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# taz.de -- Jahrestreffen der „Skeptiker“: Zweifeln hält gesund
> „Skeptiker“ ziehen gegen Geistheilung, Homöopathie und andere
> Pseudowissenschaften zu Felde. Bekämpft wird alles, was nicht in ihr
> Weltbild passt.
Bild: Für Verschwörungstheoretiker ganz klar: Chemtrails – böse Regierunge…
Berlin taz | Es begann mit gebogenen Löffeln. Als der Zauberkünstler Uri
Geller in den 70er Jahren in Fernsehshows vorführte, wie sich metallenes
Essbesteck scheinbar mit Geisteskraft verformen ließ, da wuchs bei dem
Industrieforscher Amardeo Sarma die Skepsis. „Das war für uns die
Initialzündung“, blickt der Vorsitzende der [1][Gesellschaft zur
wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP)] auf die
Gründung seines Vereins vor 30 Jahren zurück. Aus den zehn Zweiflern von
damals ist heute eine Organisation mit 1.500 Mitgliedern geworden, die sich
kurz „Skeptiker“ nennen.
Ihr Ziel: Gegen irrige Glaubenssätze, die gleichwohl reale Handlungsmuster
von Menschen bestimmen, mit wissenschaftlichem Faktencheck anzutreten, sie
zu entzaubern. Das Feld ist weit: Es reicht von der Parapsychologie und der
Beobachtung unbekannter Flugobjekte (Ufos), zu Verschwörungstheorien in
Gestalt der „Chemtrails“–Wolkenmustern am Himmel, bis hin zur Leugnung des
Klimawandels und den Versprechen einer Alternativmedizin mit zuweilen
tödlichen Folgen. Am vergangenen Wochenende kamen die GWUP-Skeptiker zu
ihrer [2][Jahreskonferenz] in der Berliner Urania zusammen.
„Skepsis ist Teil des gesunden Menschenverstandes, ohne den wahre
Wissenschaft nicht gedeihen kann“, zitiert Sarma den amerikanischen
Ahnherrn der Bewegung, Kendrick Frazier. Man betrachtet sich nicht als Teil
der Wissenschaftssystems, obwohl nicht wenige Mitglieder im Brotberuf
Forscher und Lehrer sind.
Weil es für Skeptiker von zentraler Bedeutung ist, zu einer Urteilsbildung
aufgrund von Fakten zu gelangen, waren sie vor wenigen Wochen beim
[3][March for Science] dabei, der gegen die „postfaktische“ Diskreditierung
von Wissenschaft protestierte.
Dort sprach auch Sarma und hob vor dem Helmholtz-Denkmal an der Berliner
Humboldt-Uni die Segnungen der modernen Medizin hervor: „Ein Kind, das
heute in New Delhi geboren wird, hat eine höhere Lebenserwartung als der
reichste Mann, die reichste Frau von vor zweihundert Jahren.“
## Impfungen retten Leben
Dies sei nur möglich durch Entdeckung und Verbreitung der Impfung gegen
Krankheitserreger geworden. Trotzdem mache derzeit „eine perfide
Antikampagne Stimmung gegen diese unschätzbare Errungenschaft“, etwa durch
den Impfgegner-Film mit dem Titel „Vaxxed“, der in deutschen Kinos läuft.
„Die Folge solcher Propaganda“ liegen für den Skeptiker-Chef auf der Hand:
„Die Masern kehren zurück nach Deutschland und bringen Kindern den Tod.“
Aktuell engagiert sich die GWUP für die Aufklärung über die
„Pseudomedizin“, wie die Homöopathie, Bachblüten-Therapie, traditionelle
chinesische Medizin (TCM) oder Osteopathie. Diese Ausprägungen einer
„sanften“, alternativen Medizin haben eine große Anhängerschaft. Zwischen
60 bis 80 Prozent alle Patienten, so Schätzungen, lassen sich irgendwann
einmal alternativ-medizinisch behandeln. Nicht in allen Fällen aus
Überzeugung, sondern auch aus Unzufriedenheit über die klassische
Schulmedizin. Die Skeptiker sind alarmiert, dass sogar schon an 30
medizinischen Fakultäten in Deutschland, die Homöopathie als
Behandlungsmethode angeboten wird – obwohl die Wirkung der
Verdünnungskügelchen bisher durch keine wissenschaftliche Studie belegt
ist.
Natalie Grams ist eine „Aussteigerin“. Früher war die Ärztin selbst
überzeugte Anhängerin der Homöopathie, wandte sich dann aber ab und
verarbeitete [4][ihren Distanzierungsprozess in dem Buch „Homöpathie neu
gedacht]“, das seitdem heftig diskutiert wird. Bei den Skeptikern hat sie
das „Informationsnetzwerk Homöopathie“ gegründet, das vor allem in den
sozialen Medien die aktive Auseinandersetzung sucht. In dieser Medienarena
durchaus mit Erfolg: Auf [5][ihrer Facebook-Seite] hat sie bereits mehr
Follower als die Seite der Homöopathie-Befürworter.
„Ich habe aber auch mit vielen Politikern gesprochen“, berichtete Grams in
Berlin. „Aber sie wollen an das Thema Homöopathie nicht ran, weil sie um
Wählerstimmen fürchten“. Bei den traditionellen Medien kann Grams
inzwischen einen Stimmungsumschwung erkennen. Jüngst erschien der Stern mit
einer [6][Titelgeschichte über „gefährliche Heilpraktiker“.]
## Carl Sagan-Preis
Auf die Spur der pseudomedizinischen Krebsbehandler haben sich auch die
beiden Wissenschaftsjournalisten Hristio Boytchev und Claudia Ruby begeben.
In einer Undercover-Reportage des Südwestrundfunks (SWR) ließen sie sich
als vermeintliche Krebspatienten behandeln, bekamen von Heilpraktikern
Natron-Bäder zur Entgiftung oder Koffein-Einläufe als Therapie angeboten.
Anlass für die Recherche waren Fälle, bei denen diese Behandlungsmethoden
durch Verzicht auf wirksame Chemotherapien indirekt zum Tode führten. Auf
dem „SkepKon“ in der Urania wurden die Journalisten dafür mit dem Carl
Sagan-Preis 2017 ausgezeichnet, benannt nach einem populären
US-Wissenschaftsautor.
Ein breites Feld und inzwischen hochpolitisches Feld der Leugnung
wissenschaftlicher Fakten ist der globale Klimawandel. Prominentester
Verfechter ist US-Präsident Donald Trump, der die These vom
menschengemachten Treibhauseffekt als Fake News der Chinesen bezeichnet.
Der Wiener Physiker und Wissenschaftsreporter Florian Aigner verwies
darauf, dass sich die deutsche Regierungspolitik dieser Deutung bisher
nicht anschließe. Mit einem voraussichtlichen Einzug der AfD in den
Bundestag werde sich diese Position dann aber auch im höchsten deutschen
Parlament zu Wort melden.
Einer neuen wissenschaftlichen Untersuchung zufolge ziehen auch 16 Prozent
der Deutschen einen Klimawandel durch CO2-Emissionen in Zweifel – das ist
einer der höchsten Werte im europäischen Vergleich. „Es fehlt derzeit“,
wagte Aigner eine Interpretation, „an einer ideologisch übergreifenden
Bewegung, die sich für die Klimapolitik einsetzt.“
## Mehr Atomstrom
In seinem Vortrag über eine „effektive Klimapolitik“ brachte Florian Aigner
allerdings auch die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ins Spiel,
ebenso wie unterirdische Lagerung von Kohlendioxid (CCS). Carbon-Capture
and Storage sei „eine unverzichtbare Technologie“ zur Bewältigung des
Klimaproblems, zitierte Aigner den Weltklimarat IPCC. Gleichwohl sind beide
Technologien – Atom wie CCS – in Deutschland ein politisches „No-Go“.
Interessant war Aigners Publikumsfrage, wer CCS kenne: nur wenige Hände
gingen hoch. Die Technik sei doch viel zu teuer, habe er gelesen, meinte
ein Teilnehmer. „Das wurde aber“, entgegnete Aigner, „vor zehn Jahren auch
von der Solarenergie gesagt.“
Auch bei der Grünen Gentechnik nehmen die Skeptiker eine Position ein, die
sich nicht mit der großen Ablehnung dieser Technik in der Bevölkerung
deckt. „Unser heutiger Wohlstand basiert zu einem guten Teil auf der
enormen Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion durch die grüne
Revolution und auf den Leistungen des Agrarwissenschaftlers und
Friedensnobelpreisträgers Norman Borlaug“, betont GWUP-Vorsitzender Sarma.
„Die Grüne Gentechnik eröffnet uns die Möglichkeit, auch die
Ernährungssituation in Entwicklungsländern entscheidend zu verbessern.“ Was
jedoch blockiert werde: „Einflussreiche Lobbygruppen in Europa und den
USA“, so Sarma, „stellen sich quer.“ Sie verhinderten, dass in Asien und
Afrika die gentechnische veränderte Sorte „Golden Rice“ mit höheren
Erträgen angebaut werde.
Soviel berechtigte Zweifel die Skeptiker gegen bestimmte Weltsichten und
Weltinterpretationen vorbringen – vielleicht haben sie auch selbst etwas
Skepsis verdient.
5 May 2017
## LINKS
[1] https://www.gwup.org/
[2] https://www.skepkon.org/
[3] /March-for-Science/!5403194
[4] /Ex-Homoeopathin-ueber-Globuli/!5289991
[5] https://www.facebook.com/profile.php?id=100009377550715
[6] http://www.stern.de/gesundheit/heilpraktiker-in-deutschland--so-gefaehrlich…
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
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