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# taz.de -- Abegail Fortich über das Leben der Seeleute: „Einsam sein kann m…
> Die Philippinin Abegail Fortich betreut im Hamburger Hafen Matrosen. Ein
> Herzensjob, der sie von ihrem eigenen Heimweh ablenkt.
Bild: Kein Club, in dem man Frauen anbaggert: das christliche Seemannsheim Duck…
taz: Frau Fortich, warum sind Sie Seemannsbetreuerin geworden?
Abegail Fortich: Eigentlich durch Zufall. Mein Bruder ist Seemann, und von
einem Hamburg-Aufenthalt kannte er den Seemannsclub „Duckdalben“. Er hat
sich da sehr wohlgefühlt und sagte irgendwann zu mir: Warum bewirbst du
dich da nicht, das ist so ein schöner Ort! Ich hatte ja auf den Philippinen
ein Studium als Diätassistentin begonnen, es aber aus Geldmangel
abgebrochen und später hier in Deutschland eine Ausbildung als
Hauswirtschafterin gemacht. Ich habe mich also beworben und bekam die
Stelle. Ein paar Jahre habe ich ohne Bezahlung gearbeitet. Inzwischen bin
ich als Verwaltungskraft fest angestellt.
Kommen Sie da überhaupt mit den Seeleuten in Kontakt?
Doch, natürlich. Ich bin ja zuständig für Geldüberweisungen ins Ausland,
und das ist ein wichtiger Grund für die Seeleute, zum Duckdalben zu kommen,
wenn ihr Schiff hier im Hafen liegt und sie Freizeit haben.
Aus welchen Ländern kommen die Seeleute?
Die meisten sind Asiaten, viele davon Philippinen. Die freuen sich
natürlich, wenn sie sich mit mir in ihrer Muttersprache unterhalten können.
Erzählen die Seeleute auch von ihren Sorgen?
Ja. Manche erzählen zum Beispiel, dass sie ihre Heuer nicht bekommen. Wir
vermitteln sie dann – wenn sie es wollen, denn manche fürchten dann um
ihren Job – an die Gewerkschaft. Eine andere Crew hat mal erzählt, dass sie
seit Wochen mit einem Loch im Schiff über die Ozeane fahren; die Leute
hatten so kleine Augen und waren total traumatisiert vor Angst. Wir haben
dann dafür gesorgt, dass das hier in Hamburg repariert wurde.
Gibt es auch körperliche und seelische Probleme?
Ja. Meist erzählen die Seeleute, dass sie so müde sind, weil sie zu wenig
Schlaf bekommen. Und hier im Duckdalben bekommen sie ja auch keinen, weil
wir nur tagsüber geöffnet haben. Außerdem sind die Liegezeiten der Schiffe
inzwischen so kurz, dass die Arbeit rasend schnell gehen muss. Die Seeleute
sind total kaputt und müssen sich teilweise noch mit ihrem Chef
auseinandersetzen, wenn sie mal an Land wollen, um Geld nach Hause zu
schicken. Deshalb können die Leute oft nur wenige Stunden bei uns
verbringen und müssen alles schnell erledigen.
Und Sie als Helferin auch.
Ja, und das tue ich gern. Es ist für mich eine Herzenssache, diesen Job zu
machen, und ohne Verständnis und Hilfsbereitschaft ginge das gar nicht. Und
es macht Spaß, denn dies ist ja einer der wenigen Orte, an denen sich die
Seeleute entspannen können – sei es im Wintergarten, beim Bierchen im Club,
bei Billard, Tischtennis, Gitarrenspiel oder Karaoke …
Haben Sie manchmal Schwierigkeiten, sich als Frau abzugrenzen?
Nein, gar nicht. Die Seeleute sind sehr respektvoll. Außerdem wissen sie,
dass sie in einer christlichen Einrichtung sind – und nicht in einem Club,
wo man Frauen anbaggert.
Sprechen die Seeleute manchmal von Einsamkeit?
Ja, das ist ein Hauptproblem. Vor allem, wenn man neu in dem Beruf ist.
Wenn man erst zwei, drei Monate auf dem Schiff ist und schon die Familie
vermisst. Das sind Menschen, die innerlich weinen, und man sieht ihnen an,
dass sie sich sehr einsam fühlen.
Wie trösten Sie sie?
Das kommt drauf an. Ich bin sehr christlich, und viele philippinische
Seeleute sind es auch. Wenn ich von Geborgenheit und von meinem
Gottvertrauen erzähle, fühlen sie sich oft schon stabilisiert. Vielen
genügt es aber auch, dass einfach mal jemand da ist und zuhört. Andere
ermutige ich durchzuhalten, sich mit Landsleuten zusammenzutun, die eigene
Sprache zu sprechen …
Und Sie? Sehnen Sie sich oft nach Ihren Verwandten auf den Philippinen?
Ja, das ist ganz normal – obwohl ich jedes Jahr für einen Monat dorthin
fahre. Durch meine Arbeit hier im Duckdalben konzentriere ich mich aber
nicht mehr so auf dieses Heimweh. Ich treffe hier viele Landsleute, bin
sehr fasziniert vom Seefahrerleben. Es interessiert mich, wie sie ihr Leben
auf See gestalten und empfinden. Ich vergleiche es mit meinem Leben, und
das gibt mir Kraft.
Kommen manche Seeleute wieder, erkennen Sie sie wieder?
Ja, das kommt vor, aber natürlich in sehr großen Abständen. Alle zwei,
drei, fünf Jahre vielleicht … Es ist ein Kommen und Gehen.
Ist Ihr Bruder, mit dem alles anfing, auch wieder nach Hamburg gekommen?
Leider nicht. Er war vor Jahren in Bremerhaven, aber inzwischen ist er nur
noch in China und auf den Philippinen unterwegs. Bis Europa ist es einfach
zu weit.
Wenn Sie Ihr Leben mit dem der Seeleute vergleichen: Wären Sie gern
Seefahrerin?
Ja, warum nicht? Ich weiß ja nicht genau, wie das ist, aber ich fahre schon
gern mit dem Schiff. Es ist so schön, den weiten Horizont zu sehen, auf See
zu sein.
Es ist auch einsam.
Einsam kann man überall sein. Ich glaube, Einsamkeit hängt davon ab, wie
man die Situation betrachtet. Wenn ich jetzt mit Ihnen spreche, freue ich
mich zum Beispiel und fühle mich gut. In dem Moment, wo ich Freude an
meiner Umgebung habe, ist die Einsamkeit nicht mehr aktuell.
Und was bewundern Sie an den Seeleuten?
Dass sie die Kraft haben, dieses harte Leben durchzustehen. Sie spüren
diese Einsamkeit tief innen und wenden viel Stärke auf, um trotzdem bis zum
Vertragsende durchzuhalten. Und dabei helfen wir ihnen, indem wir
versuchen, ihnen für ein paar Stunden ein Zuhause, eine Familie zu bieten.
Und sie spüren das.
Sagen sie es auch?
Ja, das ist manchmal sehr anrührend, wenn sie sagen: „Ah, schön, hier zu zu
sein“ oder „Schön, dass du hier bist.“ Das ist auch für mich ein schön…
Gefühl, denn jeder hat ja das Bedürfnis nach einer familiären Umgebung.
Nach jemandem, der ihn empfängt – wie zu Hause eben.
Und was macht Sie glücklich an diesem Ort?
Dass ich gebraucht werde, macht mir Freude. Außerdem komme ich unter
Menschen und lerne eine Menge.
Haben Sie auch glückliche Seeleute getroffen?
Oh ja.
Trotz der Einsamkeit und harten Arbeit?
Ja. Sie sind ja nicht nur traurig. Sie sind auch glücklich, weil sie diese
harte Arbeit für ihre Familie tun. Sie sind derjenige, der für die Familie
da ist, um sie zu unterstützen. Es macht ihnen Freude, wenn sie am Ende des
Monats wieder Geld nach Hause schicken können. Das hat auch etwas mit Liebe
zu tun.
26 Apr 2014
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Hamburger Hafen
Seefahrt
Schwerpunkt Coronavirus
Hamburger Hafen
Hafenpolitik
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