| # taz.de -- Doku über Kapitalismusfans: Das Prinzip Schwerkraft | |
| > „System Error“ taucht ein in die Welt der Wachstumsbefürworter und | |
| > Kapitalismusfans. Von Argumenten fehlt jede Spur. | |
| Bild: Pink, schwarz oder rot: Für den „System Error“ hat Karl Marx trotz v… | |
| „System Error“ ist nicht der Film geworden, den Florian Opitz drehen | |
| wollte. Und das ist gar nicht so schlecht. Der Dokumentarfilmer und | |
| Journalist hatte geplant, alternative Ansätze zum Kapitalismus zu zeigen. | |
| Doch alle Projekte kamen ihm zu wenig neu oder zu klein vor, um die Welt zu | |
| verändern. Stattdessen interessierte ihn auf einmal „dieses Monster an | |
| System“, die Perspektive der Kapitalismusfans: Wie ticken sie, woher kommt | |
| ihre Fokussierung, dieses Festhalten am Wachstumszwang, obwohl jeder Mensch | |
| doch schon seit Jahrzehnten wissen kann, dass genau das am Ende alle | |
| umbringt? | |
| Statt in Tauschringen engagierte Menschen und Regiogeld-Initiativen zu | |
| besuchen, taucht Opitz in diese fremde Welt ein. Und die entpuppt sich als | |
| Blase, in der sich die Protagonisten gegenseitig bestärken und | |
| hochschaukeln. Ja, die männliche Form ist richtig, Protagonistinnen scheint | |
| es hier nicht zu geben. Nur ab und an ist eine Frau als Staffage zu sehen, | |
| noch am exponiertesten in der Rolle als Bundeskanzlerin, die sich auf der | |
| Jahreskonferenz des Bundesverbands der Deutschen Industrie über die | |
| Wachstumsraten innerhalb der EU freut. | |
| „System Error“ hangelt sich an einem Zeitstrahl entlang, wie die | |
| Wachstumsideologie im Zweiten Weltkrieg durch die Einführung des | |
| Bruttoinlandsprodukts als neues Maß für das gesellschaftliche Wohlergehen | |
| populär wurde, im Wirtschaftswunder des Wiederaufbaus ihre Erzählung fand, | |
| sich nach Ölkrise und Club of Rome auf den – politisch endlich entfesselten | |
| – Finanzmärkten nach einem kurzen Knick ebenso neu erfand wie heute nach | |
| der Banken- und Finanzkrise in der digitalisierten | |
| Hochgeschwindigkeitswelt. | |
| Opitz illustriert den Exkurs mit schnellen Bildfolgen von blühenden | |
| (Bau-)Landschaften, fröhlichen Malochern und Müllbergen, von in die Höhe | |
| wachsenden Städten, hippen Freizeittreibenden und geschockten Brokern. | |
| Besonders hübsch: der jüngere Donald Trump, der die Profitmöglichkeiten des | |
| Wachstums auf Pump in den 1980er Jahren wie kein anderer zu nutzen weiß und | |
| sein Immobilienimperium mit Steuererlassen und Bankengeldern aufbaut. „Gibt | |
| es Grenzen? Ich hoffe, ich werde merken, wenn ich an meine Grenzen stoße“, | |
| sagt er in die Kamera. | |
| ## Was alles geht | |
| Dazwischen schaltet der zweifache Grimme-Preisträger Opitz – passend zum | |
| 200. Geburtstag von Karl Marx – Zitate des Vaters der Kapitalismuskritik. | |
| Und die funktionieren ganz gut als Kurzanalysen der Interviews, die | |
| schließlich den Schwerpunkt des Films ausmachen: Gespräche mit Managern und | |
| Unternehmern aus Deutschland, den USA, Brasilien und China, die – einziges | |
| Zugeständnis an vielleicht doch weniger gut vororientierte Zuschauer_innen | |
| – mit Aussagen des Ökonomen und Wachstumskritikers Tim Jackson abwechseln. | |
| Klar, dass sich alle darüber einig sind, dass Wachstum sein muss. Blase ist | |
| schließlich Blase. Aber die Vehemenz und Gläubigkeit ist doch verblüffend: | |
| Wachstum sei ein Naturgesetz, sagt der langjährige Geschäftsführer des | |
| Bundesverbands der Deutschen Industrie, Markus Kerber, „unveränderlich wie | |
| die Schwerkraft“. | |
| Dem brasilianischen Sojabaron Argino Bedin ist nur der lästige Regenwald im | |
| Weg. Allianz-Chefinvestor Andreas Gruber möchte sich frei nach Magda | |
| Goebbels „eine Welt ohne Wachstum nicht vorstellen. Man sieht heute, dass | |
| jedes Wachstum ökologisch machbar ist.“ | |
| Argumente kommen nicht vor. Der einzige Protagonist, der zur Begründung des | |
| Wachstumsdogmas mehr heranzieht als die Notwendigkeit des Wachstums selbst, | |
| ist Anthony Scaramucci, Hedgefondsbesitzer, bekannt vor allem durch sein | |
| kurzes Intermezzo als Kommunikationschef im Weißen Haus. „Wir werden das | |
| Alter stoppen und den Krebs heilen“, verspricht er. Dafür brauche man | |
| Wachstum, dafür die richtigen Rahmenbedingungen – und dafür die richtigen | |
| Macher, „Profis und Praktiker, Abenteurer, keine Akademiker.“ Make America | |
| Great Again. | |
| Das ist alles nicht leicht in Bilder zu fassen. Viel schwerer, als | |
| qualmende Mülldeponien, abgeholzte Wälder, quecksilbern schimmernde | |
| Goldminen und einsame Eisbären auf abdriftenden Schollen. Opitz favorisiert | |
| Börse (Hektik), Airbuswerk (Größe), die smarte Audi-Fabrik (Robotik) und | |
| immer wieder den Weltraum (irgendwie Zukunft). Die Interviewten sitzen im | |
| Auto oder im Büro vor gigantischen Monitoren oder noch gigantischeren | |
| Panoramafenstern, nur der aus der Blase ausgestiegene Ex-Fondsmanager | |
| Stewart Cowley darf seine Gitarre mitbringen, und Tim Jackson ins Grüne. | |
| Ein Manko ist das nicht, denn die anderen Bilder stellen sich ganz von | |
| selbst bei den Betrachtenden ein. Im Kopf. Mit all den offenen Fragen und | |
| Gegenargumenten. | |
| 15 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Beate Willms | |
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