| # taz.de -- Im Kampf gegen die AfD: „Kultur zivilisiert dieses Land“ | |
| > Bremens scheidende EU-Parlamentarierin Helga Trüpel über EU-Kulturpolitik | |
| > und die Frage, was das mit dem erstarkenden Nationalismus zu tun hat. | |
| Bild: „Ich bin ja im Grunde keine Bremer Politikerin mehr“, sagt Helga Trü… | |
| taz: Frau Trüpel, Sie glauben, die europäische Kulturpolitik müsse auf die | |
| Wahlerfolge unter anderem der AfD reagieren. Wie denn? | |
| Helga Trüpel: Ich glaube, angesichts der autoritären Typen von Trump über | |
| Putin bis Erdogan ist die Frage: Wie können wir die liberale Demokratie | |
| verteidigen, oder geht es zurück zum Nationalismus? Trump steht für | |
| Nationalismus, Victor Orbán auch, Xi Jinping praktiziert chinesischen | |
| Stamokap-Nationalismus, Marine Le Pen ist National-Sozialistin. Und auch | |
| die AfD ist eine nationalistische Partei. Das Erstarken dieser autoritären | |
| Politiken gefährdet unsere liberale Demokratie, und es geht darum, sie mit | |
| all ihren Zumutungen zu verteidigen, weil wir überzeugt sind, dass sie mehr | |
| Vor- als Nachteile für uns hat. | |
| Wir befinden uns in einem Kulturkampf? | |
| Es sind unterschiedliche Kulturen, ganz klar: Ein Gauland kann die | |
| kulturelle Modernisierung und Entwicklung nicht ertragen. Deswegen hasst er | |
| Merkel so, und bekämpft sie geradezu bis aufs Blut, da kommt seine Mission | |
| her. | |
| Klar: „Wir werden sie jagen“, hatte er angekündigt. Das klang schon | |
| hasserfüllt. | |
| Dass Frauen etwas zu sagen haben, dass Schwule und Lesben etwas zu sagen | |
| haben, dass sie sogar heiraten können, die Abschaffung der Wehrpflicht – | |
| alle Modernisierungs- und Öffnungstendenzen unserer Gesellschaft bekämpfen | |
| Gauland & Co. Das ist für mich eine zutiefst kulturpolitische | |
| Auseinandersetzung. | |
| Da verschwimmt der Unterschied zwischen kultureller und kulturpolitischer | |
| Auseinandersetzung: Soll Kulturpolitik sich so stark inhaltlich festlegen? | |
| Nein, das wäre falsch. Es geht aber sehr wohl um die formale Frage: Wenn | |
| Olaf Henkel als gemäßigter Vertreter des Spektrums – er hat ja mit Lucke | |
| die AfD verlassen – sich hinstellt und behauptet, es dürfe gar keine | |
| europäische Kulturpolitik geben, weil es Kultur nur national gäbe, nur den | |
| nationalen Roman, die nationale Oper, das nationale Kunstwerk, dann ist das | |
| noch vor aller Inhaltlichkeit falsch: Das ist einfach dummes Zeug. Alle | |
| Literaturen, alle Musiken sind von anderen beeinflusst. | |
| Klar. Das lässt sich nicht leugnen. | |
| Das ist aber genau, was Henkel versucht: Er leugnet diese Tatsache, um | |
| europäische Kulturpolitik zu verhindern. Dabei verfügen wir ja ohnehin nur | |
| über ein viel zu kleines Budget für grenzüberschreitende Projekte: Die | |
| eigentliche Kulturkompetenz liegt bei den einzelnen Mitgliedsstaaten | |
| beziehungsweise bei den Bundesländern. | |
| Zu klein heißt? | |
| Es sind nur 1,6 Prozent vom Gesamtetat der EU. Um mehr Leute zu erreichen, | |
| müsste es viel mehr sein. Das gilt für das ganze Kulturprogramm. Wenn wir | |
| KünstlerInnen fördern wollen, und denjenigen, denen es nicht so gut geht, | |
| Teilhabe ermöglichen und Chancen eröffnen wollen, wenn wir durch eine | |
| Politik des Empowerment möglichst vielen ermöglichen, sich in dieser | |
| globalisierten Welt zu orientieren, dann muss das Gewicht der Kulturpolitik | |
| dringend wachsen. | |
| Also ist die bisherige Kulturpolitik gescheitert. Schließlich hat sich | |
| dieser ganze Neonationalismus erst ausgebreitet, seitdem die europäische | |
| Kulturpolitik ernsthaft arbeitet. | |
| Nein, gescheitert ist sie definitiv nicht! Allerdings lässt sich die | |
| zentrale Auseinandersetzung zwischen Autoritarismus und liberaler | |
| Demokratie nicht allein mit kulturpolitischen Mitteln führen. Aber ohne | |
| wäre sie bereits verloren: Kulturpolitik kann einen demokratischen | |
| Kulturbegriff hochhalten, zu dem jeder und jede dazugehört, der auf dem | |
| Boden der europäischen Grundlagenverträge steht. | |
| Und welche politischen Vorgaben wollen Sie Künstler*innen jetzt machen? | |
| Um Himmelswillen gar keine! Ich sage nur, dass Kultur in einer freien | |
| Gesellschaft vor allem die Rolle der Selbstreflexion übernimmt. Ich | |
| schreibe KünstlerInnen nichts vor, wie es autoritäre PolitikerInnen wollen | |
| und wie es die Nazis gemacht haben. Ich gebe ihnen die Möglichkeit, zu | |
| reflektieren und Vorschläge zu machen. Und je mehr es davon gibt, desto | |
| mehr Möglichkeiten haben die Menschen. Wer die Chance hat, zu reflektieren | |
| und sich mit tollen Angeboten auseinander zu setzen, hat ein größeres Maß | |
| an Freiheit. | |
| Der kausale Zusammenhang zwischen Kulturpolitik und AfD-Wählern ist | |
| empirisch nicht greifbar: Sachsen hat eine starke Kulturlandschaft, Städte | |
| wie Dresden und Leipzig haben eine herausragende soziokulturelle Szene – | |
| und trotzdem massig AfD-Wähler*innen. | |
| Wahr ist, Sachsen hatte den höchsten Anteil an AfD-Wählern. Aber in | |
| Studentenstädten wie Leipzig, in denen es ein ausgeprägt urbanes | |
| kulturelles Leben gibt, haben sie nicht so stark abgeschnitten. Es ist aber | |
| trotzdem vorhanden: In Bremen ist ja auch der schreckliche Herr Magnitz | |
| gewählt worden. Nur: Wenn es all' die kulturellen Angebote nicht gäbe, | |
| hätte die AfD noch stärker abgeschnitten, das ist meine These. Je mehr | |
| Vielfalt es gibt, desto weniger verfängt der autoritäre Politikansatz. Ein | |
| Garant dafür, dass keiner rechts wählt, ist das nicht. Das kann | |
| Kulturpolitik nicht leisten. | |
| Bloß: Was denn dann? Brauchen wir eine Kompletturbanisierung? | |
| Nein, jeder und jede hat das Recht an seinem Ort und auf seine Weise zu | |
| leben. Wer das Landleben liebt, sich zuallererst seiner Heimat verbunden | |
| fühlt und nicht das Bedürfnis hat, so kosmopolitisch zu sein, wie ich, den | |
| achte ich doch. Auch das ist Vielfalt, die ich verteidige. Jeder hat das | |
| Recht nach seiner Fasson glücklich zu sein. Ich mache doch keine Vorgaben, | |
| wie jemand zu leben hat. Ich bin doch keine Verbieterin. Ich bin eine Grüne | |
| Ermöglicherin. | |
| Und durch welche konkreten Maßnahmen äußert sich das? | |
| Konkret heißt das, ich kämpfe für einen höheren Kulturetat, mit dem wir | |
| sowohl regionale Traditionen, also die hergebrachte kulturelle Heimat der | |
| Menschen, schützen, als auch Neugier und Mobilität durch Programme wie | |
| Erasmus fördern. | |
| Und hier in Bremen? | |
| Ich bin im Grunde ja keine Bremer Politikerin mehr, und ich will ganz | |
| sicher niemandem zu nahe treten. Aus meiner alten Verantwortung als | |
| ehemaliger Kultursenatorin würde ich sagen, es ist wichtig, immer wieder | |
| deutlich zu machen: Die Kultur zivilisiert dieses Land. Dafür braucht sie | |
| den Rückhalt in der Politik: Kultur und Kunst zu stützen ist der Beitrag | |
| der Politik gegen eine geschlossene und selbstreferentielle Gesellschaft, | |
| Nationalismus und die schrecklichen Tendenzen von rechts. | |
| Bloß können Kunst und Kultur auch rechte Inhalte kommunizieren. | |
| Ja. Das gibt es. Es gibt faschistische Kunst und Architektur, und es gibt | |
| KünstlerInnen, die rechte Tendenzen stützen. Das kannst du nicht verhindern | |
| in einer offenen Gesellschaft. Ich kann nur politisch sagen: Ich finde das | |
| nicht richtig. Und: Wählt mich, statt Gauland. Und das mache ich die ganze | |
| Zeit. | |
| … oder jetzt halt: Wählt mich nicht mehr? | |
| Nein, ich sage nicht: Wählt mich nicht mehr. Ich habe gesagt, ich | |
| kandidiere nicht mehr. Nach 15 Jahren Europaparlament ist es für mich mal | |
| gut. Das ist etwas anderes. Ich mache meine Arbeit da zu Ende, und zwar | |
| sehr engagiert. Aber dann werde ich einfach mal rotieren: Manchmal hat | |
| Rotation eben doch etwas Gutes. | |
| 27 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
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