# taz.de -- Dokumentartheater in Bremerhaven: Flüchtlinge aus der Container-Ki… | |
> Dirk Laucke hat über Seeleute in Zeiten des globalen Warenverkehrs | |
> recherchiert. Sein Stück "Cargonauten" läuft nun am Bremerhavener | |
> Stadttheater - und hält nicht ganz, was es verspricht. | |
Bild: Überraschend klischeehaft: die Bremerhavener Inszenierung von Lauckes "C… | |
BRMERHAVEN taz | Mit Tragödien aus dem Kleinscheißleben, Alltag genannt, | |
fürs globalpolitisch Große zu sensibilisieren, das kann der Theaterautor | |
Dirk Laucke. Daher wird er immer wieder gern an den Rand der | |
Stadttheater-relevanten Gesellschaft geschickt, um etwas über ihr Herz zu | |
recherchieren – und all die Ausgegrenzten, Abgehängten, Unangepassten mit | |
ihrem Jargon auf die Bühnen zu holen. | |
Am Rand der deutschen Bühnenwelt wiederum wurde ein solches Stück poetisch | |
verdichteten Sozialrealismus’ in Auftrag gegeben: Bremerhaven wollte etwas | |
über sich und die Welt drumherum, etwas über „Cargonauten“ erfahren: | |
Leiharbeiter auf See und ihre Malocherkollegen an Land. | |
Laucke, Jahrgang 1982, zielt mit „Cargonauten“ aber nicht auf irgendwelche | |
Randexistenzen und -themen, im Gegenteil: Alles was ich anhabe, sagt er, | |
verdanke ich (neben menschenverachtenden Arbeitsbedingungen in Asien) den | |
Tätigen des Frachtschiffverkehrs und der Hafenwirtschaft. „Die Klischees, | |
mit denen ich nach Bremerhaven kam, sind einem noch größeren gewichen“, | |
staunt der Autor: Den lebendigen Hafenorganismus habe er als Abbild unserer | |
globalisierten Ökonomie erfahren – was er damit vergleicht, wie Bert Brecht | |
im Stück über die „Heilige Johanna der Schlachthöfe“ den Fleischmarkt | |
Chicagos als Muster für seine marxistische Kapitalismusanalyse nutzte. | |
Eigentlich wollte Laucke nicht analysieren, sondern auf einem der großen | |
Pötte durch die Welt schippern. Mit der Beluga-Reederei war schon alles | |
arrangiert – dann kam deren Pleite dazwischen. Weitere Versuche scheiterten | |
an den geringen Planungsspielräumen der Logistikbranche. „Sie können morgen | |
in Abu Dhabi einschiffen“, waren so Ansagen, denen der vielbeschäftigte | |
Autor und Familienvater nicht nachkommen konnte. | |
So ging es also auf Recherchetour durch den Hafen Bremerhavens. Die | |
kilometerlangen Kajen mit ihren Kranungetümen und die Millionen | |
Quadratmeter Stellflächen liegen draußen Richtung Nordsee an der | |
Wesermündung – ein idealer Ort für Dirk Laucke. Im Seemannsheim | |
übernachtete er, begleitete die Arbeit der Seemannsmission, hing in | |
Hafenkneipen ab, sprach mit Behörden, Polizei, Zoll. | |
„Einen deutschen Seemann habe ich nirgendwo getroffen“, sagt Laucke. | |
Mehrheitlich seien dies Philippinos. In ihrer Heimat wäre frühzeitig in | |
entsprechende Ausbildungsmöglichkeiten investiert worden. Nach diesem | |
Erfolgskonzept sei auch die Ukraine vorgegangen, ebenso der Inselstaat | |
Tuvalu. | |
1.200 Euro Monatsverdienst seien tarifvertraglich heute garantiert an Bord, | |
so das Ergebnis von Lauckes Recherche. Gebe es Probleme mit der Heuer oder | |
den Arbeitsbedingungen, helfe die International Transport Workers | |
Federation (ITF): Eine Meldung geht an des ITF-Büro des nächsten Hafens und | |
die Kranführer oder Profis des Containerzusammenlaschens könnten das Schiff | |
bestreiken. Das kann sich kein Reeder leisten. Die Schiffsverkehre sind | |
weltweit auf 30 Minuten genau getaktet, bei Verspätung drohen | |
Millionenverluste. | |
Es existiert eben nur ein relevanter Widerhaken in den Abläufen der | |
Seefahrt, wie es im Stück heißt. „Okay, es gibt das Wetter, die Piraten, | |
die Wirtschaftskrise, blubbblubbblubbb. Das eigentliche Problem ist: der | |
Mensch. Der Mensch. Der Mensch, der einfach mal nicht für nach dem Fahrplan | |
von irgendwelchen geldgierigen Hirnis und für nach nix als Strom aus der | |
Dose gierigen Rechner funktioniert.“ | |
Die internationalen Besatzungen sind in Bremerhaven selten zu sehen. „Die | |
Schiffe liegen nur sechs bis zwölf Stunden im Hafen, die Seeleute sind auch | |
in der Zeit in knallharte Betriebsabläufe eingebunden“, berichtet Laucke. | |
Die Arbeit sei meist recht monoton, bestehe vornehmlich aus Putzen und | |
Streichen. „Der einzige Unterschied zwischen Gefängnissen und Schiffen ist: | |
Gefängnisse können nicht sinken, hähähö?“, sagt der „Seeelefant“ des | |
Stücks. Wer doch mal kurz an Land darf, für den bietet die Seemannsmission | |
Internetzugang und Telefonkarten: nach Hause telefonieren. | |
Die Cargonauten sind meist neun Monate am Stück auf See. Was bei Laucke zur | |
einer rühren wollenden Schlusspointe führt: Ein Philippino erfährt von | |
seiner skypenden Tochter vom Tod der Mutter: „Und wo bist du?“ Papa ist | |
halt seit Langem weitweit weg, kann nur so seine Familie ernähren, indem er | |
den kapitalistischen Wertschöpfungsmechanismen auf den Weltmeeren beim | |
Funktionieren hilft. | |
So hätte man zeigen können, wie sich im Privaten die moderne Ökonomie | |
spiegelt. Aber all das findet kaum Platz in den „Cargonauten“. Aussteiger | |
John besucht im Stück (wie Laucke bei seinen Recherchen) mit der Diakonin | |
der Seemannsmission die im Hafen liegenden Schiffe. Er sucht einen Anlass, | |
um einmal etwas Gutes-Wahres-Schönes zu tun. Da kommen ihm asylwillige | |
Marokkaner gerade recht, die in einem Container entdeckt werden. John will | |
sein Leben ändern – so wie Laucke sein Stück neu positionierte, als er von | |
einer solchen (für Bremerhaven eher seltenen) Begebenheit erfuhr. | |
Anstatt sich dem fremden Leben der Hafenarbeiter und Seeleute zu nähern, | |
geht es plötzlich um die Festung Europa, wobei die Flüchtlinge selbst nicht | |
auftreten. „Wie im echten Leben findet ihr Drama in der Debatte über sie | |
statt“, schreibt Laucke im Programmheft. | |
Nur dass es eben kein Drama wird. Alle Figuren müssen wider Johns | |
hektischen Aktionismus darlegen, warum ihr Lebensmut, ihre Utopien, ihre | |
ethischen Grundsätze nicht ausreichen, um jetzt sofort konkret zu helfen | |
und sich dadurch strafbar zu machen. Man möchte kein „Reiseführer in den | |
Wohlfahrtsstaat“ sein, die „Einschleicher“ nicht mit „falschen Fakten“ | |
locken, das Abtauchen in illegale Beschäftigungen gar nicht erst | |
ermöglichen. | |
Geradezu pamphletisch lässt Laucke argumentieren: Die riskieren alles, ihr | |
Leben, und was riskieren wir? Im realen Leben ging der Fall entsprechend | |
der Gesetzesbücher aus: De Migranten nötigten erst durch Selbstverletzungen | |
den Kapitän und die Hafenbehörden dazu, von Bord gehen und dann um Asyl | |
bitten zu dürfen. | |
So richtig und wichtig es ist, die Folgen der zynischen Abschottung | |
Westeuropas zwecks Besitzstandswahrung immer wieder öffentlich zu machen, | |
so wenig hilfreich ist es, seine Theaterfiguren ans politisch korrekte | |
Anliegen zu verraten. Es ist eigentlich Lauckes Qualität, in solchen | |
Settings sozial sehr genau und sprachlich präzise seine Figuren zu | |
verorten. Jetzt wirken die porträtierten Milieus überraschend klischeehaft. | |
Und der Laucke-erfahrene Regisseur Jens Poth setzt noch einen drauf, indem | |
er sich weniger für Empathie, denn für einen Spaß auf Kosten der Figuren | |
interessiert, die teilweise wie Comedy-Typen auftreten. | |
Lustig? Ja. Aber frisches Nachdenken über unsere Lebenswelten lässt sich so | |
nicht anstupsen. | |
4 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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