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# taz.de -- Hochschulranking zu globaler Gesundheit: Unrentabel, vernachlässig…
> Im deutschen Medizinstudium fehlen Pflichtkurse zu Krankheiten, die die
> ärmsten Länder betreffen. Das soll sich ändern.
Bild: Unter anderem Guinea hatte mit dem Ebola-Virus zu kämpfen. Dessen Erfors…
Münster taz | Lepra, Leishmaniose oder Dengue-Fieber – viele
MedizinstudentInnen haben diese Namen vielleicht schon einmal gehört. Doch
an der Uni werden sie nicht viel über solche Krankheiten erfahren, die von
der Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell als „vernachlässigt“
eingestuft werden. Dabei betreffen sie über eine Milliarde Menschen, vor
allem in ärmeren (sub-)tropischen Ländern.
Die Freiburger Medizinstudentin Nora Lennartz will das ändern – zunächst
beim eigenen Stundenplan: Im kommenden Wintersemester belegt sie das
Wahlpflichtfach „Global Health“. In dem Kurs wird sie mehr über die
Gesundheitssysteme und Krankheiten sogenannter „Entwicklungs-“ und
„Schwellenländer“ erfahren. Lennartz ist dann im neunten Semester, das
Seminar hat sie gewählt, weil sie nach ihrem Examen gern als Ärztin in
einem afrikanischen Land arbeiten möchte, am liebsten in Projekten zur
Bekämpfung von HIV und Tuberkulose.
In ihrem Wahlpflichtkurs wird sie erste Erfahrungen mit Themen sammeln, die
über die in Deutschland geläufigen Probleme des Gesundheitssystems
hinausreichen. Ein Wahlpflichtkurs ist zwar vorgeschrieben, Lennartz könnte
sich aber auch ein ganz anderes Thema aussuchen. Viele ihrer
KommilitonInnen haben sich für Wahlpflichtfächer wie „Sportmedizin“ oder
„Psychoanalyse“ entschieden.
Weil sie auch deutsche Universitäten in der Verantwortung sieht, fordert
Nora Lennartz mehr Veranstaltungen zu „Global Health“: „Im
Pflichtcurriculum wäre das natürlich ideal, aber auch eine Sommerakademie
zu dem Thema wäre schon toll.“ Deshalb engagiert sie sich seit drei Jahren
in der deutschen Sektion von UAEM (Universities Allied for Essential
Medicines). JurastudentInnen haben die Vereinigung 2001 in Yale gegründet,
mittlerweile gibt es sie in weiteren Ländern – meist, wie auch in
Deutschland, als Gruppe von mehrheitlich Medizinstudierenden und einigen
anderen Fachbereichen.
## 36 deutsche Fakultäten bewertet
Die deutsche Sektion von UAEM ist eine der aktivsten in Europa und hat es
geschafft, die medizinischen Fakultäten des Landes nachdrücklich auf sich
und ihre Ziele aufmerksam zu machen. Für ein Hochschulranking hat ein
15-köpfiges Team – angehende ÄrztInnen und Studierende der Politik- und
Wirtschaftswissenschaften – zwei Jahre lang die Curricula und
Forschungsvorhaben aller 36 deutschen medizinischen Fakultäten bewertet.
Das neue Ranking bescheinigt der deutschen Hochschulmedizin erstmals, wie
es um ihren Einsatz bezüglich globaler Gesundheit bestellt ist. Mit
durchwachsenem Ergebnis: Auf den ersten Platz schaffte es die Universität
Heidelberg. „Allerdings nur mit der Note B, also einer Zwei“, bilanziert
Lennartz, Sprecherin des UAEM-Projekts „Global Health Hochschulranking“.
„Das ist natürlich ein gutes Ergebnis, aber es ist schade, dass es keine
Eins in Deutschland gibt.“
Heidelberg steht unter anderem wegen einer Vortragsreihe zum Thema „Global
Health“ und eines Masterprogramms zu armutsassoziierten
Gesundheitsproblemen auf dem ersten Platz. Das Heidelberger Institute of
Public Health erforscht vernachlässigte Krankheiten und unterstützt
Medizinstudierende, die ihr Praktisches Jahr oder eine Famulatur im
Globalen Süden machen wollen.
Auf den Plätzen zwei bis vier landeten die Universitäten in Würzburg,
Tübingen und Bonn, jeweils mit einem B minus. In Würzburg überzeugten die
Vorlesungsreihe zu „Medizin in den Tropen“ und eine Sommerakademie. Das
Tübinger Tropeninstitut kooperiert mit ForscherInnen in Afrika und Vietnam.
## „Eine Veränderung pushen“
Andere UAEM-Gruppen weltweit haben schon früher Rankings vorgelegt. Ein A
gab es für Unis in den USA und in Großbritannien. In Amerika stand die John
Hopkins University mit einem A minus auf dem ersten Platz, in
Großbritannien Oxford mit einem A plus. Als Grund für diesen „anderen
Zugang zu dem Thema als Deutschland“ sieht Lennartz die koloniale
Vergangenheit Großbritanniens, die dort stärker präsent ist als in
Deutschland. „Aber mitverantwortlich ist auch der träge bürokratische
Apparat der deutschen Unis. Wir wollen deshalb eine Veränderung pushen.“
Um das zu erreichen, bewertet das Ranking nicht nur die Existenz von
Lehrangeboten und Forschung zu „Global Health“-Themen an Universitäten. Es
gab auch Punkte für die Publikationskultur: UAEM fragte nach, ob eine
Hochschule ihre wissenschaftlichen Publikationen gezielt unter
Open-Access-Bedingungen publiziert, so dass Forscher auf der ganzen Welt
kostenfrei über das Internet Zugriff haben.
Wird nämlich nur in zugangsbeschränkten Magazinen publiziert, die
regelmäßige Zahlungen für ein festes Abonnement oder einen bestimmten
Betrag pro heruntergeladenem Artikel verlangen, schließt man insbesondere
ForscherInnen in ärmeren Ländern aus. „Wenn wissenschaftliche Artikel in
einer Zeitschrift veröffentlicht werden, die die Uni abonniert haben muss,
wird das Ungleichgewicht zwischen den Ländern noch größer, weil nur
Forscher in wohlhabenden Ländern sich die Papers leisten können“, erklärt
Lennartz.
## Generika könnten helfen
Wichtig war dem Team von UAEM auch, ob die Universitäten Leitlinien
entwickelt haben, die den Umgang mit geistigem Eigentum regeln, und ob sie
dabei das Prinzip des „Global Access Licensing“ beachten. So kann eine
Einrichtung verhindern, dass ihre Forschungsergebnisse exklusiv an
Unternehmen verkauft werden können. Denn dann besteht die Gefahr, dass
bestimmte Medikamente, die auf der Basis der universitären Forschung
entwickelt werden, für Entwicklungsländer nicht preiswert nachproduziert
werden dürfen.
Solche günstigeren Generika gelten aber als Schlüssel zur Bekämpfung vieler
Krankheiten in den ärmsten Ländern. „Die Universitäten können mit ihren
Leitlinien viel Einfluss nehmen“, sagt Lennartz.
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen kennt schon seit Jahrzehnten die
Problematik, dass essenzielle Medikamente in armen Ländern unerschwinglich
sind – oder gar nicht vorhanden, weil die Forschung zu den betreffenden
Krankheiten ausbleibt. „Es ist kommerziell für Pharmaunternehmen nicht
reizvoll, Diagnostik, Medikamente oder Impfungen für sogenannte
vernachlässigte Krankheiten zu entwickeln, die hauptsächlich in armen
Ländern auftreten“, sagt Marco Alves. Er koordiniert die Kampagne „Zugang
zu unentbehrlichen Medikamenten“ von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland.
## „Kommerzialisierungsdruck wirkt auch auf Universitäten“
Alves nennt als Beispiel das Ebola-Virus, dessen Erforschung jahrzehntelang
nicht vorangetrieben wurde. „Dieser Kommerzialisierungsdruck wirkt auch auf
Universitäten. Sie brauchen deshalb Mittel aus der öffentlichen Hand, die
regulierend eingreifen und in die Forschung investieren muss.“
Aber auch fundierte Rankings wie das von UAEM können offenbar viel
anstoßen. Nach der Veröffentlichung haben einige Medizinfakultäten UAEM
Podiumsdiskussionen oder Gesprächstermine angeboten. UAEM will nun eine
weitere Erhebung folgen lassen.
In die Zukunft blickt Nora Lennartz zuversichtlich – auch weil die
MedizinstudentInnen das Thema zunehmend fordern. „Viele vermissen den Blick
über den Tellerrand. Sie interessieren sich nicht nur für den menschlichen
Körper, sondern auch für die großen gesellschaftlichen Zusammenhänge.“
12 Jun 2017
## AUTOREN
Christina Hucklenbroich
## TAGS
Hochschule
Uni
Medizin
Gesundheit
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Fake News
MRSA-Keime
Ebola
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