# taz.de -- Schlechte Lage bei Sozialwohnungen: 25 Quadratmeter Deutschland | |
> Sozialer Wohnungsbau ist relativ: Was in München günstig ist, erscheint | |
> in Berlin sauteuer. Die Suche nach einer Bleibe ist wie Lotto spielen. | |
Bild: In einer Plattenbausiedlung zu wohnen ist nicht unbedingt erste Wahl – … | |
Vielleicht wird es die Raufasertapete sein, die in den Sozialwohnungen | |
nicht ganz so schick aussieht wie der glatte Verputz in den | |
freifinanzierten Wohnungen nebenan. Auch die Decken werden niedriger | |
werden, 2,50 Meter statt 2,70 wie in den Nachbarblocks. Und die Größen der | |
Wohnungen sind bescheidener: 69 Quadratmeter für drei Zimmer, das ist schon | |
weniger großzügig als die Dreizimmereinheiten nebenan, die 85 Quadratmeter | |
haben können. | |
„Die Unterschiede in den Ausstattungen sind aber nicht groß“, sagt Rico | |
Kallies, stellvertretender Regionsleiter bei der Bonava. Das Unternehmen | |
baut auf einem ehemaligen Gewerbegelände in Berlin-Lichtenberg die | |
„Parkstadt Karlshorst“ nach dem „Berliner Modell“. | |
Von den 1.000 geplanten Wohnungen dort müssen 250 Einheiten als | |
Sozialwohnungen kalkuliert und gebaut werden, mit einem Mietpreis von | |
anfänglich nur 6,50 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Es sind Wohnungen, in | |
die dann ab dem Jahr 2020 auch Hartz-IV-Empfänger einziehen können, | |
KleinrentnerInnen oder Geringverdiener. | |
Die neuen Wohnungen entstehen nach einem Finanzierungsmodell, das es so | |
ähnlich auch in München und in Hamburg gibt. Nach diesen Modellen bekommen | |
private Bauherren nur dann eine Baugenehmigung für ein Areal, wenn sie sich | |
verpflichten, einen Teil der Wohneinheiten als mietpreisgebundene Wohnungen | |
zu errichten. | |
„Es ist eine Mischkalkulation“, sagt Kallies, „die niedrigen Preise für … | |
Sozialwohnungen werden durch die Mieter und Eigentumskäufer in den | |
freifinanzierten Blocks gewissermaßen mitbezahlt“. Die freifinanzierten | |
Einheiten sollen später schätzungsweise 10 bis 12 Euro nettokalt pro | |
Quadratmeter an Miete kosten, die Eigentumswohnungen etwa 4.000 Euro pro | |
Quadratmeter. | |
## Die Fassade verrät nichts | |
Die Mieter der freifinanzierten Wohnungen werden später also nicht in | |
teuren Luxusbauten logieren, um die günstigen Mieten nebenan | |
mitzufinanzieren. An den Backsteinfassaden wird niemand erkennen, ob | |
dahinter jemand in einer mietpreisgebundenen Wohnung lebt oder mehr Geld | |
für eine Miet- oder Eigentumswohnung ausgegeben hat. „Das wird einheitlich | |
aussehen“, sagt Kallies. | |
Wer in die Sozialwohnungen in Karlshorst einzieht, darf als Alleinstehender | |
nicht mehr als ungefähr 1.400 Euro netto im Monat verdienen. Es gibt in | |
Berlin neuerdings noch eine zweite Förderstufe, mit einer Einkommensgrenze | |
von 1.800 Euro für einen Alleinstehenden und Anfangsmieten von 8 Euro in | |
Berlin. | |
Im Vergleich zu München wirkt all das bescheiden. Hier ist im sogenannten | |
Münchner Modell eine Miete von 11,25 Euro nettokalt erlaubt. Eine | |
dreiköpfige Familie mit einem Jahreseinkommen von 80.000 Euro brutto darf | |
eine solche Wohnung mieten. | |
Eine weitere Förderstufe ist der sogenannte Konzeptionelle Mietwohnungsbau | |
(KMB), wo gar keine Einkommensgrenzen mehr erforderlich ist. Erlaubt sind | |
hier Eingangsmieten zwischen 12 und 14,50 Euro nettokalt der Quadratmeter, | |
ein Mietpreis, der in Berlin erbitterte Gentrifizierungsgegner auf den Plan | |
rufen würde. | |
## In jeder Stadt anders | |
Trotzdem gilt dieser Neubau in München als öffentlich gefördert: Bauherren | |
im KMB bekommen das Grundstück von der öffentlichen Hand günstiger als auf | |
dem freien Markt und verpflichten sich im Gegenzug, die Wohnungen auch auf | |
lange Sicht nicht in Eigentumswohnungen umzuwandeln. | |
Was sozialer Wohnungsbau ist, richtet sich immer auch nach der | |
Wirtschaftskraft und dem Wohnungsangebot in der Region. In Hamburg liegt | |
die Anfangsmiete für Sozialneubauten im ersten Förderweg ebenfalls bei 6,50 | |
Euro. Es gibt dort wie in Berlin noch einen zweiten Förderweg mit höheren | |
Einkommensgrenzen, bei dem die Anfangsmiete 8,60 Euro betragen kann. | |
In allen Metropolen geht der Trend zu kleineren Sozialwohnungen. Im Projekt | |
in Karlshorst etwa müssen sich Paare mit einer Zweizimmerwohnung auf 52 | |
Quadratmetern zufrieden geben, obwohl die Maximalgrenze im sozialen | |
Wohnungsbau für Paare, auch im Hartz-IV-Bezug, bei rund 60 Quadratmetern | |
liegt. „Geförderte Wohnungen sollen vermehrt kompakte Grundrisse | |
aufweisen“, heißt es auch im Wohnungsbauprogramm „Wohnen in München VI“. | |
Der Standardgrundriss dieser Zweizimmerwohnungen ist eine große Wohnküche | |
plus ein Schlafraum. Damit hat nicht jeder Partner ein Rückzugszimmer. Man | |
muss sich aus dem Weg gehen können. „Wenn sich ein Paar die Räume | |
funktional teilt, ist es besser, wenn irgendwo noch räumliche | |
Ausweichmöglichkeiten existieren“, sagt Dietmar Walberg, Geschäftsführer | |
des Kieler Wohnungsbauinstituts Arge e. V. | |
## Eine Tendenz zur Kleinstwohnung | |
Wohnt man eng, spielt es eine große Rolle, ob die Partner berufstätig sind | |
oder sich viel außerhalb der Wohnung in Cafés, im Sportstudio, in | |
Bibliotheken oder sonst wo in öffentlichen Räumen aufhalten können. | |
Der Trend zur kleinen Butze betrifft erst recht Singlewohnungen. Bisher | |
habe man für Singlehaushalte „Wohnungen mit bis zu 45 Quadratmetern | |
geplant. Zu dieser Zielgruppe gehören viele Haushalte, die weniger | |
Platzbedarf haben, dafür aber eine bezahlbare Miete benötigen“, heißt es im | |
Programm „Wohnen in München VI“. In der Landeshauptstadt soll künftig im | |
geförderten Neubau ein Drittel der Singlehaushalte mit Kleinstwohnungen von | |
25 Quadratmetern versorgt werden. | |
Die Tendenz zur Kleinstwohnung hat auch einen haushaltstechnischen Grund: | |
Vor allem arme Singles suchen dringend Unterkünfte. Bleiben sie obdachlos, | |
fallen für eine Stadt unter Umständen hohe Sozialkosten an, denn die | |
Unterbringung in einem Obdachlosenheim kostet immer ein Mehrfaches | |
verglichen mit der in einer Kleinstwohnung. | |
Viele Wohnungssuchende lösen das Problem, indem sie die Metropolen | |
verlassen. Sowohl in Hamburg als auch in München und Berlin hat die Zahl | |
der „Einpendler“, die außerhalb wohnen und zur Arbeit in die Stadt kommen, | |
beständig zugenommen. Laut neuer Zahlen des Bremer Instituts für | |
Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) pendeln in Berlin 22 | |
Prozent der Beschäftigten von außen zur Arbeit in die Stadt, in Hamburg | |
sind es 36 Prozent und in München 45 Prozent. | |
## Günstige Miete, geminderte Lebensqualität | |
In Jüterbog beispielsweise, 40 Zugminuten vom Bahnhof Berlin-Südkreuz | |
entfernt, gibt es noch Mietwohnungen für 5 Euro kalt der Quadratmeter. Dort | |
füllen sich von Jahr zur Jahr die Pendlerzüge mehr. Doch Fahrtzeiten von | |
bis zu drei Stunden pro Tag schmälern die Lebensqualität, wie Studien aus | |
dem angelsächsischen Raum belegen. Da ist eine kleine Wohnung in der Stadt | |
vielleicht doch besser. | |
Doch „Wohnungsneubau ist teuer – und das gilt auch für den sozialen | |
Wohnungsbau“, sagt Walberg von der Arge e. V. Nach Rechnung des Instituts | |
liegt eine kalkulatorische Miete einer freifinanzierten Wohnung bei 10 | |
Euro nettokalt der Quadratmeter. | |
Wird etwa eine 70-Quadratmeter-Wohnung öffentlich gefördert und am Ende für | |
nur 8 Euro pro Quadratmeter vermietet, bedeutet dies „eine öffentliche | |
Förderung von 140 Euro im Monat“, so Walberg. Es ist Geld, das entweder | |
durch zinslose Darlehen oder direkte Zuschüsse, durch Steuervorteile oder | |
eine günstige Grundstücksvergabe von der Öffentlichkeit aufgebracht werden | |
muss. | |
Am Ende subventioniert sich die Mittelschicht ihre Sozialwohnungen also | |
selbst. Daher ist die Nachfrage nach geförderten Wohnungen in Deutschland | |
immer um ein Vielfaches höher als das Angebot. Doch wie genau die neuen | |
Wohnungen vergeben werden, ist nicht transparent. Die taz fragte in Berlin | |
bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Gesobau, Degewo, Stadt und | |
Land nach den Vergabekriterien für örtlich bekannte, fertiggestellte | |
Mietshäuser mit geförderten Einheiten. | |
## Sozialwohnung wie Lottogewinn | |
Genaue Auskünfte waren nicht zu bekommen. Die SprecherInnen verwiesen vage | |
auf die allgemeinen Richtlinien. Danach werden geförderte Wohnungen an | |
Leute mit Wohnberechtigungsschein vergeben, davon geht ein Viertel an | |
Personen, die einen Wohnberechtigungsschein mit „besonderem Bedarf“ | |
besitzen, also etwa Obdachlose oder Familien, die derzeit beengt in Heimen | |
leben. | |
Weitere Auskünfte zur konkreten Auswahl der MieterInnen gab es nicht. | |
Vielleicht, weil das Angebot zu klein ist. Und die Zahl der | |
InteressentInnen zu groß. Eine Sozialwohnung zu ergattern ist zum | |
Lottogewinn geworden. | |
11 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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