| # taz.de -- Kommentar Streit zwischen CSU und CDU: Mehr Chaos geht nicht | |
| > Innenminister Horst Seehofer spricht von Rücktritt. Geht er? Klar ist: | |
| > Misstrauen und Kränkungen bleiben. Nach der Krise ist vor der Krise. | |
| Bild: Europäisches Blau interessiert Horst Seehofer nicht, er kann nur in baye… | |
| Endlich. Horst Seehofer hat sich geäußert, gottlob. Die politisch | |
| interessierte Öffentlichkeit hat darauf gewartet, stundenlang. Dann hat er | |
| zu uns gesprochen – der CSU-Vorsitzende und deutsche Innenminister. | |
| Wunderbar. Aber was hat er denn nun eigentlich gesagt? Dass er zurücktreten | |
| wird? Dass er zurücktreten will, falls bestimmte Bedingungen nicht erfüllt | |
| sind? Oder dass er seinen Rücktritt anbietet? | |
| Das sind sehr unterschiedliche Aussagen. Im einen Fall ist er weg, im | |
| zweiten Fall prüft er seine Macht – genau wie im dritten Fall. Ein | |
| erfahrener Politiker wie der CSU-Vorsitzende Seehofer weiß natürlich, wie | |
| unterschiedlich sich Sätze interpretieren lassen. Warten wir also erst | |
| einmal ab, was er wirklich will. | |
| Bis zum späten Sonntagabend hat allenfalls eine Minderheit der politischen | |
| Beobachterinnen und Beobachter geglaubt, dass es [1][tatsächlich zum Knall] | |
| kommen würde. Alle Beteiligten hatten ihre Krallen gezeigt, alle – na ja: | |
| die SPD nicht, aber daran ist sie ja gewöhnt – also, fast alle | |
| Koalitionspartner konnten darauf verweisen, dass sie aus dem Streit | |
| siegreich hervorgegangen sind. Was mehr kann man sich wünschen? | |
| ## Seehofer hat „angeboten“ zu gehen | |
| Offenbar hat das nicht mehr gereicht, offenbar haben Gefühle eine größere | |
| Rolle gespielt, als das in der Politik üblich und wünschenswert ist. Der | |
| CSU-Parteivorsitzende und Bundesinnenminister hat, salopp formuliert, sich | |
| bereit erklärt, die Brocken hinzuschmeissen. Aus, vorbei. Ach so, nein: Das | |
| genau hat er nicht getan. Er hat „angeboten“ das zu tun. | |
| Über die Motive der verschiedenen Konfliktparteien wird seit Tagen | |
| gesprochen und geschrieben, vieles davon stimmt und wird über hektische | |
| Gremiensitzungen hinaus Bestand haben. [2][Die CSU] hat – natürlich – die | |
| Landtagswahlen in Bayern im Blick. Sie fürchtet, dass ihre Klientel keine | |
| Leistung auf einem anderen Gebiet würdigen wird, solange sie kein „Zeichen“ | |
| in der Flüchtlingsfrage setzt. | |
| Die CDU hingegen genießt, jedenfalls in Teilen, das Gefühl, dass sie | |
| tatsächlich „in der Mitte“ der Gesellschaft angekommen ist: Liberal, | |
| tolerant gegenüber Minderheiten – und zugleich fest auf dem Boden der | |
| kapitalistischen Ordnung stehend: In der gegenwärtigen Lage wird die | |
| Kanzlerin sogar von weiten Teilen der Opposition unterstützt. Toll. Wer in | |
| der CDU hätte das je zu hoffen gewagt? | |
| ## Eine starke CDU-Minderheit hält Merkels Kurs für Verrat | |
| Aber es gibt innerhalb der Partei auch eine starke Minderheit, die den Kurs | |
| von Angela Merkel für einen Verrat am Konservatismus hält. Oder die sie | |
| ganz einfach satt hat. Und die sich deshalb über alles freut, was ihr | |
| schadet. Sei das nun rational oder nicht. | |
| Sehr viel mehr Chaos geht nicht. Hinsichtlich der Zukunft der Euroäischen | |
| Union stimmt das nicht hoffnungsvoll. Wenn selbst deren wirtschaftlich | |
| stärkstes Land keinen klaren Kurs mehr fährt, dann ist der Rückweg zum | |
| jeweiligen nationalen Eigeninteresse vorgezeichnet. | |
| Klares Signal: Drei von 14 EU-Staaten – Tschechien, Ungarn und Polen – | |
| haben [3][mittlerweile bestritten], dass auf dem jüngsten Gipfel der | |
| Europäischen Union weitgehend Einigkeit über ein Abkommen hinsichtlich des | |
| Umgangs mit Flüchtlingen erzielt worden sei. Damit widersprechen sie der in | |
| Bedrängnis geratenen Bundeskanzerlin Angela Merkel. Etwas Schlimmeres hätte | |
| ihr derzeit kaum passieren können. Ihr überraschender Verhandlungserfolg | |
| ist mal eben so zerschossen worden. | |
| Und nun? Es gibt wenig Hoffnung, dass sich daran bald etwas ändert. | |
| Unabhängig davon, wie es mit CDU und CSU weitergeht: Das wechselseitige | |
| Mißtrauen und die Kränkungen sind da. Innerhalb Deutschlands und innerhalb | |
| Europas. Der Schaden ist nicht mehr leicht zu beheben. Nach der Krise, vor | |
| der Krise. | |
| 1 Jul 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bettina Gaus | |
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