# taz.de -- Neue TTIP-Verhandlungsrunde: Das Ratsgeheimnis | |
> Die aktuellen Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP sind | |
> Verschlusssache – sogar für die meisten Abgeordneten. Warum eigentlich? | |
Bild: Europaweit gibt es Proteste gegen TTIP: Hier in München am 18. April | |
BRÜSSEL taz | Drei Jahre hatten die EU und Kanada über ihr neues | |
Freihandelsabkommen Ceta verhandelt, doch längst nicht überall waren sie | |
sich einig geworden. Die Streitpunkte fasste die EU-Kommission am 6. | |
November 2012 auf 13 Seiten zusammen: Was wollen wir? Was wollen die | |
Kanadier? Und welcher Kompromiss wäre für uns gerade noch akzeptabel? | |
„Landing Zones“ heißen solche möglichen Einigungskorridore im Fachjargon. | |
Das als geheim eingestufte Papier war für die Mitglieder des | |
Handelsausschusses im EU-Parlament bestimmt. Doch drei Tage später stand | |
ein etwas verwaschener Scan des Dokuments auf der Webseite der Zeitung La | |
Presse aus Montreal. „Ein Albtraum“, so ein EU-Diplomat, der mit den | |
Verhandlungen befasst war. „Die Kanadier wussten genau, wo für uns die | |
Schmerzgrenzen lagen.“ | |
Zum Beispiel ging es um die Frage, wie sehr die Einfuhrzölle für Autos | |
wechselseitig gesenkt werden. Europäische Hersteller nutzen vergleichsweise | |
wenige importierte Teile, kanadische Hersteller eher mehr. Kanada wollte | |
deshalb auch Autos zollfrei in die EU exportieren dürfen, die nicht mal zur | |
Hälfte aus kanadischen Teilen bestehen. | |
Die EU wiederum wollte 55 Prozent festschreiben – das hätte die eigene | |
Industrie begünstigt, die kanadische hingegen benachteiligt. Eine Quote | |
könne sie sich aber vorstellen, schrieb die Kommission in dem geleakten | |
Papier. Das mittlerweile ausverhandelte Ceta-Abkommen sieht nun vor, dass | |
Kanada jährlich 100.000 Autos in die EU exportieren darf, in denen | |
überwiegend ausländische Teile verbaut sind. Die Kanadier haben sich also | |
durchgesetzt, die EU möglicherweise Zolleinnahmen verloren. | |
## Geheimniskrämerei von Anfang an | |
Mit dieser Geschichte begründen Brüsseler Diplomaten, warum die ab heute in | |
Washington weitergehenden Verhandlungen über die Errichtung der größten | |
Freihandelszone der Welt ablaufen, als ginge es dort um Militärgeheimnisse: | |
„Aus taktischen Gründen“, sagen sie. Um sich „Verhandlungsmasse | |
offenzuhalten“ bei dem Geschacher um den Abbau von Zöllen. | |
Die Geheimniskrämerei um TTIP galt von Beginn an: Nicht einmal das | |
Verhandlungsmandat, also den Auftrag an ihre Unterhändler, mochte die EU | |
bekannt machen. Erst im Oktober 2014, die Verhandlungen liefen da schon 16 | |
Monate, veröffentlichte sie das Dokument. Das hätte früher geschehen | |
müssen, heißt es heute dazu bei der EU-Kommission, die die Verantwortung | |
dafür aber dem Europäischen Rat zuschiebt. | |
Durchsetzen konnte dieser die Geheimhaltung nicht: Im März 2014 stellten | |
die Grünen-Politiker Sven Giegold, Rebecca Harms und Ska Keller den | |
Mandatstext ins Internet. „Der Schutz der Demokratie wiegt für mich | |
schwerer als das Interesse der Kommission an ungestörten und verschwiegenen | |
Hinterzimmerverhandlungen“, sagte Giegold. | |
Strafbar ist derlei Geheimnisverrat für Abgeordnete nicht. Im November trat | |
die Schwedin Cecilia Malmström ihr Amt als Handelskommissarin an. Sie | |
gelobte mehr Transparenz und will gar ihre gesamte Korrespondenz zu TTIP | |
ins Netz stellen. Doch zugleich versucht die Kommission fast alles, um die | |
entscheidenden TTIP-Dokumente geheim zu halten. Das betrifft zwei Sorten | |
von Texten: Jene, in denen es um Marktzugänge, also Zollerleichterungen | |
geht – wie im Autobeispiel –, und sämtliche Vorschläge für den Vertragst… | |
von amerikanischer Seite. „Die wollen nicht, dass wir das weitergeben“, | |
heißt es bei der Kommission. | |
## Spezielle Leseräume in Brüssel | |
Es möge sein, dass die USA auf Diskretion drängen, sagt der Grüne Giegold. | |
Trotzdem spricht er von einer „fast antiamerikanischen | |
Rechtfertigungslinie“ angesichts der auch sonst dürftigen | |
Transparenzneigung der EU. „Die verhandelt gleichzeitig noch etwa zwanzig | |
andere Handelsabkommen, das Mandat veröffentlicht hat sie aber nur bei TTIP | |
und Tisa – und das auch erst, nachdem ich geleakt habe.“ | |
Knapp die Hälfte aller TTIP-Dokumente jedenfalls fallen in eine der beiden | |
Kategorien und sind als Verschlusssache eingestuft. Per Mail werden sie | |
nicht verschickt. Der EU ist kein gangbarer Weg der elektronischen | |
Kommunikation dafür sicher genug. Nur die Mitglieder der sogenannten | |
Monitoring Group, im Wesentlichen die Vorsitzenden der zuständigen | |
Ausschüsse des EU-Parlaments, bekommen Ausdrucke – mit individuellen | |
Wasserzeichen, damit mögliche Leaks zurückverfolgt werden können. Die | |
einfachen Mitglieder der Ausschüsse müssen in einen von zwei speziell | |
gesicherten Leseräumen kommen – einer befindet sich im Gebäude der | |
EU-Kommission, einer im Parlament. | |
Alle übrigen Abgeordneten dürfen die Dokumente nicht einsehen. Eine | |
Ausnahme bilden die Vorsitzenden der übrigen Ausschüsse – sie dürfen Teile | |
des Vertragsentwurfs dann einsehen, wenn sie ihre unmittelbare | |
Fachzuständigkeit betreffen. Es sei „unmöglich“, klagt die grüne | |
EU-Abgeordnete Helga Trüpel, sich auf diese Weise ein Bild über die | |
Verhandlungen zu verschaffen. Um mehr ginge es ohnehin nicht: Eine | |
Vetomöglichkeit während der laufenden Verhandlungen ist nicht vorgesehen. | |
## Dubiose Schiedsgerichte | |
Auch den Regierungen der Mitgliedstaaten traut die EU-Kommission in der | |
Frage nicht: Will die Bundesregierung wissen, wie die Verhandlungen | |
voranschreiten, muss ein Vertreter der Abteilung Außenwirtschaftspolitik im | |
Bundeswirtschaftsministerium in den Brüsseler Lesesaal reisen. „Ganz | |
praktikabel ist das nicht“, sagt dazu ein Vertreter der Handelskommission. | |
Nun sollen Leseräume in den US-Botschaften in den EU-Hauptstädten | |
eingerichtet werden. Das würde den Vertretern des | |
Bundeswirtschaftsministerium immerhin Reisen ersparen. Zufrieden ist man | |
dort aber nicht. „Das kann nur ein Zwischenschritt sein“, heißt es aus dem | |
Haus von Minister Sigmar Gabriel. „Erforderlich ist ein direkter Zugang zu | |
den konsolidierten Verhandlungsdokumenten.“ | |
Die Kommission aber fürchtet weitere Leaks und hält die Geheimhaltung für | |
unverzichtbar. Würden Details über geplante Zollzugeständnisse vor | |
Verhandlungsende bekannt, hätten nicht nur die USA einen Vorteil, auch die | |
Lobbyisten der betroffenen Branchen würden sofort Sturm laufen. | |
Das Kampagnennetzwerk Campact warnt: „Ziel der Verhandlungselite ist es, | |
die Verhandlungen geheim abzuschließen und den demokratisch gewählten | |
Vertretungen der Bürger/innen dann nur noch die Wahl zwischen Zustimmung | |
und Ablehnung zu lassen.“ Gleichzeitig werde Industrielobbyisten | |
„exklusiver Zugang und die Möglichkeit, ihre Interessen direkt in den | |
Vertrag zu diktieren“ gegeben. Campact verweist darauf, dass es von 2012 | |
bis 2013 allein 119 Treffen zwischen Wirtschaftsvertretern und den | |
TTIP-Verhandlern gegeben hat. Darunter waren Nokia, DaimlerChrysler oder | |
die US-Versicherung MetLife. Mit den zivilgesellschaftlichen Gruppen trafen | |
sich die Diplomaten nur elfmal. | |
## Malmström hält an Schiedsgerichten fest | |
Auch Giegold mag dem Argument, die Verhandlungsstrategie schützen zu | |
müssen, nicht folgen. „Es gibt den UN-Internet-Vertrag, der komplett | |
öffentlich, vor einer Webcam, ausgehandelt wurde. Und ich habe nicht | |
gehört, dass es da zu einer Übervorteilung gekommen wäre“, sagt er. Ohnehin | |
sei es „drollig“ anzunehmen, dass ausgerechnet die USA sich die Dokumente | |
nicht ohnehin mit Geheimdienstmethoden beschafften. „Nur die Öffentlichkeit | |
bekommt nichts mit“, sagt er. Doch die habe bei Entscheidungen von solcher | |
Tragweite einen Anspruch auf Transparenz. „Die EU verfährt nach dem Motto: | |
Der Zweck heiligt die Mittel. Wenn am Ende Wachstum rauskommt, ist alles | |
legitim“, sagt Giegold. Dann könne man ja gleich den gesamten | |
Parlamentsbetrieb unter Geheimhaltung stellen. | |
Doch nicht nur weite Teile der Verhandlungen bei TTIP sind geheim. Teil des | |
Abkommens sind die umstrittenen ISDS – die Abkürzung steht für | |
Investor-State Dispute Settlement mechanism, zu Deutsch etwa | |
Investor-Staat-Streitbeilegung. „Es gibt in begrenzten Fällen die | |
Notwendigkeit, Unternehmen vor Enteignung und Diskriminierung zu schützen“, | |
sagt Malmström. | |
Kritiker halten die bereits in vielen anderen bilateralen Verträgen | |
enthaltenen Schiedsgerichte für Teufelszeug: eine Paralleljustiz, die den | |
Konzernen erlaubt, Staaten ihre Politik zu diktieren. So oder so: Warum das | |
Ganze stets unter Ausschluss der Öffentlichkeit abläuft, ist nicht | |
einsichtig. Der ehemalige Verfassungsrichter Winfried Hassemer kann sich | |
das nur dadurch erklären, dass „bestimmte Leute ein bestimmtes Interesse | |
daran haben, dass ein bestimmtes Verfahren so und nicht anders verläuft“. | |
Malmström hält an den ISDS fest. „Wir arbeiten, um zu sehen, ob es eine | |
reformierte Form geben kann“, sagt sie etwas umständlich. Die ISDS müssten | |
„transparenter“ werden, auch das Verhältnis zu den nationalen Gerichten sei | |
zu präzisieren. Eine Zusage, die Geheimhaltung aufzuheben, macht sie nicht. | |
Die niederländische Handelsministerin Lilianne Ploumen hat Anfang März | |
vorgeschlagen, statt der Schiedsgerichte ein dauerhaftes, unabhängiges | |
Handelsgericht bei der WTO zu schaffen. Eine „sehr gute Idee“, sagt | |
Malmström, aber „das geht nicht von heute auf morgen“. Bis dahin soll es | |
weiter die ISDS geben. Giegold fehlt dafür jedes Verständnis. „Natürlich | |
soll es in internationalen Verhandlungen auch um Investorenschutz gehen. | |
Aber warum akzeptiert man eine außerhalb ordentlicher Gerichte liegende | |
Instanz, die Entscheidungen über Milliardenklagen fällt?“, fragt er. | |
20 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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