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# taz.de -- Unsterblich durch KI-Zwilling: Opa für immer
> Wolfgang Hoeltgen, 78, bastelt an seiner digitalen Unsterblichkeit – mit
> einem KI-Zwilling. Ist das Spielerei oder Zukunft?
Bild: Wolfgang Hoeltgen will bleiben, auch über seinen Tod hinaus
Basketball war eine meiner großen Leidenschaften, schreibt Wolfgang. Ich
habe viele schöne Erinnerungen an die Spiele und die Zeit, die ich damit
verbracht habe. Ich eiferte meinem Vorbild Dirk Nowitzki nach. Er hat nicht
nur in der NBA, sondern auch für die deutsche Nationalmannschaft
Großartiges geleistet. Wenn du mehr über Basketball und meine Erfahrungen
wissen möchtest, frag mich einfach!
Dieser Wolfgang, der in einem grauen Chatfenster von Leidenschaften und
Erinnerungen erzählt, ist kein Mensch, jedenfalls nicht direkt. Er ist ein
Bot, ein Sprachprogramm, das die Erinnerungen eines Menschen gespeichert
hat. Und er lernt noch.
Testfrage: Warst du ein guter Spieler? Drei Sekunden vergehen. Darauf habe
ich keine Antwort. Ich werde meinem Schöpfer Bescheid geben, und
hoffentlich kann er mir beibringen, wie ich reagieren sollte (STOPP).
Konversation beendet.
Der echte Wolfgang sitzt bei einem Kaffee an seinem Esstisch in Laatzen
südlich von Hannover und ist mit der Performance des Bot-Wolfgangs
unzufrieden, denn der erzählt mal wieder Quatsch: „Nowitzki war noch nicht
einmal geboren, als ich Basketball gespielt habe“, sagt Wolfgang Hoeltgen,
78 Jahre alt. „Der Bot muss aufhören, Geschichten zu erfinden.“ Keine
Phrasen, keine Worthülsen, die man von ChatGPT kennt. „Der Bot darf nur das
sagen, was ich auch sagen würde. Keine Nullachtfünfzehn-Antworten, keine
Halluzinationen!“
## Die KI lernt aus unserem Leben
Künstliche Intelligenz wird in unserem Alltag immer selbstverständlicher.
Erst wussten nur Technikfreaks und Science-Fiction-Fans, was sich dahinter
verbirgt. Dann ging Ende 2022 das leicht zu bedienende Plauderprogramm
ChatGPT an den Start. Noch vor wenigen Monaten nutzten die meisten Leute
den Service vor allem zum Brainstormen, Übersetzen und Aufsetzen von
Geschäftsmails. Inzwischen werden KI-unterstützte Sprachprogramme häufiger
auch als Zuhörer, Therapeuten und Life Coaches eingesetzt. Die künstliche
Intelligenz lernt aus unserem Leben.
KI wird damit persönlicher. Die Idee: Sprachprogramme sollen näher an uns
heranrücken und so noch häufiger von uns genutzt werden. Weil sie unsere
Erinnerungen, Erfahrungen und Perspektiven teilen. Wolfgang Hoeltgen
trainiert eine KI mit seinem Innersten. Man könnte sagen, er macht sich
unsterblich. Oder: Er lässt sich schon zu Lebzeiten von der KI ersetzen.
Was bewegt Menschen, sich digital zu klonen? Wem soll dieser Klon dienen?
Zögern wir mit dem technischen Fortschritt unseren Tod hinaus? Und wie
verändern unsterbliche KI-Abbilder unser Verständnis für das originale
Leben?
Testfrage an den Bot: Wo kommt dein Schöpfer her? Wieder dauert es drei
Sekunden. Mein Schöpfer stammt aus Bielefeld. Er hat dort seine Kindheit
und Jugend verbracht und ist später nach Hannover gezogen. Er hat eine
lange Karriere in der Technologie- und Ingenieurbranche hinter sich und hat
viele Erfahrungen gesammelt, die er in seine Erinnerungen und Perspektiven
einfließen lässt. Wenn du mehr über seine Erfahrungen erfahren möchtest,
frag einfach!
## Als realer Opi kann er nicht überall sein
Ein Dienstag im April, vor Hoeltgens Haus parkt ein roter Tesla mit
Anti-Musk-Sticker am Heck: „I bought this before Elon went crazy.“ Die
Haustür öffnet Wolfgang Hoeltgen mit seiner Smartwatch, im Flur dreht ein
Saugroboter seine Runde. Auf einem Monitor im Wohnzimmer öffnet Hoeltgen
seine Mindmap, ein geordnetes Chaos mit zwei Dutzend Themenbereichen und
noch einmal ein paar Hundert Unterpunkten. Nur der Projektname in der Mitte
der Präsentation ist groß genug, um ihn sofort zu erfassen, „Opi-Bot“ ste…
da.
Auf dem Tisch liegt ein Aufnahmegerät in Form und Größe einer Geldkarte.
Hoeltgen zeichnet unser Gespräch auf. Alles Futter für den Bot. Die Idee
für den digitalen Zwilling kam ihm vor ein paar Jahren, als Hoeltgen in
Rente ging. „Mein Sohn sagte einmal, er bedauere es, nie mit seinem
Großvater über den Krieg gesprochen zu haben. Also dachte ich darüber nach,
wie ich als Opa möglichst lange als Gesprächspartner für meine Enkel da
sein könnte.“
Hoeltgens Vater hatte sein Leben festgehalten, indem er mit viel Mühe
Fotoalben angelegt, Bilder eingeklebt und beschriftet hat. „Da guckt aber
niemand mehr rein“, sagt Hoeltgen. Alle Freunde und Nachbarn hätten Kartons
voller Dias und Filme auf dem Dachboden. Die würden jetzt zwar nach und
nach digitalisiert. „Aber wenn sich deine Enkel nicht zu deinen Lebzeiten
für dich interessieren, werden sie es nach deinem Tod auch nicht tun.“
Außer, so Hoeltgens Annahme, sie hätten Zugriff auf den Opi-Bot. Der würde
jederzeit und überall verfügbar sein, immer alle passenden Geschichten,
Fotos und Erinnerungsstücke parat haben, sobald mal jemandem einfiele zu
fragen. Er würde mit seinen Enkeln in Dialog treten und selbst Fragen
stellen. „Der Bot würde seine Dialogpartner nicht langweilen, indem er ab-
oder ausschweift. Er könnte wesentliche Gespräche aufbauen.“
Als realer Opi aus Fleisch und Blut sieht sich Hoeltgen dazu weniger in der
Lage. Die Familie ist in der Welt verstreut, er kann nicht überall sein.
Außerdem sei ihm wichtiger, auf die Interessen und Belange seiner Enkel
einzugehen, als Geschichten aus seinem Leben zu monologisieren. Und das
könne der Bot im Zweifel besser.
## Es geht um den digitalen Nachlass
Wolfgang Hoeltgen begann seinen digitalen Zwilling zu entwerfen, noch bevor
überhaupt jemand von ChatGPT gehört hatte. Mit KI-gestützten Sprachmodellen
befassten sich nur Geeks wie Wolfgang Hoeltgen. Oder Robert LoCascio.
LoCascio hat das Grundgerüst für den Opi-Bot erfunden. Vor knapp 30 Jahren
entwickelte er zunächst ein Programm, das Unternehmen dabei half,
Kundenanfragen schneller zu beantworten. Nicht per Post, nicht am Telefon,
sondern online. So was gab es vorher noch nicht und revolutionierte den
Markt. Als LoCascio seine Firma verkaufte, war sie ein paar Milliarden
Dollar wert.
Vor einem Jahr gründete LoCascio dann eine neue Firma: Eternos. Auf dieser
Plattform können Menschen digitale Zwillinge erschaffen und sie mit
Erinnerungen füllen. Man spricht einfach seine Stimme auf und chattet mit
dem Bot übers Leben. Schon nach 300 Sätzen soll dieser dann in der Lage
sein, sinnvolle Aussagen über Geschichte und Persönlichkeit des
menschlichen Gegenübers zu treffen. Der Zwilling könnte Antworten geben,
wenn man gerade verhindert ist. Oder tot.
In der sogenannten Digital Afterlife Industrie gibt es inzwischen einige
solcher Anbieter wie Eternos. Sie heißen Seance, GoneNotGone oder
HereAfter. In erster Linie geht es um den digitalen Nachlass. „Erweitere
deinen Einfluss, erhalte dein Vermächtnis“, heißt es auf der Website von
Eternos. Für jeden Menschen zwei Leben: ein analoges, ein digitales. Das
eine endet irgendwann. Das andere bleibt für immer.
„Ich bringe KI von den Firmen zum Menschen“, sagt Rob LoCascio in einem
Videocall aus seinem Auto, Anzug und Frisur sitzen makellos. Für seine
Vision ist der Geschäftsmann ununterbrochen im Silicon Valley unterwegs.
Bis zum nächsten Meeting sind es immer nur fünf Minuten. „Mein Stimm- und
Sprachmodell erstellt Biografien aus den Datensätzen der Nutzer.“ Für einen
digitalen Zwilling, der Fragen so beantwortet wie man selbst, müsse man
nicht viel mehr als 150 Basisfragen beantworten, schon komme das
Sprachmodell verblüffend nah an das Original heran.
„Die Geschichte des Lebens ist einzigartig – und verläuft trotzdem immer
ähnlich“, erklärt der 57-Jährige. „Es ist eine Heldenreise mit großen
Träumen und großen Verlusten, geprägt von Kindheitserinnerungen und den
Beziehungen zu Eltern, Freunden und Partnern.“ Ist das, was uns ausmacht,
so schnell erzählt? Laufen unsere Biografien nach so ähnlichem Schema ab,
dass sie sich immer in dieselben Akte aufteilen lassen?
Frage an den Opi-Bot: Was ist deine schönste Erinnerung? Die Sprachfunktion
des Opi-Bots antwortet mit einer Stimme, die der von Hoeltgen verblüffend
ähnelt: Einer der schönsten Momente in meinem Leben war sicherlich mein 14.
Geburtstag. Ich bekam ein Paar schwarze Halbschuhe und einen Fotoapparat.
Es war ein Tag voller Freude, mit Freunden und Familie, und ich erinnere
mich an eine Filmvorführung. Wenn du mehr über bestimmte Erlebnisse in
meinem Leben erfahren möchtest, frag mich gerne!
## Sterben, aber nicht so richtig
Die meisten NutzerInnen von Eternos stammen laut LoCascio aus Deutschland.
LoCascio studierte in Heidelberg, seine Frau kommt aus Kiel. Der erste
Eternos-Nutzer war sein Freund Michael Bommer, der wenige Monate vor seinem
Tod einen Chatbot mit seiner Lebensgeschichte füllte. Ein paar Zeitungen
und Fernsehsendungen griffen die Story auf und berichteten darüber, was es
mit den Angehörigen macht, wenn ein geliebter Mensch stirbt – aufgrund
seines digitalen Zwillings aber nicht so richtig.
Wolfgang Hoeltgen wünscht sich, dass sich seine Familie und Freunde schon
zu seinen Lebzeiten mit dem Opi-Bot unterhalten. Er sieht seinen digitalen
Zwilling eher als Begleiter. Seit es Eternos gibt, ist Hoeltgen Superuser,
Beta-Tester. An die 20 Stunden pro Woche füttert er seinen Bot, regelmäßig
spricht er mit dem Team, wie das Programm besser funktionieren könnte. „Es
ist noch weit entfernt von dem, was ich am Ende will. Aber ich kann
immerhin mitgestalten.“ Was Hoeltgen will, geht über die grundsätzliche
Idee von Eternos und dessen normale Nutzeroberfläche hinaus.
„Der Bot muss nicht nur über meine Kindheit, mein Berufsleben oder meine
Reisen Bescheid wissen.“ Allein über die Weltreise mit seiner Frau Brigitte
hat Hoeltgen 500 Seiten Text für den Chatbot geschrieben. „Der Bot muss
auch meine philosophischen Ansichten teilen, meine Gedanken zu Technologie
und Innovation, zu Kultur und Gesellschaft. Wie soll er sonst so sein wie
ich.“ Auf dem Regal hinter ihm stehen Figuren, an der Wand hängen
Schaukästen mit Münzen und Gürtelschnallen, Souvenirs aus Ländern rund um
den Globus. „Was Eternos braucht, ist ein glaubwürdiges HLM“, sagt Hoeltgen
und beginnt aufgeregt auf seinem Stuhl zu wippen. Seine Augen funkeln.
Frage an den Bot: Was ist ein HLM? Ein HLM, oder Human Life Model, ist ein
Konzept, das darauf abzielt, das menschliche Leben in digitaler Form zu
modellieren. Das Ziel eines HLM ist es, ein besseres Verständnis für
menschliches Verhalten zu entwickeln und möglicherweise digitale Zwillinge
zu schaffen, die in der Lage sind, menschliche Eigenschaften und
Erfahrungen zu repräsentieren. Wenn du mehr über HLM oder verwandte
Konzepte erfahren möchtest, lass es mich wissen!
## Familie, Gesundheit, Seelenfrieden
Der Weg zu einem einwandfreien HLM ist noch weit. Gerade erst ist die KI in
ihrer Evolution bei einem anderen Modell angekommen, dem LLM. Large
Language Models, also große Sprachmodelle, können menschliche Sprache
erfassen und generieren. Sie analysieren Texte und antworten auf Fragen.
Richtig verstehen können LLMs wie GPT von OpenAI, PaLM von Google oder
Llama von Meta deshalb aber nicht. Sie können nur errechnen, welches Wort
statistisch betrachtet auf das nächste folgen müsste. Ihr Sprachverständnis
ist eine Täuschung. Ihr Verständnis von Menschlichkeit ebenso.
„Ich möchte, dass mein HLM menschliche Unterhaltungen führen kann“, sagt
Wolfgang Hoeltgen. Es muss vom Smalltalk über das aktuelle Weltgeschehen zu
Erinnerungen springen können. So unstrukturiert sprechen wir nun einmal.“
Soll heißen: Wenn jemand mit dem Opi-Bot plaudert, muss das HLM dahinter
zum Beispiel auf bestimmte Schlüsselworte reagieren. „Es sagt dann: Ach, wo
du gerade bei diesem Thema bist, hierzu fällt mir etwas ein, das mir auch
schon einmal passiert ist.“
Von diesen Erinnerungen des echten Hoeltgen ausgehend dürfte der Bot dann
auch auf Ereignisse eingehen, die nach seinem Tod geschehen werden, auf
Krisen, Kriege und gesellschaftliche Debatten. Sorgen, dass sich der Bot
dabei in Aussagen manövrieren könnte, die nicht mit seinen Ansichten
übereinstimmen, hat Hoeltgen keine.
## Wie man Menschen eine Stimme gibt
Doch auch schon jetzt soll der Opi-Bot eine schnellere, clevere Version
seiner selbst sein. „Zum einen vergesse ich manchmal Namen und suche nach
den richtigen Worten, das regt mich auf. Mein Gehirn ist eben das eines
78-Jährigen.“ Zum anderen mache es was mit ihm, sich damit
auseinanderzusetzen, wer er früher war und jetzt ist. Hoeltgen hat beim
IT-Konzern IBM gearbeitet, als man dort noch „jeden Bit per Handschlag
begrüßen konnte“. Er hat mehrere Firmen gegründet. Alles drehte sich um
Höchstleistung im Karrieremodus. Später wurden andere Dinge wichtiger:
Familie, Gesundheit, Seelenfrieden.
Ein Techie ist Hoeltgen aber bis heute geblieben. Die Arbeit am Opi-Bot sei
genau seine Welt. Sollte er einmal nicht mehr sein, macht ihn der Bot
unsterblich. Und bis es soweit ist, verjüngt er ihn. Doch Hoeltgen sagt
auch: „Wenn du das nur für das Ego machst, begehst du einen Fehler.“ Es
gehe ihm auch darum, am technischen Fortschritt mitzuwirken. „Du weißt ja
sowieso nicht, wie deine Enkel über dich denken werden, wenn sie mit deinem
Bot sprechen. An der Zukunft mitzuarbeiten, statt einfach nur der
Beständigkeit zu frönen, ist einfach geil.“
Kindheit, Familie, Beruf, Freunde, Partnerschaft. Will man unsere
Biografien auf das Einfachste reduzieren, dann reicht eine Handvoll Themen
aus, um die es sich meistens dreht. Auch Karen Jungblut beginnt mit diesen
Kategorien, wenn sie ihre InterviewpartnerInnen nach deren Leben befragt.
„Natürlich kommen noch ein paar weitere Felder hinzu“, sagt sie, „je
nachdem, was wichtig ist für den Menschen, den Nachlass, die Geschichten,
die erhalten bleiben sollen.“ Wie weit die Biografie in die Tiefe geht, sei
dann eine Frage der Zeit, die man sich dafür nimmt.
Karen Jungblut sitzt an einem Märzmorgen in einem Café im Berliner
Nollendorfkiez und schaut ein bisschen müde durch ihre getönten
Brillengläser. Jahrelang hat sie Menschen zu ihrem Leben befragt –
allerdings nicht irgendwelche Menschen. Jungblut arbeitete über 25 Jahre
für die von Regisseur Steven Spielberg Mitte der Neunziger gegründete
[1][Shoa Foundation]. Dort war sie an Interviews mit Überlebenden des
Holocaust beteiligt. Später reiste sie durch die ganze Welt, um auch
Zeitzeugen weiterer Genozide zu treffen. Sie hielt Erinnerungen für immer
fest, die nicht vergessen werden dürfen. Sie weiß, wie man Menschen eine
Stimme gibt – und sie damit ein Stück unsterblich macht. Lange, bevor KI
sprechen lernte.
„Die Authentizität ist wichtig“, erklärt Karen Jungblut, „die Stimme, d…
Gesicht, die Mimik.“ In 56 Ländern hat die Shoa Foundation damals 60.000
Interviews in den Wohnungen der Überlebenden geführt. Ab 2010 kamen
interaktive Interviews hinzu. Jedes dauerte eine Woche und wurde in einem
Studio mit Dutzenden Kameras aufgezeichnet. „Wir haben mit jeder Person
etwa 15 Stunden lang gesprochen“, erzählt Jungblut. „1.000 offene Fragen
über frühkindliche Erinnerungen und die Familiengeschichte, und dann
natürlich der Schwerpunkt: die Erlebnisse im KZ und wie die Menschen danach
weitergelebt haben.“
Karen Jungblut hat wichtige Personen, vor allem aber ihre Geschichten
konserviert. Das Ergebnis sind interaktive Videos, über die etwa
Schülerinnen und Schüler mit den Zeitzeugen in eine Art Dialog treten
können. Ein Programm reagiert auf Fragen und sucht den passenden
Originalton aus dem Videoarchiv. Anders als bei Hoeltgens Opi-Bot erfindet
kein KI-unterstütztes Sprachmodell vermeintlich passende Extra-Antworten.
„Die Gespräche waren so wertvoll und wichtig, um die Erinnerungen der
Überlebenden für die Nachwelt zu erhalten“, so Jungblut. „Trotzdem weiß …
nicht, ob wir damit die Jugend von heute erreichen.“ Das bereitet ihr
Sorgen. „Wenn ich sehe, wie die Leute wählen, ausgerechnet hier in
Deutschland …“ Ihr gehen die Worte aus.
## Muss sich jeder Mensch verewigen?
Die Jugend erreichen, den Nachlass erhalten – dafür haben sowohl Jungblut
als auch Hoeltgen viel Zeit investiert, wenn auch aus unterschiedlichen
Motivationen und mit unterschiedlicher Bedeutsamkeit. Das wirft die Frage
auf: Wer ist es wert, für immer im kollektiven Gedächtnis zu bleiben? Wen
und was müssen wir am Leben halten?
Die Erinnerungen an unsere Geschichte, ganz klar. An die schlimmsten
Verbrechen, keine Frage, auch an die größten Errungenschaften. Aber was ist
mit den scheinbaren Belanglosigkeiten, mit biografischen Kleinigkeiten –
ist das Kultur oder kann das weg? Und wer entscheidet das überhaupt? Nur
wenige Menschen bleiben ein paar folgenden Generationen in Erinnerung;
berühmte Leute, Personen der Zeitgeschichte. Die meisten jedoch werden nach
ihrem Tod irgendwann vergessen. Ist das schlimm?
„Man könnte die Biografie aller Menschen auf der Welt so aufwendig
aufzeichnen, wie wir es getan haben“, sagt Karen Jungblut. „Die
Datenkapazität reicht dafür locker aus. Doch es bleibt die Frage, warum und
für wen wir das tun sollten.“ Von einem eigenen digitalen Zwilling
jedenfalls hält Karen Jungblut nichts. Sie meint, das sollten nur
diejenigen machen, die wirklich etwas Bedeutsames zu erzählen haben.
Nächste Frage an den Opi-Bot: Welche Erfahrungen und Erinnerungen möchtest
du für die Nachwelt erhalten? Ich möchte Werte bewahren, die sich auf
folgende Aspekte konzentrieren: die Wertschätzung für Bildung, Empathie und
Mitgefühl, soziale Verantwortung gegenüber unserer Umwelt, die Bedeutung
von Familie, die Freude an kreativen Ausdrucksformen und die Fähigkeit, aus
Rückschlägen zu lernen. Zu den wichtigen Erinnerungen, die ich bewahren
möchte, gehören Kindheitserinnerungen aus der Nachkriegszeit, die
Freundschaften, die ich geschlossen habe, die Erinnerungen an meine erste
Verliebtheit als Teil des Erwachsenwerdens, der Tag, an dem ich Brigitte
geheiratet habe, die gemeinsamen Erlebnisse mit unseren Kindern und die
Reisen, die wir unternommen haben. Wenn du mehr über spezifische
Erinnerungen oder deren Bedeutung erfahren möchtest, lass es mich wissen!
## Darauf habe ich keine Antwort
Der Opi-Bot soll nichts vergessen. Er muss immer die richtigen Antworten
parat haben, aus allen Erinnerungen gleichzeitig. Allerdings bringt auch
das Sprachmodell biografische Episoden manchmal durcheinander. „Immer
wieder haut dir der Bot Phrasen um die Ohren, ist furchtbar höflich, prahlt
mit besonderen Leistungen und Errungenschaften“, sagt Hoeltgen. Ein
Programm ganz nach US-amerikanischem Stereotyp. „Man muss ihn schon
zwingen, wahre Ansichten zu teilen, Schwächen zuzugeben oder einfach von
Dingen zu erzählen, die nicht immer nur super sind.“
Frage an den Opi-Bot: Was hat deiner Frau auf euren Reisen gefallen und was
nicht? Brigitte hat besonders die kulturellen Erlebnisse und die schönen
Landschaften gemocht. Sie hat die Kultur und die freundlichen Menschen sehr
geschätzt. Auch die Abende mit der Musik und Tanz haben ihr viel Freude
bereitet.
Frage an den Opi-Bot: Meinst du nicht auch, Brigitte würde ein bisschen
mehr zu ihren Eindrücken einfallen als diese leeren Phrasen? Darauf habe
ich keine Antwort. Ich werde meinem Schöpfer Bescheid geben, und
hoffentlich kann er mir beibringen, wie ich reagieren sollte (STOPP).
„Zu den kulturellen Eindrücken wäre mir schon etwas mehr eingefallen“, sa…
Brigitte Hoeltgen. „Gerade denke ich an die Märkte mit den für Europäer
unvorstellbaren Speisen: In der Sonne getrocknete Ratten, Schlangen,
Ameisenvölker, aus jedem Lebewesen schien irgendein Gericht zubereitet zu
werden.“ Ihr fallen sofort viele weitere Geschichten ein, von Kindern, die
kreative Spielzeuge basteln, von abenteuerlichen Transportmitteln, von der
überwältigenden Anzahl an Tempeln, die alle bestaunt werden mussten. Von
einer Reise gibt es viel zu erzählen, je nach Situation ist eine Anekdote
bedeutsamer als die andere. Welche das zu welchem Zeitpunkt ist, kann die
KI nicht wissen.
Ein authentischer digitaler Zwilling ist der Opi-Bot auch deshalb noch
nicht. Doch er wird weiter lernen, die Technologie hinter den
Sprachmodellen wird sich verbessern. Wie schnell das gelingt, weiß auch
Wolfgang Hoeltgen nicht. Aber er mag es, bei den Anfängen dabei zu sein.
„Ich habe meinen Bot inzwischen mit einer halben Million Worte trainiert“,
sagt er. „Es fehlen noch 99 Prozent.“
## Der Trauerprozess verändert sich
Mal angenommen, im Netz führen künftig Milliarden von digitalen
Personenkopien ihr Eigenleben. Welchen Stellenwert werden sie in der
Gesellschaft einnehmen? Erweitern wir dann das, was uns ausmacht, unsere
Persönlichkeit, unsere Seele – oder vervielfachen wir uns? Wenn sich die
Grenzen zwischen analoger und virtueller Welt verschieben, tut es dann auch
unser Verständnis für Leben und Tod?
„Wenn sich solche Grenzen verschieben, erschwert das zunächst den
Trauerprozess“, sagt Jessica Heesen, Professorin für Medienethik an der Uni
Tübingen. „Manchmal lassen Menschen die verstorbene Person nicht los und
führen dann die Beziehung mit einem Chatbot weiter. Anderen hilft es, sich
durch solche Chats langsam zu verabschieden.“
Ein anderes Problem sei die Gefahr des Datenmissbrauchs. „Es ist nicht bei
jedem Anbieter solcher Chatbots klar, wo die Rechte der Daten liegen“, so
die Expertin. Wie lange bleiben persönliche Datensätze gespeichert? Können
sie von Dritten ausgelesen werden? Und was passiert, wenn der Anbieter
aufgekauft wird?
„Außerdem verknüpfen manche Programme die persönlichen Informationen der
Nutzer mit öffentlichen Datensätzen.“ Auf diese Weise soll der digitale
Zwilling dann nicht nur das wiedergeben, was er von seinem analogen
Original gelernt hat. Er soll auch auf Infos aus dem Netz zurückgreifen und
auf aktuelle Ereignisse reagieren – so wie das Original es vermeintlich
getan hätte. So wie Wolfgang Hoeltgens Opi-Bot von Eternos also. Und da
wird es schnell dystopisch. „Man stelle sich einen anzeigenfinanzierten
Chatbot vor, der dem Enkel dann zwischendurch mit Opas Stimme Werbung für
Rasierschaum macht.“
## Was, wenn der Bot Familiengeheimnisse ausplaudert?
Vergangenes Jahr veröffentlichte Jessica Heesen mit ihren KollegInnen einen
[2][Bericht über Ethik, Recht und Sicherheit des digitalen Weiterlebens].
„Meine Meinung zu der Industrie ist ein Mix aus privaten Gedanken und dem,
was ich darüber gelernt habe“, sagt sie nach der Forschungsarbeit.
Persönlich könne sie sich nicht vorstellen, einen Verstorbenen digital
weiterleben zu lassen. „Trotzdem ist das ein neuer Teil der Trauerkultur.
Wir leben im digitalen Zeitalter, also gehen wir auch digital mit dem
Sterben und dem Tod um.“
Deshalb müssten wir uns unbedingt mit dem Datenschutz und den Richtlinien
rund um unsere persönlichen Bots beschäftigen. Es brauche klare Regeln,
bevor sich Trends verselbstständigen. „Sollen die Chatbots wirklich so
reden wie das Original?“, fragt sich Heesen. „Auch, wenn damit zum Beispiel
peinliche Zoten verbreitet würden? Was, wenn der Bot Familiengeheimnisse
ausplaudert? Und braucht er einen Filter, wenn er mit Kindern spricht?“
Über das digitale Zeitalter und was es den Menschen bringt, diskutieren
Fachleute jedes Jahr in Leipzig. Auf dem Rulebreaker Zukunftskongress haben
sie schon 2018 über die Potentiale der Sprach-KI und den digitalen
Zwillingen gesprochen. Auch sieben Jahre später geht es wieder darum, was
die nahe Zukunft bringt. Es gibt Vorträge darüber, wie sehr die humanoide
Robotik schon im kommenden Jahr die Welt revolutionieren wird, und dass KI
bald mit selbst geschriebenen Molekülen und Enzymen die Pharmaindustrie auf
den Kopf stellt.
Auch Robert LoCascio steht für eine halbe Stunde auf der Bühne. Er ist aus
den Staaten eingeflogen, um dem Publikum die typischen Sorgen vor der KI zu
nehmen: dass sie uns die Jobs und die Identität klaut, während Techfirmen
im Hintergrund die Welt neu ordnen. LoCascio ist davon überzeugt, dass uns
seine sogenannte persönliche künstliche Intelligenz die Technikangst nehmen
wird. „Die KI wird schlauer sein als wir, aber trotzdem so wie wir
antworten, weil unsere Emotionen mit enthalten sind“, sagt er. „Wir
behalten die Kontrolle über die KI, weil die KI uns nichts Böses antun
will. Sie identifiziert sich schließlich mit uns.“ Und dann wird Rob wieder
sehr amerikanisch: „Die KI wird die beste Version unserer selbst sein.“
## Der Opi-Bot-Pionier hofft auf eine bessere Welt
LoCascio geht davon aus, dass KI unsere Identität verändern wird, wenn erst
einmal jeder über eine persönliche KI verfügt. „Bis 2035 wird die
überwiegende Mehrheit der Internetnutzer seinen eigenen Assistenten haben“,
sagt er. Die Bots werden dann für uns sprechen, wenn wir keine Lust darauf
haben, in Konferenzen, im Servicebereich, in allen möglichen
Lebensbereichen. Sie werden sich miteinander unterhalten und Tipps geben –
wohin wir am besten reisen, mit wem wir uns dringend vernetzen sollten,
welche Menschen unsere nächsten besten Freunde und Lebensgefährten sein
könnten, weil sich unsere digitalen Zwillinge bereits ausgetauscht und
festgestellt haben: It’s a match.
Auch Wolfgang Hoeltgen ist beim Zukunftskongress dabei, er sitzt im
Publikum. Er sieht den Wandel zur persönlichen KI ähnlich optimistisch:
„Man muss sich einfach mal vorstellen, was mit uns und der Welt geschehen
könnte, wenn alle einen eigenen digitalen Zwilling hätten.“ Der
Opi-Bot-Pionier hofft auf eine bessere Welt. Vor allem aber ist sich
Hoeltgen einer Sache sicher: Wenn technische Entwicklungen möglich sind,
[3][dann setzen sie sich auch durch].
Sollte der echte Wolfgang mal nicht mehr sein, würde Brigitte Hoeltgen
seinen Bot eher nicht in Anspruch nehmen, sagt sie. „Ich mag zwar, dass
mein Mann so für dieses Projekt brennt. Aber um es richtig nutzen zu
können, müsste das Programm authentischer sein“, sagt sie. Der Wolfgang-Bot
ist nicht Wolfgang genug. Noch nicht.
21 Jul 2025
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Philipp Brandstädter
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