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# taz.de -- Digitalisierter Unterricht in Hamburg: Smartphones werden Lehrmittel
> Hamburg startet eine digitale Lernplattform, für deren Nutzung Schüler ab
> 10 Jahren Smartphones einsetzen sollen. Manche Eltern sind damit gar
> nicht glücklich.
Bild: Segen oder Fluch? Smartphone-Einsatz im Unterricht ist umstritten
HAMBURG taz | „Wir dachten immer, wir sind gute Eltern, wenn wir unser Kind
spät an Medien heranführen“, erinnert sich Elsa Schmidt*. Doch als ihre
Tochter Felicia* im Sommer 2016 in die fünfte Klasse eines Hamburger
Gymnasiums kam, hatten viele ihrer Klassenkameraden bereits ein Smartphone.
Als schließlich auch der Lehrer wichtige Informationen an seine Schüler nur
über Whatsapp verschickte, knickten die Schmidts ein. Zu Weihnachten bekam
die Zehnjährige ihr Smartphone.
Die Smartphone-Frage wird in vielen Familien heiß diskutiert. Hamburgs
Schulsenator Ties Rabe (SPD) schlug da vergangene Woche einen Pflock ein.
Er stellte eine Lernplattform namens Digital.learning.lab vor, die nach den
Sommerferien allen Hamburger Lehrern zur Verfügung steht. Zunächst 60,
später mal 180 „Bausteine“ für digitalen Unterricht in allen Fächern soll
es geben – für die Jahrgänge fünf bis 13, also auch schon für zehnjährige
Kinder wie Felicia.
Perspektivisch, sagte Rabe, werde digitales Lernen auch in der Grundschule
eingeführt. Es sei nicht geplant, dort „nur Holzspielzeug zuzulassen“. Nun
müsste bald mal das Geld von Digitalpakt des Bundes kommen, mahnte der
Senator, denn ein Hindernis sei noch, dass nicht jede Klasse WLAN-Zugang
hat.
Die Endgeräte-Frage selber jedoch wird in Hamburg einfacher gelöst. Die
Schüler bringen ihre eigenen Geräte mit. „Bring your own Device“ (Byod)
heißt das Prinzip, das bereits von Sommer 2014 bis 2016 an sechs Hamburger
Schulen mit rund 2.000 Schülern getestet wurde. Der Versuch habe gezeigt,
dass „jeder Schüler ohnehin ein Smartphone dabei hat“, sagte Rabe am Montag
bei der Vorstellung der Plattform. Die Schulen hätten Geld gehabt, um
Geräte anzuschaffen. Das werde auch künftig so sein. Doch dieses Geld sei
„liegen geblieben“. Die Hardware sei also nicht das Problem.
Eine im November 2016 unter Leitung des Medienwissenschaftlers Rudolf
Kammerl von der Uni Erlangen-Nürnberg fertiggestellte [1][Studie] kam zu
dem Befund, dass 90 Prozent der Schüler ein Smartphone besaßen und fast die
Hälfte ein eigenes Tablet. Und die Geräte der Schüler an den
Stadtteilschulen waren im Schnitt neuer als die der Gymnasiasten.
Doch diese Studie „sät eher Zweifel“, kommentiert die Schulpolitikerin
Sabine Boeddingshaus (Die Linke) Rabes Vorstoß. „Es gibt keine Empirie,
dass es in eine positive Richtung geht.“
In der Tat hat Kammerl den starken Einsatz von Smartphones kritisiert. Die
seien zwar stark in der Lebenswelt der Schüler verankert, doch wegen des
kleinen Displays für das Lesen und Schreiben längerer Texte sowie aufgrund
technischer Probleme fürs Öffnen vieler Dateien weniger geeignet.
Die Studie, für die der Medienwissenschaftler und sein Team rund 500
teilnehmende Schüler und eine fast ebenso große Kontrollgruppe befragten,
kam auf weitere kritische Befunde. So hatten Schüler die Geräte für
einfache Arbeiten wie Recherchieren benutzt. Doch ein kreativer oder
innovativer Umgang mit den eigenen Geräten blieb aus.
Auch hatten die Schüler keine messbar höhere Lernmotivation gegenüber der
Kontrollgruppe. Hinzu kommt, dass die Schüler, die teilnahmen, häufiger in
ihrer Freizeit Online-Spiele spielten als die Vergleichsgruppe. Sie hatten
auch seltener Konflikte mit ihren Eltern um Mediennutzung.
## Positive Effekte nicht erfasst
Die Schulbehörde lässt sich von den Ergebnissen der Studie nicht
irritieren. Laut Martin Brause, dem Leiter der Stabsstelle Digitalisierung
in der Schulbehörde, kam die Evaluation zu früh, um die positiven Effekte
zu erfassen. Inzwischen sei man dabei, mit einer Redaktionsgruppe von 30
Lehrern besagte Bausteine für den Unterricht zu entwickeln, die sich an den
Bildungsplänen orientierten und auch Bezug nähmen auf den Kompetenzrahmen
der Kultusministerkonferenz zur Bildung in einer digitalen Welt.
Wird es künftig für Eltern also gar keine Frage mehr sein, ob sie ihrem
Kind schon zum Start der fünften Klasse so einen Minicomputer kaufen? Für
den Schulversuch wurden alle Eltern um ihr Einverständnis gebeten, aus
datenschutzrechtlichen Gründen. „Das wird aber künftig nicht mehr nötig
sein, weil das Schulgesetz geändert wurde“, sagt Behördensprecher Peter
Albrecht.
Martin Brause verweist auf die aktuelle Studie „Jugend, Information,
Media“, kurz JIM, wonach 99 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen in ihrem
Haushalt ein Smartphone haben. Allerdings ergibt eine vergleichbare Studie
für Kinder (KIM-Studie), dass in der Altersgruppe sechs bis 13 nur die
Hälfte ein eigenes Handy oder Smartphone hat. Auch der Schulversuch bezog
sich auf Schüler der Klassen 6 aufwärts.
## Amtsgericht hat Bedenken
Ab wann sind Smartphones sinnvoll? Peter Widlok von der Beratungsstelle
Klicksafe sagt, eine Altersangabe könne er nicht geben, aber „mit dem
stationären Computer zu Hause hatten Eltern eine gewisse
Kontrollmöglichkeit. Mit dem Smartphone ist das völlig weg“.
Für die meisten sozialen Netzwerke gilt ein Mindestalter von 13 Jahren. Das
Amtsgericht Bad Hersfeld hat sogar grundsätzliche Bedenken gegen die
Nutzung von Messenger-Apps durch unter 16-Jährige formuliert. Eltern
sollten danach sicherstellen, dass keine Zwangsvernetzung mit
Telefonnummern auf dem Smartphone geschieht. Sie sollten alle drei Monate
die Apps überprüfen und einmal im Monat Gespräche über die Nutzung führen.
Der stellvertretende Vorsitzende der Hamburger GEW Frederik Dehnerdt hat zu
Byod eine klare Position: Die Schule müsse die Geräte und auch die Software
stellen. Sonst gerieten die Lehrmittelfreiheit in Gefahr und Eltern unter
Druck, ihren Kindern ein Smartphone zu schenken.
Felicia hat ihr Smartphone bisher noch nicht viel benutzt, erzählt ihre
Mutter. Außer zum Spiele spielen, zuhause, mit der Freundin, auf dem Sofa.
*Name geändert
3 Apr 2018
## LINKS
[1] https://www.ew.uni-hamburg.de/einrichtungen/ew1/medienpaedagogik-aesthetisc…
## AUTOREN
Kaija Kutter
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