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# taz.de -- Afrika-Gipfel in Berlin: Der „Merkelplan“
> Investitionen statt Entwicklungshilfe sehen die Staatschefs als Zukunft
> Afrikas. Von Menschenrechten reden sie nicht.
Bild: Zufriedenheit bei den Teilnehmern
BERLIN taz | Es kam wie bestellt: Am Montag stellte der
Industriestaatenverband OECD seine Wachstumsprognose für Afrika vor.
Verdoppeln soll sich dieses im kommenden Jahr – auf 3,4 Prozent. Wie ein
guter Wetterbericht vor einem Ausflug dürften diese Zahlen die Stimmung
gehoben haben, als am Montagnachmittag fast ein Dutzend afrikanischer
Staatschefs im Berliner Gasometer eintrafen.
Zwei Tage diskutieren sie auf Einladung der deutschen G20-Präsidentschaft
über die Förderung von Investitionen in Afrika. Privates Kapital statt
Entwicklungshilfe – das ist die Idee. Grundlage ist eine vom
Bundesfinanzministerium entwickelte Reforminitiative namens [1][„Compact
with Africa“].
Merkel wies zur Eröffnung der Konferenz darauf hin, dass Sicherheit die
Voraussetzung für Entwicklung sei – und diese somit auch eine militärische
Seite habe. Sicherheit sei in Afrika vielfach nicht gewährleistet. „Da
müssen wir auch neu denken lernen“, so Merkel. Fragen der Sicherheit hätten
in der Entwicklungspolitik in der Vergangenheit keine ausreichende Rolle
gespielt. „Viele Jahre haben wir uns gut gefühlt, wenn wir uns nicht mit
militärischer Ausrüstung beschäftigt haben“, sagte sie. „Wir müssen uns
ehrlich machen.“
Die afrikanischen Staatschefs überhäuften sie mit Danksagungen: Dafür, dass
sie das Jahr 2017 unter der deutschen G20-Präsidentschaft zum Afrika-Jahr
auserkoren hat. Einen [2][Marshallplan] mit Afrika hatte dazu
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ausgerufen. Alassane Ouattara,
Präsident der Elfenbeinküste taufte diesen Plan am Montag glattweg um:
„Merkelplan“ nennt er ihn und bekommt lauten Beifall im Saal. Merkel lacht.
Sie wirkt etwas gerührt.
## Niger sahnt ab
Für den ursprünglichen Marshallplan für Westeuropa habe die USA nach dem
Ende des Zweiten Weltkrieges rund vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts
der Vereinigten Staaten aufgebracht. Für einen Marshallplan mit Afrika –
„beziehungsweise Merkelplan“ – würde dies bei weitem nicht ausreichen,
sagte Mahamadou Issoufou, Präsident des bettelarmen Wüstensstaats Niger an.
Bis zu 600 Milliarden Dollar seien jährlich auf dem afrikanischen Kontinent
nötig, betont er – und das bis 2030. Niger zählt zu denjenigen Ländern, die
in der neuen EU-Politik gegenüber Afrika bislang am meisten abgesahnt hat.
Bis zu 700 Millionen Euro will die EU in Niger investieren, um die
Migration in diesem Haupttransitland zu stoppen. Als „Compact“-Staat ist
Niger noch nicht im Gespräch, dennoch war Nigers Präsident in Berlin dabei.
Die Zeit klassischer Entwicklungsprojekte sei vorbei – es handele sich
vielmehr um den Aufbruch in eine neue Epoche, hieß es in Berlin von allen
Seiten. Jetzt gehe es um direkte und private Investitionen, um die
Entwicklung voranzutreiben. „Ein nachfrageorientierter Ansatz“, sagte
Bundesfinanzminister Wolfgang Schhäuble (CDU). „Es geht nicht mehr darum,
Afrika helfen zu wollen, sondern darum, Geschäfte und Profite zu machen“,
bringt Marokkos Finanzminister Mohamed Boussaid es auf den Punkt.
Mittlerweile sieben Länder haben seit Anfang des Jahres ihr Interesse an
einem Compact angemeldet: Senegal, Tunesien, Elfenbeinküste, Ruanda,
Marokko, Äthiopien und Ghana. Die Staatschefs dieser Länder bekamen am
Montag in Berlin die Gelegenheit, ihr Interesse an den Compacts noch einmal
kundzutun. Alle betonten die Notwendigkeit von Investitionen in ihre
Infrastruktur: Straßen, Eisenbahnen, Brücken, Sozialwohnungen, Energie- und
Stromerzeugung. Alle betonten die Vorteile der Integration ihrer
Wirtschaften in regionale Bündnisse wie die westafrikanische
Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS. Und alle betonten auch das Humankapital
Afrikas: Die rasch wachsende Bevölkerung und die Masse junger Arbeiter.
Also genau die Menschen, die die EU als illegale Migranten fürchtet.
Anstatt sie auf ihrer Suche nach dem Glück in der EU im Mittelmeer
ertrinken zu sehen, könnten sie die Garantie für eine positive Zukunft
Afrikas sein, sagte Nana Addo Dankwa Akufo-Addo, Präsident von Ghana: „Wenn
wir ihnen ein positives Berufsumfeld ermöglichen, können sie Afrika wieder
groß machen“.
Wesentlich dazu sei Bildung: vor allem von Jugendlichen und Frauen. Die
meisten der Compact-Staaten streben an, in den nächsten zehn Jahren zu
einem Mittelstandsland zu werden. Dazu müssen afrikanische Unternehmen
konkurrenzfähig werden, internationale Firmen müssen Afrika als Standort
attraktiv finden, betonen die meisten afrikanischen Staatschefs. Dafür
müssten sie notwendige Reformen umsetzen, wird zugegeben: „Wenn wir es als
Afrikaner nicht schaffen, gerechte Verträge zu unterschreiben, gehen unsere
Ressourcen verloren“, mahnt Senegals Präsident Macky Sall selbstkritisch.
Afrika dürfe nicht für alle Zeit „nur ein Rohstoffreservat zu sein“, mahnt
auch Nigers Präsident Mahamadou Issoufou. Es sei vielmehr an der Zeit, den
„Handel auf einer fairen Grundlange zu entwickeln“.
## Der Wachstumskontinent
Neu war auf dem Partnerschaftsgipfel: Afrika wurde als Wachstumskontinent
dargestellt. Mit Wachstumsraten von mehr als sieben Prozent rühmten sich
die Regierungschefs von Senegal, Ruanda oder Ghana.
Neben dem enormen Potenzial gebe es aber auch enorme Herausforderungen:
Sicherheit, Terrorismus und Migration werden hier einstimmig genannt. Auch
hier würden die Compacts helfen, so Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keita,
denn der Nährboden für den zunehmenden Terrorismus sei die Armut.
Die „Compact“–Initiative habe das Zeug zu einem „Motor für neue
Arbeitsplätze und Armutsminderung“ zu werden, sagte die Chefin des
Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde. „Millionen von Menschen
könnten handfeste wirtschaftliche Vorteile durch das Vorhaben erlangen.“
Angesichts des Bevölkerungswachstums in Afrika müssten nach Berechnungen
des Fonds jährlich etwa 20 Millionen neue Jobs auf dem Kontinent geschaffen
werden, so Lagarde.
Erst als letzter durfte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) das Wort
ergreifen. Die Präsidenten waren da längst weg – zum Kuchenessen bei Angela
Merkel im Kanzleramt. Am Vormittag hatte Müller noch schnell selbst die
drei afrikanischen Länder benannt die Deutschland im Compact-Prozess
besonders unterstützen wolle: Tunesien, die Elfenbeinküste und Ghana. 300
Millionen macht das BMZ dafür in diesem Jahr locker. „Die deutsche
Entwicklungspolitik geht voran und setzt die Investitionspartnerschaften
um,“ hieß es aus dem BMZ – die Ressortkonkurrenz zu Schäuble war
offensichtlich.
## Der Verbrauch globaler Ressourcen
Am Abend erinnerte Müller daran, dass Afrika jährlich 80 Milliarden Euro
Steuereinnahmen durch „Gewinnverlagerung“ verliert und die G-20-Staaten 90
Prozent der globalen Ressourcen verbrauchen. „Wollten alle so leben, wie
wir, wir bräuchten drei mal den Planeten“, sagte Müller. Entsprechend
sollte bei allen Entwicklungsbemühungen auf Ressourcenverbauch geachtet
werden. Dazu, freilich, findet sich in den „Compact“-Dokumenten kaum etwas.
Die Grünen übten deshalb scharfe Kritik. Die Strategie, in erster Linie
privates Kapital zu mobilisieren, greife zu kurz, heißt es in einem
Positionspapier. Nur mit verbindlichen Menschenrechts- und
Nachhaltigkeitskriterien sowie Transparenz und Kontrolle könnten private
Investitionen zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.
Ähnlich kritisch äußerte sich der Entwicklungsexperte der Linksfraktion im
Bundestag, Niema Movassat. Die Konferenz diene lediglich dazu, die
Wirtschaftsinteressen reicher Staaten und ihrer Konzerne auf den
afrikanischen Märkten abzusichern, erklärte er. Menschenrechte würden an
keiner Stelle erwähnt.
Die Präsidentin des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“, Cornelia
Füllkrug-Weitzel, forderte, die staatliche Unterstützung von privaten
Investitionen an Bedingungen zu knüpfen. „Für den Abschluss der
Partnerschaften werden keine Sozial- und Umweltkriterien und auch keine
Bindung an menschenrechtliche Sorgfaltspflichten genannt“, kritisierte sie.
12 Jun 2017
## LINKS
[1] /Hilfsprogramme-fuer-Afrika/!5416326
[2] /Strategien-gegen-Migration/!5416153
## AUTOREN
Simone Schlindwein
Christian Jakob
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