| # taz.de -- Unsterblich durch KI-Zwilling: Opa für immer | |
| > Wolfgang Hoeltgen, 78, bastelt an seiner digitalen Unsterblichkeit – mit | |
| > einem KI-Zwilling. Ist das Spielerei oder Zukunft? | |
| Bild: Wolfgang Hoeltgen will bleiben, auch über seinen Tod hinaus | |
| Basketball war eine meiner großen Leidenschaften, schreibt Wolfgang. Ich | |
| habe viele schöne Erinnerungen an die Spiele und die Zeit, die ich damit | |
| verbracht habe. Ich eiferte meinem Vorbild Dirk Nowitzki nach. Er hat nicht | |
| nur in der NBA, sondern auch für die deutsche Nationalmannschaft | |
| Großartiges geleistet. Wenn du mehr über Basketball und meine Erfahrungen | |
| wissen möchtest, frag mich einfach! | |
| Dieser Wolfgang, der in einem grauen Chatfenster von Leidenschaften und | |
| Erinnerungen erzählt, ist kein Mensch, jedenfalls nicht direkt. Er ist ein | |
| Bot, ein Sprachprogramm, das die Erinnerungen eines Menschen gespeichert | |
| hat. Und er lernt noch. | |
| Testfrage: Warst du ein guter Spieler? Drei Sekunden vergehen. Darauf habe | |
| ich keine Antwort. Ich werde meinem Schöpfer Bescheid geben, und | |
| hoffentlich kann er mir beibringen, wie ich reagieren sollte (STOPP). | |
| Konversation beendet. | |
| Der echte Wolfgang sitzt bei einem Kaffee an seinem Esstisch in Laatzen | |
| südlich von Hannover und ist mit der Performance des Bot-Wolfgangs | |
| unzufrieden, denn der erzählt mal wieder Quatsch: „Nowitzki war noch nicht | |
| einmal geboren, als ich Basketball gespielt habe“, sagt Wolfgang Hoeltgen, | |
| 78 Jahre alt. „Der Bot muss aufhören, Geschichten zu erfinden.“ Keine | |
| Phrasen, keine Worthülsen, die man von ChatGPT kennt. „Der Bot darf nur das | |
| sagen, was ich auch sagen würde. Keine Nullachtfünfzehn-Antworten, keine | |
| Halluzinationen!“ | |
| ## Die KI lernt aus unserem Leben | |
| Künstliche Intelligenz wird in unserem Alltag immer selbstverständlicher. | |
| Erst wussten nur Technikfreaks und Science-Fiction-Fans, was sich dahinter | |
| verbirgt. Dann ging Ende 2022 das leicht zu bedienende Plauderprogramm | |
| ChatGPT an den Start. Noch vor wenigen Monaten nutzten die meisten Leute | |
| den Service vor allem zum Brainstormen, Übersetzen und Aufsetzen von | |
| Geschäftsmails. Inzwischen werden KI-unterstützte Sprachprogramme häufiger | |
| auch als Zuhörer, Therapeuten und Life Coaches eingesetzt. Die künstliche | |
| Intelligenz lernt aus unserem Leben. | |
| KI wird damit persönlicher. Die Idee: Sprachprogramme sollen näher an uns | |
| heranrücken und so noch häufiger von uns genutzt werden. Weil sie unsere | |
| Erinnerungen, Erfahrungen und Perspektiven teilen. Wolfgang Hoeltgen | |
| trainiert eine KI mit seinem Innersten. Man könnte sagen, er macht sich | |
| unsterblich. Oder: Er lässt sich schon zu Lebzeiten von der KI ersetzen. | |
| Was bewegt Menschen, sich digital zu klonen? Wem soll dieser Klon dienen? | |
| Zögern wir mit dem technischen Fortschritt unseren Tod hinaus? Und wie | |
| verändern unsterbliche KI-Abbilder unser Verständnis für das originale | |
| Leben? | |
| Testfrage an den Bot: Wo kommt dein Schöpfer her? Wieder dauert es drei | |
| Sekunden. Mein Schöpfer stammt aus Bielefeld. Er hat dort seine Kindheit | |
| und Jugend verbracht und ist später nach Hannover gezogen. Er hat eine | |
| lange Karriere in der Technologie- und Ingenieurbranche hinter sich und hat | |
| viele Erfahrungen gesammelt, die er in seine Erinnerungen und Perspektiven | |
| einfließen lässt. Wenn du mehr über seine Erfahrungen erfahren möchtest, | |
| frag einfach! | |
| ## Als realer Opi kann er nicht überall sein | |
| Ein Dienstag im April, vor Hoeltgens Haus parkt ein roter Tesla mit | |
| Anti-Musk-Sticker am Heck: „I bought this before Elon went crazy.“ Die | |
| Haustür öffnet Wolfgang Hoeltgen mit seiner Smartwatch, im Flur dreht ein | |
| Saugroboter seine Runde. Auf einem Monitor im Wohnzimmer öffnet Hoeltgen | |
| seine Mindmap, ein geordnetes Chaos mit zwei Dutzend Themenbereichen und | |
| noch einmal ein paar Hundert Unterpunkten. Nur der Projektname in der Mitte | |
| der Präsentation ist groß genug, um ihn sofort zu erfassen, „Opi-Bot“ ste… | |
| da. | |
| Auf dem Tisch liegt ein Aufnahmegerät in Form und Größe einer Geldkarte. | |
| Hoeltgen zeichnet unser Gespräch auf. Alles Futter für den Bot. Die Idee | |
| für den digitalen Zwilling kam ihm vor ein paar Jahren, als Hoeltgen in | |
| Rente ging. „Mein Sohn sagte einmal, er bedauere es, nie mit seinem | |
| Großvater über den Krieg gesprochen zu haben. Also dachte ich darüber nach, | |
| wie ich als Opa möglichst lange als Gesprächspartner für meine Enkel da | |
| sein könnte.“ | |
| Hoeltgens Vater hatte sein Leben festgehalten, indem er mit viel Mühe | |
| Fotoalben angelegt, Bilder eingeklebt und beschriftet hat. „Da guckt aber | |
| niemand mehr rein“, sagt Hoeltgen. Alle Freunde und Nachbarn hätten Kartons | |
| voller Dias und Filme auf dem Dachboden. Die würden jetzt zwar nach und | |
| nach digitalisiert. „Aber wenn sich deine Enkel nicht zu deinen Lebzeiten | |
| für dich interessieren, werden sie es nach deinem Tod auch nicht tun.“ | |
| Außer, so Hoeltgens Annahme, sie hätten Zugriff auf den Opi-Bot. Der würde | |
| jederzeit und überall verfügbar sein, immer alle passenden Geschichten, | |
| Fotos und Erinnerungsstücke parat haben, sobald mal jemandem einfiele zu | |
| fragen. Er würde mit seinen Enkeln in Dialog treten und selbst Fragen | |
| stellen. „Der Bot würde seine Dialogpartner nicht langweilen, indem er ab- | |
| oder ausschweift. Er könnte wesentliche Gespräche aufbauen.“ | |
| Als realer Opi aus Fleisch und Blut sieht sich Hoeltgen dazu weniger in der | |
| Lage. Die Familie ist in der Welt verstreut, er kann nicht überall sein. | |
| Außerdem sei ihm wichtiger, auf die Interessen und Belange seiner Enkel | |
| einzugehen, als Geschichten aus seinem Leben zu monologisieren. Und das | |
| könne der Bot im Zweifel besser. | |
| ## Es geht um den digitalen Nachlass | |
| Wolfgang Hoeltgen begann seinen digitalen Zwilling zu entwerfen, noch bevor | |
| überhaupt jemand von ChatGPT gehört hatte. Mit KI-gestützten Sprachmodellen | |
| befassten sich nur Geeks wie Wolfgang Hoeltgen. Oder Robert LoCascio. | |
| LoCascio hat das Grundgerüst für den Opi-Bot erfunden. Vor knapp 30 Jahren | |
| entwickelte er zunächst ein Programm, das Unternehmen dabei half, | |
| Kundenanfragen schneller zu beantworten. Nicht per Post, nicht am Telefon, | |
| sondern online. So was gab es vorher noch nicht und revolutionierte den | |
| Markt. Als LoCascio seine Firma verkaufte, war sie ein paar Milliarden | |
| Dollar wert. | |
| Vor einem Jahr gründete LoCascio dann eine neue Firma: Eternos. Auf dieser | |
| Plattform können Menschen digitale Zwillinge erschaffen und sie mit | |
| Erinnerungen füllen. Man spricht einfach seine Stimme auf und chattet mit | |
| dem Bot übers Leben. Schon nach 300 Sätzen soll dieser dann in der Lage | |
| sein, sinnvolle Aussagen über Geschichte und Persönlichkeit des | |
| menschlichen Gegenübers zu treffen. Der Zwilling könnte Antworten geben, | |
| wenn man gerade verhindert ist. Oder tot. | |
| In der sogenannten Digital Afterlife Industrie gibt es inzwischen einige | |
| solcher Anbieter wie Eternos. Sie heißen Seance, GoneNotGone oder | |
| HereAfter. In erster Linie geht es um den digitalen Nachlass. „Erweitere | |
| deinen Einfluss, erhalte dein Vermächtnis“, heißt es auf der Website von | |
| Eternos. Für jeden Menschen zwei Leben: ein analoges, ein digitales. Das | |
| eine endet irgendwann. Das andere bleibt für immer. | |
| „Ich bringe KI von den Firmen zum Menschen“, sagt Rob LoCascio in einem | |
| Videocall aus seinem Auto, Anzug und Frisur sitzen makellos. Für seine | |
| Vision ist der Geschäftsmann ununterbrochen im Silicon Valley unterwegs. | |
| Bis zum nächsten Meeting sind es immer nur fünf Minuten. „Mein Stimm- und | |
| Sprachmodell erstellt Biografien aus den Datensätzen der Nutzer.“ Für einen | |
| digitalen Zwilling, der Fragen so beantwortet wie man selbst, müsse man | |
| nicht viel mehr als 150 Basisfragen beantworten, schon komme das | |
| Sprachmodell verblüffend nah an das Original heran. | |
| „Die Geschichte des Lebens ist einzigartig – und verläuft trotzdem immer | |
| ähnlich“, erklärt der 57-Jährige. „Es ist eine Heldenreise mit großen | |
| Träumen und großen Verlusten, geprägt von Kindheitserinnerungen und den | |
| Beziehungen zu Eltern, Freunden und Partnern.“ Ist das, was uns ausmacht, | |
| so schnell erzählt? Laufen unsere Biografien nach so ähnlichem Schema ab, | |
| dass sie sich immer in dieselben Akte aufteilen lassen? | |
| Frage an den Opi-Bot: Was ist deine schönste Erinnerung? Die Sprachfunktion | |
| des Opi-Bots antwortet mit einer Stimme, die der von Hoeltgen verblüffend | |
| ähnelt: Einer der schönsten Momente in meinem Leben war sicherlich mein 14. | |
| Geburtstag. Ich bekam ein Paar schwarze Halbschuhe und einen Fotoapparat. | |
| Es war ein Tag voller Freude, mit Freunden und Familie, und ich erinnere | |
| mich an eine Filmvorführung. Wenn du mehr über bestimmte Erlebnisse in | |
| meinem Leben erfahren möchtest, frag mich gerne! | |
| ## Sterben, aber nicht so richtig | |
| Die meisten NutzerInnen von Eternos stammen laut LoCascio aus Deutschland. | |
| LoCascio studierte in Heidelberg, seine Frau kommt aus Kiel. Der erste | |
| Eternos-Nutzer war sein Freund Michael Bommer, der wenige Monate vor seinem | |
| Tod einen Chatbot mit seiner Lebensgeschichte füllte. Ein paar Zeitungen | |
| und Fernsehsendungen griffen die Story auf und berichteten darüber, was es | |
| mit den Angehörigen macht, wenn ein geliebter Mensch stirbt – aufgrund | |
| seines digitalen Zwillings aber nicht so richtig. | |
| Wolfgang Hoeltgen wünscht sich, dass sich seine Familie und Freunde schon | |
| zu seinen Lebzeiten mit dem Opi-Bot unterhalten. Er sieht seinen digitalen | |
| Zwilling eher als Begleiter. Seit es Eternos gibt, ist Hoeltgen Superuser, | |
| Beta-Tester. An die 20 Stunden pro Woche füttert er seinen Bot, regelmäßig | |
| spricht er mit dem Team, wie das Programm besser funktionieren könnte. „Es | |
| ist noch weit entfernt von dem, was ich am Ende will. Aber ich kann | |
| immerhin mitgestalten.“ Was Hoeltgen will, geht über die grundsätzliche | |
| Idee von Eternos und dessen normale Nutzeroberfläche hinaus. | |
| „Der Bot muss nicht nur über meine Kindheit, mein Berufsleben oder meine | |
| Reisen Bescheid wissen.“ Allein über die Weltreise mit seiner Frau Brigitte | |
| hat Hoeltgen 500 Seiten Text für den Chatbot geschrieben. „Der Bot muss | |
| auch meine philosophischen Ansichten teilen, meine Gedanken zu Technologie | |
| und Innovation, zu Kultur und Gesellschaft. Wie soll er sonst so sein wie | |
| ich.“ Auf dem Regal hinter ihm stehen Figuren, an der Wand hängen | |
| Schaukästen mit Münzen und Gürtelschnallen, Souvenirs aus Ländern rund um | |
| den Globus. „Was Eternos braucht, ist ein glaubwürdiges HLM“, sagt Hoeltgen | |
| und beginnt aufgeregt auf seinem Stuhl zu wippen. Seine Augen funkeln. | |
| Frage an den Bot: Was ist ein HLM? Ein HLM, oder Human Life Model, ist ein | |
| Konzept, das darauf abzielt, das menschliche Leben in digitaler Form zu | |
| modellieren. Das Ziel eines HLM ist es, ein besseres Verständnis für | |
| menschliches Verhalten zu entwickeln und möglicherweise digitale Zwillinge | |
| zu schaffen, die in der Lage sind, menschliche Eigenschaften und | |
| Erfahrungen zu repräsentieren. Wenn du mehr über HLM oder verwandte | |
| Konzepte erfahren möchtest, lass es mich wissen! | |
| ## Familie, Gesundheit, Seelenfrieden | |
| Der Weg zu einem einwandfreien HLM ist noch weit. Gerade erst ist die KI in | |
| ihrer Evolution bei einem anderen Modell angekommen, dem LLM. Large | |
| Language Models, also große Sprachmodelle, können menschliche Sprache | |
| erfassen und generieren. Sie analysieren Texte und antworten auf Fragen. | |
| Richtig verstehen können LLMs wie GPT von OpenAI, PaLM von Google oder | |
| Llama von Meta deshalb aber nicht. Sie können nur errechnen, welches Wort | |
| statistisch betrachtet auf das nächste folgen müsste. Ihr Sprachverständnis | |
| ist eine Täuschung. Ihr Verständnis von Menschlichkeit ebenso. | |
| „Ich möchte, dass mein HLM menschliche Unterhaltungen führen kann“, sagt | |
| Wolfgang Hoeltgen. Es muss vom Smalltalk über das aktuelle Weltgeschehen zu | |
| Erinnerungen springen können. So unstrukturiert sprechen wir nun einmal.“ | |
| Soll heißen: Wenn jemand mit dem Opi-Bot plaudert, muss das HLM dahinter | |
| zum Beispiel auf bestimmte Schlüsselworte reagieren. „Es sagt dann: Ach, wo | |
| du gerade bei diesem Thema bist, hierzu fällt mir etwas ein, das mir auch | |
| schon einmal passiert ist.“ | |
| Von diesen Erinnerungen des echten Hoeltgen ausgehend dürfte der Bot dann | |
| auch auf Ereignisse eingehen, die nach seinem Tod geschehen werden, auf | |
| Krisen, Kriege und gesellschaftliche Debatten. Sorgen, dass sich der Bot | |
| dabei in Aussagen manövrieren könnte, die nicht mit seinen Ansichten | |
| übereinstimmen, hat Hoeltgen keine. | |
| ## Wie man Menschen eine Stimme gibt | |
| Doch auch schon jetzt soll der Opi-Bot eine schnellere, clevere Version | |
| seiner selbst sein. „Zum einen vergesse ich manchmal Namen und suche nach | |
| den richtigen Worten, das regt mich auf. Mein Gehirn ist eben das eines | |
| 78-Jährigen.“ Zum anderen mache es was mit ihm, sich damit | |
| auseinanderzusetzen, wer er früher war und jetzt ist. Hoeltgen hat beim | |
| IT-Konzern IBM gearbeitet, als man dort noch „jeden Bit per Handschlag | |
| begrüßen konnte“. Er hat mehrere Firmen gegründet. Alles drehte sich um | |
| Höchstleistung im Karrieremodus. Später wurden andere Dinge wichtiger: | |
| Familie, Gesundheit, Seelenfrieden. | |
| Ein Techie ist Hoeltgen aber bis heute geblieben. Die Arbeit am Opi-Bot sei | |
| genau seine Welt. Sollte er einmal nicht mehr sein, macht ihn der Bot | |
| unsterblich. Und bis es soweit ist, verjüngt er ihn. Doch Hoeltgen sagt | |
| auch: „Wenn du das nur für das Ego machst, begehst du einen Fehler.“ Es | |
| gehe ihm auch darum, am technischen Fortschritt mitzuwirken. „Du weißt ja | |
| sowieso nicht, wie deine Enkel über dich denken werden, wenn sie mit deinem | |
| Bot sprechen. An der Zukunft mitzuarbeiten, statt einfach nur der | |
| Beständigkeit zu frönen, ist einfach geil.“ | |
| Kindheit, Familie, Beruf, Freunde, Partnerschaft. Will man unsere | |
| Biografien auf das Einfachste reduzieren, dann reicht eine Handvoll Themen | |
| aus, um die es sich meistens dreht. Auch Karen Jungblut beginnt mit diesen | |
| Kategorien, wenn sie ihre InterviewpartnerInnen nach deren Leben befragt. | |
| „Natürlich kommen noch ein paar weitere Felder hinzu“, sagt sie, „je | |
| nachdem, was wichtig ist für den Menschen, den Nachlass, die Geschichten, | |
| die erhalten bleiben sollen.“ Wie weit die Biografie in die Tiefe geht, sei | |
| dann eine Frage der Zeit, die man sich dafür nimmt. | |
| Karen Jungblut sitzt an einem Märzmorgen in einem Café im Berliner | |
| Nollendorfkiez und schaut ein bisschen müde durch ihre getönten | |
| Brillengläser. Jahrelang hat sie Menschen zu ihrem Leben befragt – | |
| allerdings nicht irgendwelche Menschen. Jungblut arbeitete über 25 Jahre | |
| für die von Regisseur Steven Spielberg Mitte der Neunziger gegründete | |
| [1][Shoa Foundation]. Dort war sie an Interviews mit Überlebenden des | |
| Holocaust beteiligt. Später reiste sie durch die ganze Welt, um auch | |
| Zeitzeugen weiterer Genozide zu treffen. Sie hielt Erinnerungen für immer | |
| fest, die nicht vergessen werden dürfen. Sie weiß, wie man Menschen eine | |
| Stimme gibt – und sie damit ein Stück unsterblich macht. Lange, bevor KI | |
| sprechen lernte. | |
| „Die Authentizität ist wichtig“, erklärt Karen Jungblut, „die Stimme, d… | |
| Gesicht, die Mimik.“ In 56 Ländern hat die Shoa Foundation damals 60.000 | |
| Interviews in den Wohnungen der Überlebenden geführt. Ab 2010 kamen | |
| interaktive Interviews hinzu. Jedes dauerte eine Woche und wurde in einem | |
| Studio mit Dutzenden Kameras aufgezeichnet. „Wir haben mit jeder Person | |
| etwa 15 Stunden lang gesprochen“, erzählt Jungblut. „1.000 offene Fragen | |
| über frühkindliche Erinnerungen und die Familiengeschichte, und dann | |
| natürlich der Schwerpunkt: die Erlebnisse im KZ und wie die Menschen danach | |
| weitergelebt haben.“ | |
| Karen Jungblut hat wichtige Personen, vor allem aber ihre Geschichten | |
| konserviert. Das Ergebnis sind interaktive Videos, über die etwa | |
| Schülerinnen und Schüler mit den Zeitzeugen in eine Art Dialog treten | |
| können. Ein Programm reagiert auf Fragen und sucht den passenden | |
| Originalton aus dem Videoarchiv. Anders als bei Hoeltgens Opi-Bot erfindet | |
| kein KI-unterstütztes Sprachmodell vermeintlich passende Extra-Antworten. | |
| „Die Gespräche waren so wertvoll und wichtig, um die Erinnerungen der | |
| Überlebenden für die Nachwelt zu erhalten“, so Jungblut. „Trotzdem weiß … | |
| nicht, ob wir damit die Jugend von heute erreichen.“ Das bereitet ihr | |
| Sorgen. „Wenn ich sehe, wie die Leute wählen, ausgerechnet hier in | |
| Deutschland …“ Ihr gehen die Worte aus. | |
| ## Muss sich jeder Mensch verewigen? | |
| Die Jugend erreichen, den Nachlass erhalten – dafür haben sowohl Jungblut | |
| als auch Hoeltgen viel Zeit investiert, wenn auch aus unterschiedlichen | |
| Motivationen und mit unterschiedlicher Bedeutsamkeit. Das wirft die Frage | |
| auf: Wer ist es wert, für immer im kollektiven Gedächtnis zu bleiben? Wen | |
| und was müssen wir am Leben halten? | |
| Die Erinnerungen an unsere Geschichte, ganz klar. An die schlimmsten | |
| Verbrechen, keine Frage, auch an die größten Errungenschaften. Aber was ist | |
| mit den scheinbaren Belanglosigkeiten, mit biografischen Kleinigkeiten – | |
| ist das Kultur oder kann das weg? Und wer entscheidet das überhaupt? Nur | |
| wenige Menschen bleiben ein paar folgenden Generationen in Erinnerung; | |
| berühmte Leute, Personen der Zeitgeschichte. Die meisten jedoch werden nach | |
| ihrem Tod irgendwann vergessen. Ist das schlimm? | |
| „Man könnte die Biografie aller Menschen auf der Welt so aufwendig | |
| aufzeichnen, wie wir es getan haben“, sagt Karen Jungblut. „Die | |
| Datenkapazität reicht dafür locker aus. Doch es bleibt die Frage, warum und | |
| für wen wir das tun sollten.“ Von einem eigenen digitalen Zwilling | |
| jedenfalls hält Karen Jungblut nichts. Sie meint, das sollten nur | |
| diejenigen machen, die wirklich etwas Bedeutsames zu erzählen haben. | |
| Nächste Frage an den Opi-Bot: Welche Erfahrungen und Erinnerungen möchtest | |
| du für die Nachwelt erhalten? Ich möchte Werte bewahren, die sich auf | |
| folgende Aspekte konzentrieren: die Wertschätzung für Bildung, Empathie und | |
| Mitgefühl, soziale Verantwortung gegenüber unserer Umwelt, die Bedeutung | |
| von Familie, die Freude an kreativen Ausdrucksformen und die Fähigkeit, aus | |
| Rückschlägen zu lernen. Zu den wichtigen Erinnerungen, die ich bewahren | |
| möchte, gehören Kindheitserinnerungen aus der Nachkriegszeit, die | |
| Freundschaften, die ich geschlossen habe, die Erinnerungen an meine erste | |
| Verliebtheit als Teil des Erwachsenwerdens, der Tag, an dem ich Brigitte | |
| geheiratet habe, die gemeinsamen Erlebnisse mit unseren Kindern und die | |
| Reisen, die wir unternommen haben. Wenn du mehr über spezifische | |
| Erinnerungen oder deren Bedeutung erfahren möchtest, lass es mich wissen! | |
| ## Darauf habe ich keine Antwort | |
| Der Opi-Bot soll nichts vergessen. Er muss immer die richtigen Antworten | |
| parat haben, aus allen Erinnerungen gleichzeitig. Allerdings bringt auch | |
| das Sprachmodell biografische Episoden manchmal durcheinander. „Immer | |
| wieder haut dir der Bot Phrasen um die Ohren, ist furchtbar höflich, prahlt | |
| mit besonderen Leistungen und Errungenschaften“, sagt Hoeltgen. Ein | |
| Programm ganz nach US-amerikanischem Stereotyp. „Man muss ihn schon | |
| zwingen, wahre Ansichten zu teilen, Schwächen zuzugeben oder einfach von | |
| Dingen zu erzählen, die nicht immer nur super sind.“ | |
| Frage an den Opi-Bot: Was hat deiner Frau auf euren Reisen gefallen und was | |
| nicht? Brigitte hat besonders die kulturellen Erlebnisse und die schönen | |
| Landschaften gemocht. Sie hat die Kultur und die freundlichen Menschen sehr | |
| geschätzt. Auch die Abende mit der Musik und Tanz haben ihr viel Freude | |
| bereitet. | |
| Frage an den Opi-Bot: Meinst du nicht auch, Brigitte würde ein bisschen | |
| mehr zu ihren Eindrücken einfallen als diese leeren Phrasen? Darauf habe | |
| ich keine Antwort. Ich werde meinem Schöpfer Bescheid geben, und | |
| hoffentlich kann er mir beibringen, wie ich reagieren sollte (STOPP). | |
| „Zu den kulturellen Eindrücken wäre mir schon etwas mehr eingefallen“, sa… | |
| Brigitte Hoeltgen. „Gerade denke ich an die Märkte mit den für Europäer | |
| unvorstellbaren Speisen: In der Sonne getrocknete Ratten, Schlangen, | |
| Ameisenvölker, aus jedem Lebewesen schien irgendein Gericht zubereitet zu | |
| werden.“ Ihr fallen sofort viele weitere Geschichten ein, von Kindern, die | |
| kreative Spielzeuge basteln, von abenteuerlichen Transportmitteln, von der | |
| überwältigenden Anzahl an Tempeln, die alle bestaunt werden mussten. Von | |
| einer Reise gibt es viel zu erzählen, je nach Situation ist eine Anekdote | |
| bedeutsamer als die andere. Welche das zu welchem Zeitpunkt ist, kann die | |
| KI nicht wissen. | |
| Ein authentischer digitaler Zwilling ist der Opi-Bot auch deshalb noch | |
| nicht. Doch er wird weiter lernen, die Technologie hinter den | |
| Sprachmodellen wird sich verbessern. Wie schnell das gelingt, weiß auch | |
| Wolfgang Hoeltgen nicht. Aber er mag es, bei den Anfängen dabei zu sein. | |
| „Ich habe meinen Bot inzwischen mit einer halben Million Worte trainiert“, | |
| sagt er. „Es fehlen noch 99 Prozent.“ | |
| ## Der Trauerprozess verändert sich | |
| Mal angenommen, im Netz führen künftig Milliarden von digitalen | |
| Personenkopien ihr Eigenleben. Welchen Stellenwert werden sie in der | |
| Gesellschaft einnehmen? Erweitern wir dann das, was uns ausmacht, unsere | |
| Persönlichkeit, unsere Seele – oder vervielfachen wir uns? Wenn sich die | |
| Grenzen zwischen analoger und virtueller Welt verschieben, tut es dann auch | |
| unser Verständnis für Leben und Tod? | |
| „Wenn sich solche Grenzen verschieben, erschwert das zunächst den | |
| Trauerprozess“, sagt Jessica Heesen, Professorin für Medienethik an der Uni | |
| Tübingen. „Manchmal lassen Menschen die verstorbene Person nicht los und | |
| führen dann die Beziehung mit einem Chatbot weiter. Anderen hilft es, sich | |
| durch solche Chats langsam zu verabschieden.“ | |
| Ein anderes Problem sei die Gefahr des Datenmissbrauchs. „Es ist nicht bei | |
| jedem Anbieter solcher Chatbots klar, wo die Rechte der Daten liegen“, so | |
| die Expertin. Wie lange bleiben persönliche Datensätze gespeichert? Können | |
| sie von Dritten ausgelesen werden? Und was passiert, wenn der Anbieter | |
| aufgekauft wird? | |
| „Außerdem verknüpfen manche Programme die persönlichen Informationen der | |
| Nutzer mit öffentlichen Datensätzen.“ Auf diese Weise soll der digitale | |
| Zwilling dann nicht nur das wiedergeben, was er von seinem analogen | |
| Original gelernt hat. Er soll auch auf Infos aus dem Netz zurückgreifen und | |
| auf aktuelle Ereignisse reagieren – so wie das Original es vermeintlich | |
| getan hätte. So wie Wolfgang Hoeltgens Opi-Bot von Eternos also. Und da | |
| wird es schnell dystopisch. „Man stelle sich einen anzeigenfinanzierten | |
| Chatbot vor, der dem Enkel dann zwischendurch mit Opas Stimme Werbung für | |
| Rasierschaum macht.“ | |
| ## Was, wenn der Bot Familiengeheimnisse ausplaudert? | |
| Vergangenes Jahr veröffentlichte Jessica Heesen mit ihren KollegInnen einen | |
| [2][Bericht über Ethik, Recht und Sicherheit des digitalen Weiterlebens]. | |
| „Meine Meinung zu der Industrie ist ein Mix aus privaten Gedanken und dem, | |
| was ich darüber gelernt habe“, sagt sie nach der Forschungsarbeit. | |
| Persönlich könne sie sich nicht vorstellen, einen Verstorbenen digital | |
| weiterleben zu lassen. „Trotzdem ist das ein neuer Teil der Trauerkultur. | |
| Wir leben im digitalen Zeitalter, also gehen wir auch digital mit dem | |
| Sterben und dem Tod um.“ | |
| Deshalb müssten wir uns unbedingt mit dem Datenschutz und den Richtlinien | |
| rund um unsere persönlichen Bots beschäftigen. Es brauche klare Regeln, | |
| bevor sich Trends verselbstständigen. „Sollen die Chatbots wirklich so | |
| reden wie das Original?“, fragt sich Heesen. „Auch, wenn damit zum Beispiel | |
| peinliche Zoten verbreitet würden? Was, wenn der Bot Familiengeheimnisse | |
| ausplaudert? Und braucht er einen Filter, wenn er mit Kindern spricht?“ | |
| Über das digitale Zeitalter und was es den Menschen bringt, diskutieren | |
| Fachleute jedes Jahr in Leipzig. Auf dem Rulebreaker Zukunftskongress haben | |
| sie schon 2018 über die Potentiale der Sprach-KI und den digitalen | |
| Zwillingen gesprochen. Auch sieben Jahre später geht es wieder darum, was | |
| die nahe Zukunft bringt. Es gibt Vorträge darüber, wie sehr die humanoide | |
| Robotik schon im kommenden Jahr die Welt revolutionieren wird, und dass KI | |
| bald mit selbst geschriebenen Molekülen und Enzymen die Pharmaindustrie auf | |
| den Kopf stellt. | |
| Auch Robert LoCascio steht für eine halbe Stunde auf der Bühne. Er ist aus | |
| den Staaten eingeflogen, um dem Publikum die typischen Sorgen vor der KI zu | |
| nehmen: dass sie uns die Jobs und die Identität klaut, während Techfirmen | |
| im Hintergrund die Welt neu ordnen. LoCascio ist davon überzeugt, dass uns | |
| seine sogenannte persönliche künstliche Intelligenz die Technikangst nehmen | |
| wird. „Die KI wird schlauer sein als wir, aber trotzdem so wie wir | |
| antworten, weil unsere Emotionen mit enthalten sind“, sagt er. „Wir | |
| behalten die Kontrolle über die KI, weil die KI uns nichts Böses antun | |
| will. Sie identifiziert sich schließlich mit uns.“ Und dann wird Rob wieder | |
| sehr amerikanisch: „Die KI wird die beste Version unserer selbst sein.“ | |
| ## Der Opi-Bot-Pionier hofft auf eine bessere Welt | |
| LoCascio geht davon aus, dass KI unsere Identität verändern wird, wenn erst | |
| einmal jeder über eine persönliche KI verfügt. „Bis 2035 wird die | |
| überwiegende Mehrheit der Internetnutzer seinen eigenen Assistenten haben“, | |
| sagt er. Die Bots werden dann für uns sprechen, wenn wir keine Lust darauf | |
| haben, in Konferenzen, im Servicebereich, in allen möglichen | |
| Lebensbereichen. Sie werden sich miteinander unterhalten und Tipps geben – | |
| wohin wir am besten reisen, mit wem wir uns dringend vernetzen sollten, | |
| welche Menschen unsere nächsten besten Freunde und Lebensgefährten sein | |
| könnten, weil sich unsere digitalen Zwillinge bereits ausgetauscht und | |
| festgestellt haben: It’s a match. | |
| Auch Wolfgang Hoeltgen ist beim Zukunftskongress dabei, er sitzt im | |
| Publikum. Er sieht den Wandel zur persönlichen KI ähnlich optimistisch: | |
| „Man muss sich einfach mal vorstellen, was mit uns und der Welt geschehen | |
| könnte, wenn alle einen eigenen digitalen Zwilling hätten.“ Der | |
| Opi-Bot-Pionier hofft auf eine bessere Welt. Vor allem aber ist sich | |
| Hoeltgen einer Sache sicher: Wenn technische Entwicklungen möglich sind, | |
| [3][dann setzen sie sich auch durch]. | |
| Sollte der echte Wolfgang mal nicht mehr sein, würde Brigitte Hoeltgen | |
| seinen Bot eher nicht in Anspruch nehmen, sagt sie. „Ich mag zwar, dass | |
| mein Mann so für dieses Projekt brennt. Aber um es richtig nutzen zu | |
| können, müsste das Programm authentischer sein“, sagt sie. Der Wolfgang-Bot | |
| ist nicht Wolfgang genug. Noch nicht. | |
| 21 Jul 2025 | |
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| [2] https://www.sit.fraunhofer.de/fileadmin/dokumente/studien_und_technical_rep… | |
| [3] /Digitalisierung-und-Muendigkeit/!5966844 | |
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| Philipp Brandstädter | |
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