| # taz.de -- Jamaika-Sondierungen in Berlin: Die Zeit wird knapp | |
| > Die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition werden am Sonntag | |
| > fortgeführt. Das Thema Familiennachzug zehrt – vor allem an CSU und | |
| > Grünen. | |
| Bild: Spitzenvertreter der Jamaika-Parteien bei den Verhandlungen im Konrad-Ade… | |
| BERLIN taz | Geredet und zurückgezogen, nachgedacht und für Sonntag | |
| verabredet – am späten Samstagnachmittag stand immerhin fest: Es geht | |
| weiter mit den Sondierungsgesprächen zwischen CDU und CSU, Grünen und FDP. | |
| Ein Scheitern der Gespräche ist nach der ergebnislosen Verhandlungsnacht | |
| von Donnerstag auf Freitag zumindest nicht mehr ausgeschlossen. Er sei | |
| weiterhin zu 70 Prozent überzeugt, dass es gelingen könnte, meinte der | |
| Staatsminister im Kanzleramt, Helge Braun (CDU), nach der ersten Halbzeit | |
| der Gespräche im Konrad-Adenauer-Haus. Angela Merkels Stadthalter war | |
| offenbar vorgeschickt worden, um Optimismus zu verbreiten. Denn beim | |
| neuralgischsten Punkt der Sondierungen, dem Familiennachzug, haben die | |
| Verhandler keine Einigung erzielt. | |
| Bei den Grünen war die Stimmung denn auch weitaus gedämpfter. Die Bilanz | |
| sei sehr durchwachsen hieß es aus Verhandungskreisen. Es gebe weder | |
| Fortschritte beim Klima, noch beim Thema Migration. Daher gelte weiterhin | |
| das, was Verhandlungsführerin Katrin Göring-Eckardt am Freitagabend im | |
| „Heute Journal“ sagte: Es gebe von Seiten der Grünen die klare | |
| Bereitschaft, Kompromisse anzubieten, selbst beim Familiennachzug. „Was | |
| nicht sein kann, ist, dass eine Partei sagt: Wir verhandeln über eine Sache | |
| – und zwar komplett – gar nicht.“ Sie erwarte also, dass die CSU bereit s… | |
| zu verhandeln. | |
| Also warten die Grünen weiter. | |
| Der Familiennachzug gilt als Schlüsselthema. Könne man sich dort einigen, | |
| stehe auch einer Einigung bei anderen strittigen Punkten, etwa bei Klima | |
| und Verkehr nichts im Wege, heißt es aus Unionskreisen. Doch die Zeit wird | |
| knapp. Insbesondere die FDP hat klar gemacht, dass sie keine Lust auf eine | |
| Verlängerung der Sondierungen hat. „Sonntag 18:00 Uhr ist Schluss“, | |
| bekräftigte ein angefressen wirkender Christian Lindner am Samstag die | |
| Parole, die FDP-Vize Wolfgang Kubicki zuvor ausgegeben hatte. | |
| ## Für CSU und Grüne ein Knackpunkt | |
| Seit Samstagmorgen hatten die Verhandlungsführer_innen der Jamaika-Parteien | |
| in spe in der Berliner CDU-Zentrale miteinander verhandelt. Während vor dem | |
| Konrad-Adenauer-Haus bei 5 Grad unter der wartenden Presse munter | |
| gefeilscht wurde – „Kann ich von dir einen Kinder-Em-eukal haben, ich hätte | |
| Ricola Zitrone anzubieten“ – schienen im Inneren die Gräben zwischen CSU | |
| und Grünen beim Familiennachzug unüberbrückbar. Nachmittags rückten dann | |
| die erweiterten Parteitrosse an, um gesondert nach Partei noch einmal über | |
| das heikle Thema zu sprechen. | |
| Der Familiennachzug betrifft vor allem Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien | |
| und Irak, deren Asylantrag nach dem 17. März 2016 bewilligt wurde. Den | |
| Flüchtlingen mit eingeschränktem (subsidiärem) Schutzstatus ist es ab 16. | |
| März 2018 prinzipiell wieder erlaubt ihre Ehepartner und minderjährigen | |
| Kinder nach Deutschland nachzuholen. | |
| Die CSU will das verhindern, die Grünen halten den Familiennachzug aus | |
| humanitären Gründen für geboten. Für beide Parteien ist das Thema | |
| identitätsstiftend und symbolträchtig. Die CSU will das Signal aussenden, | |
| dass sie es geschafft hat, die Zahl der Flüchtlinge entscheidend zu senken. | |
| Die Grünen wollen nach Zugeständnissen beim Ausstieg aus Kohle und | |
| Verbrennungsmotoren, wenigstens ihr menschliches Gesicht wahren. | |
| Vor allem die CSU hat sich in die Idee verrannt, den Richtwert von 200.000 | |
| Migranten pro Jahr um jeden Preis [1][als feste Größe in einem möglichen | |
| Koalitionsvertrag unterzubringen], zuzüglich aller sonstigen Punkte ihres | |
| Regelwerks. Also etwa alle neu Ankommenden zunächst in Rückführzentren zu | |
| kasernieren, wo über ihr Asylgesuch entschieden wird und von wo aus sie | |
| leicht wieder abgeschoben werden können. Und Bayern wollen auch die Liste | |
| der sicheren Herkunftsländer um die Maghreb-Staaten erweitern. | |
| ## Gute Laune am Morgen | |
| Erschwerend kommt hinzu, dass machtpolitische Aspekte ebenfalls eine Rolle | |
| spielen und verhärtend wirken. Für Horst Seehofer geht es ums politische | |
| Überleben, zu Hause in Bayern lauert bereits Kronprinz Markus Söder darauf, | |
| dass der strauchelnde CSU-Chef zu Boden geht. Dabei würde die CSU bei einem | |
| Scheitern der Sondierungen ebenso bedröppelt dastehen, wie wenn sie beim | |
| Thema Migration nachgeben würde. | |
| Der politischen Karriere von Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt wäre ein | |
| Scheitern der Jamaika-Regierung ebenfalls stark abträglich. Sie stecken in | |
| einer Zwickmühle. Die Grünen wollen auf einem Parteitag am kommenden | |
| Wochenende über das Sondierungsergebnis abstimmen und sollen Jamaika ihren | |
| Segen geben. | |
| Dazu brauchen Göring-Eckart und Co. jedoch die linken Grünen. Die Grüne | |
| Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock [2][sagte der taz jedoch], dass der | |
| Familiennachzug eine Schmerzgrenze für sie sei. Sie schließe ein Ja zur | |
| Verlängerung der Aussetzung aus. Zwei weitere Bundestagsabgeordnete, | |
| Sven-Christian Kindler und Sven Lehmann, schlossen sich über Twitter dieser | |
| Haltung an – [3][„Ich auch nicht!“]. Auch die Fraktionsvorsitzende der | |
| Grünen im Thüringer Landtag Astrid Rothe-Beinlich [4][bekräftigte über | |
| Twitter], dass es ohne Familiennachzug kein Jamaika geben könne. | |
| Wie viele Menschen ab März tatsächlich über den Familiennachzug nach | |
| Deutschland kommen könnten, ist unklar. Das Auswärtige Amt geht [5][von | |
| insgesamt 200.000 bis 300.000 Familienangehörigen] irakischer und syrischer | |
| Flüchtlinge aus, die AfD hatte im Wahlkampf vor zwei Millionen Migranten | |
| gewarnt. | |
| Am besten gelaunt war am Samstagmorgen übrigens noch die Grüne Claudia | |
| Roth. Sie freue sich, dass das Ganze dem Ende entgegengehe. Was sie damit | |
| wohl gemeint hat? | |
| 18 Nov 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Gemeinsamer-Kurs-CDU-und-CSU/!5453508 | |
| [2] /Gruene-in-der-Jamaika-Sondierung/!5460692 | |
| [3] https://twitter.com/sven_kindler/status/931810184254644224 | |
| [4] https://twitter.com/Astrid_RB/status/931824782416515073 | |
| [5] /Familiennachzug-nach-Deutschland/!5454241 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Jamaika-Koalition | |
| Migration | |
| Familiennachzug | |
| Klima | |
| Jamaika-Koalition | |
| Cem Özdemir | |
| Horst Seehofer | |
| Jamaika-Koalition | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Jamaika-Koalition | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Jamaika | |
| CSU | |
| Jamaika-Koalition | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Jamaika-Koalition | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kommentar Familiennachzug: Ausnahmen wenigstens für Härtefälle | |
| Die FDP sollte auf eine moderate Öffnung beim Familiennachzug setzen. Ein | |
| Gastbeitrag des Vorsitzenden der Jungen Liberalen. | |
| Cem Özdemir über die Regierungsbildung: „Über die Schmerzgrenze“ | |
| Cem Özdemir hätte fast regiert. Fast. Vor dem Parteitag spricht der | |
| Grünen-Chef über den Untergang von Jamaika und die Folgen. | |
| Personalrochaden in der CSU?: Gerücht und Dementi | |
| Horst Seehofer kündigt personelle Konsequenzen in der CSU an. Kurz darauf | |
| gibt es die ersten Eilmeldungen, die umgehend dementiert werden. | |
| Post-Jamaika-Strategie der Grünen: Mit vollem Kurs auf Neuwahl | |
| Özdemir und Göring-Eckardt wollen Spitzenkandidaten bleiben, das Programm | |
| bleibt gleich. Intern gibt es Unmut über die Biegsamkeit in den | |
| Sondierungen. | |
| Kommentar Geflüchtete und Zahlen: Kinder brauchen ihre Eltern | |
| Bei den Sondierungen war das Thema Familiennachzug besonders umstritten. | |
| Doch Menschenrechte kennen keine Obergrenze. | |
| Sondierungen gescheitert: Jamaika? Neinmaika! | |
| Die FDP lässt die Sondierungen in der Nacht auf Montag platzen. Union und | |
| Grüne zeigen eine bislang ungewohnte Nähe. | |
| Familiennachzug und Jamaika: Eine Frage der Ehre | |
| Der Familiennachzug ist neben der Obergrenze einer der größten Streitpunkte | |
| bei den Jamaika-Sondierer*innen. Das liegt vor allem an der CSU. | |
| Kommentar Zähe Jamaika-Sondierungen: Ungewohnt echter politischer Streit | |
| Die Verhandlungen sind zäh. Es wird geschimpft und gestritten. Für fast | |
| alle Beteiligten eine ganz neue Rolle. Aber notwendig war und ist der | |
| Streit. | |
| Jamaika-Sondierungen finden kein Ende: Angst vor der Basis | |
| Die Jamaika-Sondierer tun sich schwer mit Kompromissen – vor allem die | |
| Kleinparteien. Bei den Grünen ging es bis an die Schmerzgrenze. | |
| Grüne zu Obergrenze in der Sondierung: 200.000 als Rahmen | |
| Die Grünen legen ein Kompromissangebot in der Flüchtlingspolitik vor. | |
| Unangetastet bleiben soll die Möglichkeit des Familiennachzugs. | |
| Abschluss der UN-Klimakonferenz in Bonn: Draußen schlägt drinnen | |
| In Bonn geht die UN-Klimakonferenz mit den üblichen Minimalkompromissen zu | |
| Ende. Wichtiger war, was jenseits der Diplomatie passierte. | |
| Die Jamaika-Sondierungen in drei Akten: Drama, Baby, Drama | |
| Die Sondierungsverhandlungen laufen nach den Regeln der klassischen | |
| Dramaturgie ab. Eine Verzögerung vor der Auflösung gehört dazu. | |
| Grüne in der Jamaika-Sondierung: Verhandeln bis es schmerzt | |
| Annalena Baerbock will nichts weniger als das Klima retten. Die Grüne ist | |
| Teil der Sondierung – und hat eine bewegte Woche hinter sich. |