# taz.de -- Europawahlen in Bremen: "Es ist ein echtes Parlament" | |
> Bremens derzeit einzige Europa-Abgeordnete verteidigt die Ehre des | |
> Europa-Parlaments und wundert sich über die große Zahl der | |
> Putin-Versteher. | |
Bild: Helga Trüpel ist derzeit einzige Bremerin im Europa-Parlament. | |
taz: Frau Trüpel, was sagen Sie den stets europawahlmüden Bremern, damit | |
sie wählen? | |
Helga Trüpel: Ich sage, dass man, gerade angesichts der vielen Länder, wo | |
es keine freien Wahlen gibt, dieses Recht nicht einfach aufgeben darf. Und | |
ich erinnere daran, dass im Europaparlament viele Richtungsentscheidungen | |
anstehen, über Klimapolitik, Energiepolitik und Außenpolitik – bis hin zur | |
Frage, wer Kommissionspräsident wird… | |
Treibt die nicht gerade die Leute weg von den kleinen Parteien in die | |
großen Lager? | |
Ich glaube, dass aufgeklärte WahlbürgerInnen großes Interesse an den | |
[1][inhaltlichen] Fragen haben. So viel Weitblick müssen Sie den | |
WählerInnen schon zutrauen. | |
Wen wähle ich denn als Kommissionspräsidenten, wenn ich Grüne wähle? | |
Unsere SpitzenkandidatInnen sind José Bové und Ska Keller. | |
Jaja. Aber die haben ja keine realistische Chance! | |
Ach, das ist doch wie bei der Bundestagswahl. Da gibt es auch genügend | |
Leute, die kleinere Parteien wählen – obwohl die nicht die Bundeskanzlerin | |
stellen. | |
Aber da will man auch die Bündnisoptionen kennen. | |
Ich denke, wer weniger Massentierhaltung will, weniger industrielle | |
Landwirtschaft und keinen Kernfusionsreaktor, und wer es für wichtig hält, | |
die Reform der Fischereipolitik voranzutreiben – hat gute Gründe uns zu | |
wählen. Denn es geht bei den Europawahlen immer mehr um die inhaltlichen | |
Ziele… | |
…was ja daran liegt, dass es keine stabilen Mehrheiten gibt, woran neulich | |
erst das Bundesverfassungsgericht erinnert hatte: Schwächt das [2][Urteil] | |
die Wahlbeteiligung zusätzlich? | |
Zum Einen: Es gibt stabile Mehrheiten. Die sind tragfähig, wenn es darum | |
geht, Gesetze zu verabschieden, und das müssen sie auch sein. Dass die | |
Wahlbeteiligung infolge des Urteils zurückginge, erwarte ich eher nicht – | |
es hat ja für kleine Parteien und Gruppierungen die Chance erhöht, | |
reinzukommen. Aber richtig ärgerlich daran finde ich, dass die Richter das | |
Europaparlament abgewertet haben. | |
Inwiefern denn abgewertet? | |
Na eben, dass es kein richtiges Parlament sei, dass es nicht auf die | |
Mehrheitsentscheidungen ankäme. Das hatte so einen Zungenschlag, den ich | |
nicht für gerechtfertigt halte. | |
Naja, wenn eine Luxemburger Stimme zehnmal so viel zählt wie eine deutsche, | |
entspricht das daraus sich ergebende Plenum eher so etwas wie einer | |
Länderkammer als einem Parlament… | |
Aber der Größenunterschied bleibt doch abgebildet. Wenn man die großen | |
Staaten genauso gewichten würde wie die kleinen, würde einfach die | |
Institution zu riesig. Diese Regelung, wie wir sie jetzt haben, verteidige | |
ich. | |
Sie bleibt undemokratisch. | |
Es ist eine gewichtete Entscheidung, eine Gewichtung, die zwischen kleinen | |
und großen Staaten vermittelt. Das hat nichts mit der Frage zu tun, ob es | |
sich um ein echtes Parlament handelt. | |
Wahr ist ja, dass die Mehrheiten sich in der Außenpolitik stark | |
[3][stabilisieren], etwa in der Ukraine-Frage: Haben sich die Grünen da zu | |
flott in die Phalanx einsortiert? | |
Wir Grünen haben eine große Empathie mit der Freiheits- und | |
Demokratiebewegung in der Ukraine. Es gibt dabei eine dezidierte Kritik an | |
rechten Kräften wie Swoboda oder dem „Rechten Sektor“, deren Rolle aber oft | |
übertrieben dargestellt wird. | |
Vergisst man dabei nicht, die eigene Rolle zu hinterfragen, also ob die EU | |
durch ihre Osterweiterung auch Mitverursacherin des Konflikts sein könnte? | |
Das sehe ich überhaupt nicht so. Ich verstehe auch dieses Denken in | |
Einflusszonen nicht: Das sind doch Kategorien des vorletzten Jahrhunderts! | |
Wir sind Russland schon ganz schön auf die Pelle gerückt. | |
Die Osterweiterung war kein aggressiver Akt der EU. Sie beruht auf | |
unabhängigen Entscheidungen souveräner Staaten – und zwar von Staaten, die | |
endlich nach der Okkupation durch die Nazis und nach der Okkupation durch | |
die Sowjets autonom geworden sind. Gerade in diesem Zusammenhang ist es | |
doch erschreckend, wenn Wladimir Putin sagt, der Untergang der Sowjetunion | |
sei die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts gewesen. Das ist doch | |
unsäglich! | |
So was ist aber durch die gleichzeitige NATO-Osterweiterung befeuert | |
worden?! | |
Umgekehrt wird ein Schuh draus: Man müsste verlangen, dass Putin | |
Sicherheitsgarantien für die territoriale Integrität der Ukraine | |
ausspricht, wenn er verhindern will, dass sie bei der Nato Schutz sucht. | |
Denn während es keine Bedrohung Russlands gibt, gibt es Übergriffe von | |
Russland – unter dem Vorwand, russische Landsleute in Nachbarstaaten | |
schützen zu müssen. | |
Über dieser Krise sind die inneren Probleme der EU etwas aus dem Fokus | |
geraten. Das kann kein Dauerzustand sein. | |
Natürlich nicht. Diese Probleme werden bearbeitet – der | |
Bankenabwicklungsfonds ebenso wie die Auseinandersetzung darüber, ob wir | |
einen Altschuldentilgungsfonds brauchen, wofür wir Grünen ja vehement | |
eintreten. Es ist aber vielleicht gut, dass sich die EU durch diesen | |
Konflikt auf ihre tragenden Werte besinnt, die sie zusammenhalten. | |
Welche Ziele haben Sie für die kommenden Legislatur? | |
Es ist zum Glück gelungen, den Bildungsetat um 40 Prozent aufzustocken. | |
Gefordert hatten wir da ursprünglich mehr. Jetzt werde ich sehr genau | |
kontrollieren, dass diese Gelder auch für den vorgesehenen Zweck verwendet | |
werden. Da liegt mir sehr viel dran. Zudem werden wir als Grüne alles daran | |
setzen, dass die CO2-Reduktionen weiter ausgebaut werden. Und wir machen | |
uns besonders für die Nachhaltigkeit der Fischereipolitik stark, also dass | |
die Fischbestände der afrikanischen Staaten nicht weiter ausgeplündert | |
werden. | |
Damit wollen Sie in Bremen und im Fischereistandort Bremerhaven punkten? | |
Ja, sicher. Wo kein Fisch ist, kann man mit Fischerei auch keine Gewinne | |
mehr erzielen. Das hat die Branche längst verstanden. Und es ist nun | |
endlich gelungen, dieses Denken auf europäischer Ebene zu verankern, dass | |
man zu einer ökologischen Grundhaltung kommen muss. Das ist keine Politik | |
gegen Bremer Interessen – sondern ganz in ihrem Sinne. | |
14 Apr 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.gruene.de/themen/europa/europawahlprogramm-2014.html | |
[2] http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/es20140226_2bve000213… | |
[3] http://www.europarl.europa.eu/news/de/news-room/search?q=ukraine | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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