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# taz.de -- Der Hausbesuch: DDR auf Japanisch
> Shinya Ishizaka wohnt seit zwei Jahren in Dresden. Auf Flohmärkten sucht
> er regelmäßig DDR-Sammlerstücke für den Onlineshop seiner Mutter.
Bild: Ein Zimmer voller Geschichte: Shinya schickt regelmäßig Pakete mit DDR-…
Dresden taz | Die Arbeit in einem Toyota-Werk in Japan war ihm irgendwann
zu langweilig, die 12-Stunden-Schichten zu anstrengend. Ohne ein Wort
deutsch sprechen zu können, zog Shinya 2016 in die sächsische Hauptstadt.
Deutsch spricht er mittlerweile sehr gut. Das muss er auch: Mit
Marktstandbesitzern über den Preis ostdeutscher Raritäten zu verhandeln
erfordert ausgeprägte Sprachkenntnisse.
Draußen: Über dem Hauseingang ist ein Relief in den Stein gehauen. Eine
Meerjungfrau und ein Meermann schweben rechts und links eines bauchigen
Gefäßes, aus dem dicke, mit Früchten behangene Ranken sprießen. Das Haus
selbst ist weniger schmuckvoll: hellbrauner Putz, bröckelige Steinstufen,
und Fensterrahmen, von denen der schmutzig-grüne Lack abblättert. Vor dem
Altenheim gegenüber lehnen rauchende Pflegekräfte an der Wand. Nebenan
steht das frisch renovierte und noch eingerüstete Kulturforum, ein
Treffpunkt für Kunstinteressierte und Künstler*innen. Gerade bearbeiten
Frauen und Männer im Hinterhof große Holzblöcke. Sonst ist es ruhig in der
Straße im Dresdner Stadtteil Friedrichstadt.
Drinnen: Die Holzdielen knarren bei jedem Schritt, im Flur steht ein
Wäscheständer, vom Hirschgeweih an der Wand baumelt ein Kleiderbügel. Die
Küche ist typisch WG: zusammengewürfeltes Mobiliar, überquellende Regale
und eine durchgesessene Couch mit Stoffüberwurf. Auf dem Tisch stehen
japanische Süßigkeiten auf einer hellblauen, weiß gepunkteten
Wachstuchdecke. Shinya, 29 Jahre alt, wohnt in einem von drei Zimmern. Es
ist sein Lagerraum: Geschirr, Wecker, eine zerbeulte
Brandt-Zwieback-Blechdose. Zwei große Teddybären sitzen in einer Ecke auf
einem Karton. „Nagasaki/Miyazaki“ ist in schwarzen Buchstaben auf die Pappe
gedruckt.
Abenteuer: „Mir war es egal, wohin ich fliege“, sagt Shinya über seine
Entscheidung, Japan vor zwei Jahren zu verlassen. Er habe ein Abenteuer
gesucht, wollte seine Jugend genießen und nicht wie eine Maschine leben.
Vier Jahre lang hat er nach seinem Archäologiestudium einen Lötroboter in
einem Toyota-Werk bedient. Der Job brachte ihm ein gutes Gehalt, mehr aber
auch nicht. „Ich habe mir gesagt, du musst dein Leben verändern“, erzählt
Shinya. Das sei schwer gewesen, aber er war mutig.
ドイツ民主共和国: Das ist die japanische Bezeichnung für DDR. Ohne die…
Shinya nicht nach Dresden gekommen. Seine Mutter hat einen Onlineshop für
Antiquitäten aus aller Welt. Sie wohnt in Toyokawa, einer Stadt mit knapp
200.000 Einwohnern, 300 Kilometer südwestlich von Tokio. Hier ist Shinya
geboren und aufgewachsen. Es war seine Mutter, die ihm vorschlug, nach
Dresden zu ziehen. In einem japanischen Buch über die DDR, mit vielen
Bildern von damals verbreiteten Spielzeugen, Möbeln und anderen
Alltagsgegenständen, hat sie von Märkten in Dresden gelesen, auf denen man
all das kaufen könne. Sie war überzeugt, ihrer Kundschaft würden die
Schmuckstücke aus Deutschland gefallen. Shinya könne doch nach Dresden
fliegen und diese Sachen besorgen. Seitdem wohnt er hier.
Flohmärkte: Einmal im Monat schickt Shinya ein 20-Kilo-Paket zu seiner
Mutter nach Japan, gefüllt mit Porzellan aus Colditz, geblümten
Tischdecken, roten Baumkerzen und Kinderbüchern mit dem gelben Bären Bummi.
Auf den Flohmärkten in Dresden läuft er jedes Wochenende zwischen den
Ständen auf und ab, begutachtet fachmännisch die Auslage. An der
Verarbeitung ihrer Rücken erkennt er, welche Bücher in der DDR
veröffentlicht wurden. Am Ticken von alten Ruhla-Weckern hört er, ob sie
noch gut funktionieren. Die Verkäufer*innen kennen ihn mittlerweile und
grüßen herzlich. Shinya trifft sie auch auf Flohmärkten in Leipzig und
Berlin, wo er ab und an auf Streifzug geht. Online verdient Shinyas Mutter
mit seinen Offline-Marktkäufen rund 1.000 Euro im Monat. Erst vor Kurzem
hat jemand für einen Teddybären, der Shinya 5 Euro gekostet hat, 150 Euro
bezahlt. Sammler würden viel Geld für alles Mögliche ausgeben, erklärt
Shinya. „Sie kaufen Kinderbücher, ohne ein Wort zu verstehen, weil ihnen
die Zeichnungen gefallen.“
Kochen: Als Shinya vor zwei Jahren nach Dresden kam, hatte er noch keine
Ahnung, wie er Geld verdienen würde. Das war ihm auch nicht so wichtig,
solange er es in keiner Autofabrik tun musste. Er verschickte viele
Bewerbungen, zum Beispiel für Jobs als Verkäufer. Geklappt hat es dann mit
einer Ausbildung zum Koch in einem Dresdner Hotel. Die Arbeit macht ihm
Spaß. Typisch deutsche Küche, „viel Schweinefleisch“. Zu Hause kocht er v…
allem sein Lieblingsgericht: Pasta mit Tomatensoße. Und Hacksteak.
Hildegard Knef: Weil ihm alte Sachen gefallen, hat Shinya Archäologie
studiert. Wenn er einen angestaubten Teddy vom Flohmarkt besonders schön
findet, kommt er nicht ins Paket zu seiner Mutter, sondern bleibt in seinem
Zimmer. Seine Vorliebe für Vergangenes zeigt sich auch in seiner
Musiksammlung. Mehrere Platten von Hildegard Knef liegen ganz oben auf dem
Stapel neben seinem Bett. Als eine seiner Mitbewohnerinnen ihm zum ersten
Mal Musik von der 2002 verstorbenen Chansonsängerin vorspielte, war es um
ihn geschehen. Seitdem ist Knef seine Lieblingssängerin. „Marlene Dietrich
lege ich auch ganz gerne auf“, meint er. Die Texte versteht Shinya zwar
nicht immer. Aber er liebt die Stimmen und die Atmosphäre.
Sächsisch: „Keene Ahnung“, „keen Bock“ und „weeßt, was ich meene“…
hat in den letzten zwei Jahren nicht nur deutsch, sondern auch Dialekt
gelernt. Auf der Arbeit und auf dem Flohmarkt kann er das gut gebrauchen.
Sein digitales Wörterbuch hat er immer griffbereit in der Tasche. Bei allzu
elaborierter Mundart streikt es jedoch.
Rassismus: Shinya mag Dresden sehr, vor allem das Elbufer und die vielen
Brücken. „Manchmal fühle ich mich aber genervt“, sagt er. Genervt fühlt …
sich, wenn ihn junge Deutsche anschauen und ihm „Ausländer weg“ oder
„scheiß Asiate“ hinterherrufen. Shinya glaubt, dass die Leute, die das
machen, wahrscheinlich betrunken sind. „Das ist … wie sagt man … ein
bisschen schade.“ Auf Konzerte geht er nur mit Freunden. Alleine traut er
sich nicht. Schüchtern ist er nicht, aber wenn ihn dann Deutsche so
anschauen, „wie einen Ausländer“, dann ist ihm das unangenehm.
Unterschiede: „Deutsche sind sehr direkt“, meint Shinya. Vielleicht gibt es
Klischees, die sind keine Klischees, sondern wahr. Shinya findet diese
Direktheit schön, manchmal aber auch nicht. In Japan seien immer alle sehr
höflich. Zu höflich, findet er. „Du weißt, was ich meine.“ Er legt beide
Hände vor seiner Brust zusammen, beugt sich nach vorne und lacht. Japaner
sollten lockerer sein. „Sie arbeiten zu viel“, sagt Shinya. In Deutschland
würden die Leute nicht so viel arbeiten. „Die Deutschen genießen ihr
Leben.“
Heimweh: Vor zwei Jahren, als er seinen Job im Toyota-Werk hingeschmissen
hatte, wollte Shinya eigentlich nach Polen ziehen. „Weil ich gehört habe,
dass es dort keine Japaner gibt.“ Meint er das ernst? Ja, er habe das
gegoogelt. Wieder lacht er. Gerade war er für zwei Wochen in Japan bei
seiner Familie. Heimweh hat er aber nicht. Nur eine Sache fehlt ihm:
„Sushi. Das Sushi in Dresden ist sehr schlecht.“
24 Jan 2019
## AUTOREN
Sebastian Danz
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