# taz.de -- Politikwissenschaftler über die CSU: „Sie hantieren mit Sprengst… | |
> Peter Siebenmorgen analysiert die Motive der CSU für ihren Streit mit | |
> Merkel. Und erklärt, was das mit bayerischen Minderwertigkeitskomplexen | |
> zu tun hat. | |
Bild: Horst Seehofer, etwas blass: Im Verhalten der CSU schwinge Todessehnsucht… | |
taz am wochenende: Herr Siebenmorgen, helfen Sie uns, die CSU zu verstehen. | |
Sie eskaliert den Streit mit Kanzlerin Angela Merkel über den Umgang mit | |
Flüchtlingen und gefährdet sogar die Koalition. Sind die irre geworden? | |
Peter Siebenmorgen: Das Krachlederne gehört zur DNA der CSU. Man muss das | |
ernst nehmen, darf es aber nicht überbewerten. Es ist so ähnlich wie eine | |
Wirtshausrauferei. Da geht’s zünftig zur Sache, aber am Ende ist es auch | |
wieder gut. In Bayern herrscht schon eine andere Mentalität als in anderen | |
deutschen Landen. Aber ich gebe zu: Das, was gerade in der CSU passiert, | |
ist ungewöhnlich. | |
Nach der Rauferei zwischen Horst Seehofer und Merkel ist nichts mehr gut, | |
oder? Die Verletzungen werden bleiben. | |
Die Akteure in der CSU haben die Frage, ob man Flüchtlinge an der Grenze | |
abweisen darf oder nicht, so hochgejazzt, dass ein gesichtswahrender | |
Rückzug für die Beteiligten kaum noch möglich ist. Die Autorität der | |
Kanzlerin ist ramponiert, egal wie es ausgeht. Das hat die CSU schon jetzt | |
erreicht. | |
Sie haben eine Biografie von Franz Josef Strauß geschrieben. Was hätte | |
Strauß zu diesem Vorgehen gesagt? | |
Franz Josef Strauß wäre aufgebracht. Er war ein großer Europäer und fände | |
die EU-skeptischen Töne des bayerischen Ministerpräsidenten problematisch. | |
Strauß ließ sich auch von Emotionen treiben, aber er gab dabei das Denken | |
nie auf. Er war ein vernunftgetriebener Multilateralist. Bei Seehofer und | |
Co bin ich mir da nicht mehr sicher. Sie gehen nur begrenzt rational vor. | |
Woran machen Sie das fest? | |
Bei dem Streit in der Flüchtlingspolitik ist fast nur destruktive Energie | |
im Spiel. Daraus erwächst nichts Gutes. Es ist nicht rational, die eigene | |
Regierungschefin zu schwächen, wenn man keine Alternative hat. Seehofer, | |
Dobrindt und Söder hantieren mit Sprengstoff. Wer das tut, nimmt die | |
Explosion in Kauf. | |
Es wurde spekuliert, dass die CSU die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU | |
aufkündigen könnte. Halten Sie das für denkbar? | |
Ja. Wenn nicht heute, dann vielleicht morgen. Spaltung ist ein mögliches | |
Szenario. Die Folgen wären fürchterlich: Ganze CDU-Landesverbände könnten | |
zur CSU übertreten, zum Beispiel die in Thüringen oder Sachsen. Eine | |
Zersplitterung des konservativen Lagers würde unser Parteiensystem | |
fundamental erschüttern. Regierungsbildungen würden äußerst schwierig. | |
Dabei braucht Europa im Moment nichts dringender als Stabilität in der | |
Mitte. | |
Eine Spaltung wäre ein Selbstmord auf Raten. Warum könnte Seehofer das | |
zulassen? | |
Manchmal handeln Politiker gegen das eigene Interesse. Ich nenne das den | |
Wotan-Moment. In Richard Wagners „Walküre“ sagt der germanische Gott: „N… | |
eines will ich noch: das Ende.“ Da schwingt Todessehnsucht mit. 1982 hatte | |
die SPD die erneute Kanzlerschaft von Helmut Schmidt unterlaufen. Die | |
Abgeordneten hatten Schmidt satt, obwohl sie wussten, dass sie bei der Wahl | |
viele Mandate verlieren würden. Die hatten sich so wund gerieben, dass | |
ihnen alles egal war. Sie wollten nur noch das Ende. | |
Wahrscheinlicher ist, dass sich Merkel und Seehofer dieses Wochenende auf | |
einen Kompromiss einigen. | |
Der Schaden ist nicht mehr reparabel. Merkel hat im Grunde schon seit der | |
Bundestagswahl ein Verfallsdatum am Jackett kleben. Nur der genaue Tag | |
fehlt noch. Die CSU hat in den vergangenen Wochen vorgeführt, wie sehr ihre | |
Macht erodiert. Das Ultimatum, ihre Einsamkeit in der Fraktionssitzung, die | |
Drohung, die Richtlinienkompetenz zu unterlaufen. All das wäre früher | |
undenkbar gewesen. | |
Das Verrückte ist ja, dass es in der Sache um wenig geht. In Deutschland | |
kommen nur noch wenige Flüchtlinge an, noch weniger würden abgewiesen. | |
Richtig. Das Flüchtlingsthema taugt eigentlich nicht mehr zum Aufreger. | |
Auch da fragt man sich, welcher Sinn darin liegt, die eigene Schwäche, | |
nämlich die Uneinigkeit, ins Schaufenster zu stellen. Dabei geht es kaum um | |
Sachfragen, sondern um Emotionen und Kränkungen. | |
Glaubt Ministerpräsident Markus Söder, die Landtagswahl im Oktober ohne | |
Merkel leichter gewinnen zu können? | |
Die Landtagswahl ist sehr wichtig. Es gibt aber unabhängig von der Wahl | |
Gründe, warum die CSU diesen Streit sucht. Die Unionsparteien sind mit | |
einem dreifachen Auftrag gegründet worden. Sie wollten die politische | |
Relevanz der konfessionellen Spaltung überwinden. Sie wollten die | |
Zersplitterung des bürgerlichen Lagers verhindern. Und sie wollten die | |
Absicherung gegen den rechten Rand. Lehren aus der Weimarer Republik. | |
Zumindest die ersten beiden Aufträge haben sie erfüllt. | |
Was die CSU aber rasend macht, ist die Gleichgültigkeit, mit der die CDU | |
den Aufstieg der Rechtspopulisten hinnimmt. Merkels Leute sagen | |
achselzuckend: Na ja, das ist auch in anderen europäischen Staaten so. Die | |
rechten Strolche sind halt da, gegen die AfD kann man nichts machen. Das | |
will die CSU nicht hinnehmen. So gesehen nimmt sie den Gründungsauftrag der | |
Union ernster als die CDU. | |
Welche Kränkungen spielen eine Rolle? | |
Es ist zum Beispiel ein Volkssport unter Politikdeutern geworden, die CSU | |
als Regionalpartei zu bezeichnen. Das empfinden Christsoziale als | |
Demütigung. Immerhin ist die CSU die letzte verbliebene Volkspartei. | |
Regionalpartei stimmt vielleicht mit Blick auf ihr Verbreitungsgebiet, ist | |
aber faktisch Unsinn. Die CSU hat immer wieder Veränderungen in der | |
Bundespolitik durchgesetzt. Denken Sie an die Klage gegen den | |
Grundlagenvertrag, der Anfang der 70er die Beziehungen zwischen der | |
Bundesrepublik und der DDR regelte. | |
In den Drohgebärden von Seehofer und Co steckt also ein | |
Minderwertigkeitskomplex? | |
Ich möchte keine Küchenpsychologie betreiben. Aber die Bayern haben ein | |
heikles Selbstbewusstsein. Einerseits sind sie stolz auf sich und ihre | |
Eigenheiten, das ist das „Mia san mia“-Gefühl. Andererseits glauben sie, | |
Restdeutschland nehme sie nicht für voll. Dieses „Ich kann anziehen, was | |
ich will – die sehen mich immer in der Lederhose“. | |
Wie ist die Stimmung an der Basis? Als die CSU 1976 die | |
Fraktionsgemeinschaft durch den Kreuther Trennungsbeschluss kündigte, | |
traten Kommunalpolitiker auf die Bremse. Sie fürchteten um ihre Macht. | |
Die Kommunalpolitiker der CSU stehen dieses Mal geschlossen hinter ihrer | |
Führung. Sie bekamen von Merkel eine Flüchtlingspolitik serviert, die sie | |
nicht wollten. Sie trugen die schwerste Last, weil die Flüchtlinge in | |
Bayern ankamen. Und sie managten die Aufnahme und Versorgung vorbildlich. | |
Und jetzt müssen sie sich anhören, sie seien hinterwäldlerische Deppen. Die | |
denken sich: Dir zeigen wir’s. | |
Warum eigentlich? Merkel ist der CSU weit entgegengekommen. Sie ist nach | |
dem September 2015 schnell auf einen restriktiven Kurs geschwenkt. | |
Das ist ja das Schizophrene. Merkel tut längst das, was die CSU möchte, | |
will aber gleichzeitig ihren Heiligenschein erhalten. Parteien mögen es | |
überhaupt nicht, wenn eine andere Partei für sich die moralische | |
Überlegenheit beansprucht. Genau das macht Merkel. Ihr Satz, wenn man sich | |
dafür entschuldigen müsse, in Notsituationen ein freundliches Gesicht zu | |
zeigen, „dann ist das nicht mein Land“, sagt im Grunde: Dann ist Bayern | |
nicht mehr mein Land. Die Bayern sind für Merkel also nicht nur Deppen, | |
sondern auch moralisch minderwertig. | |
Hat Seehofer eigentlich noch die Zügel in der Hand? Mein Eindruck ist, dass | |
er von Söder und Alexander Dobrindt instrumentalisiert wird. | |
Diesen Eindruck habe ich auch. CSUler testen ja gerne, ob ihr Kopf härter | |
ist als die Wand, die im Weg steht. Noch mehr Spaß macht das Spiel, wenn es | |
nicht der eigene Kopf ist, der dran glauben muss. | |
Wie finden Sie Söders Strategie, den Raum nach rechts eng zu machen? Die | |
AfD liegt in Bayern trotz der markigen Ansagen bretthart bei 12 Prozent. | |
Mich nervt die Diskussion, ob man die AfD stärkt oder schwächt, wenn man | |
ihre Positionen übernimmt. Die einen sagen so, die anderen so. Die Frage | |
der Glaubwürdigkeit ist entscheidend. Die Menschen sind reif genug zu | |
wissen, dass Politik nicht alle Probleme lösen kann. Das Mindeste, was sie | |
erwarten können, ist aber, dass Politik ihre Themen bearbeitet. Das tut die | |
CSU nicht, sie zielt nur auf Effekt. Das ist kein guter Weg, um Credibility | |
zu erwerben. | |
Ist das Ganze auch ein Ablenkungsmanöver? Ein Söder, der nur über | |
Flüchtlinge spricht, braucht sich nicht zu echten Problemen zu äußern. | |
Herbert Riehl-Heyse von der Süddeutschen Zeitung sprach von der CSU als der | |
Partei, die das schöne Bayern erfunden hat. Dieser Nimbus hält sich bis | |
heute. Die Bayern gelten als erfolgreich. Der Himmel ist weiß-blau, die | |
Schulen sind spitze, die Wirtschaft auch. | |
Aber? | |
Unter der Oberfläche gärt es. Die Urbanisierung befindet sich in einer | |
ernsten Krise, weil es kaum mehr bezahlbare Wohnungen gibt. Ein Polizist, | |
der in München arbeitet, kann nicht mehr in der Stadt wohnen. Auch das | |
Landidyll verliert seinen Glanz, denn die Infrastrukturprobleme sind groß. | |
Das Internet funktioniert mehr theoretisch als praktisch und vom Betrachten | |
der schönen Landschaft ist noch keiner satt geworden. | |
Trauen Sie Söder zu, diese Probleme zu lösen? | |
Am Ende ist entscheidend, ob er sich Glaubwürdigkeit und Vertrauen | |
erarbeitet. Bisher hat er den Schritt ins seriöse Fach noch nicht | |
geschafft. Daran scheitert er, seitdem er Chef der Jungen Union in Bayern | |
war. Aber irgendwann ist Schluss. Dann bleibt er halt Operettenstar. | |
30 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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