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# taz.de -- EU-Gipfel zur Flüchtlingspolitik: Auf einer Plattform im Nirgendwo
> Die Beschlüsse des EU-Gipfels bestehen überwiegend aus Wunschdenken. Für
> die Rettung der Regierungskoalition werden bilaterale Abkommen wichtig.
Bild: Diese Flüchtlinge kamen im April heil in Malaga an, doch die EU will mau…
„Ausschiffungsplattformen“ Nordafrika
Das ist der umstrittenste und wolkigste Punkt der [1][Gipfel-Erklärung].
Die Regierungschefs wollen, dass ein Konzept „regionaler
Ausschiffungsplattformen“ „ausgelotet“ wird. Darunter werden Einrichtungen
in Nordafrika verstanden, in die Flüchtlinge gebracht werden, die auf
seeuntüchtigen Booten im Mittelmeer gerettet wurden. „Ausschiffen“
bedeutet: vom Schiff an Land gehen. Bisher wurden solche Flüchtlinge vor
allem nach Italien und Malta gebracht. Das wollen diese Staaten aber
künftig verhindern. Die Lager sollen gemeinsam mit dem UN-Flüchtlingswerk
UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) betrieben
werden.
Die Regierungschefs betonen, dass es für Flüchtlinge keinen Anreiz mehr
geben soll, die gefährliche Reise übers Mittelmeer zu wagen. Auch soll das
Geschäft der Schlepper zerschlagen werden. Das wäre aber nur dann der Fall,
wenn jeder der eine solche „Plattform“ erreicht, dort einen Asylantrag für
Europa stellen kann und dieser Antrag dort nach europäischen Standards
geprüft wird – und im Erfolgsfall die Einreise nach Europa erfolgen kann.
Das ist aber wohl nicht vorgesehen, weil es einen großen Anreiz gäbe sich
zu solchen Plattformen aufzumachen, die man dann ja ohne gefährliche
Überfahrt erreichen könnte. Im Gipfeldokument heißt es ausdrücklich, man
wolle „vermeiden, dass eine Sogwirkung entsteht“.
In den Plattformen soll auch nicht EU-Recht, sondern nur internationales
Recht gelten. Gemeint ist wohl die Genfer Flüchtlingskonvention, die nur
eine Rückschiebung in den Verfolger-Staat verbietet. Es würden also große
Flüchtlingslager entstehen, bei denen die EU-Staaten freiwillig
gelegentlich Kontingente von anerkannten Schutzbedürftigen zur Einreise
auswählen können.
Pro Asyl weist darauf hin, dass schon die kollektive Zurückweisung von
Flüchtlingen nach Nordafrika rechtlich unzulässig ist. Nach einem Urteil
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Jahr 2012 können
Flüchtlingen, die auf europäischen Schiffen Schutz gefunden haben, nicht
ohne Prüfung ihres Einzelfalls nach Nordafrika gebracht werden.
Die praktisch größte Hürde ist aber, dass bisher kein einziges Land in
Nordafrika bereit ist, solche Lager auf seinem Gebiet einzurichten oder zu
dulden. Deshalb ist dieser hoch umstrittene Punkt derzeit kaum mehr als ein
Gedankenspiel.
„Kontrollierte Zentren“ in Europa
Weil also Ausschiffungsplattformen in Nordafrika bis auf weiteres
unrealistisch sind, heißt es im nächsten Punkt der Gipfel-Erklärung, dass
Flüchtlinge, die im Mittelmeer gerettet werden, zu „kontrollierten Zentren“
auf EU-Boden gebracht werden sollen. Dort soll geprüft werden, welche
Personen Anspruch auf europäischen Schutz haben und wer wieder
„zurückgeführt“ werden soll. Die EU will solche Zentren finanziell und
organisatorisch unterstützen.
Diese Einrichtungen sollen freiwillig sein. Bisher ist aber kein Land
bekannt, dass ein derartiges Zentrum einrichten will. Merkel erwähnte in
ihrer Pressekonferenz, dass auch Italien bisher kein „kontrolliertes
Zentrum“ einrichten will.
Auch die Übernahme von anerkannten Flüchtlingen aus diesen Zentren soll
freiwillig sein. Merkel betonte, dass Deutschland grundsätzlich „offen“
sei, Flüchtlinge aus Italien aufzunehmen, es habe aber noch keine konkreten
Absprachen gegeben. Die Freiwilligkeit der Aufnahme gelte auch nur für die
kontrollierten Zentren. In der geplanten Dublin-IV-Verordnung will
Deutschland weiterhin erreichen, dass alle EU-Staaten Flüchtlinge
übernehmen.
Die Idee solcher „kontrollierter Zentren“ ähnelt den sogenannten „Hot
Spots“, die die Europäische Union schon seit 2015 in Italien und
Griechenland betreibt. Angela Merkel sagte, sie stelle sich die „Hot Spots“
ähnlich vor, wie von Horst Seehofers Innenministerium konzipierten
deutschen Ankerzentren in Manching und Bamberg. Flüchtlinge müssten dort
wohnen bleiben („Residenzpflicht“) bis das Verfahren abgeschlossen ist.
Die Bundeskanzlerin geht also nicht von gefängnisartigen
Internierungslagern aus.
Stärkung von Frontex
Auch die geplante personelle Stärkung der EU-Grenzschutz-Agentur Frontex
dient einer verbesserten Kontrolle der Außengrenzen. Im Vorfeld war von
insgesamt 10.000 Polizisten die Rede. Die Zahl findet sich im
Abschluss-Dokument nicht. Merkel war wichtig, dass der Ausbau von Frontex
bis 2020 abgeschlossen ist. Auch diese Zahl findet sich nicht in der
Erklärung. Dort heißt es aber, Frontex solle ein „erweitertes Mandat“
erhalten. Die Erklärung klingt so, als ob Frontex künftig auch an der
„Rückführung irregulärer Migranten“ beteiligt wird. Näheres wird nicht
mitgeteilt.
Mehr Geld für Drittstaaten
Am konkretesten sind die finanziellen Zusagen. Die EU wird weitere drei
Milliarden Euro für die Versorgung und Integration von (überwiegend
syrischen) Flüchtlingen in der Türkei vorsehen. Eine erste Tranche in
gleicher Höhe wurde bereits ausgezahlt. Diese wurde zu einem Drittel von
der EU-Kommmission finanziert, zu zwei Dritteln von den Mitgliedstaaten,
darunter 500 Millionen Euro aus Deutschland. Ob diese Aufteilung auch für
die jetzt beschlossene Zweite Tranche gilt, lässt die Abschlusserklärung
des Gipfels offen.
Außerdem sollen 500 Millionen Euro aus EU-Mitteln in einen Treuhandfonds
für Afrika eingezahlt werden. Dieser Fonds soll die Lebensbedingungen von
Flüchtlingen in Libyen verbessern und auch die dortigen lokalen
Verwaltungen unterstützen. Merkel deutete an, dass im Interesse Spaniens
künftig auch Marokko aus dem Fonds unterstützt werden soll.
Reform des Europäischen Asylsystems
Hier gab es überhaupt keine Fortschritte. Von sieben geplanten Rechtsakten
besteht weiterhin nur über fünf Einigkeit. Vor allem die geplante
Dublin-IV-Verordnung zur Verteilung der Flüchtlinge ist umstritten, weil
osteuropäische Staaten wie Ungarn und Polen gar keine Flüchtlinge aufnehmen
wollen.
Sekundärmigration
Zur Weiterwanderung registrierter Flüchtlinge findet sich in der
Gipfel-Erklärung die kryptische Aussage: „Die Mitgliedstaaten sollten alle
erforderlichen internen Rechtsetzungs- und Verwaltungsmaßnahmen gegen diese
Migrationsbewegungen treffen und dabei eng zusammenzuarbeiten.“ Rechtliche
Wirkung hat der Satz nicht.
Bilaterale Abkommen
Merkel kündigte an, dass sie am Rande des Gipfels mit „einer Vielzahl“ von
Staaten bilaterale Abkommen zur Rückführung von Flüchtlingen geschlossen
hat. Als Beispiel nannte sie Griechenland und Spanien. Im Gegenzug habe
Deutschland Unterstützung zugesagt, insbesondere bei den Hot Spots auf den
griechischen Ägäis-Inseln. Auf Nachfrage erklärte sie, dass es mit Italien
bisher noch keine Absprache gibt. Italien habe derzeit andere Prioritäten.
Die bilateralen Abkommen regeln keine Zurückweisungen an der deutschen
Grenze, sondern die Rückführung von Flüchtlingen in den EU-Staat, der für
das Asylverfahren zuständig ist. Bei den Abkommen mit Griechenland und
Spanien gehe es um Flüchtlinge, bei denen an der deutsch-österreichischen
Grenze per Abfrage in der Eurodac-Datei festgestellt wird, dass die
Flüchtlinge bereits in Griechenland oder Spanien registriert wurden. Dann
sollen die beiden Länder die Flüchtlinge „direkt zurücknehmen“. Die Deta…
des Abkommens müssten in den nächsten vier Wochen von den Innenministern
der beteiligten Staaten ausgehandelt werden, twitterte Regierungssprecher
Seibert.
Merkel will, dass auch Deutschland einen Beitrag zu verbesserten
Rücküberstellungen im Rahmen der bestehenden Dublin-III-Verordnung leistet.
Bisher sei eine mögliche Rücküberstellung nur in 15 Prozent der möglichen
Fälle auch realisiert worden. Merkel schlug vor, das Asylgesetz so zu
ändern, dass in Dublin-Fällen ein „beschleunigtes Verfahren“ stattfindet,
wenn es um die Überstellung in einen Staat geht, mit dem ein spezielles
Verwaltungsabkommen geschlossen wurde.
30 Jun 2018
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## AUTOREN
Christian Rath
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