# taz.de -- Der Hausbesuch: Die Hauptsache ist Liebe | |
> Wallis Birds Stimme ist rau, ihre Texte sind gefühlsgeladen. Erst in | |
> ihrer Wohnung in Berlin ist die Musikerin richtig bei sich angekommen. | |
Bild: Die weißen Bauten wurden für das Cover von Wallis Birds Albums „Archi… | |
Fernseher, so nennt sie das große Fenster ihres Musikzimmers zur Straße | |
hin. Hier sitzt sie und schaut nach unten. Singt und sinniert, über das | |
Leben, über die Liebe. Zu Besuch bei der Musikerin Wallis Bird im Berliner | |
Stadtteil Neukölln. | |
Draußen: Mit einem kleinen, engen Aufzug gelangt man auf ihre Terrasse und | |
von dort in die Wohnung. Die Dächer reichen in die Wolken. „Hier ist man im | |
Himmel“, sagt Wallis Bird. Vor der Terrassentür stehen Topfpflanzen, um die | |
sich ihre Freundin Tracey kümmert. Unten schiebt ein Mann mit Gitarre ein | |
Fahrrad, gehen Menschen ihrer Wege, jeder den eigenen. | |
Drinnen: Auf einem Tisch liegt einer der Musikpreise, die Wallis Bird | |
gewonnen hat – zwischen Rasseln und dem alltäglichen Chaos. Im Wohnzimmer | |
stehen Gitarren, ein Schlagzeug. Im Flur: ein Klavier. Auch ein alter | |
Singer-Nähmaschinentisch steht dort, darauf ein Wählscheibentelefon. Vieles | |
hat sie vom Trödel, jeder Gegenstand hat eine eigene Geschichte. | |
Luxus: An einer Wand lehnt ein Bild, „Der arme Poet“ von Spitzweg. „Ich | |
liebe das. Weil jeder Künstler eine Zeit lang sauarm ist.“ Dass er beim | |
Arbeiten im Bett liege, sei „eigentlich Luxus“. In dem Bild flössen | |
Tragisches und Komisches zusammen, sagt sie. Humor sei wichtig. „Das Leben | |
ist lang.“ | |
Herkunft: Geboren ist Wallis Bird 1982, aufgewachsen in Galbally, einem | |
kleinen Ort in Irland, mit sechs Geschwistern. Ihr Vater betrieb einen Pub, | |
bis er einen Autounfall hatte. „Er war ein Jahr im Krankenhaus. Er konnte | |
nicht mehr arbeiten“, blieb aber tapfer, „sau, sau stark“. Das Motto der | |
Familie: „Einfach weiter – irgendwie.“ | |
Musik: „Mit Musik bist du nie alleine und nie hungrig“, so lautet ein | |
Sprichwort ihrer Mutter. Birds ganze Familie ist musikalisch. „Wir sind | |
verliiiiiebt in Musik. Mein Papa war ein DJ, meine Mama singt die ganze | |
Zeit.“ Auch sie summt vor sich hin, wenn sie Kaffee eingießt oder durch | |
ihre Wohnung läuft. Anfangs haben ihre Lieder noch stärker an Irish Folk | |
erinnert. Später wurden sie funkiger, kamen auch elektronische Beats dazu. | |
Mit ihrer Musik hat Bird international Erfolg, tourte schon in Japan und | |
Australien. | |
Mannheim: Studiert hat Bird in Dublin, für ein Austauschsemester ging sie | |
an die Popakademie in Mannheim. „Ich habe dort so viele geile Leute | |
kennengelernt und wir arbeiten immer noch zusammen.“ Die Stadt sei wie „ein | |
kleines Berlin“, sagt Bird, „weil es auch sehr anonym ist, kosmopolitisch.�… | |
Und es leben viele Menschen aus der „working class“ in Mannheim, das mag | |
sie: „Da sind die Leute besser – und die Geschichten.“ | |
Lebenshunger: „Als ich nach Mannheim gezogen war, hatte ich absolut kein | |
Geld“, sagt Bird. Manchmal hat sie tagelang nichts gegessen. „Ich habe auf | |
der Straße gespielt, damit ich mir Kebab kaufen kann. Und wenn es ein guter | |
Tag war, kaufte ich ein Steak.“ Ihre Eltern hat sie nicht nach Geld | |
gefragt, ihnen auch nicht erzählt, dass sie so arm war. Aber: „Es war eine | |
geile Zeit.“ | |
Ein Unfall: Die 36-Jährige spielt ihre Rechtshändergitarre andersherum. | |
Weil ihr seit einem Unfall mit einem Rasenmäher ein Finger fehlt. Bird war | |
damals noch ein kleines Kind, sie erinnert sich noch an den | |
Krankenhausaufenthalt. „Ich wollte einen Joghurt haben.“ Ein kleiner | |
Kühlschrank stand dort im Raum. „Und ich bin aus dem Bett gesprungen und | |
eine Nonne hat zu mir gesagt: Nein.“ Sie lacht. Bird wuchs in einer | |
katholischen Familie auf. „In unserer Generation war man einfach katholisch | |
geboren. Jedes Krankenhaus war christlich. Das ganze Land war christlich.“ | |
Ein Geheimnis: Ihrer Mutter erzählte sie mit 25 erst, dass sie lesbisch | |
ist. „Ich habe nix gesagt, weil es so peinlich war. Ich habe gedacht, die | |
werden das nicht verstehen.“ Lange habe sie es als Geheimnis herumgetragen, | |
„es war furchtbar“. Vor ihrem Vater schwieg sie noch länger. „Von 14 bis | |
ich 31 war, fast mein ganzes Leben.“ Nachdem sie mit Tracey zusammen | |
gekommen war, hat sie dann zu ihm gesagt: „Ich hab ’ne Geschichte für dich: | |
Ich hab ne Freundin – and I really love her.“ Und ihr Vater sagte nur: „J… | |
ich weiß.“ Sie lacht. | |
Fortschritt: Heute hat sich in Irland vieles geändert. Die Ehe für alle | |
wurde erlaubt, das Abtreibungsreferendum kam durch. „Die katholische Kirche | |
zieht sich langsam zurück.“ Aber etwas sei von früher geblieben sagt Bird: | |
das Gossiping. „Jeder schaut auf jeden.“ Zum Beispiel würde man gefragt: | |
„Warum bist du alleine in dieser Kneipe?“ Sie verstellt ihre Stimme. „War… | |
machst du das? Oh, du kannst das nicht machen.“ Sie schüttelt den Kopf. | |
„Ich bin alleine in dieser Kneipe, weil ich alleine in dieser Kneipe sein | |
will.“ | |
Umzüge: Bevor sie 2012 nach Berlin kam, lebte Bird in London. Die komplette | |
Band zog aus Mannheim dorthin. „Die besten Musiker sind immer in London und | |
es war einfach die beste Chance im Musikbusiness.“ Aber London war hart. | |
„Die Leute hatten zwei Jobs, weil die Mieten so hoch waren. Sie hatten | |
keine Zeit für ihr Leben.“ | |
Freiheit: In Berlin hat sie ihre Heimat gefunden. Sie liebt die Häuser, die | |
Altbauten, dass es so grün ist. „Es ist sehr ruhig und poetisch und liberal | |
und easy-going.“ Vor allem fühlt Wallis Bird sich frei. „Wenn man die | |
Freiheit nicht kennt, vermisst man sie nicht. Aber wenn man Freiheit gelebt | |
hat, merkt man, wie wichtig es ist, sie zu haben.“ | |
Nacktheit: Anfangs war sie viel in Clubs, ließ sich euphorisieren vom | |
Berliner Nachtleben. Suchte einen Fluchtort. „Wenn ich in Clubs in Berlin | |
gehe, wo Leute nackt sind, komplett frei und miteinander tanzen und reden | |
und der Körper ist nicht nur Fleisch“ – dann sei das ein Schutzraum, wo | |
alles was im normalen Leben verboten ist, einen Ort habe. Es war aber auch | |
eine „komische Zeit“. Sie lacht. „Es war zu viel von allem, zu viele | |
positive Emotionen. Ich war nicht gesund im Körper und im Kopf, zu wild, zu | |
glücklich.“ Wenig geerdet. „Aber das brauchte ich.“ | |
Dunkelheit: Wallis Birds Stimme ist rau, ihre Texte sind gefühlsgeladen. | |
„Architect“ heißt das Album aus ihrer Anfangszeit in Berlin. Damals wohnte | |
sie im Erdgeschoss und lebte vor allem nachts. „Es war eigentlich immer | |
dunkel. Und in meinem Kopf war es auch dunkel.“ Das hört man auch. | |
Ankommen: Auf „Architect“ folgte „Home“, ihr bisher letztes Album. Nun | |
könne sie sie selbst sein, sagt sie: „Jetzt ist die erste Zeit, wo ich | |
denke: Schau mal, wer ich bin und was ich liebe und was wichtig für mich | |
ist.“ Man hört in ihrer Musik, dass sie angekommen ist. „Ich war 15 Jahre | |
immer unterwegs, habe immer aus einem Koffer gelebt und bin jetzt hier in | |
dieser Wohnung mit meiner Freundin.“ Auch in ihrer Wohnung gibt es jetzt | |
viel Licht. „Ich merke die Jahreszeiten.“ Die Sonne. „Im Sommer kommt sie | |
sehr hoch und im Winter steht sie sehr tief.“ Zusammen mit Tracey | |
betrachtet sie gern den Sonnenuntergang. | |
Rollen: Bis zu ihrem letzten Album hatte sie in ihren Liedern nie „er“ oder | |
„sie“ gesungen, fast nie ein Geschlecht benannt. „Jetzt singe ich immer | |
über meine Freundin, meine persönliche Erfahrung, meine Beziehung mit | |
meiner Frau. Das ist ein neues Leben für mich, einfach ‚woman‘ zu sagen.“ | |
Gefühle: In ihren Liedern geht es viel um Liebe. „Die Liebe ist meine | |
Hauptsache. Ich steh auf Liebe. Und das Ecstasy und die Befreiung, die man | |
in der Liebe finden kann. Man muss verloren in Liebe sein, alles loslassen | |
und einfach lieben, das ist das wichtigste Gefühl, das man haben kann.“ | |
Gesichter: An der Wand in der Küche hängen Bilder. Ihr liebstes? „Die da, | |
Ursula, die Haarschneiderin.“ Bird deutet auf das Porträt einer alten Frau. | |
Jeden Tag sehe sie anders aus. „Ihr Gesicht erinnert mich an so viele | |
Leute, sie hat so ein starkes Gesicht.“ Die Frau sehe sehr, sehr stolz aus, | |
sagt sie. „She takes care of herself, you know?“ | |
Haare: Nicht nur in Birds Musik spiegeln sich ihre Lebensphasen. Auch in | |
ihren Haaren. Die Dreadlocks standen für ihre Studentenzeit. „Blonde Haare | |
waren meine Luxuszeit.“ Jetzt ist ihr Kopf kurz rasiert, weil sie wieder | |
von Neuem angefangen hat. Ein eigentlich maskuliner Haarschnitt sei es, | |
sagt sie. „Und doch habe ich mich nie weiblicher gefühlt.“ | |
10 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Lea Diehl | |
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