| # taz.de -- Kolumne Zwischen Menschen: Ein Tischchen für jeden Gott | |
| > In der Seemannsmission Duckdalben im Hamburger Hafen gibt es einen | |
| > Gebetsraum, in dem die Insignien aller Weltreligionen nebeneinander | |
| > stehen. | |
| Bild: Bietet die Möglichkeit zum gemeinsamen Gebet aller: Die Seemannsmission … | |
| Unter mir wackelt der Boden, innerlich schwanke ich auch. Der Mann vor mir | |
| wirkt auf einmal zu fremd für das, was wir heute vorhaben. Groß und ernst | |
| steht er am Anleger: Matthias. | |
| Er lächelt, als hätte er nicht damit gerechnet, dass ich komme. Am Tag | |
| zuvor sind wir zufällig auf der Fähre ins Gespräch gekommen. Er ist Pfälzer | |
| und Frührentner. Jedes Jahr reist er zum Hamburger Freihafen, nicht wegen | |
| der Schiffe, sondern wegen der Züge, die von hier wegrollen mit | |
| Containerfracht. Matthias ist ein sogenannter Trainspotter, einer, der an | |
| Gleisen Züge fotografiert. | |
| „Wenn Du morgen Zeit hast“, hat er gesagt, „dann zeige ich Dir den Hafen. | |
| Ich kenne den Hafen richtig gut.“ Ich kenne den Hafen nicht. Wie für viele | |
| Hamburger ist der Freihafen auf dem anderen Elbufer für mich ein schönes | |
| Leuchten in der Nacht, ein tiefes Dröhnen, ein unbekanntes Land. Ich möchte | |
| das nicht mehr: dorthin schauen, ohne zu wissen, was ich sehe. Deswegen | |
| ziehe ich jetzt mit einem Pfälzer in den Hafen. Ist es nicht oft so, dass | |
| man sein eigenes Unbekanntes erst durch andere versteht? | |
| Wir steigen auf das Schiff, Linie 61, Richtung Waltershof. Von dort fahren | |
| wir mit dem Bus über die Köhlbrandbrücke, laufen zum Zollamt, zu Lastwagen, | |
| Lagerhallen, Kränen. Dann will Matthias in die Seemannsmission | |
| „Duckdalben“: Hier war er selbst noch nicht. | |
| Die Mission liegt hinter den großen Docks: ein Häuschen mit Garten inmitten | |
| von Stahl und Lärm. Von hier holen Ehrenamtliche mit einem Bus die Seeleute | |
| von den Containerschiffen ab, damit sie in der Seemannsmission ausruhen | |
| können. Als wir eintreten, chatten philippinische Seeleute an Computern. Es | |
| gibt eine Bar mit Flaggen aus aller Welt. | |
| Matthias bestellt einen Kaffee, ich suche die Toilette. Dabei entdecke ich | |
| eine halboffene Tür. Vorsichtig betrete ich den Raum. Licht fällt durch | |
| schräge Fenster hinein. Ich staune: Ein muslimischer Gebetsteppich liegt | |
| hier, davor steht ein Tischchen mit einem Koran. Direkt daneben ist ein | |
| Altar mit Kreuz und christlichen Heiligenbildern aufgebaut. In der Nähe | |
| steht ein Tisch mit Buddha-Statuen und einem Text des Dalai Lamas: „Never | |
| give up“. Es gibt einen jüdischen Tisch mit einem siebenarmigen | |
| Kerzenleuchter und einer aufgeschlagenen Tora, eine Ecke mit Bildern von | |
| Hindu-Göttern. | |
| Das hier ist keine Kirche, entspringt keinem ausgeklügelten Konzept. Hier | |
| hat jemand nach bestem Wissen und Respekt alle Weltreligionen nebeneinander | |
| aufgestellt: ein Angebot für die verschiedenen Seeleute zum Beten, | |
| Meditieren, Stillsein. Ein Raum für alle. | |
| ## Das Unbedarfte rührt mich | |
| Ich muss schlucken. Dieses Unbedarfte rührt mich. Die Vielfalt von Welt, | |
| die sonst zu lauten Debatten führt, hat hier selbstverständlich Platz. | |
| Seeleute sind oft wochenlang auf einem Schiff in internationaler Besatzung | |
| unterwegs. Dieser Raum zeigt, dass wir alle in einem Boot sitzen, nur mit | |
| verschiedenen Techniken. | |
| Es hat etwas Einfaches, fast Kindliches, wie die Religionen hier mit ihren | |
| Symbolen angeboten werden. Doch dann denke ich: Vielleicht ist dieser Raum | |
| trotz allem guten Willen auch genau ein Bild dafür, woran es scheitert. | |
| Dass Religionen auf das Kreuz, den Koran, auf ihre Unterschiede reduziert | |
| werden. Ein Tischchen für jeden Gott. Doch Glaube, ist das nicht | |
| universeller, innerlicher, mehr? | |
| ## An der Tür liegt ein Gästebuch | |
| Für viele scheint es zu reichen. An der Tür liegt ein Gästebuch. In eckiger | |
| Handschrift steht da: „Eine ganze Welt im Glauben vereint … in einem Raum �… | |
| Was für ein schöner Gedanke, gerade in dieser heutigen Zeit.“ Oder:„Dieser | |
| Ort sollte als Beispiel für die ganze Welt dienen. Wenn wir nur wollen, | |
| geht alles.“ Dann Persönliches: „I’m not happy with shipping, but I’m … | |
| with Germany.“ | |
| Als ich den Raum verlasse, unterhält sich Matthias auf Englisch mit breitem | |
| pfälzischem Akzent mit einem Ehrenamtler und einem Seemann. Auf einmal | |
| merke ich, wie offen er ist, in was für verwinkelte Ecken ihn seine | |
| Eisenbahn-Leidenschaft trägt. | |
| Ohne Matthias hätte ich diesen Ort nicht entdeckt. Vielleicht geht es ja | |
| letztlich darum. Den Versuch. Besser etwas machen, einen Raum öffnen, als | |
| es gar nicht erst probieren. Der Hafen selbst zeigt es ja: Sein Leuchten | |
| sieht man von der anderen Seite, seine Wärme spürt man erst mittendrin. | |
| 23 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Christa Pfafferott | |
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