# taz.de -- Grüne im Europaparlament: „Ich will keine Posten mehr“ | |
> Die ehemalige Bremer Kultursenatorin Helga Trüpel tritt 2019 nicht mehr | |
> für die Grünen zur Europawahl an. Die eigene Fraktion wird ihr zu links. | |
Bild: Findet es falsch, dass die grüne Europafraktion faktisch eine Politik de… | |
taz: Frau Trüpel, 2019 kandidieren Sie nicht mehr für das Europäische | |
Parlament. Haben Sie nach 30 Jahren als Berufspolitikerin einfach keine | |
Lust mehr? | |
Helga Trüpel: Ich habe total Lust auf grüne Politik, [1][deswegen habe ich | |
einen offenen Brief geschrieben]. Aber ich will keine Posten mehr, weder in | |
Brüssel noch in Bremen noch in Berlin. Die Grünen sind die beste Partei, | |
die wir in Deutschland haben – aber wir müssen uns neu aufstellen. | |
Die Grünen im EU-Parlament sind Ihnen zu links geworden. Woran machen sie | |
das fest? | |
An der Flüchtlingspolitik etwa: Ich finde es falsch, dass wir in der grünen | |
Europafraktion de facto eine Politik der offenen Grenzen machen. Die | |
frühere Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms und ich haben immer gesagt: Wir | |
werden das politische Asyl nicht einschränken und auch die Genfer | |
Flüchtlingskonvention nicht antasten, aber wir brauchen ein | |
Einwanderungsgesetz. Dabei muss es Quoten und Kontingente geben, also auch | |
legale Wege für Arbeitsmigranten, ins Land zu kommen. Wir dürfen nicht alle | |
ins Asyl zwingen. Aber wir dürfen nicht kommunizieren, dass alle | |
Arbeitsmigranten kommen können. Das kann nicht funktionieren, weil unsere | |
Gesellschaften dann überfordert sind. | |
Ist das jetzt ein Plädoyer für die umstrittene „Obergrenze“? | |
Nein! Mit den Grünen wird es nie eine Obergrenze beim politischen Asyl | |
geben. Das weiß auch Angela Merkel. Aber wenn wir in einem | |
Einwanderungsgesetz Quoten für Arbeitsmigranten festlegen, dann darf die | |
CSU das meinetwegen Obergrenze nennen. | |
Ist die Politik der offenen Grenzen nicht der Charme der EU? | |
Wir haben den Binnenmarkt und offene Grenzen in der EU, aber wir haben nie | |
eine Politik gemacht, die fordert, dass jeder nicht anerkannte Flüchtling | |
bleiben kann. | |
Manche Grüne finden sogar Abschiebungen nach Afghanistan okay. | |
Ich nicht. | |
Wo sind Sie sonst uneins mit der Mehrheitspolitik der grünen | |
Europafraktion? | |
Die Art, wie wir Austeritätspolitik kritisieren, ist mir nicht ausgewogen | |
genug. Auch Länder wie Griechenland müssen Verantwortung für ihre | |
Überschuldung übernehmen. Wir haben da eine große Verantwortung, wir müssen | |
viel mehr investieren, aber auch Griechenland hat schwere Fehler gemacht. | |
Und ich will, dass wir das sagen. Dann bekommst du im Bundestag auch eher | |
eine Mehrheit, wenn es um Hilfen für Griechenland geht. Das gilt auch für | |
Handelspolitik. Ska Keller, die grüne Fraktionsvorsitzende im | |
Europaparlament, sagt noch immer: Der Ceta-Vertrag bringt uns die privaten | |
Schiedsgerichte. Das ist falsch! Und das ärgert mich! | |
Im Vertrag steht jetzt ein Handelsgerichtshof mit öffentlich bestellten | |
Richtern. | |
Der ist noch nicht so gut, wie wir das wollen. Aber die Grünen erkennen | |
nicht einmal an, dass die EU-Kommission ihre Position auch auf unseren | |
Druck hin ändern musste! Es ist politisch autistisch, immer noch von den | |
privaten Schiedsgerichten zu sprechen, wenn die längst rausverhandelt sind. | |
Das macht uns politisch klein. | |
Steckt hinter diesem Streit auch ein Generationenkonflikt? | |
Das ist nicht nur eine Altersfrage: Es geht eher darum, welches Verständnis | |
von grüner Politik und welche Haltung man hat. Ich will, dass wir uns | |
politische Lösungen überlegen. | |
Wünschen Sie sich die gutealte Zeit mit Daniel Cohn-Bendit und Rebecca | |
Harms zurück? | |
Nein. Ich bin kein konservativer Mensch! Ich sage nur, was ich richtig und | |
falsch finde. Und es gibt ja auch persönliche Gründe dafür, warum ich | |
aufhöre: Es ist ein toller Job – aber nach 15 anstrengenden Jahren mit vier | |
Flügen pro Woche, zu viel Stress und zu wenig Bewegung ist es jetzt auch | |
mal gut für mich. Meine Gesundheit ist mir viel wert. Ich will mehr | |
Freiheit, weniger persönliche Kränkung und weniger subtilen Sexismus | |
erleben. | |
Was machen Sie nach 2019? | |
Ich werde entspannter und gelassener werden, mich weiter politisch | |
einmischen, Vorträge halten, aber auch reisen, kluge Bücher lesen und meine | |
Tochter öfter besuchen. Ich komme nicht auf Turkey. | |
Welche Reaktionen gab es auf den offenen Brief? | |
Bei Facebook waren sie zu 98 Prozent positiv. Und in der Flüchtlingspolitik | |
etwa haben mir fast alle Grünen Recht gegeben und anerkannt, dass ich keine | |
Rechte bin. Ich bin eine linksliberale Ökologin mit feministischem | |
Bewusstsein. Ich will aber nicht da sitzen, wo die Linkspartei sitzt. Wir | |
sitzen aus guten Gründen links von der Mitte im Parlament, da gehören wir | |
hin. | |
Wie hat Ska Keller reagiert? | |
Sie hat nichts gesagt. Aber das ist Teil des Problems. | |
Sie waren 1991 schon an einer Ampel-Koalition beteiligt, als außerhalb | |
Bremens Dreier-Bündnisse noch ganz weit weg waren. Was können die Grünen | |
daraus für Jamaika lernen? | |
Es geht darum, ein „Wir“ zu haben in dieser Dreier-Konstellation – und | |
zugleich muss aber auch jede der vier Parteien eigene Projekte haben und | |
glänzen können. Auch in Bremen gab es damals Leute, die gesagt haben: Wenn | |
ihr das macht, werdet ihr danach nicht mehr im Parlament sein. Hinterher | |
hatten wir mehr Stimmen als vorher, obwohl die Ampel-Koalition geplatzt | |
ist. Es geht um die konkrete Politik und die Performance. | |
Die beiden Grünen-SpitzenkandidatInnen bei der Bundestagswahl gelten oft | |
als langweilig. | |
Die beiden haben eine ganz klar soziale, ökologische und | |
menschenrechtsorientierte Linie. Wer macht das denn besser als wir? | |
Warum rufen dann so viele nach Schleswig-Holsteins grünem Umweltminister | |
Robert Habeck? | |
Weil der frisch ist, keinen Politik-Jargon redet, angriffslustig, aber auch | |
seriös ist, weil er argumentieren kann und erklären, wie seine | |
Güterabwägung aussieht. In Bremen haben wir mit Joachim Lohse einen | |
Umweltsenator, der zwar vieles richtig macht – aber nicht so gut | |
kommunizieren kann wie Robert Habeck. | |
12 Oct 2017 | |
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[1] http://www.helgatruepel.de/blog/5440.html | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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