# taz.de -- Kolumne Geht’s noch?: Morgen wieder vom Tisch | |
> Nach Jens Spahns Hartz-IV-Äußerungen wird ein bisschen Empörungsfolklore | |
> aufgeführt – ändern wird sich an dem Gängelungssystem nichts. | |
Bild: Muster eines Lebensmittelgutscheins für Empfänger von Arbeitslosengeld … | |
Es ist schon ein wenig seltsam, wie die Medienmaschinerie manchmal | |
funktioniert. Als die SPD im Wahlkampf 2017 mal wieder keine Verbesserungen | |
bei Hartz IV anbot, störte sich kaum ein Kollege daran. Als die sechs | |
Millionen Betroffenen – die unter Sanktionsandrohung von einem | |
Minimaleinkommen leben müssen – im Koalitionsvertrag ebenfalls nicht | |
adressiert wurden, störte das die meisten Hauptstadtjournalisten ebenfalls | |
nicht. | |
Doch dann kommt der neue Gesundheitsminister Jens Spahn daher („Mit Hartz | |
IV hat jeder das, was er zum Leben braucht“), und auf einmal ist das Thema | |
wieder in aller Munde. Das staatlich verordnete Leben am Existenzminimum | |
ist also nur dann interessant, wenn ein CDU-Provokateur dazu einen | |
unsensiblen Spruch vom Stapel lässt. | |
Und so dreht sich die Debatte auch mehr um die Formulierung denn um das | |
eigentliche Thema ALG II. Zwar geißelten die Genossen Spahns Äußerungen, | |
ohne jedoch selbst von dem zynischen Gängelungssytem abzurücken oder | |
zumindest für Verbesserungen zu werben. | |
Kein Wunder, denn dieses System wurde von den eigenen Parteivorderen | |
dereinst selbst installiert. Und die Union reibt sich auch nicht daran. | |
Spahns Äußerung ist also nichts anderes als die Regierungshaltung. Die | |
Scheindebatte täuscht darüber hinweg, dass in Sachen Hartz IV auf der | |
Regierungsbank traute Einigkeit herrscht. | |
Weniger grell als die Äußerungen des Ministers ist der wenig | |
nachrichtenträchtige Kampf um jeden Cent, der das Leben derjenigen prägt, | |
die von 416 Euro Grundsicherung im Monat leben müssen. An ihrer Situation | |
wird sich durch die Debatte nämlich nichts ändern. Bundespräsident | |
Frank-Walter Steinmeier, Mastermind der Agenda 2010, sagte: „Unser Ziel | |
muss höher gesteckt sein, als dass die Menschen von Hartz IV oder anderen | |
Transferleistungen leben.“ Heißt: An den Regelsätzen muss nicht gedreht | |
werden. | |
Ehrlicher bringt es der CDU-Arbeitsmarktpolitiker Kai Whittaker auf den | |
Punkt: „Eine Fokussierung auf den Hartz-Regelsatz hilft nicht weiter.“ Als | |
hätte es diese Fokussierung je von irgendjemandem gegeben, der auch | |
wirklich etwas hätte ändern können. | |
Prognose: Es wird ein paar Reportagen über die Realität von | |
Hartz-IV-Empfängern geben, dann wird irgendjemand fragen: „Wer soll höhere | |
Regelsätze denn bezahlen?“ Und dann ist das Thema wieder abgeräumt. | |
19 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Jörg Wimalasena | |
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