduzieren“, sagt sie. | |
Cool bleiben: Ewert erzählt von einer Kinderärztin, die ihre Irritation | |
freundlich zu lösen wusste, als die beiden Mütter vor ihr standen: „Die hat | |
dann gar nicht angefangen mit ‚biologisch und irgendwas‘, sondern sie hat | |
einfach gesagt: Das ist ja praktisch, wenn man als zwei Frauen schon alles | |
dabei hat.“ Sie keinen Mann gebraucht hätten – für die Reproduktion. Ewer… | |
Frau sagt: „Die war echt cool.“ | |
Das Private ist politisch: Nach dem Studium würde Ewert gerne von ihren | |
Vorträgen leben, die sie über trans*Feindlichkeit hält. „Dieses | |
Durch-die-Gegend-fahren und vor fremden Leuten sprechen“, was ihr heute | |
gefällt, habe sie sich vor ein paar Jahren noch nicht vorstellen können. | |
Referate in der Schule oder der Uni – das Letzte. Jetzt spricht sie über | |
das, was ihr wichtig ist. „Und was auch für andere wichtig ist.“ Kann ihre | |
Vorträge nutzen, um aufzuklären. Über ein sehr privates Thema. Aber das sei | |
nun mal der Punkt – feministische Politik spiegele sich an ihrem Körper, à | |
la „my body, my choice“. | |
Sprechorte: Ihr Buch „Trans. Frau. Sein. Aspekte geschlechtlicher | |
Marginalisierung“ basiert auf ihrer Bachelorarbeit. Eine Professorin habe | |
gesagt, sie schreibe über „ein sträflich vernachlässigtes Thema“. Selbst… | |
Marburg, wo eine „Grundsensibilisierung“ herrsche, sei ihre Position | |
marginal. In wissenschaftlichen Diskursen werde oft über trans*Personen | |
gesprochen, als eine Gruppe, die „irgendwo existiert“. Selten kämen sie | |
dabei selbst zu Wort. Für Ewert ein Grund, später vielleicht in der | |
Wissenschaft zu bleiben. | |
Ein Prozess: Ewert wählt ihre Worte mit Bedacht. Sie hat viel nachgedacht, | |
über sich und die anderen. Notgedrungen. Viele würden denken, man werde | |
plötzlich jemand anderes, wenn man irgendwann eine „Geschlechtsangleichung“ | |
macht – ein Wort, das sie nicht mag, weil es den Prozess verkürzt: | |
Namensfindung, Auftreten, Auseinandersetzung mit Kleidung. „Solche Dinge“ | |
würden dabei unterschlagen. Es sei ein In-sich-hineinhören, immer wieder. | |
Ein Aushandeln, ein Kämpfen mit anderen, mit sich. Ein langer Weg. | |
Im Fluss: Den Begriff der „geschlechtlichen Transition“ findet sie darum | |
schöner, sensibler. „Ein selbst gewählter Begriff“, der umfassender sei. … | |
zeige, dass Operationen nicht verpflichtend sind, sondern „eine Option“. | |
Begrifflichkeiten würden sich ständig ändern: „Du bist ja in einem | |
permanenten Diskurs.“ Bis 2011 waren operative Eingriffe zur Änderung des | |
Namens in Deutschland noch Pflicht. | |
Strukturen: An der Universität werde Ewert oft angesprochen, wenn Menschen | |
merken: Sie kennt sich mit dem Thema aus. Oft seien andere unsicher, würden | |
um Begriffe ringen. Die sind ihr lieber als jene, die sich auf der sicheren | |
Seite wiegen, die denken, sie seien schon sensibel genug – die Guten. Die | |
meisten wüssten nicht, „welche Einstellungen sie mit sich herumtragen“. Der | |
Gedanke der Zweigeschlechtlichkeit sei uns tief eingeschrieben, fange schon | |
vor der Geburt an, bei der Ultraschalluntersuchung. Uns allen wird ein | |
Geschlecht zugewiesen. Darum sei auch ihr Buch für alle geschrieben. Es | |
sensibilisiert für das Thema Geschlecht – egal wer es liest. | |
12 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] http://witter.com/redhidinghood_ | |
## AUTOREN | |
Lea De Gregorio | |
## TAGS | |
Der Hausbesuch | |
Transgender | |
Marburger Bund | |
Befreiungstheologie | |
Der Hausbesuch | |
Bayern | |
Lost in Trans*lation | |
Gentrifizierung | |
Selbstverteidigung | |
Gentrifizierung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Der Hausbesuch: Feminismus als Befreiung | |
Die Marburger Professorin Ulrike Wagner-Rau war eine frühe Vertreterin | |
feministischer Theologie. Ein Ziel war, weniger von Gott als Vater zu | |
sprechen. | |
Der Hausbesuch: Zu Hause in Europa und Gabun | |
Ursprünglich wollte Peter Kremsner Kunst oder Literatur studieren. Heute | |
leitet er ein Tropeninstitut in Tübingen und bekämpft die Malaria. | |
Der Hausbesuch: Sie singt auch in der Herzenssprache | |
Irene Frank singt Wohlfühlsongs auf Allgäuerisch, für Gesellschaftskritik | |
wechselt sie ins Hochdeutsche. In Bayern kommt sie so nicht immer gut an. | |
Kolumne Lost in Trans*lation: Träumen von einem freien Leben | |
In Istanbul akzeptiert das System für trans Personen keine andere Rolle als | |
die Arbeit in der Prostitution. In Amsterdam ist das Leben sicherer. | |
Der Hausbesuch: Ein braver Revoluzzer | |
Es gibt noch Hausbesitzer, die nicht auf Teufel komm raus die Miete | |
erhöhen. Der Weltverbesserer Gerhard Oschmann aus Berlin ist so einer. | |
Der Hausbesuch: Das Ziel ist Deeskalation | |
Frauen, die Selbstverteidigung lernen, können damit auch schutzlose Momente | |
verarbeiten. Die Kickboxerin Claudia Fingerhuth macht es vor. | |
Der Hausbesuch: Ein Schnitt für jeden Körper | |
Aus Ghana kam Victor Ankobea nach Deutschland. In Berlin hat er ein | |
Nähatelier – noch. Das Haus wurde verkauft, sein Laden gekündigt. |