# taz.de -- Der Hausbesuch: Sie singt auch in der Herzenssprache | |
> Irene Frank singt Wohlfühlsongs auf Allgäuerisch, für Gesellschaftskritik | |
> wechselt sie ins Hochdeutsche. In Bayern kommt sie so nicht immer gut an. | |
Bild: „… nicht müde werden“: Im Herbst erscheint schon das achte Album d… | |
Gestern ist sie spät nach Hause gekommen, von einem Konzert in Sonthofen, | |
kurz vor Österreich. Am Tag davor haben sie in einem kleinen Ort im Allgäu | |
gespielt, zum Weltfrauentag. Für Irene Frank ist Musik eine Plattform, um | |
für eine gerechtere Welt zu kämpfen. | |
Draußen: Ein grauer Sonntagvormittag in dem 6.000-Einwohner-Ort | |
Zusmarshausen nahe Augsburg. Niemand ist unterwegs. Vielleicht sind sie | |
noch in der Kirche, vielleicht schneiden sie gerade ein Brötchen auf. Die | |
schmale Straße, nass vom Regen, verläuft von einem Hügel abwärts, trennt | |
die Einfamilienhäuser rechts und links. Das von Familie Frank, blass lila | |
gestrichen, steht zwischen einem strahlend weißen und einem verwitterten | |
Haus. | |
Drinnen: Neben der Eingangstür auf dem Boden lehnt ein Schild aus grauen | |
Holzbrettern. Darauf ein Peace-Zeichen und in schwarzer Schrift „Rifugio | |
per tutti coloro che amano la natura“. Ein Refugium für alle | |
Naturliebhaber*innen. Irene Frank wohnt hier mit ihrem Mann Jürgen und den | |
zwei Töchtern. Links im Flur hängt eine Kreidetafel, vollgeschrieben mit | |
Notizen. Im großen Wohn- und Esszimmer knistert ein Kaminofen. „Es macht | |
mich glücklich, mit einer Tasse Tee vor dem Kamin ein Buch zu lesen“, | |
erzählt Irene Frank im „extra reduzierten“ Allgäuer Dialekt. Die | |
Fensterbänke schmücken Hirschfiguren. Der Blick nach draußen fällt auf den | |
Garten mit Kinderschaukeln und einem umgedrehten Trampolin. | |
Die Gitarre: Im fliederfarben gestrichenen Arbeitszimmer liegt Irene Franks | |
neue Gitarre auf dem Boden. Sie holt sie aus dem Koffer, setzt sich auf den | |
Boden, spielt ein paar Akkorde. „Der Klang ist bassiger, voller.“ Die | |
38-Jährige mit den langen braunen Locken tritt seit 17 Jahren mit ihrer | |
Kollegin Inka Kuchler, die auch lange braune Locken hat, als [1][Duo Vivid | |
Curls] auf. Folk, Rock, Pop und Balladen singen sie. In der Region kennt | |
man die zwei – Irene Frank allerdings unter ihrem Mädchennamen Schindele. | |
Die Haltung: Das neueste Album heißt „Eine Welt“. „Mit unseren Gedanken … | |
Handlungen können wir für eine Welt kämpfen, voller Liebe, Respekt, | |
Toleranz, Gerechtigkeit und natürlich auch Nachhaltigkeit.“ Klingt schön, | |
aber unkonkret. Sie will die großen Themen; in Blödsinn, wie etwa Söders | |
Kreuzerlass, mische sie sich nicht gern ein. „Das ist mir zu viel Show, zu | |
plakativ, zu durchschaubar.“ | |
Politik: „Ich will den Menschen sagen: Glaubt’s dran!“. Über das Politis… | |
singt Irene Frank am liebsten auf Hochdeutsch: „Das Fußvolk ist | |
grundsätzlich nichts wert / Wer nicht so ist wie er, ist sowieso verkehrt.“ | |
Im Allgäuer Dialekt fiele es ihr schwerer, kritisch zu sein. Die Mundart – | |
„sie ist meine Herzenssprache“ – bevorzugt sie aber für persönliche Tex… | |
„Oifach leaba ohne Plan und Ziel / Schier verruckt, so fühl I mi frei.“ | |
Resignation: „Wenn man das Gefühl hat, als Minderheit in einer Gesellschaft | |
zu leben, die ganz andere Haltungen vertritt, dann ist es schon leicht, | |
auch mal zu resignieren.“ In Bayern gebe es engagierte Menschen, aber auch | |
die, die Vivid Curls wegen eines Liedes gegen Religionskriege nicht bei | |
sich im Ort spielen lassen wollten. | |
Das Ehrenamt: In das Eigenheim in Zusmarshausen ist die Familie Frank vor | |
fünf Jahren gezogen, weil die Mieten in Augsburg zu hoch wurden. Irene | |
Frank übernahm ehrenamtlich die Leitung des Kulturkreises, um sich schnell | |
einleben zu können. „Ich unterhalte mich viel mit Leuten, wobei da | |
politische Themen eher ausgespart werden.“ Auf Veranstaltungen bringe sie | |
ihre Kritik aber ein. „Es ist für Leute, die so denken wie wir, schon | |
manchmal einsam hier.“ | |
Familie: In ihrer Nachbarschaft fühle sie sich aber wohl. „Und mit meinem | |
Mann habe ich jemanden, mit dem ich auf einer Wellenlänge diskutieren | |
kann.“ Mit ihren neun- und zehnjährigen Töchtern wiederum singt sie oft zu | |
Hause. „Früher viel Nena, jetzt haben die Kinder eine ‚Bibi und | |
Tina‘-Phase, aber auch Philipp Poisel.“ | |
Die Beatles: Die Sängerin schenkt Tee ein, zieht dicke Socken an und setzt | |
sich an den kleinen Küchentisch. Das mit der Musik, das habe sie früh | |
angefangen und noch jung erst mal wieder verworfen. Irene Frank wuchs im | |
Allgäu nahe Kempten auf und entdeckte mit elf Jahren die Beatles. Erst eine | |
Biografie im Bücherregal ihres Großvaters, dann die Platten im Regal der | |
Eltern. Anfang der 90er Jahre lernte sie die Texte und die Akkorde auf der | |
Gitarre auswendig und spielte sie rauf und runter („selbst beim | |
Wäscheaufhängen“). Bis ihr Vater es nicht mehr hören konnte. In der Schule | |
wählte sie den Musik-Leistungskurs, musste vorsingen und fiel durch die | |
Aufnahmeprüfung. „Da habe ich mit knapp 18 Jahren beschlossen, mit der | |
Musik komplett aufzuhören.“ | |
Studieren: Für das Studium, Englisch und Spanisch auf Lehramt, zog sie nach | |
Augsburg. Die Stadt liegt eine Stunde nördlich von ihrem Heimatort, und sie | |
wollte nicht gerne weit weg. „Man ist mit seinem Allgäu einfach so | |
verbunden, mit diesen Bergen.“ Während des Studiums lernte sie ihren Mann | |
und Inka Kuchler kennen, mit der sie 2002 die Vivid Curls gründete. Erst | |
coverten sie Songs von Sheryl Crow und Alanis Morissette, „die starken | |
Singer-Songwriterinnen“. Um sich auch kreativ auszudrücken, fingen die | |
beiden Allgäuerinnen an, eigene Lieder zu schreiben. | |
Zweifeln: Die Musik zur Karriere zu machen hat sich Irene Frank lange nicht | |
getraut. „Ich saß da im Studium, war mir sicher, dass ich nicht ins Lehramt | |
wollte, aber wusste nicht, was sonst. Ich war in einer Krise.“ Sie wollte | |
sich bei dem von Paul McCartney gegründeten Liverpool Institute for | |
Performing Arts bewerben, um eine Musikausbildung zu bekommen. Kuchler | |
meinte: Sie könnten auch die eigene Musik zum Beruf machen. „Ich habe das | |
für eine verrückte Idee gehalten. Ich war nie die Träumerin, die an den | |
großen Durchbruch glaubt.“ Nach kurzer Bedenkzeit sagte sie aber zu. | |
Erfolg: Warum glaubt sie, hat das mit der Musik geklappt? Schicksal, sagt | |
Irene Frank, das Glück, einander zu haben, und der feste Wille. „Wir | |
wollten das mit allen Fasern unseres Seins. Wir haben zwischen 2008 und | |
2010 drei Kinder gekriegt, Inka eines und ich zwei, und drei Alben | |
rausgebracht. Da haben wir uns richtig ausgepowert“. Sie gewannen in | |
verschiedenen Kategorien des Deutschen Rock-und Pop-Preises und nahmen | |
einen Song für einen Kinofilm der Augsburger Puppenkiste auf. | |
Wendepunkt: 2016 traten sie als Nachwuchspreisträgerinnen der | |
Hanns-Seidel-Stiftung bei dem Festival „Songs an einem Sommerabend“ auf. | |
„Da haben wir Liedermacher wie Konstantin Wecker getroffen. Wir haben schon | |
immer kritische Songs geschrieben, aber wir haben uns ausbremsen lassen von | |
Stimmen, die gesagt haben, dass wir auf Unterhaltung setzten sollten. Das | |
Festival war ein Wendepunkt für uns.“ | |
Freitagsdemos: „Ihr seid mächtig, wenn ihr zusammensteht / Zeigt auf, dass | |
es ums große Ganze geht.“ Mit ihrem neuen Song wollen Vivid Curls die | |
jungen Leute von Fridays for Future bestärken. „Ich kann gut verstehen, | |
wenn Greta Thunberg sagt, sie hat Panik. Die hatte ich mit 16 auch, und es | |
ist eigentlich nicht gut, dass sie weniger wird mit den Jahren.“ Das achte | |
Album, das im Oktober erscheinen soll, haben sie „… nicht müde werden!“ | |
genannt. | |
16 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.vivid-curls.de/ | |
## AUTOREN | |
Rebecca Stegmann | |
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