# taz.de -- Streit zwischen CDU und CSU: Seehofer tritt ab – oder auch nicht | |
> Horst Seehofer bietet seinen Rücktritt als Innenminister und CSU-Chef an. | |
> Er will aber erst nochmal mit der CDU sprechen. | |
Bild: Rücktritt mal gucken, sagt Horst Seehofer um kurz vor zwei Uhr morgens | |
MÜNCHEN/BERLIN taz | Die Ankündigung Horst Seehofers lässt am | |
Sonntagnachmittag bei vielen die Alarmglocken schrillen: Er werde am Ende | |
noch eine persönliche Erklärung abgeben, die Bundestagsabgeordneten und | |
Vorstandsmitglieder mögen doch bitte noch so lange dableiben. Persönliche | |
Erklärung – das klingt doch sehr nach Rücktritt. | |
Das Szenario, Seehofer könnte im Streit mit Angela Merkel nun tatsächlich | |
hinschmeißen, wird nun auch in der zum Presseraum umfunktionierten Kantine | |
der CSU-Landesleitung ernsthaft diskutiert. Und doch: So recht glauben mag | |
es niemand – bis gegen 22.45 Uhr aus der Sitzung verlautet, Seehofer habe | |
tatsächlich seinen Rücktritt von beiden Ämtern angekündigt. | |
Die Gerüchte erweisen sich als zutreffend, doch es dauert nur drei Stunden, | |
dann folgt schon wieder ein teilweiser, eventueller Rücktritt vom | |
Rücktritt. Um 1.46 Uhr tritt der CSU-Chef vor die Kameras. Statt der | |
angekündigten Pressekonferenz gibt es vor der Drehtür ein paar dürre Sätze | |
für die Reporter: Ja, er habe seinen Rücktritt für die nächsten drei Tage | |
angekündigt. Aber noch am Montag werde er noch einmal mit einer | |
CSU-Delegation nach Berlin fahren und das Gespräch mit der CDU suchen – „in | |
der Hoffnung, dass wir uns verständigen“. | |
Heißt das, wenn die Gespräche positiv verlaufen sollten, werde er doch | |
nicht zurücktreten? Zu einem eindeutigen „Ja“ will sich Seehofer, der sich | |
gern rätselhaft gibt, nicht hinreißen lassen. „Das Weitere werden wir dann | |
sehen“, meint er nur. Dann sagt er noch schnell was von der Regierung, die | |
man erhalten wolle, und einem Entgegenkommen von seiner Seite und steigt in | |
die bereitgestellte Limousine. | |
## Dobrindt will Rücktritt nicht | |
Offenbar hatte Seehofer die Teilnehmer der Sitzung selbst überrascht – und | |
nicht unbedingt positiv. Es gebe nur drei Möglichkeiten: Entweder er | |
bestehe auf die Zurückweisung der Flüchtlinge an der Grenze, dann sei die | |
Regierung gefährdet. Oder er lenke ein, dann sei die Glaubwürdigkeit der | |
Partei dahin. Oder eben der Rücktritt. „Das ist eine Entscheidung, die ich | |
so nicht akzeptieren kann“, mit diesen Worten reagiert Alexander Dobrindt | |
dem Vernehmen nach daraufhin sofort. | |
Lang anhaltenden Beifall bekommt der Landesgruppenchef dafür, heißt es. | |
Schließlich sei es die Kanzlerin gewesen, die mit ihrer Uneinsichtigkeit | |
die CSU in die jetzige Situation gebracht habe. Die Sitzung wird | |
unterbrochen, Seehofer zieht sich mit der engsten Parteiführung in ein | |
anderes Zimmer zurück. Mit dabei: Dobrindt, Ministerpräsident Markus Söder, | |
die stellvertretenden Parteichefs, Generalsekretär Markus Blume und der | |
Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber. Versuchen Sie, Seehofer umzustimmen? Oder | |
geht es schon um die Frage der Nachfolge? | |
Wie die Sitzung abgelaufen ist, ist auch später noch unklar. Hat man | |
Seehofer umstimmen können? War es gar nur ein Bluff, um die Truppen hinter | |
sich zu scharen? Oder hat Seehofer tatsächlich die Nase voll? Die | |
Sitzungsteilnehmer, die vor Seehofer die Zentrale verlassen, haben zumeist | |
versteinerte Gesichter. Keiner sagt etwas. | |
## CDU stellt sich hinter die Kanzlerin | |
Etwa zur gleichen Zeit, als die ersten Gerüchte über den angekündigten | |
Rücktritt kursieren, hasten im Konrad-Adenauer-Haus drei Dutzend wartende | |
Journalistinnen und Journalisten in das Foyer, wo die blaue Medienwand mit | |
CDU-Logo steht. Annegret Kramp-Karrenbauer will ein Statement abgeben. | |
Wenig Minuten später geht die CDU-Generalsekretärin mit schnellen Schritten | |
zum Mikrophon. Der CDU-Vorstand habe bei einer Enthaltung einen Beschluss | |
gefasst, sagt die schmale Saarländerin, die immer wieder als mögliche | |
Nachfolgerin der Kanzlerin gehandelt wird. | |
Kramp-Karrenbauer liest Wort für Wort vom Blatt, schaut nur ab und zu hoch. | |
Die Beschlüsse des Europäischen Rates seien „ein großer Fortschritt“. Der | |
vereinbarte verbesserte Außengrenzschutz, die Schaffung kontrollierter | |
Zentren für Migranten in der EU und von Zentren außerhalb der EU seien | |
„wichtige Meilensteine“. Beschönigende Worte sind das für die Ideen der | |
EU-Regierungschefs. Gemeint sind Flüchtlingslager in Nordafrika und riesige | |
Unterkünfte in Europa, in denen Flüchtlinge eingesperrt würden. Eigentlich | |
müsste die CSU zufrieden sein. | |
Dann aber kommt Kramp-Karrenbauer zu dem entscheidenden Satz: „Einseitige | |
Zurückweisungen wären das falsche Signal an unsere europäischen | |
Gesprächspartner.“ Das ist ein klares Signal in Richtung München. Die CDU | |
weicht nicht zurück, ihr CDU-Vorstand stellt sich fast einhellig hinter die | |
Kanzlerin. | |
## Seehofer beklagt „wirkungsloses“ Gespräch | |
Dass der Tag nicht in großer Harmonie enden würde, hatte sich schon gegen | |
15 Uhr in der CSU-Zentrale angedeutet. In seinem Eingangsstatement, so ist | |
zu vernehmen, äußert sich Seehofer höchst kritisch: Die EU-Beschlüsse böten | |
keinen wirkungsgleichen Ersatz für Zurückweisungen von Flüchtlingen an der | |
Grenze. Und das war schließlich die Bedingung, die er der Schwesterpartei | |
mit Zustimmung seiner Partei, gestellt hatte. Inakzeptabel sei es für ihn | |
zudem, sagt Seehofer dem Vernehmen nach, wenn auch Asylbewerber, die schon | |
in anderen EU-Staaten registriert seien, in deutschen Ankerzentren | |
untergebracht würden. Und sein Gespräch mit Merkel soll er als | |
„wirkungslos“ bezeichnet haben. | |
Bevor es losgeht, bekommen die Teilnehmer aber erst mal Seehofers | |
mittlerweile schon fast sagenumwobenen „Masterplan“ zur Asylpolitik | |
ausgehändigt. Stolz twittert Hans Reichart, JU-Chef und Staatssekretär im | |
Finanzministerium, sogleich ein Foto vom Deckblatt. Entsprechend irritiert | |
reagiert man in Berlin bei der CDU, als man hörte, welch spannende Lektüre | |
da gerade in München herumgereicht wird. Merkel äußert bei der dortigen | |
Vorstandssitzung ihr Bedauern, dass der Plan ihren Leuten nicht vorgelegen | |
habe. | |
Und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther wird später bei | |
Anne Will spitz anmerken, dass diese Form der Zusammenarbeit „schlicht und | |
ergreifend“ nicht gehe. Das 63 Punkte umfassende Papier hat in den letzten | |
Tagen für Aufsehen gesorgt – weil es zwar kaum einem bekannt war, aber | |
schon heftig diskutiert wurde. So hat der bayerische Landtag in der | |
vergangenen Woche mit den Stimmen der CSU seine Unterstützung für den Plan | |
beschlossen – in Unkenntnis desselben. | |
## Daniel Günther redet bei Anne Will Tacheles | |
In der CDU wiederum ist eine bemerkenswerte Gemengelage entstanden: In der | |
Sache stehen nicht wenige CDUler auf der Seite Seehofers. Aber die Art und | |
Weise, wie die CSU den Streit eskaliert hat, irritiert selbst die | |
Seehofer-Fans unter den Christdemokraten. Die brutalen Angriffe aus Bayern | |
lassen sie die Reihen schließen. Der absurde Effekt: Merkel hat in ihrer | |
eigenen Partei an diesem Tag so viel Rückhalt wie schon lange nicht mehr. | |
Daniel Günther etwa neigt er nicht zu scharfen Zuspitzungen. Doch bei Will | |
redet er Tacheles. Wenn die CSU immer nach Recht und Ordnung rufe, sei | |
schon viel geholfen, wenn sie im Regierungshandeln für Recht und Ordnung | |
sorgen würde. „Die Nachricht von einem möglichen Rücktritt des | |
Innenministers ist nicht unbedingt die Nachricht, die wir herbeigesehnt | |
haben“, sagt er, als sich die ersten Gerüchte um Seehofers Rücktritt | |
verdichten. Aber: „Mehr Entgegenkommen am heutigen Tag war aus Sicht der | |
CDU gar nicht möglich, ohne unsere europapolitischen Grundsätze zu | |
gefährden.“ Doch mehr Entgegenkommen ist genau das, was die CSU jetzt von | |
der Schwester will. Dort heißt es zumindest schon mal, man stehe einem | |
Treffen offen gegenüber. | |
2 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
Ulrich Schulte | |
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