| # taz.de -- Debatte sozialer Wohnungsbau: Es geht auch ohne Bagger | |
| > Der Schrei nach mehr Neubau ist nicht die Antwort auf Wohnungsknappheit | |
| > und steigende Mieten. Es wird Zeit, die Verteilungsfrage zu stellen. | |
| Bild: Das Wasserschloss Kalkum steht zum Verkauf. Hier gäbe es bestimmt viel W… | |
| In Deutschland, um erst einmal die Faktenlage abzustecken, gibt es heute | |
| mehr Wohnraum als je zuvor – auch pro Kopf der Bevölkerung gerechnet. Mit | |
| gut 46 Quadratmeter für jeden Bewohner des Landes liegt der Wert auf dem | |
| höchsten Stand in der Menschheitsgeschichte, 10 Quadratmeter höher als noch | |
| vor 30 Jahren. | |
| Das ist die eine Seite. Die andere: Es suchen heute Menschen Wohnungen, | |
| viele Menschen in vielen Städten. Also wird gebaut wie wild, zumal die | |
| Zinsen niedrig sind. Und doch muss man am Ende feststellen, dass sich der | |
| Wohnungsmarkt nicht spürbar entspannt, dass die Mieten sogar weitersteigen. | |
| Was dazu führt, dass nun alle von links bis konservativ, von | |
| Sozialverbänden bis zur Unternehmerschaft, im Kollektiv rufen, dann müsse | |
| man eben noch viel, viel mehr bauen. Es sind Schreie, die von Konzept- und | |
| Fantasielosigkeit zeugen. Denn natürlich weiß jeder der | |
| Bauboom-Propagandisten, dass es vor allem dort, wo die Wohnungsnot am | |
| größten ist, immer schwerer wird, überhaupt noch Bauplätze zu finden. | |
| Längst sind viele Grünflächen in den Städten verschwunden, es wurden | |
| Kleingärten plattgemacht, es wurden Baulücken geschlossen. Geht man weiter | |
| ins Umland, sehen sich Landwirte in ihrer Existenz bedroht. Regional stößt | |
| der Neubau schlicht an physische Grenzen. | |
| Zeit also für einen gedanklichen Schnitt, und zwar einen radikalen. Zeit, | |
| das Thema Wohnungsnot einmal von der anderen Seite her zu diskutieren, | |
| nämlich aus Sicht der Verteilung. Wo in der Summe ohne Zweifel genug | |
| Wohnraum da ist und trotzdem viele Menschen keinen finden, liegt die | |
| Schlussfolgerung auf der Hand, dass der Wohnraum vor allem falsch verteilt | |
| ist. | |
| ## Überhitzung des Marktes | |
| Wir sollten also darüber nachdenken, wie wir den vorhandenen Wohnraum | |
| besser nutzen, statt kritiklos der Baulobby auf den Leim zu gehen. Zumal | |
| man ohnehin die Frage stellen muss, ob mancherorts nicht längst eine | |
| Überhitzung des Marktes stattfindet, sich nicht längst spekulative Blasen | |
| bilden. | |
| Die Antwort wird entweder die nächste Rezession liefern oder der Tag, an | |
| dem die Zinsen wieder ein normales Niveau erreichen. Dann nämlich wird sich | |
| zeigen, ob der Wohnungsmarkt vor allem durch reellen Bedarf oder doch eher | |
| durch Spekulation getrieben war. Denkbar, dass man dann – angesichts des | |
| jüngsten Baubooms – wieder über Leerstände in den Städten reden muss. Jede | |
| Wohnung, die dann nicht gebaut wurde, könnte also eines Tages ein Gewinn | |
| sein. Wie gesagt: könnte. Wir sollten es zumindest in Erwägung ziehen. | |
| Aber welche Konzepte können helfen, den bestehenden Wohnraum besser zu | |
| nutzen? Vorweg: Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, ein fertiges | |
| Konzept zu präsentieren, dieses vorzugeben wäre vermessen. Es soll vielmehr | |
| darum gehen, einen Ideenwettbewerb zur Erschließung bestehenden Wohnraums | |
| zu eröffnen. Einige Vorschläge hat der Betriebswirt Daniel Fuhrhop – einer | |
| der wenigen überhaupt, die das Thema konsequent denken – bereits in seinem | |
| Buch „Verbietet das Bauen“ präsentiert. Zum Beispiel schlägt er Prämien … | |
| Menschen vor, die, nachdem sich ihre Lebensumstände geändert haben, in | |
| kleinere Wohnungen ziehen. Wer sich von 100 auf 70 Quadratmeter | |
| verkleinert, erhöht das Angebot am Markt um 30 Quadratmeter, das ist pure | |
| Arithmetik. Statt mit Steuergeld einen Neubau zu fördern, könnte es | |
| billiger sein, einen Umzug zu bezuschussen. | |
| Genau das hat kürzlich übrigens die südbadische Gemeinde Denzlingen | |
| beschlossen: Für einen Umzug in eine kleinere Wohnung gibt es bis zu 2.500 | |
| Euro. Ein anderer Vorschlag könnte eine Art progressive Grundsteuer sein, | |
| die sich an der Wohnfläche pro Kopf orientiert. Für eine | |
| 100-Quadratmeter-Wohnung, die nur von einer Person bewohnt wird, würde dann | |
| deutlich mehr Steuer fällig, als wenn auf gleicher Fläche drei Personen | |
| gemeldet sind. Vor allem Leerstand würde dann teuer, ebenso wie Wohnungen, | |
| die nur zeitweise bewohnt werden. So könnte dem Markt mancher Quadratmeter | |
| erschlossen werden, liegt doch vor allem in Einfamilienhäusern ein enormes | |
| Potenzial brach. | |
| ## Kinderzimmer zu Ferienwohnungen | |
| Wie kreativ man Wohnraum schaffen kann, lässt sich auf den deutschen | |
| Nordseeinseln erleben: Sobald die Kinderzimmer frei werden, entstehen | |
| daraus Ferienwohnungen. Anderswo hingegen wohnen Menschen allein in ganzen | |
| Häusern. Zumindest in einigen davon könnten – mit Anreizen durch die | |
| Politik – Einliegerwohnungen entstehen. | |
| Statt den Wohnungsmarkt durch teure, öffentlich geförderte Neubauten zu | |
| entspannen, könnte man auch über Regionalförderung nachdenken: die gezielte | |
| Stärkung jener ländlichen Räume, in denen Wohnraum leer steht. Jeder | |
| Mensch, der sich nicht in der Stadt, sondern auf dem Land niederlässt, | |
| entspannt den Wohnungsmarkt in den Zentren. Attraktiv wird der ländliche | |
| Raum durch die ganz alltäglichen Dinge. Wo die Bahnverbindungen gut sind | |
| und das Internet schnell ist, wo Krankenhäuser und Schulen vorhanden sind, | |
| hat auch der ländliche Raum eine Überlebenschance. | |
| Fehlende Arbeitsplätze auf dem Land sind, obwohl oft zitiert, aber nur | |
| regional ein Grund für den Umzug in die Städte. Mitunter ist es eher | |
| umgekehrt: In abgelegenen Tälern deutscher Mittelgebirge sitzt mancher | |
| Weltmarktführer, der vor Ort nicht genug Mitarbeiter findet – und dann auf | |
| Pendler aus der nächstgrößeren Stadt angewiesen ist. | |
| So zeigen die aufgeführten Aspekte vor allem eines: Wohnraum zu schaffen | |
| ist eine viel komplexere Aufgabe, als es die Talkshow-tauglich platte | |
| Forderung nach Wohnungsbau nahelegt. Aber wo scheinbar einfache Lösungen in | |
| der Praxis scheitern, sollte man sich vor den schwierigeren Debatten nicht | |
| länger drücken. Es ist nötig, das Dogma „Neubau ist nötig“ kritisch zu | |
| hinterfragen – und endlich auch im Wohnungsmarkt die Verteilungsfrage zu | |
| stellen. | |
| 23 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernward Janzing | |
| ## TAGS | |
| Sozialer Wohnungsbau | |
| Immobilienmarkt | |
| Ferienwohnungen | |
| Mieten | |
| Sozialer Wohnungsbau | |
| Grundsteuer | |
| Grundsteuer | |
| Steuer | |
| Katrin Lompscher | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Bundesrat | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Schlechte Lage bei Sozialwohnungen: 25 Quadratmeter Deutschland | |
| Sozialer Wohnungsbau ist relativ: Was in München günstig ist, erscheint in | |
| Berlin sauteuer. Die Suche nach einer Bleibe ist wie Lotto spielen. | |
| Forderungen für sozialen Wohnungsbau: Tropfen auf den heißen Stein | |
| Das Bündnis Wohnungsbau fordert 400.000 neue Wohnungen, davon jedoch nur | |
| 80.000 Sozialwohnungen. Man wolle realistisch bleiben. | |
| Höhere Mieten nach Grundsteuerreform: Die Angst vor dem Mietpreisturbo | |
| Hamburgs Finanzsenator will die vom Bundesrat beschlossene | |
| Grundsteuerreform nicht: Sie treibe Mieten in die Höhe und lasse sich vom | |
| Land nicht ausgleichen. | |
| Grundsteuer vorm BVerfG: Nicht mehr zeitgemäß | |
| Die Grundstückswerte, die zur Orientierung für die Grundsteuer dienen, sind | |
| alt. Dass das geändert werden muss, ist in Karlsruhe fast nicht die Frage. | |
| Nabu-Experte über die Grundsteuer: „Spekulieren wird belohnt“ | |
| Die nächste Bundesregierung muss auch die Grundsteuer reformieren, fordern | |
| Naturschützer und Mieterbund. Siedlungsentwickler Henry Wilke erklärt, | |
| warum. | |
| Berlins Bausenatorin über Gentrifizierung: „Klare Ansagen an die Privaten“ | |
| Seit einem Jahr ist Katrin Lompscher Senatorin für Stadtentwicklung. Ein | |
| Gespräch über Klientelpolitik für Sozialmieter, Neubauziele und ihre drei | |
| Wünsche. | |
| Die neue Wohnungslosigkeit: „Wer obdachlos wird, ist kein Penner“ | |
| Die Zahl der Wohnungslosen steigt. Und diese Gruppe ist vielfältiger | |
| geworden. Manchmal reicht ein Schufa-Eintrag für die Misere. | |
| Bundesrat unterstützt Initiative für günstigen Wohnungsbau: Hoffnung für Mi… | |
| Der Bund verkauft eigene Grundstücke bisher fast nur zum Höchstpreis. | |
| Brandenburg, Berlin und Bremen wollen das ändern. |