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# taz.de -- Arbeitsbedingungen auf Containerschiffen: „Ozeane gleichen dem Wi…
> Auf vielen Schiffen herrschen miserable Arbeitsbedingungen.
> Hafen-Kontrollen der Gewerkschaften sollen das ändern. Die taz ist mit an
> Bord gegangen.
Bild: Was auf See passiert, bleibt oft unausgesprochen: Containerfrachter in de…
Markus Wichmann steht in knallorangener Signalweste und Helm vor dem
Eingang zum Hamburger Hafenterminal und wartet auf Einlass. Hinter ihm ragt
die viel befahrene Köhlbrandbrücke empor. Wichmann ist Inspekteur im
Auftrag der International Transport Workers’ Federation (ITF), einer
globalen Gewerkschaftsföderation. Ihr sind 700 Gewerkschaften auf der
ganzen Welt angeschlossen. Sie setzt sie sich für die Rechte der Seeleute
ein, kontrolliert stichprobenartig Frachter, Tanker oder Containerschiffe.
„Ohne Kontrollen gleichen die Ozeane dem wilden Westen“, sagt Wichmann.
Sein Ziel: Ein Massengutfrachter, der soeben in Hamburg eingelaufen ist.
Wichmann hat einen anonymen Tipp bekommen, von knappen Essensvorräten auf
dem Schiff war da die Rede. Ein Philippiner in löchriger Arbeitsjacke
kommt, grüßt freundlich und führt uns über das vom Regen matschig gewordene
Hafengelände. Wichmann fragt, wie das Essen an Bord schmeckt. Die Antwort:
„Es gibt nur noch Reis, aber genug, damit wir überleben.“
Seeleute beschweren sich meist anonym; wenn überhaupt. Zu groß ist die
Angst, dass der eigene Name auf der inoffiziellen „schwarzen Liste“ landet.
Wer draufsteht, riskiert, nicht mehr angeheuert zu werden. Dabei sind diese
Seeleute oft die Alleinversorger ihrer Familien. „Auf Schiffen, die
beispielsweise unter chinesischer Flagge fahren, haben die Seeleute weniger
Rechte“, sagt Wichmann. „Hier steht keine starke Gewerkschaft hinter den
Menschen und es gibt auch keine Verträge mit der ITF.“ Und die darf nur
Schiffe kontrollieren, mit deren Reedern sie zuvor Verträge abgeschlossen
hat.
Der größte Teil der [1][Seeleute auf den Ozeanen] der Welt stammt von den
Philippinen. Unter der Besatzung des Massengutfrachters, auf den es heute
geht, sind außerdem noch ein paar Ukrainer. Deutsche finden sich meist erst
in den Offiziersrängen auf der Brücke – alles andere ist den Reedereien zu
teuer.
Auf dem Schiff, das hier nicht beim Namen genannt werden darf, geht es über
rutschige Stufen und schwankende, verrostete Zugänge hinauf an Deck. Markus
Wichmann kommen weitere Besatzungsmitglieder entgegen. Alle bestätigen: Ja,
die Vorräte sind knapp. Außerdem sei das Internet schlecht. Ein Philippiner
im weißen Overall beginnt zu flüstern; deutet nach oben. Er meint den
Kapitän. Soll heißen: Das hast du nicht von mir gehört! Auch der Bordkoch,
der gleich Kaffee bringen wird, bestätigt, dass die Mahlzeiten
hauptsächlich aus Reis bestehen.
Falls bei einer Kontrolle wie dieser ein Problem nicht sofort geklärt
werden kann, ruft die ITF bei der Hamburger Staatshafenkontrolle an. Die
kann anordnen, dass das Schiff den Hafen nicht verlassen darf, bis die ITF
grünes Licht gibt. „In Deutschland funktioniert diese Zusammenarbeit gut“,
sagt Wichmann, „in einigen anderen Teilen der Welt schauen die
Hafenkontrollen aber gern mal weg“.
Die Staatshafenkontrolle in Hamburg überprüft in normalen Jahren zwischen
1.000 und 1.300 Schiffe. 2021 fanden jedoch nur 800 Kontrollen statt, genau
wie 2019 und 2020 liegt das an der Pandemie. 2021 stießen die Inspekteure
bei etwa der Hälfte der Schiffe auf Probleme. Zu deren Lösung wurden 35
Schiffe sogar im Hamburger Hafen festgehalten.
Enge Gänge und steile Treppen führen durch das Schiff, schmale Fenster
erlauben einen Blick auf den Hafen. Der Kapitän begrüßt Wichmann, er trägt
keine Uniform.
Wichmann, der sich zuvor 13 Jahre lang als Geschäftsführer der Hamburger
Seemannsmission für die Interessen der Seeleute einsetzte, legt nun seinen
Helm ab. Von dem Kapitän fordert er Arbeitsverträge und Gehaltstabellen. Er
fragt, warum die Vorräte bisher nicht aufgestockt wurden. „Zu teuer“,
antwortet der Kapitän. Er hätte den Preis vor der Reederei verantworten
müssen. Und die stellt ein Lebensmittel-Budget von acht Dollar pro Person.
Die neuen Vorräte aus Hamburg seien aber auf dem Weg.
Dann kommt die Sprache auf das vermeintlich schlechte Internet. Die
Stimmung im Raum wird angespannter. „Die Verbindung ist instabil“, sagt der
Kapitän dann. [2][Dem ukrainischen Teil der Besatzung] stelle er trotzdem
dauerhaft Internet zur Verfügung.
„Und die Philippiner?“, fragt Wichmann. „Das Internet ist zu schlecht“,
antwortet der Kapitän, „sie können es nur am Wochenende nutzen“. Wichmann
bleibt hartnäckig: „Kann es jetzt eingeschaltet werden? Die Philippiner
brauchen es genauso.“ So geht es hin und her. Schließlich möchte Wichmann
den Internetzugang mit eigenen Augen sehen. Eine Etage höher hängt der
Router, mit Klebeband an der Wand befestigt. Er ist ausgeschaltet.
Der 48-Jährige fragt einen Seemann. Der antwortet: „Der Kapitän setzt das
Internet ein, um die Menschen zu kontrollieren. Wenn wir gut sind, bekommen
wir Internet. Wenn nicht, dann eben nicht.“ Das Problem ist also nicht die
instabile Internetverbindung. Sondern der Kapitän.
Wichmann verlangt vom Kapitän, dass er das Internet sofort freischaltet, in
seinem Beisein. Der gibt schließlich nach. Die Lösung: Ein Kabel holen und
es in die Steckdose stecken. Damit ist die Inspektion beendet und Wichmann
verteilt seine Kontaktdaten an die Seeleute. Als er wenig später aus dem
Schiffsinneren tritt, stapeln sich vor der Tür schon die Kisten voller
Essen. Bananen sind drin, Mehl, dazu Ketchup und Nutella. „Falls der
Kapitän beschließt, das Internet wieder abzustellen, meldet ihr euch bei
mir“, sagt Wichmann zu den Seeleuten, als er geht.
Susana Pereira-Ventura kann viel über miserable [3][Arbeitsbedingungen auf
den Schiffen] erzählen. Bei der Gewerkschaft Ver.di ist sie für die
Seeleute zuständig: „Eine Kontrolle in Hamburg konnte an Bord des
Containerschiffs Latha kaum Versorgung mit Lebensmitteln finden. Dazu
kommt, dass Gehälter in Höhe von fast 52.000 Euro nicht an die Besatzung
ausgezahlt worden waren.“ Bei einem anderen Fall, in Lübeck, sei die
Hygiene von den Mannschaftskabinen bis hin zu den Essenslagern „miserabel“
gewesen: „Das Essen war von Milben und anderen Insekten befallen“, sagt
Ventura.
Zwar sind die Rechte der Seeleute im Seearbeitsübereinkommen der
Internationalen Arbeitsorganisation festgelegt. Sie lassen sich aber schwer
durchsetzen, erklärt Ventura, weil sie eher „Empfehlungen“ seien. Denn die
Reedereien saßen mit am Tisch, als das Abkommen verabschiedet wurde. „Doch
je konkreter die Regularien formuliert sind, desto geringer ist die Zahl
der Länder, die das Abkommen ratifizieren,“ sagt Wichmann. Die USA etwa
haben das Seearbeitsübereinkommen bis heute nicht ratifiziert.
Dabei verdient die Branche gut: Die in Hamburg ansässige Reederei Hapag
Lloyd beispielsweise hat im vergangenen Jahr den Umsatz fast verdoppelt,
auf über 22 Milliarden Euro. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern stieg auf
9,4 Milliarden Euro. „Wir blicken auf ein außergewöhnlich erfolgreiches
Jahr zurück“, sagte der Vorstandsvorsitzende Rolf Habben Jansen bei der
Vorstellung der Bilanz.
Wichmann schätzt die Bedingungen auf den Schiffen von Hapag Lloyd als gut
ein, im Vergleich zu anderen Reedereien. Hapag Lloyd zahle höhere Löhne und
gehe gut mit Beschwerden um.
„Viele Schifffahrtsunternehmen verdienen Rekordgewinne auf den Rücken der
Seeleute“, sagt Pereira-Ventura. Auch, weil sie weniger als ein Prozent
Steuern auf ihre Gewinne zahlen. „Und internationale Abkommen und
Richtlinien können umgangen werden, weil es an Kontrollen durch die
Hafenstädte und -staaten fehlt.“ Auch Hamburg könnte mehr Druck auf die
Reeder ausüben, sagt die Gewerkschafterin. Doch hinter den
Schifffahrtsunternehmen steht eine starke Lobby.
Etwa drei Kilometer vom Hamburger Hafen entfernt, in der Nähe des Altonaer
Fischmarktes, liegt die [4][Seemannsmission]. Das ziegelrote Haus ist Club,
Hotel und Kirche in einem, und Fiete Sturm ist hier der Diakon. Wenn ihr
Schiff im Hamburger Hafen anlegt, kommen die Seeleute aus der ganzen Welt
hierher, um mal „in einem richtigen Bett zu schlafen“, sagt Sturm. Oft
bleiben sie nur für ein bis zwei Nächte, bevor es zurück in die
Schiffskajüte geht.
So ein Landgang ist nicht gesetzlich vorgeschrieben. Er kann einem also
verwehrt werden. „Die Seeleute fühlen sich wie Rädchen im Getriebe,
austauschbar“, sagt Sturm. Genau da möchte die Seemannsmission helfen. „Ich
frage die Menschen, wie es ihnen und ihren Familien geht“, sagt Sturm: „Mir
wurden schon viele Bilder von Söhnen und Töchtern gezeigt.“
Im Keller des Hauses steht ein Billardtisch, eine Sofaecke lädt zum Sitzen
ein, es gibt Karaoke-Abende. An der Bar gibt es keinen harten Alkohol zu
kaufen, dafür ist von Fritz-Kola über Damenstrumpfhosen bis hin zu
Souvenirs alles zu finden. Verkaufsschlager ist das Hamburger
Nummernschild.
Sturm spricht die Menschen mit ihren Namen an. Klingt selbstverständlich,
ist es aber nicht. Auf den Schiffen werden sie bei ihrem Arbeitstitel
gerufen. AB steht dann für able body, also fähiger Körper und OS für
ordinary seaman, gewöhnlicher Seemann.
„Die Menschen fühlen sich wie ein externer Teil der Gesellschaft“, sagt
Sturm. „Sie sind sehr lange an Bord und kommen nur für ein paar Monate nach
Hause, dort schauen sie ihren Familien mehr beim Leben zu, als Teil dessen
zu sein.“ Zu ihm sagen die Männer Sätze wie: „Ich opfere mich für meine
Familie.“ Darum sind sie oft zu verängstigt, um auf ihre prekäre Situation
aufmerksam zu machen. „Sie sind unverzichtbar, werden aber nicht so
behandelt“, sagt Fiete Sturm.
Und die Seeleute von dem Massengutfrachter, der Hamburg längst wieder
verlassen hat? Haben bisher nicht wieder bei Markus Wichmann angerufen.
18 Nov 2022
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## AUTOREN
Lisa Werner
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