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# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Weg mit den Handys und Tablets
> Als ich ein Kind war, war Lesen mein liebster Zeitvertreib. Meine Kinder
> sehen lieber Videos an. Können Youtube-Filme Bücher ersetzen?
Bild: Immer seltener zu sehen: Kinder, die lesen
Als ich ein Kind war, bin ich mit zwei Beuteln in das Dorf gelaufen, um mir
in der Gemeindebücherei Bücher auszuleihen. Wir wohnten im Wald und es war
ein Stück zu gehen. Zwanzig Bücher durfte ich ausleihen. Zwanzig Bücher
lieh ich immer aus.
Ich trug sie in den zwei Beuteln wieder in den Wald hinein. Mir taten die
Arme weh, von diesen zwanzig Büchern, aber dann… Dann hockte ich auf meinem
Bett, die zwanzig Bücher um mich herum ausgebreitet und nahm jedes in die
Hand und las in jedes ein bisschen hinein.
Es war die einzige Art von Fülle, von Verschwendung, die ich als Kind
erleben konnte. Wir mussten immer sparsam sein, aber ich konnte in die
Bücherei gehen und mir jedes beliebige Buch mitnehmen. Und ich las diese
Bücher alle. Es kam der Tag, da hatte ich jedes Buch in der
Gemeindebücherei ausgelesen. Da holte die Gemeindebibliothekarin neue
Bücher aus der Kreisstadt.
Lesen war in meiner Kindheit und frühen Jugend mein wichtigster, mein
liebster Zeitvertreib. Ich las, bis mir meine Mutter die Bücher wegnahm.
Aber auch meine Schwester las viel. Und die weniger lesewütigen Kinder in
meiner Klasse, alle lasen sie doch irgendwie immer irgendein Buch. Man sah
es auf ihrem Nachtschrank, wenn man zu Besuch war, es steckte in ihren
Schulmappen.
Nachmittags im Schulhort saßen Kinder am Tisch und lasen. Jetzt ist alles
anders. Meine Kinder lesen eher selten. Sie sehen sich auf Youtube Filme
an. Manchmal versuche ich, zu verstehen, was für Filme sie sich ansehen. Es
sind keine dummen Filme. Sie sehen sich Filme über Politik an, über
gesellschaftliche Phänomene, über Musik. Sie sind, das sehe ich ein,
politisch und gesellschaftlich gebildeter, als ich es in ihrem Alter
gewesen bin. Aber kann denn das Sehen von Youtube-Filmen das Lesen
ersetzen?
## In Seevetal schließen drei Büchereien
In Seevetal schließen demnächst drei Büchereien, wegen mangelnder Nutzung.
Vor allem Schüler blieben aus, so heißt es. Wegen der Ganztagsschulen, da
hätten sie keine Zeit. Aber ich war doch auch den ganzen Tag in der Schule,
denke ich. Nachmittags war ich im Schulhort. Und ich musste sogar ein paar
Kilometer laufen und diese ganzen Bücher nach Hause tragen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer der Heranwachsenden, die ich
kenne, eine Wanderung unternehmen würde, um sich Bücher auszuleihen. Es
fällt ihnen ja schwer, sich von ihren Matratzen zu wälzen, um sich die
Zähne zu putzen. Aber es kann doch nicht sein, dass diese kleinen
Büchereien jetzt alle schließen! Und an die Bücherhalle am Hauptbahnhof,
die ich regelmäßig besuche. Wo die Kinder hauptsächlich Filme ausleihen und
Computerspiele, so kommt es mir jedenfalls vor.
## Die Menschen werden dümmer
Die Büchereien schließen, weil sie keine Kunden mehr haben. Die Kinder
wandern nicht mehr in diese Büchereien, um sich Bücher auszuleihen. Sie
schalten lieber etwas an. Es sollen ja, habe ich gelesen, die Menschen
immer dümmer werden. Seit 20 Jahren soll der allgemeine IQ sinken. Und ich
überlege mir, dass vielleicht die Menschen irgendwann zu dumm zum Leben
sein werden. Dass sie sich aus lauter Dummheit selber umbringen. Ich finde
es eine ganz befriedigende Vorstellung.
Warum wandern sie auch nicht mehr mit ihren Einkaufsbeuteln in die
Büchereien, um sich eine Höchstzahl an Büchern auszuleihen? Warum sind
diese verdammten Menschen nur so bequem? Und ich würde all diesen
Ganztagsschulkindern gerne ihre Tablets aus der Hand reißen, ihre Handys,
und sie in einem Wald aussetzen, nur mit Stämmen um sich herum, zu ihrer
ganzen Unterhaltung.
Aber an diesem Punkt merke ich doch, dass ich dabei bin, mich in einen
alten Menschen zu verwandeln, der von früher erzählt, wo zwar alles
schwerer aber auch besser war. Sie sind ja nicht dümmer, die Kinder die ich
kenne, sind wirklich nicht dümmer, das muss ich gestehen. Aber ist es denn
wirklich vorbei mit dem Lesen?
20 Apr 2018
## AUTOREN
Katrin Seddig
## TAGS
Kinder- und Jugendbücher
Buch
Kinder
Bücher
Lesen
Digitalisierung
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Handy
Unterricht
Schule
Kinderbuch
Bildung
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