Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Erster Roman von Dirk Laucke: Briefe an Margot Honecker
> Die Suche nach einer Sprache, in der man sich selbst glauben kann: Dirk
> Lauckes Vater-Sohn-Geschichte „Mit sozialistischem Grusz“.
Bild: Ein Briefwechsel mit Margot Honecker führt die Protagonisten des Romans …
Eigentlich ist das ein Monolog. „Mit sozialistischen Grusz“ heißt der erste
Roman des Theaterautors Dirk Laucke und sicher folgt bald eine
Bühnenfassung. Denn man sieht ihn plastisch vor sich, den jungen Phillip
Odetski, wie er sich windet mit linkischen Gesten. Als Erzähler redet er
zwar mit dem Leser, doch kommentiert er seinen Drang, sich mitzuteilen, als
Ausnahmezustand. Denn eigentlich ist er schüchtern und überhaupt: Er kriegt
das Maul im entscheidenden Moment nicht auf und verpasst im Nachdenken
darüber, warum er wohl so ist, auch noch den zweitbesten Moment. So einer
wächst der Leserin schnell ans Herz.
Und wenn es irgendwann zu nerven beginnt, dies Pirouettendrehen um die
eigenen Defizite, dann ist der Roman nach 200 schmalen Seiten auch schon
aus. Gerade jetzt, wo der Junge endlich mal auf dem Sprung zu sein scheint.
Er will die Stadt Halle, seinen einsamen Vater und seine Fast-Freundin
Nicole, die ihm im Denken und Reden immer zwei Schritte voraus ist,
verlassen, um sich in Berlin für ein Kunststudium zu bewerben. Bloß dass
die große Flut grade die Bahnstrecke lahmgelegt hat.
Die Radioberichte und Fernsehbilder des Hochwassers, die Phillip und sein
Vater Hermann Odetski in der aufgeräumten kleinen Wohnung verfolgen, dienen
schließlich der Beschleunigung ihrer Geschichte. Vater und Sohn sind zwei
Übriggebliebene, mit dem Ende der DDR aus ihren Rollen Geschleuderte, von
der Mutter irgendwann in Nachwendezeiten in Richtung Westen Verlassene. Die
beiden Männer machen sich mehr Sorge umeinander, als jeder sich und vor
allem dem anderen eingestehen möchte. Der Vater beginnt einen absurden
Briefwechsel mit Margot Honecker; der wird schließlich die Bühne, auf der
Vater und Sohn wieder ins Gespräch kommen.
Dabei geht es um das Suchen nach einer Sprache, in der man sich selbst
glauben kann; die nicht kontaminiert ist vom Anschein der Identifikation
mit den Wunschbildern eines Staates, in dem Hermann Odetski einmal zu Hause
war. Einer Sprache, die nicht zerschossen ist von Leerstellen, dort, wo
sich das Schweigen in der Familie ausgebreitet hat.
## Bilder inszenierter Solidarität
Was Phillip nicht erträgt, sind ausgestellte Gefühle. Das ist für ihn immer
gefährlich nahe an dem falschen Zungenschlag und Pathos der DDR. Deshalb
sind ihm die Bilder der inszenierten Solidarität so suspekt, die im Radio
und Fernsehen die Berichte vom Hochwasser begleiten.
Dirk Laucke ist selbst 1982 in Halle geboren und mit der Frage von Gehen
oder Bleiben, Stillstand oder Aufbruch haben sich schon manche seiner
Dramenfiguren geplagt. Mit Phillip teilen sie, mehr mit ihren Eltern und
deren Verlusten in der Nachwendezeit mitzuleiden, als ihnen zunächst
unterstellt wird. Jede Entscheidung im eigenen Leben wirkt ungewollt wie
ein Urteil über das Leben ihrer Familie und ist doch oft nicht so gemeint.
Auf vielen Bühnen zwischen Hamburg, Essen und Berlin wurde mit Lauckes
Stücken in diese emotionale Landschaft geführt.
Jetzt ist ein Lesetext gefolgt, der auch in manche Manteltasche passt und
auf der Couch, im Zug, im Café zu lesen ist. Das gibt ein schönes Bild für
die Unruhe von Lauckes Figuren. Keine ist mit großem Gepäck unterwegs;
Selbstdarsteller, gar Selbstvermarkter sind sie alle nicht. Eher
korrigieren sie ihr Bild nach unten, machen sich ein bisschen kleiner. In
einer Zeit, in der Aufmerksamkeit als höchstes Gut gilt, eine selten
kultivierte Haltung.
14 Mar 2015
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Theater
Roman
DDR
Schwerpunkt Nationalsozialismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
„Zu jung zu alt zu deutsch“: Die Schuld als Identitätskern
Regisseur Nick Hartnagel destilliert am Staatstheater Hannover Klischees
aus aktuellen Auseinandersetzungen mit dem Nationalismus.
Festival in Osnabrück: Inszenierung des Alltags
„Spieltriebe“ folgt in seinem fünften Jahr unter dem Motto „Total Real“
einem Trend und lässt die DarstellerInnen ihre eigenen Biografien
präsentieren.
Dokumentartheater in Bremerhaven: Flüchtlinge aus der Container-Kiste
Dirk Laucke hat über Seeleute in Zeiten des globalen Warenverkehrs
recherchiert. Sein Stück "Cargonauten" läuft nun am Bremerhavener
Stadttheater - und hält nicht ganz, was es verspricht.
Holger Schultze, Intendant des Osnabrücker Theaters: Der Aufbau-Arbeiter
Als Intendant in Osnabrück hat Holger Schultze sein Haus aus der
künstlerischen Bedeutungslosigkeit geholt. Nach sechs Jahren furioser
Arbeit wechselt er zum Ende der Spielzeit nach Heidelberg.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.