# taz.de -- Helga Trüpel über Europapolitik: „Die Debatten werden hysterisc… | |
> 15 Jahre lang saß Helga Trüpel im Europaparlament – jetzt will sie keine | |
> Posten mehr. Ein Gespräch über den Kampf ums Urheberrecht und grüne | |
> Widersprüche. | |
Bild: Fast im Lotussitz: Helga Trüpel in der Bremischen Bürgerschaft | |
taz: [1][Wenn Sie jetzt nach 15 Jahren aus dem EU-Parlament scheiden], | |
bleiben Sie vor allem für Ihren Kampf um Uploadfilter im Gedächtnis. Ärgert | |
Sie das, Frau Trüpel? | |
Helga Trüpel: Ich finde, es bleibt, dass es gelungen ist, die reichsten und | |
mächtigsten neuen Konzerne dazu zu bringen, UrheberInnen angemessen zu | |
bezahlen. Die Unterstellung, dass das notwendigerweise auf Uploadfilter | |
hinausläuft, teile ich ja nicht. Wenn man das Gesetz genau liest, sieht | |
man, dass es unser Ziel ist, das Internet fairer zu machen und die | |
Wertschöpfungslücke zu bekämpfen. Das Wort „Uploadfilter“ ist dabei vor | |
allem ein genialer Kampfbegriff, der in der Sache nicht angemessen ist. | |
Viele ExpertInnen sagen: Selbst ein Konzern wie Google wird nicht mit jedem | |
Rechteinhaber Lizenzverträge schließen können. Wie soll es also ohne Filter | |
gehen? | |
Das Gesetz ist eine Rahmenrichtlinie, die noch in nationales Recht | |
umgesetzt werden muss. Da werden sich viele Möglichkeiten erschließen, wie | |
man diese Frage lösen kann. Wir haben jetzt schon einen Deal zwischen | |
Youtube und der Gema, der mit weltweiten Lizenzen arbeitet, auch die | |
anderen deutschen Verwertungsgesellschaften werden so etwas entwickeln. | |
Natürlich braucht die digitale Welt mehr kollektive Lizensierung – es wird | |
dafür neue Möglichkeiten geben. Ich finde diesen Strukturkonservatismus der | |
InternetaktivistInnen schwierig – gerade in der digitalen Welt gibt es so | |
schnell Innovationen! Wieso soll es da keine anderen Lösungsmöglichkeiten | |
geben als Uploadfilter? | |
Nutzt KünstlerInnen und Autoren automatisch, was Google schadet? | |
Sicher. Wenn die digitalen Konzerne eine Lizenz brauchen, müssen sie dafür | |
bezahlen. Und sie müssen Menschen einstellen, die Konflikte im Einzelnen | |
beurteilen können, das geht nicht nur mit Filtern und Algorithmen. | |
Viele UrheberInnen zweifeln, dass am Ende mehr Geld bei ihnen ankommt. | |
Auch Künstlerverbände aller Couleur waren für diese Reform. Alle | |
UrheberInnen bekommen jetzt bessere Verhandlungsmöglichkeiten gegenüber | |
Verlagen und Verwertern. Und die müssen UrheberInnen nun angemessen | |
beteiligen. Ich weiß, dass Google und die KritikerInnen sagen, dass das nie | |
so kommen wird. Aber das überzeugt mich nicht, auch wenn ich jedes ihrer | |
Argumente kenne. Die Frage ist doch: Wie schaffen wir gute Regeln für die | |
Monopole, die ein Stück weit aus dem Ruder gelaufen sind? | |
Ihre eigene Fraktion im Europaparlament ist gespalten und die | |
netzpolitische Sprecherin, die Piratin Julia Reda, war die Anführerin des | |
Protests in Deutschland. Haben die es alle nicht verstanden? | |
Die haben einfach andere Interessen. Die wollen sich mit den jungen Leute | |
nicht anlegen und finden es toll, wenn das Netz so unreguliert ist. Das ist | |
nicht nur ein Streit innerhalb der Grünen, es gibt ihn auch in der | |
Linkspartei, der SPD, bei den Liberalen und den Konservativen. Es hat immer | |
schon jene gegeben, die für die freie Fahrt auf der Datenautobahn gekämpft | |
haben. Und natürlich haben alle NutzerInnen die Sachen gerne umsonst. Aber | |
das ist kein nachhaltiges, faires Modell. Gerade die Grünen sind doch sonst | |
immer für Marktregulierung. Bei den digitalen Konzernen soll das anders | |
sein? Das ist doch ein Grundwiderspruch. | |
Aber in den eigenen Reihen haben Sie sich mit Ihrer Haltung zu | |
Urheberrechtsgesetz in die Isolation begeben. | |
Ich bin in meiner Fraktion in der Minderheit gewesen – habe aber im | |
Parlament gewonnen. | |
Zusammen mit den Konservativen! | |
Auch etwa zwei Drittel der Liberalen und Sozialdemokraten waren dafür. Das | |
ist kein Links-Rechts-Streit, jedenfalls nicht im Europaparlament. | |
Herr Voss von der CDU wurde für seine Position im Urheberrechtsstreit | |
außerhalb des Parlaments massiv bedroht. Sie auch? | |
Morddrohungen habe ich nicht bekommen. Aber ich bin massiv angegriffen und | |
gemobbt worden. | |
Wie gehen Sie damit um? | |
Es war eine sehr aufreibende und anstrengende Zeit. Das Klima in den | |
sozialen Medien ist in den letzten Jahren aggressiver geworden, und das im | |
EU-Parlament auch, gerade zwischen Rechten und Linken. Insgesamt aber ist | |
das EU-Parlament höflicher, fairer und auch sachlicher als andere | |
Parlamente – gerade weil es hier keine Regierungs- und Oppositionsfraktion | |
gibt, sondern Mehrheiten gebildet werden müssen, um mit dem Rat zu | |
verhandeln. | |
Haben Sie es mit Ihrer Position Henrike Müller, die nun für die Bremer | |
Grünen Ihre Arbeit im EU-Parlament weiterführen soll, schwerer gemacht? | |
Ich glaube, dass das für sie nicht spielentscheidend ist. | |
Abgesehen von Ihrem Sieg im Streit um das Urheberrecht: Für was möchten Sie | |
nach 15 Jahren als EU-Parlamentarierin im Gedächtnis bleiben? | |
Zum Beispiel für meine Arbeit für das neue Programm European Solidarity | |
Corps für junge Leute zwischen 18 und 30, die jetzt Solidaritätsaktivitäten | |
in der ganzen EU machen können. Und: Ich habe mich immer für Menschenrechte | |
und die Pressefreiheit in China und anderswo eingesetzt. Außerdem war ich | |
bis 2014 auch haushaltspolitische Sprecherin meiner Fraktion – da habe ich | |
mich erfolgreich dafür stark gemacht, dass es mehr Geld etwa für das | |
Erasmus-Programm gibt. | |
Auch Bremen hat finanziell sehr von der EU profitiert – besteht die Gefahr, | |
dass es künftig weniger Geld gibt? | |
Die Auseinandersetzungen um den mehrjährigen Finanzrahmen laufen derzeit, | |
die Verhandlungen werden noch sehr hart. Von ihnen hängt ab, wie viel Geld | |
Bremen aus dem EU-Haushalt künftig bekommt. | |
Zugleich ist die Gefahr groß, dass Bremen bald nicht mehr im EU-Parlament | |
vertreten ist, denn weder Henrike Müller noch Joachim Schuster (SPD) haben | |
einen aussichtsreichen Listenplatz. Was bedeutet das für Bremen? | |
Das wäre sehr traurig und bedauerlich, weil es sehr wichtig ist, dass | |
Bremen in Brüssel und Straßburg vertreten ist – um Bremer Interessen zu | |
vertreten, aber auch, um klarzumachen, dass man die lokale, regionale, | |
nationale und europäische Ebene immer zusammen denken und noch besser | |
verzahnen muss. Das ist das Herzstück der europäischen Demokratie. Sowohl | |
für Joachim Schuster als auch für mich war das all die Jahre mit sehr viel | |
Arbeit und Reisen verbunden. | |
Zumal das Arbeitspensum im EU-Parlament höher ist als im Bundestag. Dabei | |
müssen sich gerade Grüne heute für ihre Flugreisen rechtfertigen. | |
Das ist ein echter Zielkonflikt. Aber so, wie der Terminkalender aussieht, | |
geht es ohne Fliegen oftmals nicht. Greta Thunberg verweist darauf, dass | |
sie mit dem Zug aus Schweden kommt: Aber so kann man den Job als | |
EU-Abgeordnete eben nicht machen. Doch die viele Arbeit und die zahlreichen | |
Reisen sind auch ein Grund für mich, jetzt aufzuhören. | |
Wie viel Alltag bleibt da, wenn man so viel arbeitet? | |
Sehr wenig! Ich habe vor vier Jahren mit Yoga begonnen, weil irgendwann | |
klar war, dass meine Gesundheit das Arbeitspensum auf Dauer nicht aushält. | |
Und durch die sozialen Medien haben der Zeitdruck und die | |
Arbeitsverdichtung noch zugenommen. | |
Der grüne Parteichef Robert Habeck ist gerade erst bei Facebook und Twitter | |
ausgestiegen. | |
Bei Instagram aber nicht. Wer als Politiker, der wieder gewählt werden | |
will, diese Kanäle nicht bespielt, war in den letzten Jahren klar im | |
Nachteil. Zugleich werden die Debatten hysterischer, kurzatmiger. Das geht | |
auf Kosten einer angemessenen Reflexion, die man als Politikerin braucht. | |
Das halte ich für gefährlich – da entsteht eine andere Art von Populismus. | |
Der auch die vielerorts zu findende EU-Skepsis immer wieder befeuert. | |
Der Grundgedanke etwa des Brexits – Take back control – spricht ja viele | |
Menschen an, weil sie globale Welt des 21. Jahrhunderts bedrohlich finden. | |
Deswegen muss man eine europäische Politik machen, die liefert und auch die | |
digitale Revolution gestaltet. Man muss für die europäische Idee werben, um | |
die liberale Idee gegen ihre Feinde in der ganzen Welt zu verteidigen. | |
Nicht nur Sie, auch Bremens Bürgermeisterin Karoline Linnert und andere | |
hören jetzt auf. Steht da ein Generationswechsel bei den Bremer Grünen an? | |
Ja. Wir kennen die Grünen von Anfang an. Diese 40 Jahre sind zwei Drittel | |
meines Lebens! Ich wollte immer selbstbestimmt aufhören – von daher bin ich | |
mit meiner Entscheidung versöhnt, auch wenn mir das, was insgesamt in der | |
Politik passiert, große Sorgen macht. Ich höre nicht auf, eine politisch | |
denkenden Frau zu sein – doch ich will jetzt nochmal andere Sachen machen. | |
29 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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