# taz.de -- Autorin über Marx und Feminismus: „Wir dürfen faul sein“ | |
> Luise Meier sieht kein Problem darin, mit Marx spielerisch umzugehen. In | |
> ihrem Buch verknüpft sie seine Theorien mit Feminismus. | |
Bild: Will Marx den Feminismus aufzwingen: Autorin Luise Meier | |
taz am wochenende: Ist Ihr Buch „MRX-Maschine“ der Versuch, Marx fit zu | |
machen für die Jetztzeit? | |
Luise Meier: Tatsächlich haben mich die Fragen, die die Gesellschaft gerade | |
umtreiben, mehr interessiert als der alte Marx. Ich habe mich gefragt, ob | |
es funktionieren würde, seine begrifflichen und theoretischen Instrumente | |
auf die Probleme der Gegenwart anzuwenden. | |
Und, hat das geklappt? Brauchen wir Marx heute noch? | |
Schon bevor ich mit dem Buch begann, habe ich bemerkt, dass mich [1][diese | |
Begriffe von Marx], die ich noch aus dem Studium kannte, plötzlich | |
zunehmend beschäftigten. Auch aus dem ganz profanen Grund, dass ich | |
angefangen hatte zu arbeiten. Plötzlich dachte ich darüber nach, wie sich | |
mein Lohn eigentlich zusammensetzt, und Begriffe wie Proletariat oder | |
Lohnarbeit spielten eine Rolle für mich. | |
Welche denn? | |
Ich habe schnell gemerkt, dass man anders über die eigenen, aber auch über | |
gesamtgesellschaftliche Verhältnisse nachdenkt, wenn man diese Begriffe | |
benutzt. Natürlich könnte man das auch mit einem moderneren Begriff wie | |
„Diskurs“ verhandeln, aber wenn man Marx benutzt und dessen Begriffe wie | |
Ideologie, dann kommen plötzlich ganz neue Querverbindungen zum Vorschein. | |
Ich habe mir quasi einen Spaß daraus gemacht, diese altgedienten Begriffe, | |
die – seien wir ehrlich – eigentlich als überholt und unbrauchbar, ja zum | |
Teil sogar als widerlegt gelten, wieder zu verwenden, wenn auch nicht mit | |
der Strenge von früher. Und sie damit wieder benutzbar zu machen, ihr | |
kritisches Potenzial offenzulegen. | |
Spaß mit Marx? | |
Ja, das geht. Ich bin aber auch niemand, der Marx von hinten nach vorne am | |
Stück liest. Aber beim Lesen der Warenformanalyse kann ich durchaus in | |
rauschhafte Zustände geraten, wenn ich merke, da hilft mir jemand die Welt | |
zu verstehen, wie ich die Welt verstehen will. | |
Tut man dem guten alten Marx mit so einer Modernisierung nicht Zwang an? | |
Auf jeden Fall. Aber ich tue ihm ja nicht weh, er ist ja tot. Ich finde es | |
eher seltsam, dass ausgerechnet Marx, bei dem es doch gerade um Befreiung | |
geht – und zwar nicht nur der Arbeitenden, sondern aller Menschen –, so | |
eine Vorsicht, so eine Buchstabenhörigkeit entgegengebracht wird. Dabei | |
merkt man schnell, wenn man mit Marx mal spielerisch umgeht, dass eine | |
Reibung entsteht zwischen den alten Begriffen und einer Welt, die sich | |
ständig neu beschreibt, dabei aber vor allem verschleiert, dass es | |
Verhältnisse gibt, hauptsächlich ausbeuterische, die kontinuierlich sind. | |
Um aus diesen Verhältnissen herauszukommen, entwerfen Sie das Motiv | |
„MRX-Maschine“. Deren Formel lautet: „Fuck-Up + Solidarität = Revolution… | |
Das müssen Sie erklären. | |
Fuck-Up, dieser Begriff von Valerie Solanas, war für mich interessant, weil | |
er sowohl das Scheitern aus Versehen, aber auch eine absichtliche | |
Verweigerung wie einen Streik umfassen kann, und mit dem „Fuck“ auch noch | |
die Lust, ja sogar Hedonismus drinsteckt. Ich glaube, wenn das alles | |
zusammenkommt, wenn wir lernen, Scheitern und Verweigerung zu genießen, | |
kann das eine Grundlage für Solidarität werden, mit der es dann tatsächlich | |
zur Revolution kommen kann. | |
Da sagt jetzt der Laie: Einfach nicht mehr arbeiten, wie soll das denn | |
gehen? Wer bezahlt denn dann mal meine Rente? | |
Ja, das ist erstaunlich, welche Ablehnung gerade dieser Punkt, der | |
Hedonismus, auslöst. Es gibt eine große, aber meiner Meinung nach völlig | |
grundlose Angst, die herrschenden Verhältnisse grundsätzlich infrage zu | |
stellen. Ich finde aber: Wir haben ein Recht darauf, glücklich zu sein. Wir | |
dürfen faul sein. Das ist eben der Trick bei Marx, dass er seine Ideologie | |
nicht aus einer christlichen Moral entwickelt. Seine Idee ist es, wirklich | |
egoistisch zu sein. Es geht dabei nicht um den verblendeten | |
Konsumenten-Egoismus, zu dem uns der Kapitalismus erzieht. Es geht darum, | |
selber zu gucken: Was will ich? Wo will ich eigentlich hin? Es geht eben | |
nicht darum, dass wir alle gute Menschen werden, sondern darum, die | |
Gesellschaft zu bauen, in der es uns gut geht und in der wir gute Menschen | |
sein können. | |
So weit sollte Ihnen jeder ehrliche Traditions-Marxist auch noch folgen | |
können, aber dass Sie Feministinnen, Queers, Rassismusopfer und alle | |
Marginalisierten mit hinein ins Proletariat packen? | |
Das ist wahrscheinlich ein antiautoritärer Impuls in mir, dass ich so etwas | |
in Marx hineininterpretieren will. Es geht mir auch darum, das Denken über | |
Marx zu befreien. Vor allen Dingen wollte ich aber kein Buch schreiben, in | |
dem ich beklage, dass Marx nicht feministisch genug war. | |
Sondern? | |
Interessanter fand ich, die entsprechende Verknüpfung zu suchen, mit der | |
der Feminismus an seine Theorie andocken kann, ihm den Feminismus sozusagen | |
aufzuzwingen und dann auch gleich noch Queerness mit ins Boot zu holen. Ich | |
gehe ja sogar noch weiter: Für mich fällt auch die Selbstoptimierung unter | |
den Begriff Arbeit. Ständig sollen wir uns verbessern, fit machen, an uns | |
arbeiten. Wir haben heutzutage einen inneren Vorarbeiter, sodass in jedem | |
von uns eine Art inneres Proletariat entsteht. Ich unterstelle Marx, dass | |
er das Proletariat auf den Industriearbeiter beschränkt hat, damit seine | |
Theorie am Schluss auch aufgeht. Den Zwang zur Widerspruchslosigkeit seines | |
Gedankengebäudes muss man so aber nicht übernehmen – man muss ihr nicht die | |
Solidarität zwischen den ausgebeuteten Schichten opfern. | |
Wie stünde Marx zum bedingungslosen Grundeinkommen? | |
Das Grundeinkommen löst noch nicht das Problem des Eigentums. Die Idee ist | |
natürlich ein guter Anlass, die Leistungsgesellschaft, in der wir leben, | |
anzugreifen. Das Grundeinkommen ist für den Einzelnen sicher ein ganz | |
konkreter Ansatz, es ist ein politischer Impuls, um über Arbeit und | |
Bezahlung jenseits der ideologisch-moralischen Verkrustungen zu sprechen. | |
Aber das Grundproblem, das fremdbestimmte Leben, die Abhängigkeit vom | |
Markt, die bleibt doch. Vor dem Hintergrund, dass allen alles zusteht, ist | |
es sicher nicht ganz falsch, ein bisschen was zu fordern. | |
Es sind eine Menge Bücher in diesem Marx-Jahr erschienen. Ihres ist das | |
einzige von einer jungen Frau. Fühlen Sie sich ernst genommen in dieser | |
Debatte? | |
Die Frage wäre vielleicht nicht so sehr, ob ich ernst genug genommen werde, | |
sondern ob man die anderen nicht zu ernst nimmt. Mir geht es nicht darum, | |
das Vorrecht des männlichen Experten, Autors und Buches für mich | |
einzufordern, sondern darum, es infrage zustellen. Wir werden ja gerade | |
dadurch gefährlich, dass wir, unbekümmert vom Vorwurf, dilettantisch oder | |
irrational oder hysterisch zu sein, Marx lesen. | |
Wenn sich nun alle Queers, alle Randgruppen und Marginalisierten | |
tatsächlich solidarisieren und gemeinsam kapitulieren sollten und das | |
System stürzen, was kommt dann? | |
Dann kommt das Paradies. So lese ich jedenfalls Marx. | |
5 May 2018 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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