# taz.de -- Automatisierung im Alltag: Rettet Künstliche Intelligenz die Welt? | |
> Die Bundesregierung hat sich zur Künstlichen Intelligenz viel | |
> vorgenommen. Nun startet der Digitalgipfel. | |
Bild: Künstliche Intelligenz könnte zum Beispiel die Autoproduktion verändern | |
Schluss mit der Angst, dem Zaudern und Zögern: Die Bundesregierung will | |
beim Thema künstliche Intelligenz (KI) [1][nicht länger belächelt werden]. | |
Nach monatelangen Debatten und Expertengesprächen, nachdem etliche Gremien | |
im Kanzleramt, in den Ministerien und im Parlament vor sich hin bastelten, | |
soll eine gemeinsame KI-Strategie das Land voranbringen. | |
Bis 2025 stehen rund drei Milliarden Euro zusätzlich bereit, um Deutschland | |
zum „führenden Standort“ für die Zukunftstechnologie zu machen. Mächtig | |
stolz sind Kanzlerin Angela Merkel und ihr Wirtschaftsminister Peter | |
Altmaier auf das Papier. Das Geld wird vor allem in die Forschung fließen. | |
Hundert neue KI-Professuren sollen laut Bundesregierung geschaffen werden. | |
Dazu kommt eine Förderungsoffensive für Start-ups, die mit KI arbeiten. | |
Die Hoffnung ist, die Konkurrenz in den USA [2][oder China] abzuhängen oder | |
mindestens in deren Liga mitzuspielen. Wirtschaftsminister Altmaier geht | |
gar davon aus, dass die Digitalisierung in Deutschland für ein zusätzliches | |
volkswirtschaftliches Wachstum von rund 1,3 Prozent sorgen könnte. Das sei | |
mehr als bei der Erfindung der Dampfmaschine, sagt er. Ganz zu schweigen | |
von den Millionen Arbeitsplätzen, die Anwendungen über Künstliche | |
Intelligenz bringen könnten. Solche Aussagen sollen wohl auch die | |
besänftigen, die wissen, dass durch die Automatisierung in nahezu allen | |
Branchen Jobs wegfallen werden. | |
Beim heute startenden Digitalgipfel in Nürnberg mischt sich Werkschau des | |
KI-Standorts Deutschland mit Diskussionen über die Zukunft. Künstliche | |
Intelligenz ist in Deutschland noch ein unsichtbares Phänomen, ein | |
Schlagwort, unter dem sich viele nichts Konkretes vorstellen können. Groß | |
sind die Vorbehalte und Ängste. Doch zum Einsatz kommt Künstliche | |
Intelligenz auch hierzulande längst. Revolutioniert sie unser Leben oder | |
macht es gar besser als je zuvor? Fünf Expert*innen geben Antworten: | |
## 1. „Arbeit besser, menschlicher machen“ | |
„Die deutsche Debatte über Künstliche Intelligenz ist geprägt von | |
Szenarien, die die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust bedienen. Werde ich | |
überflüssig? Werde ich überwacht? Technologisierung bringt Veränderungen | |
mit sich, ermöglicht aber auch zahlreiche Chancen, um Arbeit besser und | |
menschlicher zu machen. | |
In der Globalisierung ist es wichtig, dass wir unsere Ressourcen und Ideen | |
zum Thema Arbeit einbringen: Sozialpartnerschaft, die Abgrenzung zwischen | |
Arbeit und Leben, Arbeitnehmerrechte. Dabei können Algorithmen hilfreich | |
sein. KI könnte potentiell Betriebsrätinnen in ihrer Arbeit unterstützen. | |
Chatbots könnten Stimmungsbilder im Betrieb einholen und Angestellte über | |
ihre Rechte aufklären. Das ersetzt nicht den Betriebsrat, sondern | |
unterstützt ihn. Es ist auch vorstellbar, dass Arbeitnehmerinnen im Kontakt | |
mit KI ihre Work-Life-Balance besser im Blick behalten. Wie wäre es zum | |
Beispiel mit einem Programm, das mich anspricht, wenn ich Überstunden | |
mache, und mich daran erinnert, mich nicht zu übernehmen? Es gibt im | |
Bereich Arbeit viele Ängste, wenn über Digitalisierung gesprochen wird. | |
Technologie-Determinismus ist eine sehr alte und widerlegte Perspektive. | |
Technologie bestimmt nicht unser Handeln allein, sondern wir gestalten in | |
einer Wechselbeziehung Technologie mindestens genauso. Gemeinsam haben wir | |
die Möglichkeit, den Handlungsraum zu erkunden und KI-Anwendungen so zu | |
gestalten, dass sie uns helfen.“ | |
Shirley Ogolla, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Humboldt-Institut für | |
Internet und Gesellschaft in Berlin | |
## 2. „Die besten Wege per App zeigen“ | |
„Weltretten im Bereich Verkehr heißt vor allem: Klimaschutz. Wir müssen den | |
öffentlichen Nahverkehr attraktiver machen und den eigenen CO2-Verursacher | |
unattraktiv. | |
Daher helfen hier ganz kleine Schritte: Die eine, umfassende App, die | |
Nutzern endlich den besten Weg von A nach B zeigt und dabei Fahrrad, Bahn | |
und Bus im Nah- und Fernverkehr und Carsharing berücksichtigt. Leuchtdioden | |
am Bahnsteig, die anzeigen, ob ein Wagen schon voll besetzt ist und wo noch | |
welche Plätze frei sind. Autonome Fahrzeuge auf dem Land, die von Dorf zu | |
Dorf fahren und Leute zum nächsten Bahnhof bringen. Lieferketten, die so | |
intelligent gestaltet sind, dass nicht lauter CO2 emittierende Lkws in | |
zweiter Spur halten, um ein paar mit dem 24-Stunden-Expressdienst bestellte | |
Pullover innerhalb weniger Stunden auszuliefern. | |
KI wird wohl längst nicht alles in all diesen Bereichen lösen – ein | |
Lastenrad ohne KI ist besser als ein mit Kraftstoff betriebener Lkwit KI. | |
Aber wenn es gut läuft, kann sie ihren Teil dazu beitragen.“ | |
Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des ökologischen | |
Verkehrsclubs Deutschland (VCD) | |
## 3. „KI kann mehr Teilhabe ermöglichen.“ | |
„KI kann die Welt mindestens ein bisschen komfortabler machen und für | |
manche sogar ein bisschen erträglicher. Zum Beispiel kann sie für mehr | |
gesellschaftliche Teilhabe sorgen. In den USA arbeitete ich vor Jahren für | |
eine Firma, die Spracherkennungssoftware entwickelt. Eine Künstliche | |
Intelligenz hilft etwa dabei, Straßennamen zu erkennen, an welcher Kreuzung | |
man abbiegen muss oder welches der beste barrierefreie Weg zum Ziel ist. | |
Oder KI hilft bei der Übersetzung von wissenschaftlichen Texten, die zum | |
Beispiel nur auf Russisch oder in einer anderen Sprache erscheinen, die | |
andere nicht sprechen. Ein Computer kann schnell übersetzen, und somit | |
können mehr Wissenschaftler die Inhalte für ihre Forschung nutzen. | |
Generell hat sich unsere Sprache durch das Internet und die Digitalisierung | |
stark verändert. Neue Worte sind entstanden, zum Beispiel nutzen wir Voten | |
für Abstimmen oder die Begriffe Clickbaiting oder Buzzfeeding. Grammatik | |
und Rechtschreibung werden ohnehin anders genutzt, etwa bei digitalen | |
Nachrichtendiensten. | |
Die Daten, die wir dazu vorliegen haben, sollten wir unbedingt sammeln, | |
damit wir den Sprachwandel dokumentieren und analysieren können.“ | |
Erhard Hinrichs, Sprachwissenschaftler und Computerlinguist an der | |
Universität Tübingen | |
4. „Konsummacht besser einschätzen.“ | |
„Im Bankensektor gibt es hier und da schon KI-Unterstützung, das ist aber | |
noch lange nicht die Regel. Algorithmen können zum Beispiel bei | |
Kreditbewertungen helfen und Investitionsrisiken abschätzen. Chatbots im | |
Kundenkontakt können derweil Mitarbeiter entlasten. Wir bei der GLS Bank | |
arbeiten allerdings bisher nicht mit solchen Systemen. | |
Wo KI-Systeme jetzt schon besser sind als Menschen, ist beim Erkennen von | |
Betrugsversuchen. Algorithmen lernen aus bestimmten Maschen und warnen die | |
Kunden, wenn sich so ein Muster wiederholt. | |
Was ich einer KI nicht zutraue, ist, dass sie Innovationen erkennt. Viele | |
KIs basieren auf Erfahrungsdaten aus der Vergangenheit.1988 hätte uns eine | |
KI wahrscheinlich nicht empfohlen, eines der ersten Windräder zu | |
finanzieren. | |
Woran wir jetzt arbeiten: Algorithmen, die unseren Kunden dabei helfen, | |
ihre eigene Konsummacht besser einzuschätzen – sofern sie das möchten. Was | |
unterstütze ich da mit meiner Kaufentscheidung? Wo sollte ich lieber | |
investieren? | |
Nach Ereignissen wie im Hambacher Wald könnten zum Beispiel automatisch | |
Ökostromanbieter empfohlen werden. Dabei können uns KI-Systeme helfen. Aber | |
die ethischen Urteile fällen und handeln – das müssen wir immer noch | |
selber.“ | |
Aysel Osmanoglu, IT-Vorständin GLS Bank | |
## 5. „Das ist kein Zaubergadget“ | |
„Eine KI muss sich an geltende Gesetze halten – und das heißt ganz klar: | |
die Datenschutzgrundverordnung. Die Entscheidungen einer KI können | |
schwerwiegende Folgen für einzelne Menschen haben. Etwa wenn sie die | |
Vorauswahl von Job-Bewerberinnen entscheidet oder per Sozialprognosen für | |
Straftäter, wer auf Bewährung freikommt und wer nicht. | |
Natürlich müssen Betroffene darüber informiert werden, dass eine KI | |
entschieden hat und wie die Entscheidung zustande gekommen ist. Und wenn | |
Vorgaben wie sichere und vertrauliche Speicherung oder das Verbot, die | |
Daten für andere Zwecke zu verwenden nicht eingehalten, ist eine KI | |
illegal. | |
Dazu kommt: KI darf keine Blackbox sein. Das ist aber heute schon teilweise | |
der Fall, etwa beim autonomen Fahren. Da können selbst die Programmierer | |
nicht mehr nachvollziehen, was der Algorithmus da eigentlich macht. Dabei | |
ist es durchaus möglich, so zu programmieren, dass Menschen nachvollziehen | |
können, welche Kriterien eine Rolle spielen und warum Entscheidungen so | |
getroffen werden. | |
Und wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte, wo wir KI sehen wollen – | |
und in welchen Bereichen nicht. Da müssen sich alle stärker einmischen, | |
damit der Einsatz nicht dazu führt, dass Firmen und Staat noch mehr | |
unkontrollierte Macht über uns bekommen. | |
KI ist kein Zauber-Gadget, das – Simsalabim – die Welt besser macht. Aber | |
ohne diese Voraussetzungen wird sie nicht einmal einen kleinen Teil dazu | |
beitragen können.“ | |
Rena Tangens, Datenschutzverein Digitalcourage | |
3 Dec 2018 | |
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## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
Peter Weissenburger | |
Svenja Bergt | |
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