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# taz.de -- Berlins Bausenatorin über Gentrifizierung: „Klare Ansagen an die…
> Seit einem Jahr ist Katrin Lompscher Senatorin für Stadtentwicklung. Ein
> Gespräch über Klientelpolitik für Sozialmieter, Neubauziele und ihre drei
> Wünsche.
Bild: „Wir haben einen Nachholbedarf von 77.000 Wohnungen, gleichzeitig wäch…
taz: Frau Lompscher, sind Sie besorgt, dass am Ende der Legislaturperiode
Wohnen immer noch das größte soziale Problem in dieser Stadt ist?
Katrin Lompscher: Ich fürchte, dass wir auf Bundesebene keine besseren
Rahmenbedingungen für die Mietenentwicklung und Bodenpolitik bekommen.
Beides können wir auf Landesebene nur sehr begrenzt beeinflussen. Daher
wird „Wohnen“ ein zentrales politisches Thema bleiben. Ich bin aber
zuversichtlich, dass wir mit den Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht
haben und noch bringen werden, einen wesentlichen Beitrag dazu leisten,
Berlin als sozial und funktional gemischte Stadt zu erhalten.
Oranienstraße, Maybachufer, Kungerkiez: Jede Woche meldet sich eine neue
MieterInnen-Initiative zu Wort, die infolge exorbitanter Mietsteigerungen
die Verdrängung fürchtet.
Ich finde es gut, dass Menschen sich zusammenschließen und Probleme
öffentlich machen. Der Karl-Kunger-Kiez zum Beispiel ist nur durch den
Druck der Bewohnerinnen und Bewohner zu einem Milieuschutzgebiet geworden.
Politisch ergreifen wir ebenfalls zahlreiche Maßnahmen, um Gentrifizierung
entgegenzuwirken, wie die verstärkte Nutzung des Vorkaufrechts, den Erlass
von Milieuschutzverordnungen, oder indem wir die sozialen
Wiedervermietungsquoten bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften
anheben.
Was lief für Sie in Ihrem ersten Jahr als Stadtentwicklungssenatorin
schwieriger als erwartet?
Ich bin studierte Stadtplanerin, seit über zwanzig Jahren in der Politik
und habe mein drittes politisches Amt inne. Die Schwierigkeiten haben mich
daher nicht überrascht. Mir war völlig klar, dass sich so mancher
Immobilienakteur nicht darüber freut, wenn wir als rot-rot-grüne-Koalition
eine andere Stadtentwicklungspolitik vertreten und klar machen, dass die
bestehenden Regeln für alle gelten.
Ein gängiger Vorwurf aus der SPD ist, dass Sie Klientelpolitik zugunsten
der Sozialmieter betreiben. Zuletzt warf Ihnen auch noch Michael Müller
vor, den Neubau zu vernachlässigen.
Gut die Hälfte der Berlinerinnen und Berliner haben Anspruch auf einen
Wohnberechtigungsschein. Die Klientel dieser Koalition macht damit die
Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner aus – nämlich diejenigen mit
unteren und mittleren Einkommen. Es ist unser vorrangiger Auftrag, für
diese Gruppen Politik zu machen. Mit dem Regierenden Bürgermeister und den
städtischen Wohnungsbaugesellschaften gibt es dazu gute Gespräche. Die
Schaffung von Wohnraum ist ein zentrales gemeinsames Anliegen dieser
Koalition.
Die Wohnungsbaugesellschaften sind nicht gerade begeistert von Ihrer
Politik und haben sich neulich in einem Brief beschwert, die Neubauziele
nicht erreichen zu können.
Die Kooperation mit den Wohnungsbaugesellschaften ist bei Weitem besser,
als es öffentlich gelegentlich den Anschein hat. Der Kern der
Auseinandersetzung besteht darin, dass die hohen Ziele, die die Koalition
sich und den Wohnungsbaugesellschaften gesteckt hat, zusätzliche
Anstrengungen von vielen erfordern. Die Aufgaben, vor denen wir stehen,
sind extrem herausfordernd. Wir haben allein einen Nachholbedarf von 77.000
Wohnungen, gleichzeitig wächst die Bevölkerung in der Stadt weiter.
20.000 neue Wohnungen sollen jährlich gebaut werden. Schaffen Sie das?
Ich kann zu diesen Zahlen keine Prognose abgeben, da die
Fertigstellungszahlen erst im ersten Quartal 2018 vorliegen. Die Zielzahl
20.000 setzt sich aus zwei Zahlen zusammen: 14.000, um den zusätzlichen
Bedarf zu decken, und 6.000, um den Nachholbedarf abzubauen. Je näher wir
den 20.000 kommen, umso besser können wir den Bedarf decken. Aber gerade
beim Bauen und Planen braucht man Anlaufzeiten. Zum Vergleich: Im
vergangenen Jahr wurden insgesamt rund 13.700 Wohnungen fertiggestellt.
Müssten sie angesichts der brisanten Situation in dieser Stadt nicht noch
härter den Konflikt suchen und auch mal klarer Ansagen in Richtung der
Privaten machen?
Wir treten allen Investoren gegenüber sehr klar und geradlinig auf. So
haben wir festgelegt, dass die Privaten bei Projekten, bei denen ein
Bebauungsplan erforderlich ist, nicht mehr nur 25 Prozent der Wohnungen
mietpreisgebunden anbieten, sondern 30 Prozent der Wohnfläche; dies kommt
de facto fast einer Verdoppelung gleich. Das ist eine klare Ansage an die
Privaten. Die meisten tragen sie aber mit Fassung. Außerdem habe ich den
größten privaten Vermieter der Stadt, die Deutsche Wohnen, deutlich dafür
kritisiert, dass sie den Mietspiegel missachten und diesen mit einer Klage
kippen will. Die Deutsche Wohnen ist uns als Partner in der
Stadtentwicklung willkommen, aber wir erwarten, dass sie sich, genau wie
alle anderen, an die Regeln hält.
Friedrichshain-Kreuzberg hat schon elf Häuser per Vorkaufsrecht vor einem
Verkauf an Private bewahrt. Wieso passiert in den anderen Bezirken so
wenig?
Baustadtrat Florian Schmidt hat die Umsetzung des Vorkaufsrechts zu einem
seiner Schwerpunkte erklärt und auch seine Verwaltung entsprechend
vorbereitet. Meine Verwaltung und auch die Finanzverwaltung unterstützt das
aktiv. Doch zum Glück ist es nicht mehr nur ein Thema von
Friedrichshain-Kreuzberg. Wir haben Fälle in Pankow, Neukölln und nun auch
in Mitte. Ich wünsche mir, dass die Bezirke hier noch aktiver werden. Mit
dem Handlungsleitfaden für das Vorkaufsrecht haben wir als Senat ein
deutliches Signal gegeben, dass es möglich und sinnvoll ist, innerhalb der
Frist von zwei Monaten ein Haus selbst zu übernehmen. Die dafür nötigen
Rahmenbedingungen haben wir geschaffen: Im vergangenen Jahr ist die Zahl
der Milieuschutzgebiete von 30 auf 42 gestiegen. Damit haben wir ein
Umdenken auf breiter Front erreicht.
Gibt es denn genug Geld, um sich, wie Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne)
das ausdrückt, die Stadt zurückzukaufen?
Diese Formulierung von Herrn Schmidt deutet die Richtung an, man sollte
sich aber keine Illusion darüber machen, was tatsächlich möglich ist. Das
Vorkaufsrecht kann nur unter bestimmten Bedingungen angewendet werden,
dabei spielt auch der Preis einer Immobilie eine wichtige Rolle. Wenn die
Stadt bereit wäre, jeden Preis zu bezahlen, würde sie den ohnehin schön
völlig überhitzten Markt weiter anfeuern. Das darf nicht passieren. Dennoch
ist das Signal an private Hauseigentümer ganz klar: In Milieuschutzgebieten
gelten soziale Regeln – und zwar für alle. Andernfalls handeln wir.
Welche Schwerpunkte werden im neuen Haushalt für die nächsten beiden Jahre
im Bereich Stadtentwicklung gesetzt?
Die Koalition wird die Mittel zur Unterstützung der Bezirke zum
Wohnungsneubau erhöhen. Wir werden zusätzliche Mittel für die
Mieterberatung zur Verfügung stellen und die Wohnraumförderung aufstocken.
Auch wird es ab nächstem Jahr erheblich mehr Personal in den Verwaltungen
für den Wohnungsneubau und den Schulbau geben. Ich bin nicht unzufrieden
mit dem Ergebnis der Haushaltsverhandlungen.
Angenommen, es stünde deutlich mehr Geld zur Verfügung: Was würden Sie
damit anstellen?
Wenn Geld tatsächlich kein Problem wäre, könnten wir beim kommunalen
Wohnungsbau in einer ganz anderen Größenordnung bauen. Mit einer kräftigen
Finanzspritze könnten wir auch die gerade angestoßene Entwicklung am
Flughafengebäude Tempelhof und das hier entstehende Stadtquartier
voranbringen.
Alle guten Wünsche sind drei.
Es wäre schön, nicht mehr benötigte Bahnflächen und andere Grundstücke im
großen Stil erwerben zu können. So könnten wir einen Bodenfonds anlegen,
und damit über die Vergabe von Grundstücken in Erbpacht noch viel stärker
eine sozialökologische Stadtentwicklung fördern.
18 Dec 2017
## AUTOREN
Erik Peter
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