# taz.de -- Debatte Wohnungspolitik: Die Armen wohnen ganz weit draußen | |
> Der Wohnungsbau in den Millionenstädten wirft heikle Fragen auf. Auch | |
> innerhalb der linken Mittelschicht, die um bezahlbare Wohnungen kämpft. | |
Bild: Schön und billig leben mitten in der Stadt – die Realität sieht ander… | |
Bei dem privaten Immobilienunternehmen allod in Berlin plant man diese | |
Wohnungsvergabe generalstabsmäßig. Für nur 45 öffentlich geförderte | |
Wohnungen in einem großen Projekt in der Bautzener Straße in | |
Berlin-Schöneberg wird die Firma eine spezielle Homepage nur kurz | |
freischalten, damit sich InteressentInnen darüber bewerben können. | |
Man will die Wohnungsvergabe unbedingt transparent gestalten, heißt es bei | |
der Geschäftsführung der allod. Jedem Vorwurf einer Mauschelei oder | |
Diskriminierung will das Unternehmen vorbeugen. Aber man wird die Homepage | |
nach kurzer Zeit abschalten, denn es mache keinen Sinn, Tausende von | |
Bewerbern zu frustrieren, heißt es. | |
Eine subventionierte Neubauwohnung, die rund 350 Euro warm für 40 | |
Quadratmeter kostet, kommt in der Metropole einem Lottogewinn gleich. Zwei | |
Drittel der Berliner haben von den Einkommensgrenzen her Anspruch auf eine | |
mietpreisgebundene Wohnung. Aber auch im Projekt in der Bautzener Straße | |
sind die Mehrzahl der neugebauten Wohnungen frei finanziert, dann kostet | |
eine Singlewohnung 780 Euro warm. Nur ein kleiner Teil der | |
Einpersonenhaushalte in Berlin kann sich das leisten. | |
Das Beispiel zeigt: Es wird in Deutschlands Großstädten zwar viel gebaut, | |
aber nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung. Die Schere geht weiter | |
auf. Die politische Frage lautet: Wie stark sollte die Bundesregierung und | |
die lokale Politik eingreifen, um das Auseinanderdriften zwischen | |
Neubaukosten und Einkommen in den Metropolen abzumildern und zu regulieren? | |
Welche Förderung ist am dringendsten nötig? | |
Was ist „gerecht“? | |
Unter humanitären Aspekten steht die vierköpfige Flüchtlingsfamilie, die in | |
einem Zimmer in einem Übergangsheim wohnt, weil es keine Sozialwohnung | |
gibt, unter dem größtem Druck. Doch in Not geraten auch | |
Langzeitarbeitslose, GeringverdienerInnen, Alleinerziehende, | |
KleinrentnerInnen, wenn sie ihren Job oder den Partner verlieren oder die | |
Wohnung teuer modernisiert werden soll. Und was ist mit Krankenpflegern, | |
Grundschullehrern, die als vierköpfige Familie in einer Metropole keine | |
größere bezahlbare Wohnung mehr finden? | |
Polarisierungen zwischen Arm und Reich und das Feindbild des gierigen | |
Investors reichen nicht aus, um die komplexe Lage zu fassen. Eine | |
Baugenossenschaft wie der „Möckernkiez“ in Berlin-Schöneberg etwa muss | |
Mieten von 11 Euro nettokalt den Quadratmeter von den BewohnerInnen | |
verlangen. Grundstücks-, Baukosten und Finanzierungsbedingungen erforderten | |
dies. Außerdem müssen die MieterInnen einige zehntausend Euro als | |
Genossenschaftsanteil einbringen. Ein Projekt wie der Möckernkiez ist nur | |
was für die Mittelschicht. | |
Muss die öffentliche Hand solche Projekte mit günstigen Grundstücken oder | |
Steuergeldern fördern, damit sich künftig auch ärmere Menschen diese | |
Wohnungen leisten können? Aber haben die Armen überhaupt einen Anspruch | |
darauf, in der Innenstadt zu wohnen? In den sozialen Medien beharren | |
Kommentatoren darauf, dass es doch „schon immer ganz normal“ gewesen sei, | |
dass schlechter Verdienende weiter raus ziehen mussten, wo es billiger ist. | |
In den großen Städten suchen Tausende nach Wohnungen, das Angebot wird | |
knapper – das stellt die Maßstäbe für das, was „gerecht“ ist, auf eine | |
harte Probe. Wer schon eine Wohnung hat, will keine dichtere Bebauung in | |
der Nachbarschaft und möglichst viel Grün. Hochhäuser haben ein schlechtes | |
Image. Werden in Neubauprojekten vor allem Geringverdiener oder gar | |
Migranten gefördert, wird vor einer „Ghettoisierung“ gewarnt – oft ein | |
Scheinargument, denn es würde sofort eine Neiddebatte entbrennen, wenn | |
öffentlich geförderte Wohnungen nur noch an die Armen gingen. | |
Linke Mittelschicht im Widerspruch mit sich selbst | |
In Hamburg hat der Naturschutzbund Nabu eine Unterschriftensammlung | |
gestartet gegen die zunehmende Bebauung von Grünflächen in der Stadt. Der | |
Mieterverein rügt diese Aktion als Kampf der Wohnungsbesitzenden gegen die | |
Wohnungssuchenden. Die ökologisch orientierte linke Mittelschicht gerät in | |
der Wohnungsfrage in Widerspruch mit sich selbst. Die linken Milieus lieben | |
zwar das Leben in den Metropolen und verabscheuen die Provinz. Sie wollen | |
es in den Metropolen aber auch kiezig-dörflich, grün und bezahlbar haben. | |
Das wird schwer. | |
Die Große Koalition und die lokale Politik muss sich den | |
Verteilungskonflikten stellen, wenn sie Gestaltungswillen demonstrieren | |
will. 1,5 Millionen Wohnungen sollen in dieser Legislaturperiode neu gebaut | |
werden, heißt es im Koalitionsvertrag. Wie viele davon mietpreisgebunden | |
sein sollen, steht nicht drin. | |
Aber um den Neubau in den Metropolen nicht nur als Schaffung von Eigentum, | |
als Landnahme der Reichen, sondern als sozial verträgliche Aktion zu | |
gestalten, müssen mehr Mietwohnungen entstehen. Die Förderquoten dort | |
müssen gesteigert und an die Einkommensstruktur vor Ort und verschiedene | |
Zielgruppen angepasst werden. Auch Baugenossenschaften verdienen mehr | |
Unterstützung. Bei mehr sozialverträglichem Neubau ließen sich auch | |
Anwohnerproteste eher befrieden. | |
Die Fördermodelle müssen sich natürlich je nach Region unterscheiden. In | |
München gibt es Modelle, bei denen eine Wohnung sogar 14,50 Euro nettokalt | |
der Quadratmeter kosten darf – und viele Bewerber findet. | |
Der Druck in den Großstädten wird allerdings bleiben. In London ziehen | |
inzwischen viele Briten in mittleren Jahren weg. Wer kommt, ist reich oder | |
jung, und bleibt oft nur einige Jahre. London ist unwirtlich geworden als | |
Wohnort auf Dauer. Auch in Deutschland könnten kleinere Städte an | |
Attraktivität gewinnen. Es gibt dort auch Jobs und Internet, zudem | |
billigere Wohnungen und mehr Grün. Die Aufwertung der Mittelstädte kann ein | |
weiterer Beitrag werden zur Lösung der Territorialkämpfe in den Metropolen. | |
23 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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