# taz.de -- Debatte Schutz vor Pandemien: Tödliche Kleinstaaterei | |
> Viren verbreiten sich schnell und weit wie nie. Aber auf eine globale | |
> Seuche ist die Weltgemeinschaft nur unzureichend vorbereitet. | |
Bild: In Kuala Lumpur übt man für den Notfall – wenn er wirklich eintritt, … | |
Epidemiologen auf der ganzen Welt warnen: Die nächste Pandemie wird kommen. | |
Handelt es sich um eine Krankheit mit mildem Krankheitsverlauf und geringen | |
Sterberaten, wie die Schweinegrippe 2009, so sind die Folgen noch | |
erträglich. Sollte aber etwa das Vogelgrippevirus (A/H5N1), das bisher 60 | |
Prozent aller Infizierten getötet hat, durch Mutationen die Fähigkeit | |
entwickeln, sich schnell zu verbreiten, stünde die Welt vor einer | |
Katastrophe ungeahnten Ausmaßes. | |
Schwere grenzüberschreitende Seuchen haben die Menschen schon immer | |
heimgesucht. Die Spanische Grippe von 1918 etwa kostete mit 50 Millionen | |
Opfern mehr Menschen das Leben als der Erste Weltkrieg. | |
Allerdings hat sich die Welt seitdem gehörig verändert: So ist die | |
Pharmaindustrie heute sehr schnell in der Lage, neue Impfstoffe zu | |
entwickeln. Außerdem verspricht man sich von antiviralen Medikamenten, dass | |
sie die Krankheitssymptome lindern, die Ausbreitung verlangsamen und die | |
Sterberate bei Grippepandemien verringern. | |
## Impfstoffe nur für 5 Prozent | |
Jedoch sind die Produktionskapazitäten für Arzneimittel knapp. Die | |
Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht daher davon aus, dass beim Ausbruch | |
einer neuen Seuche zunächst für lediglich 5 Prozent der Weltbevölkerung | |
Impfstoffe hergestellt werden können. Zudem hat sich durch die globale | |
Vernetzung das Verbreitungspotenzial von Infektionskrankheiten | |
vervielfacht. Die Welt ist daher auf einen schnellen und effizienten | |
Einsatz der vorhandenen Ressourcen angewiesen. Das derzeitige | |
Regelungsgeflecht ist allerdings von Einzelstaaterei geprägt, und selbst in | |
Deutschland fehlt es an den erforderlichen Bestimmungen, um sich sinnvoll | |
auf einen Seuchenausbruch vorzubereiten. | |
Auf internationaler Ebene ist die WHO als Sonderorganisation der Vereinten | |
Nationen für den Seuchenschutz zuständig. Sie gibt im Bereich der | |
Pandemieprävention wichtige Impulse – etwa mit den Internationalen | |
Gesundheitsvorschriften und ihren Empfehlungen an die Nationalstaaten, | |
Pläne für den Ernstfall aufzustellen. Doch verfügt die WHO nicht über die | |
finanziellen Mittel, um aktiv an den erforderlichen Vorbereitungen | |
mitzuwirken. Drei Viertel ihres Budgets setzen sich zudem aus freiwilligen, | |
meist programmgebundenen Spenden einzelner Staaten oder privater Spender | |
zusammen. Die von Seuchen besonders bedrohten Entwicklungsländer haben | |
daher wenig Einfluss auf die globale Gesundheitspolitik. | |
Die Internationalen Gesundheitsvorschriften sehen vor, dass alle Länder | |
ihre Gesundheitssysteme ausbauen und den Ausbruch gefährlicher | |
Infektionskrankheiten melden sollen. Finanzielle Hilfen oder | |
Medikamentkontingente für den Fall eines Ausbruchs stellt die WHO jedoch | |
nicht zur Verfügung. Damit werden die internationalen Meldepflichten für | |
Entwicklungsländer zur Falle: Melden sie den Ausbruch einer Seuche, | |
entstehen ihnen erhebliche Schäden durch Handels- und Reisebeschränkungen | |
der anderen Staaten. Gleichzeitig steigen die Preise für Arzneimittel, | |
sodass das betroffene Land seine Bürger nicht versorgen kann. | |
Die Krankheit breitet sich dann ungehindert über den ganzen Globus aus, bis | |
die verfügbaren Medikamente schließlich nur noch für einen Bruchteil der | |
Betroffenen ausreichen. Erforderlich wäre daher der Aufbau eines | |
internationalen Ressourcenpools zum unmittelbaren Einsatz am Ausbruchsort, | |
um Seuchen gleich im Keim zu ersticken. Bisher haben die Industrienationen | |
aber wenig Interesse an solchen Maßnahmen gezeigt. Vielmehr versucht jeder | |
Staat, für seine eigene Bevölkerung Vorräte aufzubauen. | |
In der EU sieht es nicht viel besser aus. Zwar gab es Bestrebungen, | |
zentrale Medikamentenvorräte anzulegen, insbesondere Deutschland wehrte | |
sich aber unter Berufung auf den Föderalismus dagegen. Hierzulande ist | |
Katastrophenabwehr Ländersache. Allerdings klagen die Länder über knappe | |
Kassen, sodass kein einziges Bundesland so viele antivirale Arzneimittel | |
bevorratet, wie die WHO empfiehlt. Auch haben die Länder während der | |
Schweinegrippepandemie schwere Verluste durch den Einkauf von Impfstoffen | |
erlitten. Da der Bund für seine Beamten und Angestellten einen anderen | |
Impfstoff bestellt hatte, der in der Presse als sicherer dargestellt wurde, | |
war die Bevölkerung zudem verunsichert und nahm die Impfmöglichkeiten in | |
den Ländern nicht wahr, sodass der Impfstoff schließlich auch noch auf | |
Kosten der Länder vernichtet werden musste. | |
In Zukunft werden die Länder wohl vorsichtiger einkaufen. Das Überleben | |
könnte dann davon abhängen, in welchem Bundesland man lebt. Das | |
widerspricht dem grundgesetzlichen Leitgedanken gleichwertiger | |
Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet. | |
## Gemeinsamer EU-Einkauf | |
Es wäre sinnvoller, pandemische Arzneimittel zentral zu beschaffen, | |
flexibel am Ausbruchsort einzusetzen und eventuelle Überschüsse im Rahmen | |
eines gegenseitigen Übereinkommens an stärker betroffene EU-Staaten | |
weiterzugeben. Auf EU-Ebene hat man sich mittlerweile zumindest auf einen | |
gemeinsamen Einkauf pandemischer Arzneimittel geeinigt, um eine stärkere | |
Verhandlungsposition gegenüber der Pharmaindustrie zu behaupten. Allerdings | |
besorgt die EU die Medikamente dabei nur im Auftrag der Mitgliedsstaaten. | |
Einen gemeinsamen Medikamentenvorrat gibt es nicht. | |
Die überstaatliche Zusammenarbeit in der Pandemiebewältigung ist nicht nur | |
ein Gebot der Nächstenliebe. Vielmehr wird auch die eigene Bevölkerung | |
durch eine zügige Bekämpfung am Ausbruchsort geschützt. Insbesondere | |
Grippeviren sind äußerst wandelbar. Je weiter sie sich verbreiten, desto | |
größer wird die Gefahr, dass sich ein neuer Virenstamm bildet, bei dem die | |
verfügbaren Arzneimittel wirkungslos sind. | |
Es liegt daher auch im wohlverstandenen Interesse der Industrienationen, | |
Seuchen, die in Entwicklungsländern entstehen, vor Ort zu ersticken. Um das | |
zu erreichen, sollten gerade wirtschaftsmächtige Nationen der WHO die | |
notwendigen Finanzmittel an die Hand geben, um eine global ausgerichtete | |
Gesundheitspolitik betreiben zu können. | |
16 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Anika Klafki | |
## TAGS | |
Schweinegrippe | |
WHO | |
Pandemie | |
Pandemie | |
Weltgesundheitsorganisation | |
Hochschule | |
Ägypten | |
Vogelgrippe | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Grippewelle vor 100 Jahren: Die Mutter aller Pandemien | |
Die Spanische Grippe raffte 20 bis 50 Millionen Menschen dahin. Obwohl ihr | |
Erreger mittlerweile bekannt ist, bleibt vieles an ihr rätselhaft. | |
Gesundheitsexpertin über WHO: „Kaum noch eigene Prioritäten“ | |
Die Entscheidungsgewalt der Weltgesundheitsorganisation muss gestärkt | |
werden, sagt Anna Holzscheiter. Vor allem die finanzielle Unterstützung | |
reiche nicht aus. | |
Hochschulranking zu globaler Gesundheit: Unrentabel, vernachlässigt, tödlich | |
Im deutschen Medizinstudium fehlen Pflichtkurse zu Krankheiten, die die | |
ärmsten Länder betreffen. Das soll sich ändern. | |
Schweinegrippe in Ägypten: Bereits 38 Tote | |
Nach der Epidemiewelle im Jahre 2009 sind nun erneut Menschen in Ägypten an | |
der tödlichen Schweinegrippe gestorben. | |
Tödliche Grippeviren: Neue Infektionswellen | |
In China sind seit Jahresanfang mindestens 20 Menschen an der Vogelgrippe | |
gestorben. Tote gibt es auch in Mexiko: Dort ist die Schweinegrippe die | |
Ursache. | |
Fledermäuse mit Krankheitserregern: 60 neue Viren entdeckt | |
Die fliegenden Säugetiere sind Ursprung zahlreicher krankheitsauslösender | |
Viren. Großen Fledermauskolonien sind Brutstätten neuer Virusvarianten. |