| # taz.de -- Digitale Konfusion: „Handys sind nicht feinfühlig“ | |
| > Bremens Bildungssenatorin Claudia Bogedan fordert den Einsatz von | |
| > Smartphones in der Schule. Hirnforscher Gerhard Roth hält das für | |
| > kontraproduktiv | |
| Bild: Wischen kann jedes Kind. Ob das bei der Persönlichkeitsentwicklung hilft… | |
| taz: Herr Roth, die Bremer Bildungssenatorin Claudia Bogedan hat jüngst | |
| erklärt, dass Kinder so früh wie möglich lernen sollten, mit Smartphones | |
| umzugehen. Sehen Sie das auch so? | |
| Gerhard Roth: Als Neurobiologe, der sich mit der kindlichen Entwicklung | |
| beschäftigt, bin ich sehr zurückhaltend, wenn es um Kinder bis zum Alter | |
| von 4 Jahren geht. Die Entwicklung ihrer Gehirne und ihrer Psyche würde | |
| vermutlich negativ davon beeinflusst. Es gibt dazu allerdings keine | |
| seriösen Langzeit-Studien, und jeder, der dazu redet, redet aus seinem | |
| Bauch heraus. | |
| Sie haben in einem Ihrer Bücher beschrieben, wie stark Bildung mit | |
| Persönlichkeit zu tun hat. Kann sich Schüler-Persönlichkeit vor dem | |
| Bildschirm entwickeln? | |
| Zumindest nicht im Kindesalter. Die Lehrerpersönlichkeit und die Beziehung | |
| des Lehrers zum Schüler ist mit Abstand der wichtigste Lernfaktor. Rund 50 | |
| Prozent des Lernerfolges hängt von dem Vertrauen in den Lehrer ab, der vor | |
| mir steht, in dessen Augen ich sehen kann, und der mich anschaut, den ich | |
| spüre. Das beflügelt mein Gehirn, sich zu merken, was ich da höre. Deshalb | |
| müssen Lehrer kompetent, feinfühlig und vertrauenswürdig sein, und die | |
| Schüler müssen sich akzeptiert fühlen. Wie vertrauenswürdig und feinfühlig | |
| ist ein Handy? Bei älteren Schülern kann das Tablet eine wunderbare Hilfe | |
| sein, wie Schulbücher, wenn der Lehrer professionell damit umgeht. | |
| Und in der Grundschule? | |
| In der Grundschule könnte man langsam mit dem Handy-Gebrauch beginnen. Aber | |
| das ist nicht das Problem. Wenn die Lehrer sagen: Alle holen das Handy | |
| heraus und beschäftigen sich selber, dann ist das nicht lernförderlich. | |
| Selbstorganisiertes Lernen ist ein wichtiges Ziel, hat aber keinerlei | |
| positiven Effekt, wenn es nicht angeleitet wird. Lernen funktioniert am | |
| besten unter Anleitung und Hilfestellung kompetenter Lehrer, ein bloßes | |
| Herumprobieren der auf sich selbst gestellten Schüler und Schülerinnen ist | |
| schädlich für das Lernen. | |
| Claudia Bogedan sagt: Digitale Medien können Lehrkräfte entlasten… | |
| Jaja, Bremen würde ebenso wie die anderen Bundesländer sofort wieder Lehrer | |
| einsparen wollen. Der Unterricht wird mit sachgerechter Nutzung des Handys | |
| anfangs noch anspruchsvoller für die Lehrer. Sie müssen genau überlegen, | |
| wie sie in der Gruppenarbeit oder in der Einzelarbeit die Kinder dazu | |
| bringen, vernünftig mit den Geräten umzugehen. Niemand hat bisher dafür ein | |
| überzeugendes pädagogisches Konzept entwickelt. Es würde auf jeden Fall | |
| erst einmal zu einer Mehrbelastung der Lehrkräfte führen, und ich schätze, | |
| dass es zehn bis 15 Jahre dauern kann, bis sich das wirklich lernfördernd | |
| eingespielt hat. | |
| Es wird viel über Aufmerksamkeits-Defizite geklagt, die durch Smartphones | |
| ausgelöst werden sollen. | |
| Wenn diese Instrumente selbst Objekte der Aufmerksamkeit werden, und das | |
| sind sie – sie haben sogar Suchtgefahr – dann wird ein Großteil der | |
| Aufmerksamkeit auf die Geräte gelenkt und weg vom Lehrer oder dem Stoff, | |
| der in Gruppen- oder Einzelarbeit bewältigt werden soll. Die große Gefahr | |
| ist also: Die Kinder starren auf die Handys, lassen sich so ablenken und | |
| folgen dem Lehrer nicht mehr. Das ist ziemlich unvermeidbar. Egal was der | |
| Lehrer tut, die Kinder werden ihre Bildchen gucken, ihre Apps oder SMS | |
| lesen. | |
| Aber auch die Bremer Bildungssenatorin will, dass die Kinder in der Schule | |
| die Geräte bewusst zum Arbeiten nutzen und sonst weglegen. | |
| Schön gesagt. Aber wie will man das „Weglegen“ bei der hohen Attraktivität | |
| der Handys erreichen? Schon jetzt beim strikten Handyverbot ist das | |
| schwierig. | |
| 22 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Wolschner | |
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