# taz.de -- Krisenzeiten: Ein Schiff wird kommen - und bleiben | |
> Die Krise hat das Seefahrtsgeschäft erreicht. Statt über die Weltmeere zu | |
> fahren, liegen Schiffe samt Besatzung in den Häfen oder vor Anker. | |
> Dadurch entsteht eine ganz neue Situation für die Seeleute - und für die | |
> Seemannsclubs. | |
Bild: Offene Türen für gestrandete Seemänner: Seit März können sie sich im… | |
Fünf Philippiner stehen vor der verschlossenen Glastür. Sie treten von | |
einem Bein auf das andere, rauchen. Als die Tür zum "Baltic Poller" | |
geöffnet wird, brechen ihre Gespräche ab. Zielstrebig steuern sie die drei | |
Computer an. Das ist immer so. Wenn die Seeleute von Bord kommen, hat die | |
Familie Priorität. Minuten später stehen die Verbindungen ans andere Ende | |
der Welt. Per Webcam grüßen Frau und Kinder. | |
Zwei Männer vertreiben sich die Zeit, bis die Rechner frei werden, am | |
Billardtisch. "Weil es an Bord meist schwankt, sind Tischspiele mit | |
bewegten Bällen an Land besonders beliebt", sagt der Diakon und | |
Seemannsbetreuer Rudi Saß. Am Spielniveau der Seeleute kann er erkennen, | |
wie lange sie schon an Land sind. | |
Ende März hat die Seemannsmission den Club "Baltic Poller" im Kieler | |
Osthafen eröffnet. Vorher gab es hier nur einen Bereitschaftsraum. Doch | |
weil durch die Flaute im Seefahrtsgeschäft viele Aufträge ausbleiben, | |
stecken immer mehr Schiffe in den Häfen fest - samt Besatzung. | |
Damit sich die Seeleute vom tristen Alltag an Deck ablenken können, hat die | |
Seemannsmission das Angebot im "Baltic Poller" erweitert. In der Mitte des | |
lichtdurchfluteten Raumes steht ein Kicker. An der Wand hängt eine | |
Dartscheibe. Auch Karten- und Brettspiele, englische Bücher und eine Nische | |
für ungestörte Telefonate gibt es im Kieler Clublokal. Die provisorisch | |
errichtete Bar in der Ecke ist verwaist. Kein Wunder: Die Seeleute dürfen | |
nur ein Bier pro Abend trinken - strenge Auflage der Reeder. | |
"Die Erweiterung des Clubs war schon länger geplant, die aktuelle Situation | |
hat uns den entscheidenden Kick gegeben", sagt Saß. Mit seinem grauen Bart | |
könnte der 58-Jährige selbst als Seemann durchgehen. "Als Fischerjunge bin | |
ich früher oft mit meinem Vater rausgefahren. Die Arbeit hier ist eine | |
schöne Abrundung", sagt Saß. | |
Noch vor wenigen Wochen bestand seine Tätigkeit aus kleineren | |
Dienstleistungen: Mit seinem 16-köpfigen Team belieferte er die Frachter | |
mit Telefonkarten und Zeitungen, bot Gespräche an. "Mehr war nicht nötig, | |
denn die meisten Schiffe stachen schon nach wenigen Stunden wieder in See", | |
sagt Saß. Doch in der Krise werden Durchreisende zu Stammgästen. | |
Saß kann sich plötzlich viel mehr Zeit nehmen für die Arbeiter, die oft | |
mehrere Monate ohne Pause an Deck verbracht haben. Für die Auflieger | |
organisiert er deshalb auch Ausflüge, Einkäufe oder hat bei familiären | |
Problemen ein offenes Ohr. "Die Gespräche werden persönlicher, seit in der | |
Mission häufiger dieselben Leute auftauchen", sagt Saß. "Durch die lange | |
Liegezeit kommen den Seemännern viele Gedanken und Sorgen, die sie sonst | |
nicht haben." | |
Vier Schiffe liegen zurzeit im Kieler Hafen auf, eines schon seit Mitte | |
Oktober. Für die Branche eine ungewöhnliche Situation. "Die letzte Krise | |
liegt mehr als 30 Jahre zurück", sagt Rudi Saß. Noch vor wenigen Monaten | |
wurden die Ausbildungszeiten verkürzt, um schnell Fachkräfte | |
bereitzustellen. Die Reedereien orderten Containerschiffe in Serie. Die | |
werden nun teilweise gar nicht ausgeliefert, weil nicht einmal mehr die | |
alten Frachter zum Einsatz kommen. | |
So wie die Santa Alina und die Santa Adriana. Mit dicken Tauen sind sie | |
nebeneinander festgemacht und dümpeln vor sich hin. An Bord ist es still, | |
die weiten Ladeflächen sind leer. Seit Anfang März liegen die | |
Schwesterschiffe in der Kieler Förde vertäut. Normalerweise verkehren sie | |
zwischen Afrika und Asien und transportieren zusammen rund 5.000 Container. | |
Weil niemand sagen kann, wann der nächste Auftrag kommt, wurde eines der | |
Schiffe mittlerweile stillgelegt. Das andere wird mit einer Rumpfcrew auf | |
Stand-by gehalten. Von über 40 Mann sind nur ein deutscher Offizier und | |
sieben Seeleute übrig. | |
Einer davon ist Ben Alolod. In Jeans und einem orangefarbenen T-Shirt sitzt | |
der kräftige Philippiner im "Baltic Poller". Seinen Overall hat er an Bord | |
gelassen - schließlich hat er jetzt frei. "Ich habe ein wenig Angst, nach | |
Ablauf des Vertrags nicht mehr beschäftigt zu werden", sagt der 39-Jährige. | |
Mit der Santa Adriana kam er von Manila nach Kiel und liegt hier nun seit | |
mehr als einem Monat. "Ich gehe davon aus, dass ich noch bis Herbst hier | |
bleibe", sagt Alolod. Dann läuft sein Vertrag aus. | |
Alolod hat aber Hoffnung, in der Heimat wieder an Deck beschäftigt zu | |
werden. Seinem Arbeitgeber gehe es vergleichsweise gut. "Ich kenne aber | |
Leute, die damit rechnen müssen, auch langfristig keinen Job mehr zu | |
bekommen." Für Philippiner ein harter Schlag. Mit ihrem Gehalt versorgen | |
die Seeleute oft die ganze Großfamilie. | |
Keine Angst vor der Zukunft hat sein Kollege Ricardo Lobaton. Seit 15 | |
Jahren fährt der Philippiner zur See - ein einziges Mal lag er für längere | |
Zeit in einem Hafen. Er hat kein Problem damit, so lange aufzuliegen. | |
Schließlich wird er weiterhin mit vollem Gehalt bezahlt. So oft wie möglich | |
besucht er den Seemannsclub. An Deck gibt es zurzeit nicht viel zu tun. | |
"Langweilig wird mir trotzdem nicht", sagt Lobaton und verschwindet in | |
Richtung Billardtisch. Noch hat er gegen seinen Kollegen keine Chance. In | |
den nächsten Wochen wird ihm aber noch viel Zeit zum Üben bleiben. | |
14 Apr 2009 | |
## AUTOREN | |
Michael Dreisigacker | |
Christian Walthert | |
## TAGS | |
Hamburger Hafen | |
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