# taz.de -- Lehrer über Smartphones: „Nacktfotos gibt's an jeder Schule“ | |
> Vor zehn Jahren kam das erste Smartphone auf den Markt. Was macht das mit | |
> Jugendlichen? Lehrer Günter Steppich warnt vor Sexting und Mobbing. | |
Bild: Wenn Kinder und Jugendliche Nacktfotos von sich verschicken, müssen sie … | |
taz.am wochenende: Herr Steppich, gerade wächst die erste Generation heran, | |
die Smartphones seit ihrer Kindheit kennt. Wie unterscheiden sich Digital | |
Natives von Jugendlichen, die in einer rein analogen Welt aufgewachsen | |
sind? | |
Günter Steppich: Wir haben früher auch Mist gebaut, man hat in der Pubertät | |
die Lizenz zum Mistbauen. Aber heute können die Jugendlichen eine Dummheit | |
in einer unüberlegten Sekunde ins Netz stellen, und da geht die nie wieder | |
raus. | |
Welche Dummheiten meinen Sie? | |
Die Hauptprobleme, mit denen ich als Lehrer und Fachberater für | |
Jugendmedienschutz konfrontiert bin, sind Sexting und Mobbing. Man muss | |
mittlerweile davon ausgehen, dass an jeder weiterführenden Schule | |
Nacktfotos von irgendwelchen Minderjährigen kursieren. Und dass in jeder | |
Klasse mindestens ein Kind schon mal so ein Foto von sich verschickt hat | |
und jetzt den Rest seines Lebens davon bedroht ist, dass dieses Foto | |
irgendwann in Umlauf gebracht wird. | |
Wissen die Jugendlichen, wie gefährlich so was sein kann? | |
Wenn ich sehe, wie sich Teenager zum Beispiel auf der Dating-App Lovoo | |
präsentieren, falle ich vom Stuhl. Unfassbar, was da alles völlig unbedarft | |
eingestellt wird! Zum Beispiel der volle Name – das ist ein No-Go. Das | |
Erste, was Fünftklässler an meiner Schule lernen, ist, dass man als Kind | |
niemals mit richtigem Namen im Internet auftreten darf, noch dazu mit | |
Informationen über Sportverein, Schule und Freunde. Das sind alles | |
Steilvorlagen für die Unmengen von Pädophilen im Netz. Wenn ich Apps teste | |
und mich auf einer Chatplattform für Kinder mit einem Nickname wie | |
Lillifee13 anmelde, dauert es nur Minuten, bis ich die erste sexuelle | |
Ansprache an der Backe habe. | |
Und die Eltern? Was sollen die tun? | |
Die haben aus ihrer eigenen Kindheit keine Smartphone-Erfahrungen. Zum | |
ersten Mal in der Geschichte der Menschheit haben wir eine Technik, mit der | |
die meisten Kinder besser umgehen können als ihre Eltern. Ich stelle immer | |
wieder fest, dass Eltern unfassbar naiv sind. Sie haben keine Ahnung, was | |
die Kids online machen, weil sie das Internet selbst ganz anders nutzen. | |
Vielen Eltern ist nicht bewusst, dass Pädophile im Netz eine richtige Plage | |
sind. Jeder bringt seinem Kind bei, dass es sich auf dem Schulweg nicht | |
ansprechen lassen darf. Die gleiche Aufklärung muss eben auch online | |
passieren. Vielen Erwachsenen ist einfach nicht bewusst, dass die ganze | |
Welt online ist und damit auch sämtliche Menschen, mit denen mein Kind | |
keinen Kontakt haben soll. Pädophile haben es online bei unbedarften | |
Kindern total leicht. Man muss ja nur auf die bei Kindern angesagten | |
Plattformen gehen und – zack! – ist man mit ihnen im Gespräch. | |
Wann ist ein Kind alt genug für ein Smartphone? | |
Ab der achten Klasse kann man einem Jugendlichen ohne schlechtes Gewissen | |
ein Smartphone geben. Da muss man auch noch viel erklären und dafür sorgen, | |
dass es über Nacht nicht im Kinderzimmer ist. Eine Flatrate, mit der man | |
permanent und überall Zugang zum Internet hat, würde ich Jugendlichen erst | |
mit 16 Jahren erlauben – oder besser gesagt – zumuten. In dem Alter sind | |
sie im Kopf so weit, dass sie auch heftige Dinge eher mal wegstecken. Das | |
Internet ist kein Kinderspielplatz. Da steht einem die komplette | |
Erwachsenenwelt offen – mit allen tollen Sachen, aber auch mit allen | |
Abartigkeiten. | |
Ist das nicht realitätsfern? Heute haben schon viele Grundschüler ein | |
Smartphone. | |
Meistens kriegen Kinder ein Smartphone geschenkt und werden dann damit | |
allein gelassen. Dass das schiefgeht, ist für mich klar. Diese Technik ist | |
so komplex, da müsste man genauso herangeführt werden wie an den | |
Straßenverkehr. Kinder können sich gegen den enormen Aufforderungscharakter | |
eines Smartphones noch viel schlechter wehren als Jugendliche. Das können | |
ja schon viele Erwachsene nicht. Je jünger man ist, desto schlechter kann | |
man sich selbst reglementieren. Es gibt keinen Grund, warum ein | |
Grundschulkind permanent online sein sollte. Da reicht ein olles | |
Tastenhandy für den Notfall. | |
Und wenn in der Klasse alle ein Smartphone haben? Wird dann ein Kind mit | |
Tastenhandy nicht ausgegrenzt? | |
Das sagen Kinder doch immer zu ihren Eltern: Das haben aber alle! Und das | |
war schon immer gelogen. Ich hab früher auch erzählt, ohne Parka gehöre ich | |
nicht dazu. Das war natürlich Quatsch. An meiner Schule haben längst nicht | |
alle Fünftklässler ein Smartphone. Es wird immer wieder von Erwachsenen als | |
Argument vorgebracht, dass die Kinder ohne Smartphone gemobbt werden. | |
Völliger Unsinn. Mobbing hat ganz andere Ursachen als Statussymbole. Kinder | |
nutzen das Argument als Druckmittel gegenüber ihren Eltern, weil sie | |
natürlich auch ein Smartphone haben wollen. Umgekehrt lässt sich Mobbing | |
nicht beenden, indem man sein Kind mit Statussymbolen überhäuft. Ich kann | |
eher vorbeugen, indem ich mein Kind stark mache und ihm klar mache, dass | |
man keinen Respekt dafür bekommt, immer der Herde hinterherzurennen. | |
Viele Jugendliche haben ihr Handy auch nachts bei sich. | |
Ich habe vor zwei Jahren bei Siebtklässlern nachgefragt: Wenn die abends | |
ihr Handy abgeben müssen und es erst morgens wiederbekommen, dann haben | |
sich im Klassenchat 500 Nachrichten angesammelt. Das ist irre. Und die | |
letzten Nachrichten sind von drei, vier Uhr morgens. Da sitzen in der | |
Schule dann Kinder, die im schlimmsten Fall eine ADHS-Diagnose bekommen | |
haben, und wenn man dann bei denen nachbohrt, merkt man: Die sind einfach | |
nur übermüdet, weil die jede Nacht mindestens zwei Stunden zu wenig | |
schlafen. Da sind die Eltern gefordert. Die aber sagen: Ich vertrau meinem | |
Kind. Ich habe meinen Kindern auch vertraut, aber ich wusste ganz genau, | |
wenn ich denen erlaube, digitale Spielzeuge nachts im Kinderzimmer zu | |
haben, dann geht das schief. | |
Wann haben Ihre Kinder ein Smartphone bekommen? | |
Meine Kinder sind jetzt beide Anfang 20, die hatten als Jugendliche noch | |
keine Smartphones. Als Grundschüler hatten sie einen PC mit Internetzugang, | |
aber da haben wir aufgepasst, der konnte nicht beliebig genutzt werden. | |
Mein Sohn wollte am Anfang gar kein Smartphone. Als ich mir 2011 aus | |
beruflichen Gründen eines gekauft habe, hat er mir einen Vortrag gehalten, | |
dass man das nicht braucht. Er hat mein altes Smartphone bekommen, da war | |
er schon fast 18. Es hat keine zwei Tage gedauert, da hat er das Ding total | |
durchdrungen. Inzwischen nutzt er es viel mehr als ich. | |
War Ihr Sohn da im Vergleich mit anderen nicht hinten dran? | |
Das Argument ist völlig absurd. Ich war schon über 40, als ich mein erstes | |
Smartphone bekommen habe, und war ruckzuck drin. Es wird ja immer gesagt, | |
die Kids müssen lernen, damit umzugehen, damit sie später beruflich auf dem | |
Stand sind. Aber meine Erfahrung ist – und das zeigen auch die | |
Untersuchungen –, dass das Smartphone von Jugendlichen vor allem zur | |
Bespaßung genutzt wird. Wir Lehrer stellen fest, dass unsere Schüler auf | |
einmal deutlich weniger Kenntnisse am PC haben als noch vor drei Jahren – | |
weil sie, sobald sie ein Smartphone besitzen, am Computer überhaupt nichts | |
mehr machen. Manche Schüler kommen zu mir und sagen: Ich habe meinen | |
USB-Stick eingesteckt, und jetzt finde ich ihn auf dem Computer nicht. Wo | |
soll ich denn meine Präsentation speichern? Das ist völlig irre. Früher hat | |
man seine Geburtstagseinladung mit Word geschrieben und ausgedruckt, heute | |
wird eine WhatsApp-Gruppe gemacht. | |
Das heißt, Smartphones verhindern Computerkenntnisse? | |
Eigentlich schon, ja. Dinge, die die Jugendlichen mal im Beruf gebrauchen | |
könnten, lernen sie wegen der Smartphones immer weniger. Zumindest im | |
produktiven Bereich: Office-Programme, Präsentationen bauen … | |
Setzen Sie als Lehrer das Smartphone auch im Unterricht ein? | |
Es gibt an meiner Schule sicherlich keinen Lehrer, der mehr digitale Mittel | |
einsetzt als ich. Das macht auch einfach Spaß. Meine Achtklässler dürfen | |
ihre Smartphones permanent auf dem Tisch liegen haben, aber es gibt klare | |
Regeln. Sie haben grundsätzlich den Offline-Modus drin, das | |
Englisch-Wörterbuch funktioniert auch so. Online gehen sie nur, wenn ich | |
sage: Wir recherchieren jetzt mal das und das. Was das Smartphone im Alltag | |
angeht, macht mir das aus pädagogischer Sorgen: Sobald man ein Smartphone | |
hat, gibt es keine Sekunde Langeweile mehr. Langeweile aber ist wichtig, um | |
kreativ zu werden. Jugendliche können ihre Langweile heute immer wegdaddeln | |
und wegchatten. Wenn man an die eigene Kindheit zurückdenkt: Als einem | |
langweilig war, ist ganz oft was Gutes entstanden. | |
26 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Elisabeth Kimmerle | |
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