# taz.de -- Debatte Grundeinkommen für Eltern: Bedingungslos für Kinder | |
> Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Eltern würde ärmere Familien nicht | |
> nur entlasten. Sie hätten dann auch mehr Zeit für den Nachwuchs. | |
Bild: Weniger existenzielle Ängste gleich mehr Zeit mit der Familie | |
Lassen Sie uns ein – vielleicht utopisches – Gedankenexperiment wagen. Wie | |
wäre es, wenn Eltern hierzulande ein bedingungsloses Elterngrundeinkommen | |
(BEGE) erhielten, das sie in die Lage versetzte, optimale Kinderbetreuung | |
zu organisieren oder schlicht von Sozialtransfers wie Hartz IV unabhängig | |
zu sein? Ein solches Grundeinkommen könnte Kinderarmut beseitigen helfen – | |
denn es muss klar sein: Kinderarmut ist Familienarmut. | |
Gründe für Familienarmut sind vielfältig. Geringverdiener verdienen | |
schlicht nicht genug, um eine Familie versorgen zu können. Alleinerziehende | |
Elternteile können nicht oder nur stundenweise einer Beschäftigung | |
nachgehen. Und selbst mit zwei Einkommen sind Kosten für steigende Mieten | |
und Kinderbetreuung häufig nur schwer zu stemmen. | |
Jede Familie steht vor dem Dilemma, dass die Sorge für Kinder viel Zeit | |
beansprucht, die jedoch in Erwerbsarbeit investiert werden muss, um den | |
erhöhten [1][finanziellen Bedarf zu decken.] Eine Krux, die der Staat in | |
den letzten Jahren durch Kinderbetreuung zu kompensieren suchte. | |
Der [2][Mangel an qualifizierten Erzieher*innen] macht aus diesem Anspruch | |
aber einen Wunschtraum. Zumal sich dieser Lösungsweg eher an den Interessen | |
der Wirtschaft und weniger an denen der Familien orientiert: Die meisten | |
jungen Familien wünschen sich nämlich mehr Zeit für den Nachwuchs und eine | |
bessere Work-Life-Balance. | |
Für einen Sozialstaat, der fundamental auf einer nachwachsenden Generation | |
zur Versorgung älterer Generationen beruht, sind Kinder unerlässlich. Warum | |
sollten Eltern, die durch Zeit und Mühe den Sozialstaat am Leben erhalten, | |
nicht teilweise für Verdienstausfälle und die zusätzliche Lebensleistung | |
kompensiert werden? | |
Eine solche Kompensation über Steuern oder Rente zu organisieren birgt den | |
fundamentalen Nachteil, dass nicht alle Eltern staatliche Renten beziehen | |
oder von Steuernachlässen profitieren. Ein Elterngrundeinkommen wäre | |
sinnvoller. | |
Die Ausgestaltung eines solchen BEGE sollte sich an drei grundlegenden | |
Zielsetzungen orientieren: 1. Eltern für Verdienstausfälle zu kompensieren | |
und ihnen damit Zeit für ihre Kinder zu „erkaufen“. 2. Elterliche | |
Erziehungsleistung zu honorieren. 3. Eltern und Kinder weitestgehend von | |
ergänzenden Sozialleistungen und den damit verbundenen Stigmata zu | |
befreien. | |
Darüber hinaus sollte die fundamentale Ungleichbehandlung armer und reicher | |
Familien, wie sie beispielsweise im Elterngeld oder durch die Anrechnung | |
von Betreuungs- und Kindergeld auf Hartz-IV-Sätze gegeben ist, beendet | |
werden. | |
## Anreiz für Arbeit, nicht für mehr Kinder | |
Auf Basis dieser Prämissen könnte ein BEGE so aussehen: Es hat tatsächlich | |
nur eine Vorbedingung, nämlich die Elternschaft. Weil Erziehungsleistung | |
honoriert wird, erhalten alle Eltern das BEGE, ob arbeitslos oder | |
erwerbstätig. Auch die Inanspruchnahme von Kinderbetreuung schließt den | |
Bezug des BEGE nicht aus. | |
Das mag kontraintuitiv wirken, ist aber entscheidend: Derzeit bestehen für | |
geringqualifizierte Eltern wenig Anreize, eine Erwerbsarbeit anzunehmen, | |
weil diese Kosten für Kinderbetreuung einschließt und so vom Einkommen | |
häufig nicht mehr als ein Hartz-IV-Satz übrig bleibt. Mit dem BEGE hätten | |
erwerbstätige Geringverdiener in jedem Fall mehr Geld in der Tasche. | |
Und es würden auch keine Anreize geschaffen, Kinder von Kindergärten | |
fernzuhalten, um den Anspruch auf das BEGE nicht zu verlieren. Eltern | |
könnten entscheiden, ob sie lieber ein höheres Einkommen durch | |
Erwerbsarbeit plus BEGE generieren wollen oder durch das BEGE | |
Verdienstausfälle aufgrund verringerter Arbeitszeit kompensieren wollen. | |
Da die Betreuung von Kleinkindern zeitintensiver ist und Verdienstausfälle | |
für einen Elternteil oder beide bedeutet, könnte das BEGE nach Alter des | |
Kindes gestaffelt werden. Von einem Höchstsatz für Eltern von Kleinkindern | |
bis zum niedrigsten Satz für Eltern von über Zwölfjährigen. Denkbar wäre | |
ein monatlicher Satz von 900 Euro für Eltern unter Einjähriger und ein | |
Mindestsatz von 200 Euro für Eltern von über Zwölfjährigen mit | |
entsprechenden Zwischenstufen. | |
## Keine Änderungen im Kindergeld | |
Im Falle von mehreren Kindern bestimmt das Alter des jüngsten Kindes die | |
Höhe des BEGE. Das BEGE wird nicht vervielfacht mit steigender Kinderzahl, | |
so entsteht kein Anreiz, möglichst viele Kinder zu bekommen, um ein | |
möglichst hohes BEGE zu erhalten. | |
Für das Kindergeld sowie den Kindesunterhalt ergeben sich keine | |
Veränderungen; dagegen werden das Elterngeld, das arme und reiche Eltern | |
massiv ungleich behandelt, sowie das Betreuungsgeld abgeschafft. Azubis und | |
Studenten mit Kind erhalten das BEGE zusätzlich zum BAföG, da die | |
Bedarfssätze lediglich den Unterhalt für einen Single-Studenten decken. | |
Das BEGE sollte zu gleichen Teilen an beide Elternteile ausgezahlt werden – | |
auch wenn beide gemeinsam wirtschaften. So würde zumindest auf symbolischer | |
Ebene die Bedeutung beider Elternteile für die Erziehung honoriert und der | |
Wirklichkeit getrenntlebender Elternpaare, die sich die elterliche Sorge | |
teilen, Rechnung getragen. | |
## Und wie finanziert man das? | |
Ein so ausgestaltetes BEGE könnte andere Sozialleistungen nicht komplett | |
ersetzen: Sind beide Elternteile arbeitslos, so wird das BEGE allein deren | |
Lebensunterhalt nicht decken können. Es soll jedoch dabei helfen, Familien, | |
bei denen zumindest ein Elternteil erwerbstätig ist, und speziell Familien | |
mit Kleinkindern von ergänzenden Sozialleistungen unabhängig machen. | |
Ist all das überhaupt finanzierbar? Nur dann, wenn das BEGE | |
Sozialleistungen wie den Kinderzuschlag sowie das Betreuungs- und | |
Elterngeld vollständig ersetzt. Für Gutverdiener könnten steuerliche | |
Vorteile, zum Beispiel für die Absetzung haushaltsnaher Dienstleistungen, | |
abgeschmolzen werden, die durch das BEGE kompensiert würden. All das aber | |
setzt den Willen voraus, die gesellschaftliche und ökonomische Bedeutung | |
von Elternschaft anzuerkennen. | |
30 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Marlen Hobrack | |
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