# taz.de -- EU-Gipfel zu Flüchtlingspolitik: Das Prinzip Abschottung | |
> Auf dem EU-Gipfel kämpft Merkel nicht nur um die Zukunft Europas, sondern | |
> auch um die eigene. Spanien und Griechenland gewinnt sie als Partner. | |
Bild: Möglichst alle Geflüchteten draußen halten: Das scheint das Ziel der E… | |
BRÜSSEL taz | So wenig sagen wie nötig. So viel retten wie möglich. Das war | |
das unausgesprochene Motto von Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel. Bei | |
dem [1][zweitägigen Treffen stand für die Kanzlerin sehr viel auf dem | |
Spiel], eigentlich alles – und doch versuchte sie, von Anfang an den | |
Eindruck zu erwecken, sie habe alles in der Hand. Wie immer. | |
Noch bevor das Treffen am Donnerstag im gläsernen Europagebäude an der | |
Brüsseler Rue de la Loi begonnen hatte, eilte Merkel zu ihrem ersten, | |
kurzfristig improvisierten Termin. Sie wollte den neuen italienischen | |
Premierminister Giuseppe Conte zu einem Vier-Augen-Gespräch treffen. | |
Der war auf so viel Ehre gar nicht vorbereitet. Ob Merkel ganz allein mit | |
ihm reden wolle, fragte der unerfahrene Politiker, der von seinem | |
Regierungspartner, dem rechtsradikalen Lega-Führer und Innenminister Matteo | |
Salvini, zu einer besonders harten Linie getrieben wird. „Dann brauche ich | |
erst mal meine Tasche“, sagte Conte. | |
Vierzig Minuten dauerte die Unterredung mit Tasche, die über Merkels | |
politisches Schicksal entscheiden könnte. Details sickerten nicht nach | |
draußen. „Es waren nicht einmal Berater dabei, wir können leider nichts | |
sagen“, wehrte ein EU-Diplomat ab. Auch Merkel sagte nichts – außer einem | |
Satz. „Wir werden auch über Sekundärmigration sprechen“, ließ die Kanzle… | |
die wartenden Journalisten wissen. | |
## Nur Seehofer interessiert Sekundärmigration | |
Sekundärmigration – das ist das Thema, das Innenminister Horst Seehofer und | |
die CSU umtreibt. Es geht um Migranten, die bereits in einem anderen | |
EU-Land ihren Antrag gestellt haben und dann in Deutschland nochmals Asyl | |
begehren. Das möchte Merkel verhindern – mit bilateralen Rücknahmeabkommen, | |
die es erlauben, die betroffenen Menschen zurück nach Griechenland, Italien | |
oder einem anderen EU-Land zu schicken. | |
Doch außer Merkel sorgt sich kaum jemand um die Sekundärmigration – schon | |
gar nicht Conte. Denn ihm und den ihn stützenden Populisten und | |
Nationalisten in Rom geht es vor allem um die Primärmigration, die | |
Bootsflüchtlinge, die in Italien anlanden. Um diese unerwünschte | |
Zuwanderung zu beenden und Solidarität der EU zu erzwingen, ging Conte bis | |
zum Äußersten. | |
Donnerstagabend gegen 19 Uhr, eigentlich soll EU-Ratspräsident Donald Tusk | |
nun über die Ergebnisse des Gipfels berichten. Doch die Pressekonferenz | |
wird überraschend abgesagt. „Ein Mitglied“ habe Vorbehalte angemeldet und | |
damit alle Gipfelbeschlüsse blockiert, teilt Tusk schriftlich mit. Gemeint | |
ist Italien, das mit einem Veto droht. „Nichts ist beschlossen, bevor alles | |
beschlossen ist“, heißt der Hebel, mit dem Conte den Gipfel in Geiselhaft | |
nimmt. | |
Von nun an spielt Merkel nur noch eine Nebenrolle. Conte und der | |
französische Staatschef Emmanuel Macron übernehmen die Regie, bemühen sich | |
um einen Kompromiss. Von Merkel ist nichts mehr zu sehen oder zu hören. Es | |
soll bis zum Morgengrauen dauern, bis die Kanzlerin die Sprache | |
wiederfindet und eine kurze Erklärung vor der Presse abgibt. | |
## Ein vager Gummiparagraf | |
„Wir haben, wie Sie ja an der Uhrzeit merken können, eine sehr intensive | |
Debatte gehabt“, sagt sie am Freitagmorgen kurz vor fünf. Doch nun gebe es | |
einen Beschluss „bei dem vielleicht herausforderndsten Thema für die | |
Europäische Union“. Sagt’s und eilt in ihr Hotel im Zentrum Brüssels, um | |
zumindest einige Stunden Schlaf zu bekommen. | |
Im Gepäck hat sie einen Absatz, der ihr im Machtkampf mit Seehofer helfen | |
soll. Es ist Punkt 11 im Gipfelbeschluss zur Migration: „Was die Lage | |
innerhalb der EU betrifft, droht die Sekundärmigration von Asylbewerbern | |
zwischen Mitgliedstaaten die Integrität des Gemeinsamen Europäischen | |
Asylsystems und des Schengen-Besitzstands zu gefährden.“ | |
So weit, so vage. Doch dann kommt’s: „Die Mitgliedstaaten sollten alle | |
erforderlichen internen Rechtsetzungs- und Verwaltungsmaßnahmen gegen diese | |
Migrationsbewegungen treffen und dabei eng zusammenzuarbeiten.“ Das lässt | |
sich als Ermächtigung lesen, „interne Maßnahmen“ zu ergreifen – sofern … | |
mit anderen EU-Staaten abgestimmt sind. Man kann es aber auch anders | |
interpretieren. Als Gummiparagrafen, der alles und nichts bedeutet. | |
Doch noch immer fehlt Merkel das, was sie am dringendsten braucht: eine | |
Absprache mit Italien zur Rücknahme von Asylbewerbern. Andere | |
Mittelmeerländer signalisieren ihre Bereitschaft dazu. Sogar Ungarn – das | |
Land, das in Eigenregie den Grenzwall an der Südostflanke der EU gebaut hat | |
und die Aufnahme von Migranten verweigert – soll zur Verständigung bereit | |
sein. | |
## Solidarität aus Spanien und Griechenland | |
Doch von Conte kommt: nichts. Mittlerweile ist es schon Freitagmittag, | |
Merkel läuft die Zeit davon. Sie nutzt eine Verhandlungspause, um sich mit | |
den Regierungschefs von Spanien und Griechenland, Pedro Sanchez und Alexis | |
Tsipras, zu treffen. Sie gelten neuerdings als treueste Verbündete der | |
CDU-Chefin. | |
Solidarität sei wichtig, gerade mit Deutschland, hatte der Sozialist | |
Sanchez zu Beginn des Gipfels gesagt. Schließlich stecke das Land derzeit | |
in einer politischen Krise. Auch Tsipras, der Syriza-Politiker, zeigt sich | |
solidarisch. „Wenn es hilft, macht es uns nichts aus, dass wir vielleicht | |
einige Rückführungen aus Deutschland haben werden“, betont Tsipras. | |
Ausgerechnet die Linke stützt nun die christdemokratische Kanzlerin. Wer | |
hätte das gedacht? Angela Merkel kommt sichtlich gestärkt aus den Treffen | |
mit Sanchez und Tsipras. Beide Partner seien bereit, in ihren Ländern | |
registrierte Asylbewerber zurückzunehmen, wenn sie an der | |
deutsch-österreichischen Grenze aufgegriffen werden, sagt sie. | |
Doch ist das nun die „wirkungsgleiche“ Vereinbarung, die die CSU gefordert | |
hat? „Wenn wir das alles umsetzen, dann ist das mehr als wirkungsgleich“, | |
sagt Angela Merkel. „Dann ist das ein substanzieller Fortschritt.“ Die | |
Kanzlerin lächelt. Sie wirkt wieder so, als habe sie alles fest in der | |
Hand. | |
29 Jun 2018 | |
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## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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