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# taz.de -- Debatte Einwanderungsgesetz: Schluss mit der Obergrenze-Diskussion
> Ein Einwanderungsgesetz würde das Leben von vielen Zuwanderern
> erleichtern. Es ist aber keine Alternative für Integrations- und
> Flüchtlingspolitik.
Bild: Hier Deutsche, dort Ausländer: Kunstaktion zum Thema Einwanderung
Jamaika im Bund ist geplatzt. Es bleiben die ungelösten politischen
Kontroversen in der Flüchtlingspolitik. Bei den Forderungen nach einem
Einwanderungsgesetz, das dem kanadischen Muster für die Zuwanderung
qualifizierter Arbeitskräfte folgt, herrscht aber zunehmend Einvernehmen.
Damit könnte endlich die jahrzehntelange politische Vogel-Strauß-Politik
gegenüber der faktischen Einwanderung in die Bundesrepublik überwunden
werden.
Dies darf jedoch nicht zum Alibi für die Flüchtlingspolitik werden. Der
derzeitige bürokratische Hürdenlauf für Arbeitsmigranten würde zwar
erleichtert, aber eine nachhaltige Willkommenskultur noch längst nicht
geschaffen. Dazu bedarf es einer umfassenden Integrationspolitik für alle
Bevölkerungsgruppen. Nur dann kann den mit dem Aufstieg der AfD gefährlich
erstarkten Rechtstendenzen ein Riegel vorgeschoben werden.
Beim Einwanderungsgesetz geht es um die Steuerung der Zuwanderung in den
Arbeitsmarkt aus Drittländern außerhalb der Europäischen Union. Für
Arbeitsmigranten innerhalb der EU gilt Freizügigkeit, wobei die letzte
Stufe nach der Osterweiterung in der Bundesrepublik 2013 für Rumänien und
Bulgarien umgesetzt wurde. Angesichts des Scheiterns von Jamaika im Bund
besonders pikant ist die „Blaupause“ der Jamaika-Koalition in
Schleswig-Holstein. Ihr Koalitionsvertrag verpflichtet nicht nur zum
Einsatz für ein „zeitgemäßes“ Einwanderungsgesetz auf Bundesebene. Auch …
Jamaika im Norden ein Landesintegrationsgesetz vereinbart, von Kitas,
Schulen, Sprachkursen, Aus- und Weiterbildung bis zum Einstieg in den
Beruf. Auch an die Finanzen ist gedacht: Integrationspauschale und
Festbetrag für die Kommunen sollen über 2018 hinaus erhalten und an die
Kosten angepasst werden.
Die zwischenzeitlich in die Oppositionsrolle abgetauchte SPD hat einen
dritten Anlauf zu einem Einwanderungsgesetz genommen. 2001 waren die
Vorstöße der SPD in Sachen Einwanderung in der Süssmuth-Kommission unter
Bundeskanzler Gerhard Schröder bei erneut steigender Massenarbeitslosigkeit
gescheitert. Die diesbezüglichen Vorschläge der in der Großen Koalition
mitregierenden SPD Ende 2016 fielen der Vorwahlkampfzeit zum Opfer. Die
neuesten Initiativen der SPD-Bundestagsfraktion, die zunächst wie ein
Nachbeten der Positionen der kleineren Jamaika-Parteien schienen, haben nun
erneut politische Bedeutung gewonnen. Ob es allerdings praktikabel wäre,
dass die Steuerung der Zuwanderung nach einem festen Punktesystem erfolgt
und Bundestag sowie Bundesrat jährlich über die Höhe der Zuwanderungen
entscheiden, ist zumindest fraglich.
## Schlepperei und Obergrenzen-Debatten beenden
Die Steuerung der Migration nach persönlichen Merkmalen, Berufsgruppen,
Qualifikationsebenen sowie Nachweis eines Arbeitsplatzes mit
Mindestbedingungen kann zwar die Transparenz sowohl für die Zuwandernden
wie die Arbeitgeber erhöhen, allerdings auch an den tatsächlichen
Erfordernissen des Arbeitsmarktes vorbeigehen. In der Bundesrepublik haben
Arbeitsplatznachweis, Vorrangprüfung, Mindesteinkommen zu der Beschränkung
auf wenige Tausend Zuwanderungen im Jahr beigetragen.
Andererseits kann ein solcher Verzicht dazu führen, dass Zuwanderungen in
die Sozialsysteme die Folge sind. Eine Alternative könnte sein, die
Zuwanderung nach Qualitätsmerkmalen zu steuern, aber zunächst auch ohne
Arbeitsplatz sowie Mindesteinkommen zuzulassen. Für eine Verlängerung wäre
dann jedoch eine sozial abgesicherte Beschäftigung Bedingung.
Ein Einwanderungsgesetz könnte Migration, die mittels vorgeschobener Gründe
als Flucht ausgegeben wird, verhindern und damit nicht nur die leidige
Debatte über Obergrenzen für Flüchtlinge beenden, sondern vor allem auch
das ausufernde Schlepperunwesen. Hierbei geht es vor allem um die
Zuwanderungen aus den Balkanstaaten oder dem Maghreb, Ländern mit einem
äußerst niedrigen Schutzstatus im Asylverfahren.
Not, Elend und Verzweiflung dieser zuwandernden Menschen sind oft auch
unter humanitären Gesichtspunkten besonders schwerwiegend. Gleichzeitig
haben sie häufig auf dem deutschen Arbeitsmarkt gesuchte Qualifikationen
oder können sie zumindest erwerben. Dazu wurde in der Bundesrepublik 2015
eiligst eine neue Gesetzgebung geschaffen. Danach konnten sich zugewanderte
Balkanflüchtlinge mit sehr niedrigem Schutzstatus nach Rückkehr in ihre
Heimatländer erneut als Arbeitsmigranten bewerben. Mit der Begrenzung auf
etwa 20.000 solcher Einwanderer und hohen bürokratischen Hürden kann ein
derartiger „Spurwechsel“ lediglich eine Übergangslösung sein.
## Integration beginnt in den Heimatländern
Ein Einwanderungsgesetz mit der Steuerung qualifizierter Zuwanderungen ist
keinesfalls eine Alternative, sondern eine Ergänzung zur
Flüchtlingspolitik. Die entscheidende Klammer für die Regulierung von
Arbeits- und Fluchtmigration ist eine umfassende berufliche und
gesellschaftliche Integration. Dazu müssen Bund und Länder denjenigen
Kommunen mit den hauptsächlichen Integrationsleistungen die erforderlichen
finanziellen und personellen Mittel zur Verfügung stellen. Ein
Einwanderungsgesetz, das die Arme gegenüber Migranten ausbreitet, aber
gleichzeitig das Portemonnaie für das Erreichen der „schwarzen Null“
geschlossen hält, ist zum Scheitern verurteilt.
Dabei muss die Integrationspolitik bereits in den Heimatländern beginnen,
insbesondere Information über Arbeitsmarktbedingungen in Deutschland;
Vermittlung deutscher Sprache, Feststellung beruflicher Bildung, Ausbildung
und Kompetenzen. Die Einrichtung von Migrationsberatungsstellen, wie es sie
bereits in Tunesien, Marokko und Kosovo gibt, dürfen sich nicht im
Aktionismus verlieren. Nur dann kann in Abwandlung des geflügelten Wortes
des ehemaligen SPD-Verteidigungsministers Peter Struck: „Die Sicherheit
Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt“, festgestellt werden: „Die
Einwanderungspolitik Deutschlands beginnt schon am Atlasgebirge und an den
Karpaten.“
2 Dec 2017
## AUTOREN
Ursula Engelen-Kefer
## TAGS
Lesestück Meinung und Analyse
Einwanderungsgesetz
Einwanderung
Flüchtlinge
Integration
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